Der Schmetterlingseffekt und das fraktale Apfelmännchen sind allgegenwärtige Sinnbilder der Chaostheorie. Von den Medien wurden sie zu Ikonen einer neuen Weltsicht erhoben. Nach dem Siegeszug der Chaostheorie scheint nun plötzlich "alles chaotisch" zu sein. Aber stimmt das? Handelt es sich bei der Chaostheorie wirklich um eine wissenschaftliche Sensation oder um "eleganten Unsinn"? Marco Wehr, Physiker und Philosoph, zeigt, daß sich die Chaostheorie selbst "chaotisch" entfaltete. Nach kurzer Zeit war niemand mehr in der Lage, ihre rasante Entwicklung zu überblicken. Als Folge ergab sich ein "semantisches Sammelsurium" vager Begriffe und mehrdeutiger Definitionen. In der Chaostheorie werden teilweise unbedacht Erkenntnisse aus Physik, Biologie, Informationstheorie, Mathematik und Philosophie miteinander verschmolzen. Typisch für unsere Zeit wird eine solche "Großtheorie" dann zu einer weltanschaulichen Sensation mit universalen Geltungsanspruch aufgebauscht. Hier sind jedoch Zw eifel angebracht. Tief in ihrem Inneren verbergen sich Widersprüche, die kurzweilig aufgedeckt, scharfsinnig analysiert und witzig kommentiert werden. Dabei berührt Marco Wehr eine der geheimnisvollsten Fragen in den Wissenschaften: Die Bedeutung der Mathematik in der Physik. Eine mutige und längst überfällige "Wissenschaftskritik", ein Buch zum Umdenken.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Interessant wird Michael Hampe das Buch von Wehr wohl gefunden haben, auch wenn er das ausdrücklich nicht sagt, denn er geht gleich in medias res und streitet mit und gegen den Autor und seine strenge Argumentation, dass mathematikfremde Wissenschaften sich mit Begriffen aus der Chaostheorie nicht schmücken sollten. Einerseits gibt der Rezensent dem Autor Recht: zu sehr haben sich andere Wissenschaften auf Kategorien der Chaostheorie gestürzt, ohne ihre Mathematik angewendet oder sich mit ihrem spekulativen Charakter beschäftigt zu haben. Andrerseits aber, so Hampe, ist es am Ende egal, welche Terminologie "neue Einsichten ans Licht" hebt, schließlich existiert für Begriffe wie "Chaos" oder "Attraktor" "kein Copyright". Jedenfalls aber will er sich "den Sprachrigorismus Dinglers", auf den Wehr zurückgreife, selbst nicht "zu eigen machen", - auch wenn er Wehr zustimmt und findet, die Philosophie, die mit solcher Terminologie hantiere, solle sich nicht einbilden, ihre Begrifflichkeit habe allein durch die Anleihe in der Mathematik schon "Sinn, Bedeutung und empirische Relevanz".
© Perlentaucher Medien GmbH
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