Dies ist die Geschichte zweier Morde, die keine sind, und die Geschichte ihrer Aufklärung, zu der es nicht kommt.
"Was willst du?" "Ich will dich verlassen. Ich muss mir eine Vergangenheit beschaffen, und mit dir habe ich nur noch eine Zukunft." John Greenway, als Hans Grünberg in Cottbus geborener Jude, lebt als Schriftsteller im englischen Bottsville, wo seine Frau auf mysteriöse Weise zu Tode kommt. Vom Verdacht des Mordes freigesprochen, engagiert Greenway eine Haushälterin, die bald ein ähnliches Ende findet, nachdem Greenway ein Verhältnis mit ihr begonnen, sich aber gleichzeitig in ihre dunkelhäutige Tochter verliebt hatte.
"Was willst du?" "Ich will dich verlassen. Ich muss mir eine Vergangenheit beschaffen, und mit dir habe ich nur noch eine Zukunft." John Greenway, als Hans Grünberg in Cottbus geborener Jude, lebt als Schriftsteller im englischen Bottsville, wo seine Frau auf mysteriöse Weise zu Tode kommt. Vom Verdacht des Mordes freigesprochen, engagiert Greenway eine Haushälterin, die bald ein ähnliches Ende findet, nachdem Greenway ein Verhältnis mit ihr begonnen, sich aber gleichzeitig in ihre dunkelhäutige Tochter verliebt hatte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.07.1996Rätselhaft wie jedes Tier
Der Kabarettist Georg Kreisler lehrt den Schattensprung
"Was ist aber der Mensch anderes als ein Stück Lehm?" So oder so ähnlich spricht es nicht nur aus Psalmen, sondern manchmal auch aus englischen Untersuchungsrichterinnen - zumindest in Georg Kreislers Roman "Der Schattenspringer". Und auch Kriminalinspektoren derselben Nationalität machen sich hier ihre schwerwiegenden und nur scheinbar sprachkritischen Gedanken: "Wie wenig wir doch wissen! Wie unscharf wir uns auf die Wörter verlassen!" Wem aber solche Verwunderungen immer noch kein hinreichendes Ausgangsmaterial für Denk-, Trauer- und Spekulationsarbeit aller Art abgeben, der kann es unter anderem auch mit Erkenntnisbemühungen eines Hamburger Rabbis versuchen, etwa dieser: "Jedes Tier ist sich selbst ein Rätsel, also warum nicht auch der Mensch?"
All diese und weitere Formen der Daseinsbewältigung durch Grübelei gelten dem Fall eines von Kreisler ersonnenen deutschen Juden, eines mäßig erfolgreichen Schriftstellers, der im Alter von sechs Jahren nach Großbritannien emigrieren mußte, dort trotz leidlich gelungener Assimilation stets ein Fremder geblieben ist und als Endfünfziger in den Verdacht gerät, seine englische Gemahlin umgebracht zu haben. Nachdem er zunächst wegen Mordes verurteilt wird, kommt er zwar mittels eines Wiederaufnahmeverfahrens frei, macht sich jedoch im Verlauf einer Doppelliaison mit seiner Putzfrau und deren siebzehnjähriger Tochter tatsächlich eines Tötungsdelikts schuldig. Er emigriert abermals, diesmal nach Hamburg, und bringt es innerhalb kurzer Zeit zu internationalem literarischem Ruhm. Die britischen Strafverfolgungsbehörden erkennen ihn freilich auf einem Pressefoto und erwirken seine Rückkehr nach England, wo sich Hans Grünberg alias John Greenway am Ende in einer "Irrenanstalt" wiederfindet.
Einen besonders nachhaltigen Eindruck als literarisches Kunstwerk vermag "Der Schattenspringer" nicht zu hinterlassen. Dabei hat das zum Teil recht spannend geschriebene Buch durchaus Stärken: Passagen, die dem Thema des lebenslangen Exils (an einer Stelle durch den Beginn des Textes zu Schuberts "Winterreise" angedeutet) gelten, sind Kreisler - möglicherweise wegen ihres autobiographischen Hintergrundes - auf anrührende Weise gelungen; und den englischen Konversationsstil hat er in einigen Dialogen so kongenial nachgebildet, daß man meinen könnte, eine hervorragende Übersetzung aus dem Englischen vor sich zu haben.
Leider aber werden die Vorzüge von mancher Schwäche begleitet. Zu den eingangs zitierten, alsbald die Nerven strapazierenden Tiefgründeleien kommt die eine oder andere logische Ungereimtheit: warum etwa soll ein nicht ganz unverdächtiger Bankdirektor auf einen ausgesucht primitiven Bluff des Inspektors hereinfallen? Eine gekünstelte Schlußvolte kann schwerlich über die altbackene Erzähltechnik hinwegtäuschen; bei der Erwähnung sexueller Aktivitäten waltet ein seltsam verklemmt wirkender Wille zur Expressivität, und dem gesamten Roman mangelt es entschieden an Esprit. Gerade diesen hatte man aber dem langjährigen Musiker und Kabarettisten Georg Kreisler eigentlich zutrauen wollen. WOLFGANG STEUHL
Georg Kreisler: "Der Schattenspringer". Roman. Edition diá, Berlin 1996. 140 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Kabarettist Georg Kreisler lehrt den Schattensprung
"Was ist aber der Mensch anderes als ein Stück Lehm?" So oder so ähnlich spricht es nicht nur aus Psalmen, sondern manchmal auch aus englischen Untersuchungsrichterinnen - zumindest in Georg Kreislers Roman "Der Schattenspringer". Und auch Kriminalinspektoren derselben Nationalität machen sich hier ihre schwerwiegenden und nur scheinbar sprachkritischen Gedanken: "Wie wenig wir doch wissen! Wie unscharf wir uns auf die Wörter verlassen!" Wem aber solche Verwunderungen immer noch kein hinreichendes Ausgangsmaterial für Denk-, Trauer- und Spekulationsarbeit aller Art abgeben, der kann es unter anderem auch mit Erkenntnisbemühungen eines Hamburger Rabbis versuchen, etwa dieser: "Jedes Tier ist sich selbst ein Rätsel, also warum nicht auch der Mensch?"
All diese und weitere Formen der Daseinsbewältigung durch Grübelei gelten dem Fall eines von Kreisler ersonnenen deutschen Juden, eines mäßig erfolgreichen Schriftstellers, der im Alter von sechs Jahren nach Großbritannien emigrieren mußte, dort trotz leidlich gelungener Assimilation stets ein Fremder geblieben ist und als Endfünfziger in den Verdacht gerät, seine englische Gemahlin umgebracht zu haben. Nachdem er zunächst wegen Mordes verurteilt wird, kommt er zwar mittels eines Wiederaufnahmeverfahrens frei, macht sich jedoch im Verlauf einer Doppelliaison mit seiner Putzfrau und deren siebzehnjähriger Tochter tatsächlich eines Tötungsdelikts schuldig. Er emigriert abermals, diesmal nach Hamburg, und bringt es innerhalb kurzer Zeit zu internationalem literarischem Ruhm. Die britischen Strafverfolgungsbehörden erkennen ihn freilich auf einem Pressefoto und erwirken seine Rückkehr nach England, wo sich Hans Grünberg alias John Greenway am Ende in einer "Irrenanstalt" wiederfindet.
Einen besonders nachhaltigen Eindruck als literarisches Kunstwerk vermag "Der Schattenspringer" nicht zu hinterlassen. Dabei hat das zum Teil recht spannend geschriebene Buch durchaus Stärken: Passagen, die dem Thema des lebenslangen Exils (an einer Stelle durch den Beginn des Textes zu Schuberts "Winterreise" angedeutet) gelten, sind Kreisler - möglicherweise wegen ihres autobiographischen Hintergrundes - auf anrührende Weise gelungen; und den englischen Konversationsstil hat er in einigen Dialogen so kongenial nachgebildet, daß man meinen könnte, eine hervorragende Übersetzung aus dem Englischen vor sich zu haben.
Leider aber werden die Vorzüge von mancher Schwäche begleitet. Zu den eingangs zitierten, alsbald die Nerven strapazierenden Tiefgründeleien kommt die eine oder andere logische Ungereimtheit: warum etwa soll ein nicht ganz unverdächtiger Bankdirektor auf einen ausgesucht primitiven Bluff des Inspektors hereinfallen? Eine gekünstelte Schlußvolte kann schwerlich über die altbackene Erzähltechnik hinwegtäuschen; bei der Erwähnung sexueller Aktivitäten waltet ein seltsam verklemmt wirkender Wille zur Expressivität, und dem gesamten Roman mangelt es entschieden an Esprit. Gerade diesen hatte man aber dem langjährigen Musiker und Kabarettisten Georg Kreisler eigentlich zutrauen wollen. WOLFGANG STEUHL
Georg Kreisler: "Der Schattenspringer". Roman. Edition diá, Berlin 1996. 140 S., geb., 32,- DM.
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