»Ein paar Geliebte hatte ich, die wie Teeschalen waren, in die ich mich jeden Abend vertiefen wollte.« Die das sagt, ist nicht die Sorte Mensch, sich von Rührung beeindrucken zu lassen. Aber der traurige Student im Pierrotkostüm fällt ihr auf. Und als er eines Abends auf der Treppe vor ihr sitzt, nimmt sie ihn mit.Der Hof einer japanischen Universität, ein abgelegenes Dorf in der Ukraine, Berliner Clubs, ein Bus, der sich seinen Weg durch die nächtliche algerische Wüste sucht - das sind nur ein paar der Orte, an denen die Helden dieser Erzählungen unterwegs sind, immer in den einen oder anderen Anblick versunken, immer bereit, vor der Liebe die Flucht zu ergreifen, um der Schönheit selbst ins Gesicht zu sehen.Schwungvoll spannt Ann Cotten einen schillernden Fächer auf - aquarellierte Seegurken auf der einen Seite, auf der anderen Menschen in Liebeswirren. Die Wendigkeit ihrer Lyrik findet sich auch in diesen Erzählungen: Sie sind verspielt und zynisch, offenherzig und doch unwiderstehlich.
»… denn genau darum geht's: dass Denken Zärtlichkeit ist.«
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Lothar Müller freut sich, dass mit "Der schaudernde Fächer" nun ein neuer Erzählband der in Iowa geborenen und auf Deutsch publizierenden Schriftstellerin Ann Cotten erschienen ist. Schon seit ihrem Debütwerk schätzt der Kritiker die Autorin für ihr kunstvolles Spiel mit der Sprache, deren Sinnlichkeit sich ganz auf ihn überträgt. Und so taumelt Müller fasziniert durch die "galoppierende Metaphernflucht", durch Berlin und Japan und liest in dem lebhaften Dreieck aus Lyrik, Essay und Prosa von Reiseerfahrungen, Geschlechtsumwandlungen und der oft "komisch-ernsten" Sexualität junger Männer und Frauen. Cotten gelinge es eine Form des Erzählens zu finden, die sich dem Unvorhersehbaren des Lebens auf wunderbare Weise anpasse, lobt der eingenommene Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2013Weiblich, ledig, jung sucht Idyllen zum Chillen
Expressionistische Reflexionsprosa für die digitale Bohcme: Ann Cotten geht in ihrem Buch "Der schaudernde Fächer" neue Wege des Erzählens.
Von Jan Wiele
Wie geht man mit jemandem um, den man als Badewanne benutzt? Was unterscheidet eigentlich Lyrik von Prosa? Und was macht man mit einem Buch, bei dem man mit jeder bewältigten Seite kaum noch Erinnerung daran hat, was auf der vorherigen stand? Das sind so Fragen, die sich beim Lesen von Ann Cottens Band "Der schaudernde Fächer" stellen. "Erzählungen" sollen das sein, aber was eine Erzählung ist, das scheint nach dieser Lektüre so unklar wie kaum je zuvor.
Fast genau hundert Jahre ist es jetzt her, dass Carl Einstein in seinem Text "Bebuquin" mit Sinngebung, Form und vor allem Perspektive bisherigen Erzählens radikal gebrochen hat. Fast hundert Jahre ist es auch her, dass der Sprachavantgardist Walter Serner in seiner "Letzten Lockerung" hart mit allen ins Gericht ging, die "aus dem Leben, das unwahrscheinlich ist bis in die Fingerspitze", erzählend etwas Wahrscheinliches machen wollten und gar "über dieses Chaos von Dreck und Rätsel einen erlösenden Himmel stülpen" und "den Menschenmist ordnend durchduften".
Von solchen allzu rigiden Ordnungsversuchen scheint auch Ann Cotten weit entfernt, die 2007 mit ihrem Debüt "Fremdwörterbuchsonette" zwar, wie einige meinten, eine ganz neue Gattung der Lyrik begründet hat, sich in ihrem letzten Buch "Floridaräume" (2011) allerdings über alle Grenzen hinweggesetzt hat - neben Gedichten finden sich darin auch Texte, die als "Ausschüttung" oder "Bericht eines Datenträgers" klassifiziert sind. In diesem Buch ist einmal die Rede von einer "Halbschläferin", deren literarisches Wirken überall da beginnt, "wo ihr der Schreibtisch gewachsen ist" - und es liegt nahe, darin die Autorin zu sehen. Cottens sprachliche Kunstwerke haben oft die dichterische Produktion zum Thema: Ihre Lyrik ist poetologische Lyrik, ihre Prosa könnte man mit einem etwas in Vergessenheit geratenen Begriff als expressionistische Reflexionsprosa bezeichnen. Zweifelsohne teilt sie mit den Avantgardisten der Frühmoderne die grundsätzliche Sprach- und Erzählskepsis.
Damit soll aber nicht gesagt sein, dass Cottens Prosa von gestern ist, sie ankert in vielerlei Hinsicht sogar sehr im Heute: Das Gros der Texte hat seinen Sitz im Berlin des neuen Jahrtausends, wo die 1982 in Iowa Geborene und großteils in Wien Aufgewachsene seit 2006 lebt. In diesen Texten mit Titeln wie "Idyllen. Chillen" mäandert ein weibliches Ich durch Schöneberg und durch Wohngemeinschaften. Man trägt lila Röhrenjeans und sitzt "auf irgendwelchen Stufen mit Bier vom Spätkauf".
Die Erzählerin ist sowohl Teil einer jungen Bohcme als auch kritische Beobachterin: "Da waren Kunstinstallationen zu sehen, pastellene, prämierte Jugendfantasien wie immer in den selbstgemachten Hinterhofgalerien dieser Tage", heißt es einmal. Ästhetische Diskurse fließen in Gespräche ein, manchmal so kryptisch, dass man kaum folgen kann. Ein Text über "Schönheitstheorie" verspricht klarere Gedanken und fragt: "Wie wissen wir, dass es sich um Schönheit handelt? Durch unsere Reaktion. Worin besteht die?" Die Antwort: "Um nicht zu weinen, lieber schreiben. Da kann ich wie in der Musik, während ich den Strahl schwarzen Unmuts, ohnmachtschwelgenden Widerwillens gegen die Einrichtungen absondere, diesen Strahl selbst launisch und anmutig gestalten."
Etwas leichter und Woody-Allen-hafter wirkt ein Intellektuellengespräch zwischen zwei jungen Frauen. Die erörtern anhand eigener Erfahrungen, ob man "deprimierende Liebesaffären durch die Kraft der Kunst in vergnügliche verwandeln" kann, aber: "Natürlich kam das Desaster. Dann flippte er aus und alles war ausgeleiert. Es gab keinen reset button." Andere Prosastücke führen in die Welt hinaus, in die Karpaten und nach Japan - aber auch sie kreisen immer um das schreibende Ich. Aus dem "Nachmittag eines Schriftstellers", wie ihn Fitzgerald und Handke verbrachten, wird bei Ann Cotten allerdings eine Afterhour nach durchtanzter oder auf dem Trip verbrachter Nacht: Mal ist die Rede von LSD, mal nur vom "Weizenbier als Tonikum".
Das alles dient einer gnadenlosen Analyse der Empfindungen, etwa, als die Erzählerin einige Stunden in Erwartung einer Verabredung schildert, genauerhin eines "dubiosen Essens-Dates zum Zweck des Beischlafs". Vor den Gerüchen des Menschenmists hat Ann Cotten keine Angst. Moderne Erscheinungen wie ein Raumparfümierer lösen bei ihrer Erzählerin dagegen den Verdacht aus, "eine unbekannte Instanz sei dabei, mir von oben Knock-Out Drogen zu verpassen". Diese Befürchtung passt zur Erfahrung dieser fordernden wie bereichernden Lektüre.
Ann Cotten: "Der schaudernde Fächer".
Erzählungen.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 251 S., geb., 21,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Expressionistische Reflexionsprosa für die digitale Bohcme: Ann Cotten geht in ihrem Buch "Der schaudernde Fächer" neue Wege des Erzählens.
Von Jan Wiele
Wie geht man mit jemandem um, den man als Badewanne benutzt? Was unterscheidet eigentlich Lyrik von Prosa? Und was macht man mit einem Buch, bei dem man mit jeder bewältigten Seite kaum noch Erinnerung daran hat, was auf der vorherigen stand? Das sind so Fragen, die sich beim Lesen von Ann Cottens Band "Der schaudernde Fächer" stellen. "Erzählungen" sollen das sein, aber was eine Erzählung ist, das scheint nach dieser Lektüre so unklar wie kaum je zuvor.
Fast genau hundert Jahre ist es jetzt her, dass Carl Einstein in seinem Text "Bebuquin" mit Sinngebung, Form und vor allem Perspektive bisherigen Erzählens radikal gebrochen hat. Fast hundert Jahre ist es auch her, dass der Sprachavantgardist Walter Serner in seiner "Letzten Lockerung" hart mit allen ins Gericht ging, die "aus dem Leben, das unwahrscheinlich ist bis in die Fingerspitze", erzählend etwas Wahrscheinliches machen wollten und gar "über dieses Chaos von Dreck und Rätsel einen erlösenden Himmel stülpen" und "den Menschenmist ordnend durchduften".
Von solchen allzu rigiden Ordnungsversuchen scheint auch Ann Cotten weit entfernt, die 2007 mit ihrem Debüt "Fremdwörterbuchsonette" zwar, wie einige meinten, eine ganz neue Gattung der Lyrik begründet hat, sich in ihrem letzten Buch "Floridaräume" (2011) allerdings über alle Grenzen hinweggesetzt hat - neben Gedichten finden sich darin auch Texte, die als "Ausschüttung" oder "Bericht eines Datenträgers" klassifiziert sind. In diesem Buch ist einmal die Rede von einer "Halbschläferin", deren literarisches Wirken überall da beginnt, "wo ihr der Schreibtisch gewachsen ist" - und es liegt nahe, darin die Autorin zu sehen. Cottens sprachliche Kunstwerke haben oft die dichterische Produktion zum Thema: Ihre Lyrik ist poetologische Lyrik, ihre Prosa könnte man mit einem etwas in Vergessenheit geratenen Begriff als expressionistische Reflexionsprosa bezeichnen. Zweifelsohne teilt sie mit den Avantgardisten der Frühmoderne die grundsätzliche Sprach- und Erzählskepsis.
Damit soll aber nicht gesagt sein, dass Cottens Prosa von gestern ist, sie ankert in vielerlei Hinsicht sogar sehr im Heute: Das Gros der Texte hat seinen Sitz im Berlin des neuen Jahrtausends, wo die 1982 in Iowa Geborene und großteils in Wien Aufgewachsene seit 2006 lebt. In diesen Texten mit Titeln wie "Idyllen. Chillen" mäandert ein weibliches Ich durch Schöneberg und durch Wohngemeinschaften. Man trägt lila Röhrenjeans und sitzt "auf irgendwelchen Stufen mit Bier vom Spätkauf".
Die Erzählerin ist sowohl Teil einer jungen Bohcme als auch kritische Beobachterin: "Da waren Kunstinstallationen zu sehen, pastellene, prämierte Jugendfantasien wie immer in den selbstgemachten Hinterhofgalerien dieser Tage", heißt es einmal. Ästhetische Diskurse fließen in Gespräche ein, manchmal so kryptisch, dass man kaum folgen kann. Ein Text über "Schönheitstheorie" verspricht klarere Gedanken und fragt: "Wie wissen wir, dass es sich um Schönheit handelt? Durch unsere Reaktion. Worin besteht die?" Die Antwort: "Um nicht zu weinen, lieber schreiben. Da kann ich wie in der Musik, während ich den Strahl schwarzen Unmuts, ohnmachtschwelgenden Widerwillens gegen die Einrichtungen absondere, diesen Strahl selbst launisch und anmutig gestalten."
Etwas leichter und Woody-Allen-hafter wirkt ein Intellektuellengespräch zwischen zwei jungen Frauen. Die erörtern anhand eigener Erfahrungen, ob man "deprimierende Liebesaffären durch die Kraft der Kunst in vergnügliche verwandeln" kann, aber: "Natürlich kam das Desaster. Dann flippte er aus und alles war ausgeleiert. Es gab keinen reset button." Andere Prosastücke führen in die Welt hinaus, in die Karpaten und nach Japan - aber auch sie kreisen immer um das schreibende Ich. Aus dem "Nachmittag eines Schriftstellers", wie ihn Fitzgerald und Handke verbrachten, wird bei Ann Cotten allerdings eine Afterhour nach durchtanzter oder auf dem Trip verbrachter Nacht: Mal ist die Rede von LSD, mal nur vom "Weizenbier als Tonikum".
Das alles dient einer gnadenlosen Analyse der Empfindungen, etwa, als die Erzählerin einige Stunden in Erwartung einer Verabredung schildert, genauerhin eines "dubiosen Essens-Dates zum Zweck des Beischlafs". Vor den Gerüchen des Menschenmists hat Ann Cotten keine Angst. Moderne Erscheinungen wie ein Raumparfümierer lösen bei ihrer Erzählerin dagegen den Verdacht aus, "eine unbekannte Instanz sei dabei, mir von oben Knock-Out Drogen zu verpassen". Diese Befürchtung passt zur Erfahrung dieser fordernden wie bereichernden Lektüre.
Ann Cotten: "Der schaudernde Fächer".
Erzählungen.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 251 S., geb., 21,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.12.2013Gangart von Füllen
In ihrer Prosa und ihren Gedichten sucht Ann Cotten nach einer Erzählform, die es mit dem Sprunghaften
des Lebens aufnehmen kann und eine Sinnlichkeit entfaltet, deren Kern die Sprachlust ist
VON LOTHAR MÜLLER
Manchmal tauchen englische Verse oder amerikanische Landschaften in den Gedichten oder der Prosa von Ann Cotten auf, wie jetzt in ihrem neuen Erzählungsband „Der schaudernde Fächer“: „Eine Sekunde lang fahre ich im Auto meiner Eltern zehn Stunden durch die weiten Bundesstaaten in der Mitte der USA und sehe aus dem Fenster diese Ölpumpen in der heißen Luft flimmern, die sich über dem Boden trägt, manche, je nach Perspektive, wie Striche, die länger und kürzer werden, manche wie gefesselte Trinkvögel, hagere Krähen oder Geier, und sie wenden sich, wandeln sich rasch, als man vorbeifährt.“
Ann Cotten ist 1982 in Iowa geboren, kam im Alter von fünf Jahren nach Wien und lebt seit 2006 in Berlin. In dieser Woche wurde ihr der Adelbert-von-Chamisso-Preis 2014 zugesprochen, den die Robert Bosch Stiftung an Autoren vergibt, „deren Werk von einem Sprach- oder Kulturwechsel geprägt ist“. Das gilt für Ann Cotten nicht nur in dem Sinn, dass sie als Kind in die deutsche Sprache einwanderte, in der sie nun schreibt. Es gilt auch für die Art, wie sie die Sprache – sei es die deutsche, die englische oder eine japanische Wendung – handhabt, nämlich so, wie ein Ski-, Rad- oder Autofahrer die Spur wechselt. Die Fahrbahn, das war in ihrem Erstling „Fremdwörterbuchsonette“ (2007) die alteuropäische Sonettform: „O Fahrtwind, fahre fort, mich zum Verschwinden / zu bringen, meine Autorschaft zu reduzieren. / Ich lieb’s, wenn deine Finger sich in meinem Haar befinden, / ich liebs, wenn deine Zunge pfeift mir um die Nieren. // Könnt auf dem Fahrrad rückwärts räsonieren, / mein Denken käme zweifellos in Fahrt. / Nicht auszuschließen ist, es könnte was passieren, / doch nichts Bestimmtes, dazu denke ich zu hart.“
Der Wind, der in die Sonettform fuhr, zerzauste die Quartette, ohne sie zu zerbrechen, hinter ihm stand der Geist der Lockerung, den in den Zwanzigerjahren ein Autor wie Walter Serner in die deutsche Literatur gebracht hatte. Die selbstverständliche Anwesenheit des harten Denkens und des Räsonierens im Gedicht passte gut dazu. Die Geistesgegenwart in allen Facetten, die dieses Wort hat, gehört zum Sprach- und Spurwechsel, den Ann Cotten kunstvoll inszeniert. Die eingangs zitierten amerikanischen Ölpumpen zum Beispiel sind nur ein kurzer Erinnerungsschlenker, hervorgerufen vom Auf und Ab der Pedalen, die ein gewisser Fritz tritt, an dem ein Wort wie „Liebhaber“ zumindest einige Sätze lang haften bleiben könnte.
Es bleibt aber nicht bei dieser Überblendung von Fahrradfahrer und Ölpumpe, sie löst eine galoppierende Metaphernflucht aus, die bei gefesselten Trinkvögeln, Krähen und Geiern nur scheinbar endet, denn sie werden sich im nächsten Moment schon verwandeln. Das Misstrauen gegen die Adjektive und die Metaphern gehört zum Grundbestand moderner Prosa, zumal wenn sie sich, wie in Deutschland seit geraumer Zeit, danach sehnt, so „lakonisch“ zu klingen wie eine amerikanische Short Story. Ann Cotten aus Iowa hat keine Berührungsangst vor Adjektiven und Metaphern, nicht einmal vor ausgefallenen, die als „wie“-Vergleiche daherkommen: „Ein dünner Faden Rauch fuhr in den Sommertag, wie Buchstaben.“
Einmal war im Debüt „Fremdwörterbuchsonette“ von einem Roman die Rede, aus dem höchstwahrscheinlich nichts wird. So ist es geblieben. Stattdessen hat sich Ann Cotten daran gemacht, das überaus lebendige Dreieck aus Lyrik, Essay und kurzer Prosa auszumessen, das in der deutschen Gegenwartsliteratur dem Roman Paroli bietet. Im Vorwort zu ihrem Gedichtband „Hauptwerk“, der in diesem Sommer erschien und seinen Untertitel „Softsoftporn“ eher umspielt als erfüllt, gibt sie ein Ziel an: „mit alten Wörtern neue Erfahrungen zu beschreiben, von denen ich nicht weiß, was sie genau sind“. Diese etwas dürre Auskunft war zum Glück mit einem treffenden Bild der eigenen Sprachbewegung verbunden: „wie Gangart von Füllen“.
Junge Männer und Frauen, oft in komisch-ernsten Verrenkungen der Sexualität ineinander verheddert, bevölkern den Erzählungsband „Der schaudernde Fächer“. Einmal schält sich aus einem rätselhaften Mini-Briefroman die Geschichte eines Wunsches nach Geschlechtsumwandlung heraus. In die nordafrikanische Wüste, auf einen Bergfriedhof in der Ukraine führen die Reisebewegungen, die Hauptschauplätze aber sind Berlin, mit seinen Spätkaufläden und Bars aller Art und für jeden Geschmack, und Japan, wo einmal der titelgebende Fächer auf das erzählende Ich niedersaust wie eine Peitsche.
Das Staksig-Schwankende wie das gelegentlich Unwillkürlich-Groteske der Gangart von Füllen macht es dem Leser oft nicht leicht, wenn es etwa darum geht, eine Schönheitstheorie zu entwickeln oder zwei junge Frauen die Frage erörtern: „wie können wir durch die Kraft der Kunst eine deprimierende Liebesaffäre in eine vergnügliche verwandeln?“ Nicht die Unsicherheit ist in dieser Prosa und den eingestreuten Gedichten das Hauptcharakteristikum der füllenhaften Gangart – sondern die Suche nach einer Form des Erzählens, die es mit dem Sprunghaften des Lebens und seiner Erfahrung aufnehmen kann. Wohl deshalb wirkt alles, was hier von japanischen Reiseerfahrungen getränkt erscheint, wie eine einzige große Metapher der Einübung in eine Form, die irgendwo zwischen moderner japanischer und moderner europäischer Erzählkunst angesiedelt sein könnte.
Sehr schön zeigt sich dieses Ineinandergreifen in der Erzählung „Seekühe der Kunst“. Die am Landwehrkanal in Berlin angesiedelte Rahmenhandlung nimmt darin den Bericht vom Zug der Ich-Erzählerin durch japanische Bars und Kneipen wie ein Stationendrama in sich auf. Als eine brennende Ölquelle, die, einmal von der Sexualität entzündet, nie mehr ausgeht, bezeichnet sich einmal dieses Ich, aber die Lust an der Sinnlichkeit, der Ann Cotten huldigt, ist mit der Sexualität nicht identisch. Ihr Kern ist die Sprachlust.
Sie versieht die Figuren häufig mit seltsamen Namen wie Praetz oder Krassa, sie spielt mit den Figuren und sorgt dafür, dass ihre Sinnlichkeit nicht als Natur erscheint, sie bewährt ihren Witz, wenn sie eine Figur in einer amerikanischen Karaoke-Bar in Japan beschreibt: „Ein schöner Kopf hing verblüfft über dem fernsehförmigen Körper, und wenn sie sang, wirkte es, als hätte ein Röhrenmonitor eine Seele.“
Es gibt ein Gemeinsames zwischen der Sprachlust und der Sinnlichkeit in Ann Cottens Panoptikum der Wörter: die Isolierung der Einzelheiten. „Wenn ich liebe, liebe ich eine herausgehobene Einzelheit im Übermaß. Zerknülle den Rest und untersuche dann die Proportionen des Schadens.“ Das geht nicht immer gut. Aber oft.
Ann Cotten: Der schaudernde Fächer. Erzählungen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 251 Seiten, 21,95 Euro. E-Book 18,99 Euro.
Ann Cotten: Hauptwerk. Softsoftporn. Verlag Peter Engstler. Ostheim/Rhön 2013. 72 Seiten, 14 Euro.
„O Fahrtwind, fahre fort, mich
zum Verschwinden zu bringen,
meine Autorschaft zu reduzieren“
„Und wenn sie sang, wirkte es,
als hätte ein Röhrenmonitor
eine Seele“, heißt es da einmal
„Die Anmut ahnen, die durch Schrift und Sprache möglich ist“: Ann Cotten im Dezember 2013 in Berlin.
Foto: Regina Schmeken
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In ihrer Prosa und ihren Gedichten sucht Ann Cotten nach einer Erzählform, die es mit dem Sprunghaften
des Lebens aufnehmen kann und eine Sinnlichkeit entfaltet, deren Kern die Sprachlust ist
VON LOTHAR MÜLLER
Manchmal tauchen englische Verse oder amerikanische Landschaften in den Gedichten oder der Prosa von Ann Cotten auf, wie jetzt in ihrem neuen Erzählungsband „Der schaudernde Fächer“: „Eine Sekunde lang fahre ich im Auto meiner Eltern zehn Stunden durch die weiten Bundesstaaten in der Mitte der USA und sehe aus dem Fenster diese Ölpumpen in der heißen Luft flimmern, die sich über dem Boden trägt, manche, je nach Perspektive, wie Striche, die länger und kürzer werden, manche wie gefesselte Trinkvögel, hagere Krähen oder Geier, und sie wenden sich, wandeln sich rasch, als man vorbeifährt.“
Ann Cotten ist 1982 in Iowa geboren, kam im Alter von fünf Jahren nach Wien und lebt seit 2006 in Berlin. In dieser Woche wurde ihr der Adelbert-von-Chamisso-Preis 2014 zugesprochen, den die Robert Bosch Stiftung an Autoren vergibt, „deren Werk von einem Sprach- oder Kulturwechsel geprägt ist“. Das gilt für Ann Cotten nicht nur in dem Sinn, dass sie als Kind in die deutsche Sprache einwanderte, in der sie nun schreibt. Es gilt auch für die Art, wie sie die Sprache – sei es die deutsche, die englische oder eine japanische Wendung – handhabt, nämlich so, wie ein Ski-, Rad- oder Autofahrer die Spur wechselt. Die Fahrbahn, das war in ihrem Erstling „Fremdwörterbuchsonette“ (2007) die alteuropäische Sonettform: „O Fahrtwind, fahre fort, mich zum Verschwinden / zu bringen, meine Autorschaft zu reduzieren. / Ich lieb’s, wenn deine Finger sich in meinem Haar befinden, / ich liebs, wenn deine Zunge pfeift mir um die Nieren. // Könnt auf dem Fahrrad rückwärts räsonieren, / mein Denken käme zweifellos in Fahrt. / Nicht auszuschließen ist, es könnte was passieren, / doch nichts Bestimmtes, dazu denke ich zu hart.“
Der Wind, der in die Sonettform fuhr, zerzauste die Quartette, ohne sie zu zerbrechen, hinter ihm stand der Geist der Lockerung, den in den Zwanzigerjahren ein Autor wie Walter Serner in die deutsche Literatur gebracht hatte. Die selbstverständliche Anwesenheit des harten Denkens und des Räsonierens im Gedicht passte gut dazu. Die Geistesgegenwart in allen Facetten, die dieses Wort hat, gehört zum Sprach- und Spurwechsel, den Ann Cotten kunstvoll inszeniert. Die eingangs zitierten amerikanischen Ölpumpen zum Beispiel sind nur ein kurzer Erinnerungsschlenker, hervorgerufen vom Auf und Ab der Pedalen, die ein gewisser Fritz tritt, an dem ein Wort wie „Liebhaber“ zumindest einige Sätze lang haften bleiben könnte.
Es bleibt aber nicht bei dieser Überblendung von Fahrradfahrer und Ölpumpe, sie löst eine galoppierende Metaphernflucht aus, die bei gefesselten Trinkvögeln, Krähen und Geiern nur scheinbar endet, denn sie werden sich im nächsten Moment schon verwandeln. Das Misstrauen gegen die Adjektive und die Metaphern gehört zum Grundbestand moderner Prosa, zumal wenn sie sich, wie in Deutschland seit geraumer Zeit, danach sehnt, so „lakonisch“ zu klingen wie eine amerikanische Short Story. Ann Cotten aus Iowa hat keine Berührungsangst vor Adjektiven und Metaphern, nicht einmal vor ausgefallenen, die als „wie“-Vergleiche daherkommen: „Ein dünner Faden Rauch fuhr in den Sommertag, wie Buchstaben.“
Einmal war im Debüt „Fremdwörterbuchsonette“ von einem Roman die Rede, aus dem höchstwahrscheinlich nichts wird. So ist es geblieben. Stattdessen hat sich Ann Cotten daran gemacht, das überaus lebendige Dreieck aus Lyrik, Essay und kurzer Prosa auszumessen, das in der deutschen Gegenwartsliteratur dem Roman Paroli bietet. Im Vorwort zu ihrem Gedichtband „Hauptwerk“, der in diesem Sommer erschien und seinen Untertitel „Softsoftporn“ eher umspielt als erfüllt, gibt sie ein Ziel an: „mit alten Wörtern neue Erfahrungen zu beschreiben, von denen ich nicht weiß, was sie genau sind“. Diese etwas dürre Auskunft war zum Glück mit einem treffenden Bild der eigenen Sprachbewegung verbunden: „wie Gangart von Füllen“.
Junge Männer und Frauen, oft in komisch-ernsten Verrenkungen der Sexualität ineinander verheddert, bevölkern den Erzählungsband „Der schaudernde Fächer“. Einmal schält sich aus einem rätselhaften Mini-Briefroman die Geschichte eines Wunsches nach Geschlechtsumwandlung heraus. In die nordafrikanische Wüste, auf einen Bergfriedhof in der Ukraine führen die Reisebewegungen, die Hauptschauplätze aber sind Berlin, mit seinen Spätkaufläden und Bars aller Art und für jeden Geschmack, und Japan, wo einmal der titelgebende Fächer auf das erzählende Ich niedersaust wie eine Peitsche.
Das Staksig-Schwankende wie das gelegentlich Unwillkürlich-Groteske der Gangart von Füllen macht es dem Leser oft nicht leicht, wenn es etwa darum geht, eine Schönheitstheorie zu entwickeln oder zwei junge Frauen die Frage erörtern: „wie können wir durch die Kraft der Kunst eine deprimierende Liebesaffäre in eine vergnügliche verwandeln?“ Nicht die Unsicherheit ist in dieser Prosa und den eingestreuten Gedichten das Hauptcharakteristikum der füllenhaften Gangart – sondern die Suche nach einer Form des Erzählens, die es mit dem Sprunghaften des Lebens und seiner Erfahrung aufnehmen kann. Wohl deshalb wirkt alles, was hier von japanischen Reiseerfahrungen getränkt erscheint, wie eine einzige große Metapher der Einübung in eine Form, die irgendwo zwischen moderner japanischer und moderner europäischer Erzählkunst angesiedelt sein könnte.
Sehr schön zeigt sich dieses Ineinandergreifen in der Erzählung „Seekühe der Kunst“. Die am Landwehrkanal in Berlin angesiedelte Rahmenhandlung nimmt darin den Bericht vom Zug der Ich-Erzählerin durch japanische Bars und Kneipen wie ein Stationendrama in sich auf. Als eine brennende Ölquelle, die, einmal von der Sexualität entzündet, nie mehr ausgeht, bezeichnet sich einmal dieses Ich, aber die Lust an der Sinnlichkeit, der Ann Cotten huldigt, ist mit der Sexualität nicht identisch. Ihr Kern ist die Sprachlust.
Sie versieht die Figuren häufig mit seltsamen Namen wie Praetz oder Krassa, sie spielt mit den Figuren und sorgt dafür, dass ihre Sinnlichkeit nicht als Natur erscheint, sie bewährt ihren Witz, wenn sie eine Figur in einer amerikanischen Karaoke-Bar in Japan beschreibt: „Ein schöner Kopf hing verblüfft über dem fernsehförmigen Körper, und wenn sie sang, wirkte es, als hätte ein Röhrenmonitor eine Seele.“
Es gibt ein Gemeinsames zwischen der Sprachlust und der Sinnlichkeit in Ann Cottens Panoptikum der Wörter: die Isolierung der Einzelheiten. „Wenn ich liebe, liebe ich eine herausgehobene Einzelheit im Übermaß. Zerknülle den Rest und untersuche dann die Proportionen des Schadens.“ Das geht nicht immer gut. Aber oft.
Ann Cotten: Der schaudernde Fächer. Erzählungen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 251 Seiten, 21,95 Euro. E-Book 18,99 Euro.
Ann Cotten: Hauptwerk. Softsoftporn. Verlag Peter Engstler. Ostheim/Rhön 2013. 72 Seiten, 14 Euro.
„O Fahrtwind, fahre fort, mich
zum Verschwinden zu bringen,
meine Autorschaft zu reduzieren“
„Und wenn sie sang, wirkte es,
als hätte ein Röhrenmonitor
eine Seele“, heißt es da einmal
„Die Anmut ahnen, die durch Schrift und Sprache möglich ist“: Ann Cotten im Dezember 2013 in Berlin.
Foto: Regina Schmeken
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»In ihrer Prosa ... sucht Ann Cotten nach einer Erzählform, die es mit dem Sprunghaften des Lebens aufnehmen kann und eine Sinnlichkeit entfaltet, deren Kern die Sprachlust ist.« Lothar Müller Süddeutsche Zeitung 20131214