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Ein namenloses Land, von fremden Truppen besetzt. Der Winter will kein Ende nehmen. Frank Friedmaier wächst als Sohn einer Prostituierten in einem Bordell auf. Der 18-Jährige ist ein Kind seiner Zeit, die geprägt ist von Täuschung und Verrat. Frank hungert nach Erfahrungen, doch nichts vermag ihn zu befriedigen. Aus reiner Langeweile wird er zum Mörder und verschachert das Mädchen, das ihn liebt. Als er schließlich begreift, was er getan hat, und mit sich selbst ins Gericht geht, ist es zu spät. Ein großer, unerbittlicher Roman über die Frage, wie das Böse in die Welt kommt. Meisterlich entwirft Simenon eine Welt, in der die Regeln des menschlichen Miteinanders außer Kraft gesetzt sind, Mitgefühl und Erbarmen nichts mehr gelten, und deutet zugleich vor diesem düster-unheilvollen Hintergrund eine Liebesgeschichte an, die so surreal wie überzeugend ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.201813. Der Zauber der Einfachheit
Dass Georges Simenon (1903-1989) einer der großen Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts ist, muss man niemandem mehr erklären. Auch wenn die neue Werkausgabe, die vom eigens zu diesem Zweck gegründeten Kampa-Verlag und vom Verlag Hoffmann und Campe herausgebracht wird, meint, durch Nachworte prominenter Schriftsteller auf diese Größe hinweisen zu sollen. Aber man muss ja sehr laut trommeln, wenn man nach den langen Diogenes-Jahren, in denen zuletzt 2008/2009 alle 75 Maigret-Romane und zwischen 2010 und 2014 noch 50 weitere Non-Maigrets erschienen, eine weitere Simenon-Offensive startet. Und das ist keine Kleinigkeit, da in vierzig Jahren sechs Millionen Bücher von Simenon auf Deutsch verkauft wurden.
Daniel Kampa, der von Diogenes zu Hoffmann und Campe ging und vom Simenon-Sohn John die deutschsprachigen Rechte erwarb, hat das offenbar nicht geschreckt. Nach den schönen weißen Pappbänden bei Diogenes muss man sich jetzt auch an ein neues Format und neue Gestaltung gewöhnen. Neue und überarbeitete Übersetzungen wird es auch geben - und dazu einige Bücher mehr, als die 125 weißen Diogenes-Bände umfassten.
Eines davon ist im ersten Schwung erschienen. Es gehört zu den großartigsten Romanen in einem an großartigen Romanen reichen Werk. "Der Schnee war schmutzig" war lange nur antiquarisch erhältlich. Es ist ein Roman, dessen Härte und Klarheit einem zwischendurch den Atem stocken lassen. 1948 erschienen, spielt die Handlung in einem nicht näher benannten besetzten Land. Simenons Protagonist ist ein Achtzehnjähriger, dem nichts Unmenschliches fremd ist. Er wird zum Mörder, einfach weil er wissen will, wie das ist. Und nach seiner Verhaftung ist es, als würde man Zeuge des manischen, fiebrigen Zwiegesprächs mit sich selbst, das sich in seinem Kopf abspielt.
Simenon, der als junger Fließbandproduzent von Groschenromanen und sogar noch nach dem Auftakterfolg der Maigret-Romane den Plan verfolgte, mit vierzig Jahren zum seriösen Schriftsteller zu werden, hat ein gutes Gespür für die Einzigartigkeit dieses Buchs gehabt, für die tiefdüstere Atmosphäre, dieses Panorama der Amoral, auch für die Wucht seines Stils, dessen Geheimnis die maximale Einfachheit ist. Und es steht in diesem Roman ein Satz, der für alle Simenons gilt: "Schwer ist der Beruf des Menschen." Wenn man diesen Roman gelesen hat, weiß man, dass Simenon auch deshalb so groß ist, weil seine Bücher einfach besser altern als viele Klassiker aus dem Kanon.
Peter Körte
Georges Simenon: "Der Schnee war schmutzig". Roman. Aus dem Französischen von Kristian Wachinger. Mit einem Nachwort von Daniel Kehlmann. Kampa-Verlag, 240 Seiten, 22,90 Euro. In der gleichen Reihe sind jetzt auch die Romane "Chez Krull", "Das blaue Zimmer" und "Die Witwe Couderc" erschienen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dass Georges Simenon (1903-1989) einer der großen Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts ist, muss man niemandem mehr erklären. Auch wenn die neue Werkausgabe, die vom eigens zu diesem Zweck gegründeten Kampa-Verlag und vom Verlag Hoffmann und Campe herausgebracht wird, meint, durch Nachworte prominenter Schriftsteller auf diese Größe hinweisen zu sollen. Aber man muss ja sehr laut trommeln, wenn man nach den langen Diogenes-Jahren, in denen zuletzt 2008/2009 alle 75 Maigret-Romane und zwischen 2010 und 2014 noch 50 weitere Non-Maigrets erschienen, eine weitere Simenon-Offensive startet. Und das ist keine Kleinigkeit, da in vierzig Jahren sechs Millionen Bücher von Simenon auf Deutsch verkauft wurden.
Daniel Kampa, der von Diogenes zu Hoffmann und Campe ging und vom Simenon-Sohn John die deutschsprachigen Rechte erwarb, hat das offenbar nicht geschreckt. Nach den schönen weißen Pappbänden bei Diogenes muss man sich jetzt auch an ein neues Format und neue Gestaltung gewöhnen. Neue und überarbeitete Übersetzungen wird es auch geben - und dazu einige Bücher mehr, als die 125 weißen Diogenes-Bände umfassten.
Eines davon ist im ersten Schwung erschienen. Es gehört zu den großartigsten Romanen in einem an großartigen Romanen reichen Werk. "Der Schnee war schmutzig" war lange nur antiquarisch erhältlich. Es ist ein Roman, dessen Härte und Klarheit einem zwischendurch den Atem stocken lassen. 1948 erschienen, spielt die Handlung in einem nicht näher benannten besetzten Land. Simenons Protagonist ist ein Achtzehnjähriger, dem nichts Unmenschliches fremd ist. Er wird zum Mörder, einfach weil er wissen will, wie das ist. Und nach seiner Verhaftung ist es, als würde man Zeuge des manischen, fiebrigen Zwiegesprächs mit sich selbst, das sich in seinem Kopf abspielt.
Simenon, der als junger Fließbandproduzent von Groschenromanen und sogar noch nach dem Auftakterfolg der Maigret-Romane den Plan verfolgte, mit vierzig Jahren zum seriösen Schriftsteller zu werden, hat ein gutes Gespür für die Einzigartigkeit dieses Buchs gehabt, für die tiefdüstere Atmosphäre, dieses Panorama der Amoral, auch für die Wucht seines Stils, dessen Geheimnis die maximale Einfachheit ist. Und es steht in diesem Roman ein Satz, der für alle Simenons gilt: "Schwer ist der Beruf des Menschen." Wenn man diesen Roman gelesen hat, weiß man, dass Simenon auch deshalb so groß ist, weil seine Bücher einfach besser altern als viele Klassiker aus dem Kanon.
Peter Körte
Georges Simenon: "Der Schnee war schmutzig". Roman. Aus dem Französischen von Kristian Wachinger. Mit einem Nachwort von Daniel Kehlmann. Kampa-Verlag, 240 Seiten, 22,90 Euro. In der gleichen Reihe sind jetzt auch die Romane "Chez Krull", "Das blaue Zimmer" und "Die Witwe Couderc" erschienen.
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» Der Schnee war schmutzig liefert Psychogramme der Entfremdung im Zuge eines allgemeinen moralischen Niedergangs. Simenon seziert Bedingungen, die das Böse zur Banalität erklären.« Jamal Tuschik Der Freitag 20191207