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Rumänien nach dem Sturz des Diktators. Emma, eine dreizehnjährige Vollwaise, wächst im Internat auf. Ihre Eltern sollen bei einem Autounfall ums Leben gekommen sein. Eines Tages erscheint eine Unbekannte, die sich als ihre Großmutter ausgibt. Widerstrebend folgt Emma ihr in eine fremde Stadt.In der Schule wird Emma nicht nur gehänselt, sondern auch bedroht, denn ihre Großmutter gilt als Spitzel und Geisteskranke. Tapfer erträgt sie die Peinigungen, zugleich aber wächst das Misstrauen gegen die alte Frau. Als sie sich über das Verbot, den Holzschuppen im Garten zu betreten, hinwegsetzt, macht…mehr

Produktbeschreibung
Rumänien nach dem Sturz des Diktators. Emma, eine dreizehnjährige Vollwaise, wächst im Internat auf. Ihre Eltern sollen bei einem Autounfall ums Leben gekommen sein. Eines Tages erscheint eine Unbekannte, die sich als ihre Großmutter ausgibt. Widerstrebend folgt Emma ihr in eine fremde Stadt.In der Schule wird Emma nicht nur gehänselt, sondern auch bedroht, denn ihre Großmutter gilt als Spitzel und Geisteskranke. Tapfer erträgt sie die Peinigungen, zugleich aber wächst das Misstrauen gegen die alte Frau. Als sie sich über das Verbot, den Holzschuppen im Garten zu betreten, hinwegsetzt, macht sie eine verstörende Entdeckung.Die Geschichte, die nun beginnt, zieht Emma den Boden unter den Füßen weg: Stückweise kommt die Wahrheit über ihre Familie ans Licht - und über eine Gesellschaft, in der das gewaltsame Ende vieler ihrer Bürger nie verfolgt wurde. Die mutige Heldin dieses Entwicklungsromans handelt so radikal wie der Protagonist des Weißen Königs. Bei Dragomán sind es die Kinder, die mit ihrem unbestechlichen Sinn für Gerechtigkeit das Netz aus Lüge, Gemeinheit und Brutalität zerreißen. Eine knappe, einfache Sprache steht in spannungsvollem Kontrast zur doppelbödigen Realität und zur Mehrdeutigkeit des Wahrgenommenen. Das Unheimliche, Phantastische ist das Element, in dem Emma nach Klarheit sucht.»György Dragomán ist das herausragende Talent der jungen ungarischen Literatur.« György Konrád
Autorenporträt
György Dragomán, 1973 in Marosvásárhely (Târgu-Mure¿) / Siebenbürgen geboren, übersiedelte 1988 mit seiner Familie nach Ungarn. 2002 erschien sein preisgekrönter erster Roman, A pusztítas könyve (Das Buch der Zerstörung). Er hat über Beckett promoviert, übersetzt aus dem Englischen und arbeitet als Webdesigner. Der weiße König (2005; dt. 2008) ist in dreißig Ländern erschienen. Dragomán lebt in Budapest.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Andreas Breitenstein haut er um, der Roman von György Dragomán. Fantastisch vielschichtig und allegorisch düster leuchtet diese Prosa für ihn, vergleichbar darin den Romanen von Mircea Cartarescu, Dzevad Karahasan, Ismail Kadare oder Jáchym Topol, wie Breitenstein schreibt. Der vom Autor entfaltete Kosmos entführt ihn in eine Kindheit voller Rätsel und Untiefen, die mit der jüngeren Geschichte Rumäniens zusammenhängen. 1991 in der rumänischen Provinz verortet, während des letzten Sommers einer kaputten Kindheit, wirkt der Text auf Breitenstein beklemmend und lodernd von den zauberischen Wahrnehmungen der jungen Ich-Erzählerin. So lakonisch kühl Dragoman schreibt, so randvoll mit Zeichen und Spuren scheint Breitenstein die Geschichte über Herkunft, Adoleszenz, Liebe und die Last der Erinnerung.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2015

Die mit der Freiheit nichts anfangen können

Erste Liga der osteuropäischen Literatur: György Dragomán beschwört in "Der Scheiterhaufen" die rumänische Übergangsgesellschaft herauf.

Von Wolfgang Schneider

Zu den bedeutendsten literarischen Werken des letzten Jahrzehnts gehört György Dragománs "Der weiße König", ein ebenso albtraumhafter wie dunkel-schöner Roman über eine Kindheit ins Ceausescus Rumänien. Er katapultierte den 1973 geborenen Autor, der heute in Budapest lebt, in die erste Liga der osteuropäischen Literatur und wurde in dreißig Sprachen übersetzt.

Neun Jahre hat sich Dragomán Zeit gelassen bis zur Veröffentlichung seines nächsten Romans. Der kindlich-jugendlichen Perspektive ist er in "Der Scheiterhaufen" treu geblieben. Hauptfigur und Ich-Erzählerin des Romans, der zwei Jahre nach der blutigen rumänischen Revolution vom Dezember 1989 spielt, ist die dreizehnjährige Emma. Zu Beginn lebt sie in einem Internat für Waisenkinder. Ihre Eltern sind bei einem Autounfall gestorben. Eines Tages wird sie ins Zimmer der Direktorin gerufen. Dort trifft sie eine alte Frau, die behauptet, ihre Großmutter zu sein. Emma wehrt sich gegen die Vereinnahmung. Lange bleibt auch für die Leser ungewiss, ob diese resolute Alte tatsächlich die Mutter der Mutter ist, die sich vor Emmas Geburt von der Familie lossagte.

Jedenfalls beginnt Emma mit der "Großmutter" ein neues Leben in einer rumänischen Provinzstadt. Auch hier hat die Revolution Menschenleben gefordert. Zwar haben die Opfer ein feierliches Begräbnis bekommen. Allerdings befanden sich in den Särgen nicht ihre Leichen. Die seien an unbekanntem Ort verscharrt worden. Die Suche nach den Opfern, die unbegrabene Vergangenheit, lässt die Menschen nicht zur Ruhe kommen. Auch das Leben der Schüler ist von Misstrauen und Gewalt geprägt. Emma belauscht, wie Klassenkameradinnen über ihren Großvater lästern: "Er habe sich erhängt, und er habe es auch verdient, dreckiger Spitzel, der er gewesen sei." Viele seien wegen ihm ins Gefängnis gekommen. Verstört rennt Emma aus der Schule, läuft und läuft, und ihre Panik wächst, als sie das Gefühl hat, von ihrer toten Mutter verfolgt zu werden. Dann aber ist es die erstaunliche Großmutter, die Emma im wehenden Mantel überholt und mahnend auf sie einredet: Sie solle nicht glauben, was man über den Großvater erzähle.

Zu den wichtigsten Ritualen einer Gesellschaft gehört es, die richtigen Schuldigen zu finden. Ob der Großvater ein angemessener Schuldabladeplatz ist, bleibt für Emma quälend ungewiss. Musste er nicht vielmehr fünf Jahre in einem Umerziehungslager am Donaukanal schuften, wie Großmutter behauptet? Jeden kann die Denunziation treffen. Es ist eine Atmosphäre der Angst, die Dragomán meisterhaft vergegenwärtigt. Die Großmutter immerhin beherrscht manchen guten Gegenzauber; die Figur ist in eine Atmosphäre des Magischen, Hexenhaften getaucht. Mit Mehl beschwört sie die Vergangenheit, zeichnet damit Umrisse, die zum Leben erwachen wie das Phantom des Großvaters. Zu ihren Ritualen gehört auch das Errichten eines Scheiterhaufens. Mit Kreide wird auf die Äste geschrieben, wovon man sich befreien möchte; dann soll das Feuer seine Wirkung tun.

Die Schulszenen bieten eine Parade von Lehrertypen, sadistischen und komischen, wie "Onkel Vorhang", der so heißt, weil er mit einer langen, fettigen, ständig herunterrutschenden Haarsträhne seine Glatze zu überdecken versucht. Erschwerend kommt hinzu, dass "Onkel Vorhang" von den kommunistischen Geschichtsbüchern nicht lassen will. "Es sieht so aus, also könnte hier keiner mit der Freiheit etwas anfangen", meint Emmas Zeichenlehrer. Es ist einer der bittersten Sätze des Romans. Der Zeichenlehrer ist der Antipode zu "Onkel Vorhang", er war bei den Stürmen der Revolutionstage in vorderer Reihe dabei, und er habe sein Leben nicht für die Freiheit aufs Spiel gesetzt, damit Schwindler und Spekulanten nun auf ihre Kosten kämen. Er ist so frei, den Schülern ein Nacktmodell zum Aktzeichnen vorzusetzen. Aber schnell werden ihm die Grenzen der Freiheit gezeigt: Die Bibliothekarin, seine Geliebte, kommt in die Klasse gestürmt und macht ihm wegen der "Zigeunerin" eine Szene.

Dass Dragomán aus kindlich-jugendlicher Perspektive erzählt, hat gute Gründe. Die Unmittelbarkeit kindlichen Erlebens gibt stärker das Aroma einer Epoche wieder; auf historisch-politische Einlassungen und Reflexionen, die die Wucht der unbegriffenen Erfahrung nehmen würden, kann dagegen verzichtet werden. Auch das Unheimliche, Traumhafte, Magische bekommt so höhere Plausibilität. Die ideale narrative Umsetzung der kindlichen Perspektive besteht in Dragománs filmischer Erzählweise (womit nicht Action, sondern Anschaulichkeit gemeint ist). Sache dieses Autors sind nicht große erzählerische Bögen, sondern prägnante und atmosphärische Bilder, und sei es nur eine Ameise, die eine Augenwimper schleppt. Der Roman ist reich an Momenten phantasmagorischer Intensität. Dazu gehört eine symbolkräftige Szene im Schwimmbad: Wie getrieben, steigt Emma auf den abgesperrten Zehn-Meter-Sprungturm. Oben beginnt der Beton der Plattform unter ihren Füßen zu bröckeln und herabzufallen. Emma springt und stirbt fast dabei, denn das trübe Wasser ist voller Schutt und ragenden Eisenstangen. Ein triftigeres Bild für die rumänische Übergangsgesellschaft lässt sich kaum denken.

Die Dichte und zwingende Kraft von "Der weiße König" erreicht "Der Scheiterhaufen" dennoch nicht ganz. Der Roman hat einige Längen; eine weit überdurchschnittliche Lektüre ist er allemal. Seine jugendliche Heldin erscheint wie eine finstere Verwandte der Figuren Mark Twains oder Wolfgang Herrndorfs. Trotzdem kommt mit ihr ein Moment der Hoffnung und des Offenen in den Roman. Kinder und Jugendliche erfahren die Schrecken vielleicht noch direkter als die Erwachsenen. Aber sie können ihren Traumatisierungen entwachsen und zu einem neuen Leben finden.

György Dragomán: "Der Scheiterhaufen". Roman.

Aus dem Ungarischen von Lacy Kornitzer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 494 S., geb., 24,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Es geht um traumatische Vorfälle in der Familie, um Geheimnisse aus der Vergangenheit. Dabei sind ganz beeindruckende fantastische Elemente enthalten. Sprachlich ist der Roman so gewaltig und lakonisch, wie ich es in dieser Form noch nie gelesen habe.« Daniel Brühl ZEIT ONLINE 20211216