Neue Gedichte einer der populärsten deutschen Lyrikerinnen der Gegenwart. In großer Offenheit gibt Eva Strittmatter intime Erfahrungen preis: die Explosion verdrängter Lebenswünsche, das Bedürfnis, erkannt und angenommen zu werden, die Gewißheit zu lieben, ohne Gegenliebe zu erfahren, die entschlossene Abwehr der Resignation.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.04.1998Der schöne Mann von Jüterbog
Eva Strittmatter besingt die Leibanziehungskraft und ihre Folgen
In Deutschlands Westen kennt man Eva Strittmatter, wenn man sie kennt, vornehmlich als Witwe Erwin Strittmatters. Daß auch sie schreibt, in erster Linie Gedichte, wissen nur wenige Westdeutsche. Eva Strittmatter fand und findet ihr Publikum in den Regionen, die einst DDR hießen, und das hat seinen Grund, denn dort ist sie mit Kopf und Herz und nicht zuletzt mit Überzeugung stets zu Hause gewesen.
Wie viele erlebte freilich auch sie den real existierenden Sozialismus als sperriges Liebesobjekt. Am Anfang war die Neigung ungetrübt: Als junge Studentin an der Ostberliner Humboldt-Universität hielt die 1930 Geborene ihren Kommilitonen feurige Preisreden auf den normbrechenden Aktivisten Adolf Hennecke. Zehn Jahre später, als Redaktionsmitglied beim Organ des DDR-Schriftstellerverbandes, "Neue Deutsche Literatur", kämpfte sie für den Sozialistischen Realismus und gegen davon abweichende, vor allem westliche Schaffensprinzipien. Im besonderen ging es seinerzeit um eine Welle von Anti-Kriegsbüchern, die der SED allzusehr an amerikanischen Vorbildern, insbesondere an Hemingway, orientiert schienen. Einem der Abweichler drohte die Kritikerin Strittmatter: "Er hat vergessen, daß die Form mit dem Inhalt zu tun hat. Der Stil wird nicht verkauft ohne Zugabe der Ideologie."
Später hat sie solche Zensorendienste öffentlich bereut. In ihrem Buch "Briefe aus Schulzenhof" (1977) nannte sie jene Phase ihre "schlimmste Zeit" und bekannte: "Ich war unzufrieden, hatte immer ein schlechtes Gewissen. Nichts ist mir so fremd, wie der Gedanke, anderen Leuten Lehren erteilen zu wollen." Die Umkehr korrespondierte mit dem Faktum, daß seit dem Beginn der sechziger Jahre selbst der überzeugte Sozialist Erwin Strittmatter nicht mehr die volle Gnade der Partei genoß und der ständige Ärger mit allerlei Funktionären unweigerlich auch die Ehefrau tangierte.
Eva Strittmatter jedenfalls kehrte den Fronten des Kulturkampfes den Rücken, sorgte für die Familie, schrieb Gedichte und Essays. Die Politik sparte sie nach Kräften aus, widmete sich statt dessen der Natur und den Vorgängen in der Seele einer Frau. Ihr eigener Kommentar dazu: "Ich schreibe, wie ich lebe: vegetativ." Die Leser in der DDR, der allgegenwärtigen Indoktrinationen überdrüssig, lohnten es ihr mit Interesse und Anhänglichkeit: "Immer mehr Menschen kommen ins Haus, / Die sagen, daß sie mich verehren", konstatiert eines ihrer Gedichte. Noch unerforscht ist, wie diese Treue den Tag überstand, an dem auch in Ostdeutschlands Buchläden die Weltliteratur einzog.
Im jüngst erschienenen Gedichtband "Der Schöne", mit dem Untertitel "Obsession", berichtet die Autorin von Gefühlsdramen, und zwar von der Leidenschaft einer alternden Frau für einen jüngeren Mann, den "schönen Mann von Jüterbog". Eva Strittmatter leitet uns auf deutlichen Spuren hin zu der Überzeugung, daß sie nicht eine beliebige Phantasie, sondern ihr ureigene Realität wiedergibt. Sie präsentiert sich mit einem Schicksal, das an die unglückselige Liebe Annette von Droste-Hülshoffs zu Levin Schücking erinnert. Weiter allerdings führt die Parallele nicht, auf keinen Fall erreicht sie die Gefilde lyrischer Meisterschaft. Es wäre ja schön, wenn Eva Strittmatters Liebesklage auf Droste-Hülshoffschem Niveau ertönte, aber die westfälische Nachtigall fällt einem beim Studium des "Schönen" nicht ein, eher der schlesische Schwan Friederike Kempner.
So etwa beim Gedicht über die Frage, wofür die Autorin ihr Leben geben würde: "Dann nur zum allerhöchsten Preis: / Besinnungslose Leidenschaft, / Die von Vernunft nichts will und weiß, / Nur von der Leibanziehungskraft." Oder bei einem der Gedenkverse an den toten Gatten: "Über, unter der Erde / Liegt einer, der war mein / Und fragte Jahre, Jahre / In Liebe verlangend nach mir. / Doch wenn ich ihn auch bewahre / Als Seele, meine Sinne, er ist nicht hier . . ." Oder bei folgender Reim-dich-oder-ich-freß-dich-Komposition: "Die Altersangst der Herzbeschwerden / Ging mir ganz unbemerkt verloren / Und fand sich auch bis heut nicht wieder. / Dabei war es die schlimmste Nieder- / Die Niederlage meines Lebens . . ."
Der schöne Mann von Jüterbog muß Eva Strittmatter mächtig das lyrische Gespür verrückt haben. Es wäre wohl klüger gewesen, den Jammer in der Brust zu lassen. Sie selber sieht das freilich anders. Das Gedicht, heißt es auf Seite 54, "löst sich von mir ab", und "befreit von mir, kann es bestehen". Aber es löst sich nicht ab. Bis zur letzten Seite ist es an ihr festgenagelt und weckt im günstigsten Falle Erbarmen für die hoffnungslos Liebende, nicht aber Respekt vor ihrer Sprachkunst. SABINE BRANDT.
Eva Strittmatter: "Der Schöne. Obsession". Gedichte. Aufbau-Verlag, Berlin 1997. 84 S., geb., 24,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eva Strittmatter besingt die Leibanziehungskraft und ihre Folgen
In Deutschlands Westen kennt man Eva Strittmatter, wenn man sie kennt, vornehmlich als Witwe Erwin Strittmatters. Daß auch sie schreibt, in erster Linie Gedichte, wissen nur wenige Westdeutsche. Eva Strittmatter fand und findet ihr Publikum in den Regionen, die einst DDR hießen, und das hat seinen Grund, denn dort ist sie mit Kopf und Herz und nicht zuletzt mit Überzeugung stets zu Hause gewesen.
Wie viele erlebte freilich auch sie den real existierenden Sozialismus als sperriges Liebesobjekt. Am Anfang war die Neigung ungetrübt: Als junge Studentin an der Ostberliner Humboldt-Universität hielt die 1930 Geborene ihren Kommilitonen feurige Preisreden auf den normbrechenden Aktivisten Adolf Hennecke. Zehn Jahre später, als Redaktionsmitglied beim Organ des DDR-Schriftstellerverbandes, "Neue Deutsche Literatur", kämpfte sie für den Sozialistischen Realismus und gegen davon abweichende, vor allem westliche Schaffensprinzipien. Im besonderen ging es seinerzeit um eine Welle von Anti-Kriegsbüchern, die der SED allzusehr an amerikanischen Vorbildern, insbesondere an Hemingway, orientiert schienen. Einem der Abweichler drohte die Kritikerin Strittmatter: "Er hat vergessen, daß die Form mit dem Inhalt zu tun hat. Der Stil wird nicht verkauft ohne Zugabe der Ideologie."
Später hat sie solche Zensorendienste öffentlich bereut. In ihrem Buch "Briefe aus Schulzenhof" (1977) nannte sie jene Phase ihre "schlimmste Zeit" und bekannte: "Ich war unzufrieden, hatte immer ein schlechtes Gewissen. Nichts ist mir so fremd, wie der Gedanke, anderen Leuten Lehren erteilen zu wollen." Die Umkehr korrespondierte mit dem Faktum, daß seit dem Beginn der sechziger Jahre selbst der überzeugte Sozialist Erwin Strittmatter nicht mehr die volle Gnade der Partei genoß und der ständige Ärger mit allerlei Funktionären unweigerlich auch die Ehefrau tangierte.
Eva Strittmatter jedenfalls kehrte den Fronten des Kulturkampfes den Rücken, sorgte für die Familie, schrieb Gedichte und Essays. Die Politik sparte sie nach Kräften aus, widmete sich statt dessen der Natur und den Vorgängen in der Seele einer Frau. Ihr eigener Kommentar dazu: "Ich schreibe, wie ich lebe: vegetativ." Die Leser in der DDR, der allgegenwärtigen Indoktrinationen überdrüssig, lohnten es ihr mit Interesse und Anhänglichkeit: "Immer mehr Menschen kommen ins Haus, / Die sagen, daß sie mich verehren", konstatiert eines ihrer Gedichte. Noch unerforscht ist, wie diese Treue den Tag überstand, an dem auch in Ostdeutschlands Buchläden die Weltliteratur einzog.
Im jüngst erschienenen Gedichtband "Der Schöne", mit dem Untertitel "Obsession", berichtet die Autorin von Gefühlsdramen, und zwar von der Leidenschaft einer alternden Frau für einen jüngeren Mann, den "schönen Mann von Jüterbog". Eva Strittmatter leitet uns auf deutlichen Spuren hin zu der Überzeugung, daß sie nicht eine beliebige Phantasie, sondern ihr ureigene Realität wiedergibt. Sie präsentiert sich mit einem Schicksal, das an die unglückselige Liebe Annette von Droste-Hülshoffs zu Levin Schücking erinnert. Weiter allerdings führt die Parallele nicht, auf keinen Fall erreicht sie die Gefilde lyrischer Meisterschaft. Es wäre ja schön, wenn Eva Strittmatters Liebesklage auf Droste-Hülshoffschem Niveau ertönte, aber die westfälische Nachtigall fällt einem beim Studium des "Schönen" nicht ein, eher der schlesische Schwan Friederike Kempner.
So etwa beim Gedicht über die Frage, wofür die Autorin ihr Leben geben würde: "Dann nur zum allerhöchsten Preis: / Besinnungslose Leidenschaft, / Die von Vernunft nichts will und weiß, / Nur von der Leibanziehungskraft." Oder bei einem der Gedenkverse an den toten Gatten: "Über, unter der Erde / Liegt einer, der war mein / Und fragte Jahre, Jahre / In Liebe verlangend nach mir. / Doch wenn ich ihn auch bewahre / Als Seele, meine Sinne, er ist nicht hier . . ." Oder bei folgender Reim-dich-oder-ich-freß-dich-Komposition: "Die Altersangst der Herzbeschwerden / Ging mir ganz unbemerkt verloren / Und fand sich auch bis heut nicht wieder. / Dabei war es die schlimmste Nieder- / Die Niederlage meines Lebens . . ."
Der schöne Mann von Jüterbog muß Eva Strittmatter mächtig das lyrische Gespür verrückt haben. Es wäre wohl klüger gewesen, den Jammer in der Brust zu lassen. Sie selber sieht das freilich anders. Das Gedicht, heißt es auf Seite 54, "löst sich von mir ab", und "befreit von mir, kann es bestehen". Aber es löst sich nicht ab. Bis zur letzten Seite ist es an ihr festgenagelt und weckt im günstigsten Falle Erbarmen für die hoffnungslos Liebende, nicht aber Respekt vor ihrer Sprachkunst. SABINE BRANDT.
Eva Strittmatter: "Der Schöne. Obsession". Gedichte. Aufbau-Verlag, Berlin 1997. 84 S., geb., 24,- DM.
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