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Peter-André Alt untersucht die vielgestaltige Geschichte literarischer Traumdarstellungen der Neuzeit - im Zusammenhang ihrer wissenschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedingungen - von der Renaissance bis zur Moderne. Sein Buch erzählt die literarische Kulturgeschichte des Traums als Geschichte eines Schlafs der Vernunft, der den Menschen mit den Bildern seiner Ängste und Hoffnungen, seines Aberglaubens und seiner Sehnsucht gleichermaßen konfrontiert.

Produktbeschreibung
Peter-André Alt untersucht die vielgestaltige Geschichte literarischer Traumdarstellungen der Neuzeit - im Zusammenhang ihrer wissenschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedingungen - von der Renaissance bis zur Moderne. Sein Buch erzählt die literarische Kulturgeschichte des Traums als Geschichte eines Schlafs der Vernunft, der den Menschen mit den Bildern seiner Ängste und Hoffnungen, seines Aberglaubens und seiner Sehnsucht gleichermaßen konfrontiert.
Autorenporträt
Peter-Andre Alt, geboren 1960 in Berlin, ist seit 1995 Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Sein zentrales Arbeitsgebiet bildet die deutsche Literatur- und Kulturgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts, zu der er diverse Buchveröffentlichungen vorgelegt hat, die sich vornehmlich mit Fragen der Poetik und Ästhetik im Spektrum zwischen Früher Neuzeit und Weimarer Klassik befassen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2002

Kutschfahrt im Schläferhirn
Peter-André Alts Traumfabrik / Von Alexander Honold

Im Traum muß heftig gearbeitet werden. Vom Surrealisten Saint-Pol-Roux geht die Fama, er habe abends ein Schild "Le poète travaille" vor sein Zimmer gehängt. Weniger gelassen fiel der Schichtdienst des Büroangestellten Franz Kafka aus, in dessen Zeiteinteilung das Schreiben die Stelle des Nachtschlafs einnahm. "Träumen, ohne zu schlafen" hieß die Formel seines selbstauferlegten Martyriums. Prousts "Recherche" setzt jener Übergangsphase des träumerischen Halbschlafs ein Denkmal, der viele Poeten besondere Inspirationskraft zutrauen. In Goyas "Capricho" von 1798 entsteigen dem im Schlummer gebeugten Haupt gespenstische Fratzen, in der Kupferstichfassung Eulen und Fledermäuse: "Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer."

Für den Würzburger Literaturgeschichtler Peter-André Alt gibt dieser Schlaf Anlaß zur unermüdlichen Sichtung von Quellen und Belegstellen. Im Streifzug durch die wechselvollen Beziehungen zwischen Literatur und Traum werden Hunderte von Autoren und Werken erwähnt, die von der antiken Philosophie bis in die Moderne reichen. Als "literarische Kulturgeschichte" will Alt seine Studie verstanden wissen. Ihr sachliches Interesse richtet sie weniger auf die kulturelle Dynamik des Traumes als auf die anthropologische und philosophische Diskussion des Leib-Seele-Zusammenspiels. Erörtert werden nicht visionäre Tagträume oder kollektive Phantasmagorien, sondern das psychisch wie physiologisch fundierte Imaginationsgeschehen des schlafenden Individuums. Was die Traumarbeit produziert, sind rasch zerplatzende Luftblasen, die man freilich in unterschiedlichem Licht betrachten kann. So lassen sich Träume als Schäume abtun - oder als "Champagner" genießen, wie E. T. A. Hoffmann einer vernunftbeflissenen Aufklärung entgegenhielt. Ihrem Chronisten sind Träume weder Sekt- noch Seifenbläschen, sondern hochverdichtete, nur platz- und zeitraubend auseinanderzulegende Sinnklumpen. Jean Paul wußte: "Eine verträumte Nacht braucht mehr als einen erzählenden Tag."

Die Geschichte des Traums ist die seiner künstlerischen Auftritte und gelehrten Auslegungen. Nicht als schlafendes und träumendes Wesen unterscheidet sich der Mensch vom Tier, sondern als dasjenige, welches seine Träume zu verbalisieren vermag. Erst Mitteilung, Kommentierung und Deutung macht den Traum zum Traum, so Alt. Mit Freud wuchs der Forschung die Einsicht zu, daß die Ordnung des Traums mit jener der Sprache korrespondiert. Sinnstiftend sind nicht einzelne Bilder, sondern die Gesetze ihrer Verknüpfung.

Das nachträgliche Protokoll des Geträumten aber gelingt nur mangelhaft. Hier liegen Vorteile bei der Literatur, die sich auf dem Terrain der Fiktionen zu Hause fühlt. Wie die Dichtung hat der Traum mit Illusionen zu tun, weil er das Abwesende oder Unmögliche als gegenwärtig vor Augen stellt. Anders als die Protagonisten einer kulturwissenschaftlichen Germanistik beharrt der Autor auf dem - freilich ahistorisch generalisierten - Sonderstatus der "Dichtkunst". Eingebettet in die Nachzeichnung des gelehrten Wissens vom träumenden Menschen, dominiert bei Alt die stoff- und motivgeschichtliche Auswertung literarischer Werke, in denen geträumt oder über den Traum reflektiert wird.

Wichtige Bestandteile dieses Wissens gehen auf die Antike zurück. Die Überzeugung etwa, daß den Menschen im Traum Botschaften göttlicher Mächte zugespielt werden: Davon künden die Orakelträume in Tragödien und die barocken Wahrträume des Herrschers vom baldigen Sturz. Die Diätetik warnte vor ausschweifender Lebensweise, sie führe zu erregten Träumen. Mit Artemidors spätantikem "Oneirokritikon" fand die Traumkunde erstmals ein zusammenfassendes Lehrbuch. Während die hermeneutisch-divinatorische Seite dieses Wissens erst in der Psychoanalyse wieder methodischen Boden gewann, hielt sich bis zur Renaissance die Ordnung der Träume und Träumer gemäß dem Schema der Humoralpathologie. In dieser Typologie träumt der Choleriker vorzugsweise von Feuersbrünsten, der Melancholiker dagegen von dunklen Erdwinkeln und so fort.

Die Literatur kann sich nach Alt erst dann produktiv ins Verständnis der Traumprozesse einmischen, als das Theater zum räumlichen Modell des Gedächtnisses und der Imagination wird. Vor allem Shakespeares Dramen haben der epistemischen Aufwertung des Theaters eindrucksvoll vorgearbeitet, indem sie die Traumgespinste in handgreifliches Geschehen übersetzen. Die Träume der Liebenden, so Mercutio in "Romeo und Julia", werden von einer winzigen Fee gebracht, die auf einer von Insekten gezogenen Kutsche das Hirn der Schlafenden durcheilt. Shakespeare bevölkert die Bühne mit dem "Stoff, aus dem die Träume sind". Diesem Demiurgen eines Traumtheaters kann Alts geraffte Kommentierung allenfalls näherungsweise beikommen.

Neben Raum für subtilere Textanalyse fehlt Alts additivem Vorgehen auch die übergreifende These. Eine problemorientierte Arbeit hätte sich am Theater des elisabethanischen Zeitalters, des spanischen Siglo de Oro (Calderón) oder des deutschen Barock (Grimmelshausen, Gryphius) die Frage vorzunehmen, wie sich die allegorische Funktion des Traumes zu seinen mimetisch-satirischen Zügen verhält. Einerseits ist der Traum als Sinnbild der Endlichkeit ein Statthalter der Metaphysik, andererseits aber täuschendes Abbild und ungezügelter Gegenentwurf zur Wirklichkeit, plastischer als das Leben selbst.

Sicherer bewegt sich Alt in jenen geschichtlichen Phasen, wo sich besonders enge Beziehungen zwischen der Erforschung des Traumes und seiner poetischen Gestaltung nachzeichnen lassen. So in der Anthropologie der Aufklärung und der "Erfahrungsseelenkunde", die etwa für Schiller von enormer Bedeutung waren; oder in den romantischen Erkundungen der "Nachtseite" des Rationalen.

Gerade in Deutschland sprossen nach 1800 so manche Kräutlein der Seelen- und Heilkunde, die sich auf jene Seite schlugen. Auf dem Wege der Trance oder des Magnetismus ins Traumland zu gelangen, diese Sehnsucht wird bei Novalis, Kleist und E. T. A. Hoffmann in somnambulen, telepathischen und hypnotischen Versuchsanordnungen durchgespielt. Die psychoanalytische Topik des Unbewußten schließlich entwickelt Alt vor dem Hintergrund der Spiegelungs- und Doppelungsmotive bei Edgar Allan Poe, Lewis Carroll und Oscar Wilde, um sie sodann bei den Freud-Lesern Hofmannsthal, Schnitzler und Thomas Mann in bereits analytisch vorgeprägten Fallstudien wiederzufinden.

Zu kurz kommt die Frage nach den ästhetischen Mustern, die sich in der Traumarbeit durchzeichnen, den Grundformen der Bewegungs- und Suchträume, der räumlichen Inversionen, Tausch- oder Verlustvorgänge. Des Freudschen und Guten zuviel tut Alt, indem er immer wieder auf die sexuelle Triebstruktur des Träumens und ihre zuweilen drastische Manifestation verweist, ohne ins Detail zu gehen. Seine Feststellung, "daß sich in Kleists Dramen die Sprache der (versteckten) Wünsche auf der symbolischen Ebene des Imaginären äußert", entlockt dem Bilde des Dramatikers keine neue Facette, entblößt aber einen trivialisierten Gebrauch analytischen Vokabulars.

Zudem geht der Gestus des Aufklärers fehl, wenn Alt den sexuellen Inhalt für die individuell-taktische oder sozialmoralische Zensur von Träumen verantwortlich sieht. Das Problem liegt wohl eher darin - und so hat es Kubricks Verfilmung der Schnitzlerschen "Traumnovelle" peinlichst genau ins Licht gerückt -, daß die sexuellen Träume Wunschphantasien inszenieren, auf die man sich realiter nicht würde "einigen" können. Bestätigt wird insofern die Einsicht Heraklits, daß Träumen nicht nur die isolierende Hülle des Schlafs voraussetzt, sondern auch einsam macht. "Die Wachen haben eine einzige gemeinsame Welt, im Schlaf wendet sich jeder der eigenen zu."

Peter-André Alt: "Schlaf der Vernunft". Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit. Verlag C. H. Beck, München 2002. 464 S., geb., 34,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Zwiespältig aufgenommen hat Rezensent Alexander Honold diesen Streifzug durch "die wechselvollen Beziehungen zwischen Literatur und Traum". Zwar schätzt er an dieser "literarischen Kulturgeschichte" die "unermüdliche Sichtung von Quellen und Belegstellen", die zur Erwähnung von Hunderten von Autoren von der Antike bis zur Moderne im Buch führten. Doch es fehlt dem Rezensenten bei dieser Studie die übergreifende These sowie "Raum für subtilere Textanalyse". Daher kommen für Honolds Geschmack dann auch einige Fragen zu kurz. Sicherer bewege sich Alt in geschichtlichen Phasen wie der Romantik, wo sich besondere Beziehungen zwischen der Erforschung des Traumes und seiner poetischen Gestaltung nachzeichnen ließen. Eine differenzierte Fragestellung fehlt ihm für die Epoche des Elisabethanischen Theaters bis zum Barock. Zu kurz komme auch die Frage nach den ästhetischen Mustern in der Traumarbeit, meint der Rezensent. Auf seinen Widerstand stößt auch die gelegentlich für seinen Geschmack etwas zu drastisch geratene Reduzierung einzelner Träumer auf ihre sexuelle Triebstruktur.

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