Einsamer Puppenmacher trifft Frau aus Fleisch und Blut.
Sveinn hat sich der Kunst verschrieben, lebensgroße Sexpuppen aus Silikon herzustellen. Die Kunsthochschule hat er vor Jahren abgebrochen, nun widmet er seine gesamte Zeit seinen Geschöpfen und dem Ziel, sie möglichst perfekt zu gestalten. Da bleibt eines Tages Lóa mit einer Reifenpanne direkt vor seiner Haustür liegen. Er bietet ihr seine Hilfe an und bittet sie herein. Lóa ist alleinerziehende Mutter zweier Töchter und hat eigentlich nur einen Gedanken: möglichst schnell wieder nach Hause zu kommen. Vorher höchstens noch ein Gläschen Wein. Völlig erschöpft schläft sie wenig später auf Sveinns Sofa ein. Als sie am nächsten Morgen aufwacht, stößt sie zufällig auf Sveinns Werkstatt und die Puppen. Seltsam fasziniert, packt sie eine davon in ihr Auto und setzt damit eine Kette unvorhergesehener Ereignisse in Gang...
Sveinn hat sich der Kunst verschrieben, lebensgroße Sexpuppen aus Silikon herzustellen. Die Kunsthochschule hat er vor Jahren abgebrochen, nun widmet er seine gesamte Zeit seinen Geschöpfen und dem Ziel, sie möglichst perfekt zu gestalten. Da bleibt eines Tages Lóa mit einer Reifenpanne direkt vor seiner Haustür liegen. Er bietet ihr seine Hilfe an und bittet sie herein. Lóa ist alleinerziehende Mutter zweier Töchter und hat eigentlich nur einen Gedanken: möglichst schnell wieder nach Hause zu kommen. Vorher höchstens noch ein Gläschen Wein. Völlig erschöpft schläft sie wenig später auf Sveinns Sofa ein. Als sie am nächsten Morgen aufwacht, stößt sie zufällig auf Sveinns Werkstatt und die Puppen. Seltsam fasziniert, packt sie eine davon in ihr Auto und setzt damit eine Kette unvorhergesehener Ereignisse in Gang...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2012Verschwiegene Puppen
Die Isländerin Gudrún Eva Mínervudóttir lässt in ihrem Roman "Der Schöpfer" zwei unvereinbare Typen zur unfreiwilligen Schicksalsgemeinschaft werden.
Sveinn ist ein gescheiterter Künstler, ein Dreckskerl, ein Misanthrop. Anstatt sich mit Botticelli zu beschäftigen, produziert er Frauenattrappen für frustrierte Männer, die unerfüllte Alltagsbedürfnisse in Plastik versenken. Sveinn lebt in einem kleinen isländischen Städtchen zurückgezogen und vereinsamt. Nur seine künstlichen Frauen, denen er mit Akribie die Haare färbt, die Lippen lackiert und ihnen hübsche Rehäuglein in die Silikongesichter steckt, erscheinen ihm lieb und begehrenswert. Als der alleinerziehenden Mutter Lóa vor seiner Haustür der Reifen platzt, gleicht es also einem kleinen Wunder, dass ihr der wortkarge Mann zu Hilfe eilt.
Der Roman "Der Schöpfer" führt auf diese Weise zwei unvereinbare Typen per Zufall zueinander: Vereinsamter Zyniker trifft auf weinerlich-depressive Mutter. "Sie" kämpft mit dem Tod des Vaters und muss zu Hause ihr todkrankes Mädchen betreuen, während "Er" gekonnt an seiner gesellschaftlichen Isolation laboriert. Trotzdem verbringt sie die Nacht mit ihm. Komisch nur, dass Lóa am nächsten Morgen spurlos verschwindet und dabei eines der kostbarsten Exemplare seiner Frauenfiguren stiehlt. Nach und nach beschleicht den Eremiten das Gefühl, Opfer einer feministischen Verschwörung zu sein. Denn im Anschluss an den Besuch erhält er Terroranrufe, in denen er für seine kontroverse Kunst wüst beschimpft wird. Ist Lóa eine übermoralische Ehefrau, die sich an der chauvinistischen Männerwelt rächen will? Die Zeichen verdichten sich, als Sveinn erfährt, dass Lóas Vater mit einer seiner Puppen Selbstmord verübte.
Angesichts der nüchternen, psychologisierenden Sprache, die alle stilistischen Karten auf innere Monologe setzt, wird man den Eindruck nicht los, man habe es hier mit einer Spurensuche im Geiste skandinavischer Krimis zu tun. Doch der Tod des Vaters spielt nur eine untergeordnete Rolle. Während sich das Zeichenlesen des Puppenkünstlers beschleunigt, mutiert die Geschichte insgesamt mehr und mehr zu einer melodramatischen Identitätscollage: Lóa ist verzweifelt, weil sie an ihrer Tochter scheitert, die im Zuge einer ungenannten Krankheit der Lebenswille verlässt. Anstatt auf die Gesundheit zu achten, Gemüse zu essen und regelmäßig das Krankenhaus zu besuchen, bereitet sich das Mädchen gedankenversunken auf Prüfungen vor und untergräbt die Bemühungen der Mutter. Profunde Erklärungen für die Todessehnsucht fehlen.
Dieses morbide Familienleben mischt Sveinn nun auf. Nachdem er Lóas Adresse herausgefunden hat, besucht er sie in Reykjavík, um sich seine Puppe zurückzuholen. Der Zeitpunkt könnte schlechter nicht sein, immerhin, so muss er später erfahren, ist Lóas Tochter seit Tagen nicht von der Schule zurückgekehrt. Angesichts der hereinbrechenden Dramatik mutiert das Paar zu einer Art unfreiwilligen Schicksalsgemeinschaft: Er schabt nach den Abgründen dieser an Selbstzweifeln erkrankten Frau (die er immer noch für die Terroranrufe verantwortlich macht); sie instrumentalisiert den hereingeplatzten Wüstling als Stütze, um mit dem Verschwinden der Tochter fertig zu werden.
Das Problem ist nur, dass die Unvereinbarkeit dieser Beziehung bis zum Schluss hin unplausibel bleibt. Das Talent der fünfunddreißigjährigen Autorin Gudrún Eva Mínervudóttir liegt vielmehr im zynischen Sprachgebrauch: Mit Sveinn ist ihr ein herrlicher Fiesling gelungen. Ausgerechnet eine Nebenszene, in der der Griesgram nach einem Sturz unaufgefordert von einem Neunzehnjährigen verarztet wird, gehört mit zu den besten Fragmenten des Romans. Während Sveinn halb bewusstlos am Boden liegt, muss er die entwürdigende Hilfe eines herbeigeeilten nervtötenden Sprösslings ertragen: "Der arme Junge wusste eben nicht, dass er, wenn er sich einschmeicheln wollte, nur in einen anderen Landesteil ziehen oder tot umfallen musste."
Lóa wiederum ist das Gegenteil: Weinerlich, verträumt, immer wieder in grobes Schluchzen ausbrechend, geht sie dem Leser mit übertriebener Larmoyanz gewaltig auf die Nerven. Ihr Charakter bleibt kontur- und überraschungslos - in einer Art, die sich nicht in die ironisch getragene Sprache einfügen will. Obwohl die Widersprüchlichkeit mit zum Stil des Romans gehört, nimmt die Verzweiflung der Sinn suchenden Mutter allmählich hysterische Züge an. So schrecklich die Erkenntnisse, die schrittweise ans Tageslicht geraten, auch sein mögen: Den Leser lassen sie merkwürdig kalt.
TOMASZ KURIANOWICZ
Gudrún E. Mínervudóttir: "Der Schöpfer". Roman.
Aus dem Isländischen von Tina Flecken. btb, München 2011. 303 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Isländerin Gudrún Eva Mínervudóttir lässt in ihrem Roman "Der Schöpfer" zwei unvereinbare Typen zur unfreiwilligen Schicksalsgemeinschaft werden.
Sveinn ist ein gescheiterter Künstler, ein Dreckskerl, ein Misanthrop. Anstatt sich mit Botticelli zu beschäftigen, produziert er Frauenattrappen für frustrierte Männer, die unerfüllte Alltagsbedürfnisse in Plastik versenken. Sveinn lebt in einem kleinen isländischen Städtchen zurückgezogen und vereinsamt. Nur seine künstlichen Frauen, denen er mit Akribie die Haare färbt, die Lippen lackiert und ihnen hübsche Rehäuglein in die Silikongesichter steckt, erscheinen ihm lieb und begehrenswert. Als der alleinerziehenden Mutter Lóa vor seiner Haustür der Reifen platzt, gleicht es also einem kleinen Wunder, dass ihr der wortkarge Mann zu Hilfe eilt.
Der Roman "Der Schöpfer" führt auf diese Weise zwei unvereinbare Typen per Zufall zueinander: Vereinsamter Zyniker trifft auf weinerlich-depressive Mutter. "Sie" kämpft mit dem Tod des Vaters und muss zu Hause ihr todkrankes Mädchen betreuen, während "Er" gekonnt an seiner gesellschaftlichen Isolation laboriert. Trotzdem verbringt sie die Nacht mit ihm. Komisch nur, dass Lóa am nächsten Morgen spurlos verschwindet und dabei eines der kostbarsten Exemplare seiner Frauenfiguren stiehlt. Nach und nach beschleicht den Eremiten das Gefühl, Opfer einer feministischen Verschwörung zu sein. Denn im Anschluss an den Besuch erhält er Terroranrufe, in denen er für seine kontroverse Kunst wüst beschimpft wird. Ist Lóa eine übermoralische Ehefrau, die sich an der chauvinistischen Männerwelt rächen will? Die Zeichen verdichten sich, als Sveinn erfährt, dass Lóas Vater mit einer seiner Puppen Selbstmord verübte.
Angesichts der nüchternen, psychologisierenden Sprache, die alle stilistischen Karten auf innere Monologe setzt, wird man den Eindruck nicht los, man habe es hier mit einer Spurensuche im Geiste skandinavischer Krimis zu tun. Doch der Tod des Vaters spielt nur eine untergeordnete Rolle. Während sich das Zeichenlesen des Puppenkünstlers beschleunigt, mutiert die Geschichte insgesamt mehr und mehr zu einer melodramatischen Identitätscollage: Lóa ist verzweifelt, weil sie an ihrer Tochter scheitert, die im Zuge einer ungenannten Krankheit der Lebenswille verlässt. Anstatt auf die Gesundheit zu achten, Gemüse zu essen und regelmäßig das Krankenhaus zu besuchen, bereitet sich das Mädchen gedankenversunken auf Prüfungen vor und untergräbt die Bemühungen der Mutter. Profunde Erklärungen für die Todessehnsucht fehlen.
Dieses morbide Familienleben mischt Sveinn nun auf. Nachdem er Lóas Adresse herausgefunden hat, besucht er sie in Reykjavík, um sich seine Puppe zurückzuholen. Der Zeitpunkt könnte schlechter nicht sein, immerhin, so muss er später erfahren, ist Lóas Tochter seit Tagen nicht von der Schule zurückgekehrt. Angesichts der hereinbrechenden Dramatik mutiert das Paar zu einer Art unfreiwilligen Schicksalsgemeinschaft: Er schabt nach den Abgründen dieser an Selbstzweifeln erkrankten Frau (die er immer noch für die Terroranrufe verantwortlich macht); sie instrumentalisiert den hereingeplatzten Wüstling als Stütze, um mit dem Verschwinden der Tochter fertig zu werden.
Das Problem ist nur, dass die Unvereinbarkeit dieser Beziehung bis zum Schluss hin unplausibel bleibt. Das Talent der fünfunddreißigjährigen Autorin Gudrún Eva Mínervudóttir liegt vielmehr im zynischen Sprachgebrauch: Mit Sveinn ist ihr ein herrlicher Fiesling gelungen. Ausgerechnet eine Nebenszene, in der der Griesgram nach einem Sturz unaufgefordert von einem Neunzehnjährigen verarztet wird, gehört mit zu den besten Fragmenten des Romans. Während Sveinn halb bewusstlos am Boden liegt, muss er die entwürdigende Hilfe eines herbeigeeilten nervtötenden Sprösslings ertragen: "Der arme Junge wusste eben nicht, dass er, wenn er sich einschmeicheln wollte, nur in einen anderen Landesteil ziehen oder tot umfallen musste."
Lóa wiederum ist das Gegenteil: Weinerlich, verträumt, immer wieder in grobes Schluchzen ausbrechend, geht sie dem Leser mit übertriebener Larmoyanz gewaltig auf die Nerven. Ihr Charakter bleibt kontur- und überraschungslos - in einer Art, die sich nicht in die ironisch getragene Sprache einfügen will. Obwohl die Widersprüchlichkeit mit zum Stil des Romans gehört, nimmt die Verzweiflung der Sinn suchenden Mutter allmählich hysterische Züge an. So schrecklich die Erkenntnisse, die schrittweise ans Tageslicht geraten, auch sein mögen: Den Leser lassen sie merkwürdig kalt.
TOMASZ KURIANOWICZ
Gudrún E. Mínervudóttir: "Der Schöpfer". Roman.
Aus dem Isländischen von Tina Flecken. btb, München 2011. 303 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Island verpflichtet, und so stellt uns Ijoma Mangold die Autorin Gudrun Eva Minervudottir in einem kurzen Porträt als sehr eigenwillige und natürlich elfengläubige Persönlichkeit vor. In ihrem Roman erzählt sie, wie Mangold uns informiert, eine typische Pygmaliongeschichte, von einem Außenseiter, der sein Geld verdient mit handgefertigten Sexpuppen verdient. Ein Roman also über Einsamkeit, Enttäuschung und Weltflucht, den Mangold ebenso freundlich wie unverbindlich als "süffig" lobt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH