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"Für die einen sind Mythen traditionelle Geschichten, die uns natürliche und soziale Phänomene erklären, die anderen halten sie schlicht fur überholt und falsch.Mythen sind irreal, aber nicht falsch, sie versprechen keine Wahrheit, aber sie lügen auch nicht. Viele glaubten schon, sie wären der Wahrheit auf der Spur, doch bislang ist niemand aus dem Labyrinth der Mythen zurückgekehrt. Gute Reise! Und nehmen Sie sich vor dem Minotaurus in Acht, falls Sie ihm begegnen. Man sagt, er sei gefährlich." Victor Pelewin

Produktbeschreibung
"Für die einen sind Mythen traditionelle Geschichten, die uns natürliche und soziale Phänomene erklären, die anderen halten sie schlicht fur überholt und falsch.Mythen sind irreal, aber nicht falsch, sie versprechen keine Wahrheit, aber sie lügen auch nicht.
Viele glaubten schon, sie wären der Wahrheit auf der Spur, doch bislang ist niemand aus dem Labyrinth der Mythen zurückgekehrt. Gute Reise! Und nehmen Sie sich vor dem Minotaurus in Acht, falls Sie ihm begegnen. Man sagt, er sei gefährlich." Victor Pelewin
Autorenporträt
Viktor Pelewin, geboren 1962, ist der meistgelesene Autor Russlands und hat vor allem bei jungen Lesern längst "Kultstatus". Seit Erscheinen der Romane "Omon hinterm Mond" (1992, dt. 1994), "Das Leben der Insekten" (1993, dt. 1997) und "Buddhas kleiner Finger" (1996, dt. 1999) gilt er auch international als einer der interessantesten Autoren seiner Generation. The New Yorker nahm ihn 1999 in die Liste der "besten europäischen Erzähler unter 35" auf. Viktor Pelewin lebt in Moskau.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.11.2005

Die dreizehnte Tat des Herakles
Margaret Atwood, Viktor Pelewin und Jeanette Winterson schwören Rache für Penelope: Ein gigantisches Literatenprojekt zur Belebung der antiken Mythen
Von Lothar Müller
Es soll ein Herbsttag des Jahres 1899 gewesen sein, als Prometheus durch Paris schlenderte, den Boulevard zwischen der Madeleine und der Oper hinab. Zeus war längst Bankier geworden, auch der Geier hatte sich verbessert und als Adler auf den Banknoten eine feste Anstellung gefunden. Seit Jahrhunderten schon war er es leid gewesen, Tag für Tag die Leber des Prometheus herauszuzerren. Warum sollte er auch? Es gab ja längst andere, die nichts lieber taten, als sich über die Innereien des Prometheus herzumachen: die Schriftsteller.
Dieser André Gide zum Beispiel, der den Abend im Restaurant arrangiert und ihn gebeten hatte, noch einmal den leibhaftigen Vogel zu spielen. Die Idee war etwas bizarr, aber auf Papier lässt sich manches erdulden, also auch dies: Prometheus sollte, als Höhepunkt des Abends, den Gästen seinen Adler servieren, als eine Art Leichenschmaus für die alte Kaukasus-Leber-Geschichte, die doch endlich zu Grabe getragen werden musste. Aber was heißt schon Grab? Die Toten sind ja nicht nichts, sie leben als Schatten weiter. Daher die Schlusspointe, von der er gern gewusst hätte, ob Prometheus selbst oder dieser Gide sie sich ausgedacht hatte: Mit den Federn des verspeisten Adlers sollte Prometheus eigenhändig die abschließende Version seiner Geschichte aufschreiben und als Buch veröffentlichen, unter dem Titel „Der schlecht gefesselte Prometheus”.
Nicht lange, nachdem Prometheus bei André Gide zum Schriftsteller wurde, verdingte sich Odysseus bei James Joyce als Anzeigenakquisiteur. Und jetzt ist Herakles unter die Verleger gegangen. Natürlich im großen Stil, woraus er im Klappentext keinen Hehl macht. Was ist schon das Ausmisten des Augiasstalls gegen das Auffüllen einer weltliterarischen Bibliothek? Dreißig internationale Verlage sind an der „verlegerischen Herkulestat” unter dem Titel „Die Mythen” beteiligt. Sie haben ihre Sitze in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Schweden, Dänemark, Holland, Finnland, Polen, Italien, Russland und natürlich Griechenland, aber auch in den Vereinigten Staaten und Kanada, in Brasilien und Australien, in Japan, China, Indien und Korea. Kurz, Herakles ist zum Schirmherr einer weltumspannenden Serie von Auftragsarbeiten zur Neuerzählung alter Geschichten geworden. Er selbst entstammt der griechisch-römischen Mythologie, aber auch außereuropäische Mythen werden neu erzählt werden, und natürlich weiß Herakles, dass inzwischen auch die Geschichten der Bibel als Mythen gehandelt werden. David Grossmann aus Israel zum Beispiel wird von Samson erzählen.
Warum diese Auftragsarbeiten? Sind nicht auch ohne sie die alten Mythen in der modernen Kultur allgegenwärtig, in Werbung und Kino, und bildender Kunst und Literatur? Und erhalten nicht in vielen Ländern die Grundschüler ähnliche Aufgaben wie in England : „Übertrage die Geschichte des Herakles in die heutige Zeit”? Ja, sagt die Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong, aber das reicht nicht: „Der Mythos muss zur Nachahmung oder Teilhabe führen, nicht zur passiven Kontemplation. Wir verstehen es nicht mehr, unser mythisches Leben so zu gestalten, dass es uns spirituell herausfordert und verändert.”
So steht es in dem Buch „Eine kurze Geschichte des Mythos”, einer Auftragsarbeit, mit der Armstrong beim Herkules-Projekt die Rolle des modernen Orakels spielt. Es ist nicht weniger zweideutig als das antike. Während es im Zeitraffer die Epochen der Menschheitsgeschichte von den Jägern der Altsteinzeit (um 20 000 bis 8000 v. Chr.) über die bauernd es Neolithikums bis zur „großen westlichen Transformation” (um 1500 bis 2000 n. Chr.) heraufruft, erzählt es in der Sprache der Religionswissenschaft einen modernen Mythos. Es ist der Mythos der Geschwister Mythos und Logos. Im goldenen Zeitalter der „Achsenzeit” (800 bis 200 v.Chr.), als die homerischen Epen entstanden, herrschte zwischen den Geschwistern glückliche Balance. Der ältere Mythos half den Menschen, ihre Sterblichkeit ertragen, der jüngere Logos half ihnen bei der Beherrschung der Natur, eröffnete ihnen die Bahn des Fortschritts. Die westliche Moderne aber erkaufte ihre materiellen Fortschritte mit der „Unterdrückung des Mythos”. Darum steht sie jetzt schutzlos den „destruktiven modernen Mythen” (Rassismus, Fanatismus etc.) gegenüber, und nur eine „ethisch und spirituell geprägte Mythologie” kann ihr helfen.
Um Karen Armstrongs nach Rezepten von Mircea Eliade und Rudolf Otto hergestellte, mit ein wenig „Dialektik der Aufklärung” versetzte Melange aus dem „Mythischen”, „Heiligen” und „Spirituellen” soll es hier nicht gehen. Das mögen die Religionswissenschaftler mit ihr ausmachen. Wohl aber soll es um den Bärendienst gehen, den sie dem „Mythen”-Projekt erweist, wenn sie dekretiert: „ein Mythos ist keine Geschichte, die sich in einer profanen oder trivialen Umgebung erzählen ließe”. Das wusste schon Gides Prometheus besser, ganz zu schweigen von Joyce‘ Anzeigenakquisiteur. Und die profane und triviale Umgebung ist dem Mythos keineswegs erst in der Welt der modernen Großstädte zugewachsen. Die Verwandlung des Mythos in Poesie hatte schon in der Antike selbst ihren ersten großen Abschlusspunkt erreicht: in den Metamorphosen des Ovid. Schon hier war die Rückbindung des Mythos an das Ritual gelockert, schon hier war der Mythos ins Buch und ins neue Ritual der Lektüre eingegangen.
Weder Ovid spielt bei Karen Armstrong eine nennenswerte Rolle noch die Frage, wie die homerischen Epen oder die attische Tragödie sich die mythische Überlieferung anverwandeln. Allzu fixiert ist sie auf die therapeutische Funktion des Mythos und darauf, was an ihm geglaubt wird und in „Ethik” eingebettet ist. Für seine Verwandlung in Literatur entscheidend aber ist, dass er erzählt werden kann - und zwar auf sehr verschiedene Weise. Es gehört zur Ironie von Gides Adlerfederstrich unter die Geschichte des Prometheus, dass damit ihre Abschließbarkeit fingiert ist, obwohl die Anzahl der Variationen eines Mythos - man denke nur an das genealogische Dickicht der griechischen Götter, Halbgötter und Herrscherfamilien - prinzipiell unendlich ist.
Die kanadische Romanautorin Margaret Atwood hat in der Geschichte von Odysseus einen Skandal entdeckt. Sie hat ihre „Penelopiade” geschrieben, um diesen Skandal in der Form einer Gegenerzählung anzuprangern. Die englische Autorin Jeannette Winterson hat im Mythos von Atlas und Herakles ihr eigenes Lebensthema gefunden und „Die Last der Welt” geschrieben, um der Schwerkraft ihrer Kindheit etwas entgegenzusetzen. Der russische Romancier Viktor Pelewin hat im Mythos von Theseus und Minotaurus einen Code für die aktuellen Mythen der virtuellen Kommunikation gefunden. Er hat sein Buch „Der Schreckenshelm” geschrieben, um die Monster im Innern des Internet-Labyrinths durch Gelächter zu vertreiben.
Die Heimkehr des Odysseus nach Ithaka ist das Gegenteil einer Idylle. Sie entfesselt Gewalt und Schrecken in einem Ausmaß, das dem des Krieges vor Troja nicht nachsteht. In einem Blutbad sondergleichen schlachten Odysseus und sein Sohn Telemach die über hundert Freier ab. Ein ungetreuer Knecht wird zu Tode gefoltert, am Ende müssen zwölf Mägde, die sich mit den Freiern eingelassen haben, erst deren Leichen aufschichten, ehe sie selbst an einem Schiffsseil gehängt werden.
Diese Erhängung der Mägde ist der Skandal, dem Margaret Atwood ihre „Penelopiade” entgegensetzt. Darin erzählt Penelope, aus dem Hades heraus, die Geschichte der Heimkehr des Odysseus aus ihrer Sicht. In moderner Diktion, mal sarkastisch, mal verbittert, mal elegisch, die toten Mägde machen dazu den Chor, singen Shantys, klagen Odysseus und Telemach an oder fordern sie heraus. Der Odysseus, der hier aus den Erinnerungen Penelopes aufsteigt, ist der Lügner und Geschichtenerzähler, nicht der Dulder. Und Penelope selbst ist kaum mehr der Inbegriff hartnäckiger Gattentreue. Sie ist ein Opfer, dem nichts blieb, als sich in sein Schicksal zu fügen, und vor allem ist sie die Antipodin und Anklägerin Helenas. Nie wird sie müde, sie als oberflächliche, mode- und männerfixierte Schöne zu attackieren, die nichts als ihre Schönheit im Kopf und den trojanischen Krieg auf dem Gewissen hat, das ihr fehlt.
Mit leichter Hand und vielen Pointen triumphiert hier der Feminismus, ein Erbe aufklärerischer Kritik und rationalistischen Auflösung der Mythen, über den Skandal, von dem er berichtet. Vollkommen klar und durchsichtig ist die Geschichte, die Penelope erzählt, um den Blick hinter die Kulissen der Odyssee zu eröffnen. Und der Chor der Mägde findet sogar noch Zeit, die Entlarvung des gewaltsamen Sturzes der matrilinearen Ordnung durch das Patriarchat in einer albernen Vorlesung zugleich zu praktizieren und zu parodieren.
Es ist aber etwas Schales in solch lupenreiner Aufklärung. Margaret Atwood hat, gestützt vor allem auf die Mythenkompendien von Robert Ranke-Graves, den Folter- und Hinrichtungsszenen der Odyssee eine Geschichte nach modernem Geschmack unterlegt. Aber sie hat dabei das kunstvoll gebaute homerische Epos eher als moralische denn als erzählerische Herausforderung genommen. Die fugenlose Motivierung des Geschehens und die Souveränität der zum Sprachrohr der Aufklärung verwandelten Penelope erringen erwartbare Pyrrhussiege über das Skandalon.
Jeanette Winterson nennt ihre Neuerzählung der Geschichte von Atlas, Herakles und den Äpfeln der Hesperiden eine „Coverversion”. Sie hat sie mit allerlei Motiven aus der aktuellen wissenschaftlichen Kosmologie und der Lehre von den Gesteinsablagerungen umgeben. Die schönsten Passagen darin sind die, in denen Atlas seine (ihm hier zugeschriebene) Abstammung vom Meergott Poseidon und der Erdgöttin und erzählt, wie er als Anführer der im Kampf gegen die olympischen Götter unterlegenen Titanen zur Strafe den Kosmos auf seine Schultern nahm. Es ist eine stille Strafe, Atlas wird durch sie ein lauschender Dulder, ganz Gehör. Für die Farce ist hier Herakles zuständig, ein Macho mit Turbo-Streitwagen, der Jugendslang spricht und dauernd mit Hera im Clinch liegt (auf die er natürlich scharf ist).
Es gibt zur ernsten Paraphrase wie zur Travestie des Mythos in diesem Buch einen modernen Rivalen: die Unterwanderung des Epischen durch die Autobiographie. Mit einem autobiographischen Bericht über ihre Kindheit bei ebenso strengen wie bibelfesten Adoptiveltern hat Jeanette Winterson vor zwanzig Jahren debütiert. Die Heilige Schrift erlaubte keine Coverversionen. Aber als Text, an dem sich lesen lernen ließ, öffnete sie das Tor zur Welt der Lektüre. Das Autobiographische fordert seinen Tribut auch hier, nicht zum Vorteil der „Coverversion” okkupiert es das Motiv der Schwerelosigkeit und schickt am Ende Atlas gemeinsam mit dem sowjetischen Weltraum-Hund Laika ins All.
Viktor Pelewin würde über jeden Major Tom, der als Symbol der Einsamkeit in den Orbit geschossen wird, wohl grinsen. Für den russischen Spezialisten für moderne Mythen ist der antike Mythos von Theseus und dem Minotaurus kein Gegenstand der Nacherzählung. Für ihn sind Mythen „shells” im menschlichen Denken, Programmroutinen. Mit Dädalus & Co. oder dem Bau des Labyrinths hält sich Pelewin nicht auf. Sein Buch „Der Schreckenshelm” nimmt dem Mythos als erstes die Gewohnheit des Erzähltwerdens, dann alle genealogischen Zusammenhänge und dann große Teile der Geschichte von Ariadne und Theseus. Übrig bleiben ihre Namen, und ein entscheidendes Element des Stoffes: die Unsicherheit der Beziehung von Raum und Ereignis.
Der Raum ist in diesem Buch ist virtuelle, ein „Chatroom”, die Teilnehmer tragen Decknamen, der Text ist das Protokoll ihrer Kommunikation per Computer, auf die ein zensierender Moderator Zugriff hat. Das Motto stammt von Borges, damit auch die Aufgabe: nicht vom Labyrinth erzählen, sondern das Buch zum Labyrinth machen. Mit viel schlagfertigem Witz und viel Gespür für die Mischungen von Abwesenheit und Anwesenheit in der elektronischen Kultur, zumal für die Technologie der Masken, unterzieht sich Pelewin dieser Aufgabe. Manchmal ufert sein Chat aus, aber für die Längen entschädigt der Nachbau medialer Verschwörungstheorien als Gedankenlabyrinthe, in denen das Ungeheuer der Manipulation haust. Keiner kann hier seiner selbst gewiss sein. Auch nicht der Protokollant.
KAREN ARMSTRONG: Eine kurze Geschichte des Mythos. Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. Berlin Verlag, Berlin 2005. 144 Seiten, 16 Euro.
MARGARET ATWOOD: Die Penelopiade. Der Mythos von Penelope und Odysseus. Aus dem Englischen von Malte Friedrich. Berlin Verlag, Berlin 2005. 176 Seiten, 14 Euro.
VIKTOR PELEWIN: Der Schreckenshelm. Der Mythos von Theseus und dem Minotaurus. Aus dem Russischen von Andreas Tretner. Berlin Verlag, Berlin 2005. 208 Seiten, 14 Euro.
JEANETTE WINTERSON: Die Last der Welt. Der Mythos von Atlas und Herkules. Aus dem Englischen von Monika Schmalz. Berlin Verlag, Berlin 2005. 112 Seiten, 14 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Hart ins Gericht geht Christof Keller mit Viktor Pelewin und seinem neuen Roman "Der Schreckenshelm". Zwar gesteht er zu dass Pelewin wirklich schreiben kann, und von Andreas Tretner kongenial übersetzt wurde. Aber wofür ist es gut? Handlung gibt es so gut wie nicht in diesem verwickelten Chatroom-Buch, nur immer neue Stränge, die sich verlieren und den Leser verwirren. Für manche mag das seinen Reiz haben, nicht für Keller, der Pelewins Grundhaltung vielmehr so beschreibt: "Anything goes as long as it pop up in my head". Dazu werden "Jahrtausende von Philosophie" und jede Menge Angelesenes "verwurstet", meist auf Kalauerniveau. Im Grunde sei das alles Pseudoliteratur, schimpft Keller und nennt Pelewin einen "Kaiser ohne Kleider": "Der nackte Pelewin ist nichts als ein Zyniker, der seine Leser verarscht."

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