Schatten des sozialistischen Regimes aber, der bald über die sowjetische Besatzungszone ziehen wird, ist bereits fühlbar. Die Kindheit bleibt nicht unberührt. In den üblichen Drohungen der Älteren erreicht er die Kinder: den Kohlen klauenden Kameraden Hilbigs wird beispielsweise mit dem Zug nach Sibirien gedroht.
In diesen Erzählungen geht er aber weit über die üblichen Beschreibungen von Kindheitserinnerungen hinaus. Ohne sich auf das Niveau des Kinderblicks zu begeben, gelingt es ihm dabei - trotz des reflektierenden Erwachsenenblicks - diese Zeit und ihre Atmosphäre spürbar zu machen.
An manchen Stellen bekommt seine Prosa lyrische Qualitäten. Besonders wird dies in der kurzen Erzählung "Der Schlaf der Gerechten" deutlich. Diese Titel gebende Erzählung ist nachgerade ein Prosagedicht. Seine Sprache verdichtet sich hier um das Thema Schuld und Tod in ungewöhnlichen Metaphern und Bildern zu einem erst zu entschlüsselnden Tableau.
Hoch literarisch
Jede der Erzählungen ist düster und hinterlässt einen bitteren Geschmack. Aber der Strom der Erinnerung, aus dem sie fließen, ist hoch literarisch, und Hilbig zeigt sich hier als großer Sprachartist, bei dem auch komplexe Sprachfiguren ungezwungen und natürlich wirken. Hilbig ist ein Autor einer verschwindenden Generation und mit
Der Schlaf der Gerechten hat er einen Erzählband vorgelegt, der beweist, das diese Generation auch heute noch viel zu sagen hat und literarisch noch immer sehr ernst genommen werden muss.
(Andreas Rötzer)