Produktdetails
  • Verlag: Carlsen
  • Seitenzahl: 86
  • Altersempfehlung: 8 bis 10 Jahre
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 284g
  • ISBN-13: 9783551551320
  • ISBN-10: 3551551324
  • Artikelnr.: 25300158
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.09.1999

Und dann und wann ein weißer Löwe
Erlebnis in einem englischen Garten: Ein Kinderroman zwischen Märchen und Zeitgeschichte

Grießbrei, Kälte und die Bosheiten eines Mitschülers sind dem zehnjährigen Internatsschüler schon lange ein Gräuel, und deshalb beschließt er an einem verregneten Juni-Nachmittag zu türmen. Egal, wie nass er werden wird, er will nach London zu seinen Eltern. Doch die Reise endet schon nach wenigen Metern: Aus Furcht vor Verfolgern ist der Junge in einen Garten geflüchtet. Dessen eigentümliche Stimmung, vor allem aber die packende Erzählung einer älteren Bewohnerin, halten ihn für einen Nachmittag gefangen.

Wie so viele Gärten in der Kinderliteratur ist auch dieser ein Ort des Abenteuers und der Zuflucht zugleich. Sie sind auf anheimelnde Weise unheimlich und verlockend durch merkwürdige Gestalten und Erscheinungen. Wenn kleine, aber auch große Besucher Gärten dieser Art verlassen, sind sie meist klüger als zuvor, und so wird es auch dem Ausreißer dieser Geschichte ergehen. Vorerst aber gleitet er in einen behaglichen, tagtraumähnlichen Dämmerzustand, eine Stimmung, die auch auf den Leser übergeht. Michael Morpurgo erzählt verhalten und zugleich eindringlich, ein Erzählton, der andauert, wenn die Geschichte im weiteren Verlauf ihren Schauplatz und ihre Helden wechselt.

Nach dem Genuss von Rosinenbrötchen und Tee - auch ein Wetterwechsel spielt mit - ist der verfrorene Internatsflüchtling entspannt genug, um der alten Frau zuzuhören. Sie erzählt ihm die außergewöhnliche Lebensgeschichte ihres verstorbenen Mannes Bertie. Als dieser ein kleiner Junge war, lebte er in Afrika; ziemlich einsam, doch sehr glücklich. Geradezu paradiesisch empfindet er die kurze Zeit, in der er für ein weißes Löwenjunges sorgen darf.

Alles, was er später erleben wird, misst er an dieser intensiven Erfahrung. Das macht das Leben nicht einfacher, zumal ihn in rascher Folge Schicksalsschläge treffen: Er muss sich von dem Löwen trennen, sein Vater stirbt wenige Zeit später. Außerhalb der Internatsmauern aber, in einem Garten - es ist derselbe, in dem die Erzählstunde stattfindet - trifft er auf das Mädchen Millie, dem er sich seelenverwandt fühlt. Die Erzählerin, die einmal dieses Mädchen war, erinnert sich genau, wie sie sich beim Drachensteigenlassen kennen lernten - ein Bild, in dem sich die Verträumtheit der beiden Kinder konzentriert. Die beiden werden ein Liebespaar. Wie sie sich aus den Augen verlieren, nach dem Ersten Weltkrieg wiederfinden und schließlich sogar den verloren geglaubten weißen Löwen aufspüren, das ist fast zu schön, um wahr zu sein. Unglaublich, wie der knapp achtzehnjährige Bertie die Stunden im Schützengraben überlebt, wie Millie ihn als couragierte Krankenschwester sucht und findet. Doch gerade verrückte Lebensläufe kennzeichnen dieses Jahrhundert: Berties Leben erzählt auch ein Stück Zeitgeschichte. Manches erscheint da phantastischer als ein weißer Löwe.

Im wirklichen Leben das Merkwürdige entdecken, das Unwahrscheinliche selbstverständlich nehmen: So begegnen auch Kinder der Welt. Bei aller Verschachtelung ist die Geschichte ganz unangestrengt erzählt. Rätselhaft aber bleibt sie bis zum Schluss. Die Erzählerin verschwindet spurlos, dafür taucht der Schulausreißer wieder auf. Ein bisschen neidisch ist er: Wer hat schon zu seinem Glück einen Löwen? Zweifellos wenige, doch eine Überlebensformel, so die Maxime der alten Frau, sollte jeder im Herzen tragen. Das kann auch eine Geschichte sein, wie die von Berties reichem Leben.

MYRIAM MIELES.

Michael Morpurgo: "Der Schmetterlingslöwe". Aus dem Englischen von Karl Hepfer. Mit Bildern von Hauke Kock. 96 S., geb., 22,- DM. Ab 8 J.

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