Wer ist Hans Blumenberg, über den viele schrieben und den kaum jemand persönlich kannte, weil er wie die Mystiker Stille und Abgeschiedenheit suchte, um hier seine Berufung zu leben und moderne Klassiker wie "Arbeit am Mythos" oder "Matthäuspassion" zu schreiben? Wer war dieser Philosoph, dem Sibylle Lewitscharoff einen Roman widmete? Blumenberg pflegte zu Uwe Wolff eine väterliche und enge Freundschaft und begleitete ihn auch in seinem schriftstellerischen Werden. Seit über drei Jahrzehnten ist Wolff mit dem jüngsten Sohn des Philosophen befreundet. Aus seiner Hand erhielt er den Schreibtisch des Philosophen zum Geschenk. An diesem Holzmöbel aus dem Jahr 1946 entstand auch dieses Erinnerungsbuch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2020Erdball und Weltall
Hans Blumenbergs "Matthäuspassion" ist kein Buch über Bach, sondern eine Art von letzter Theologie, die sich die Frage vorlegt, warum uns diese Passion bewegt, wo doch alle Selbstverständlichkeit der felix culpa, von welcher der Kreuzestod des Gottessohnes die Menschen freikauft, dahin ist. Sie wie der Theologe - und passionierte Angelologe - Uwe Wolff in seinen nun erschienenen "Erinnerungen an Hans Blumenberg" als "Logbuch einer Fahrt in die Gottesfinsternis" zu bezeichnen, ja sie als Blumenbergs "Nachfolge Christi" zu nehmen mag ein Pathos ins Spiel bringen, das Blumenberg in seinen verwinkelten Sätzen einklammerte, aber theologisch unangemessen ist diese Charakterisierung wohl nicht. Sie erinnert jedenfalls zu Recht an den Stellenwert dieses schmalen Buchs für zentrale, intellektuell wie biographisch tiefliegende Motive Blumenbergs, der sein Studium als Priesteramtskandidat begonnen hatte. Alle Aufnahmen von Bachs Werk, berichtet Wolff, habe Blumenberg besessen und an jedem Karfreitag eine von ihnen vollständig gehört.
Der Untertitel des Büchleins von Wolff, mit dem Blumenberg seit dessen Jahren als Student in Münster einen freundschaftlichen Austausch pflegte, täuscht ein wenig. Denn zwar berichtet der Autor vom akademischen Lehrer Blumenberg, vom Geschichtenerzähler, seinem Auftreten, seinem Sinn für Komik und von manchen Gewohnheiten. Aber er bleibt nicht bei seinen eigenen Erinnerungen, durchmischt mit Lektüreerfahrungen, sondern geht weit zurück in Blumenbergs Biographie: zum Elternhaus, zum Schüler am Lübecker Katharineum, zum Theologiestudenten, der sein Studium als "Halbjude" abbrechen muss, zu früh geschlossenen und über die Jahrzehnte dauernden Freundschaften. Es ist ein Stückchen "archäologische Biographie-Arbeit", die etwa auch zutage fördert, dass Blumenberg sich mit zehn Jahren zum ersten Mal gedruckt sah, nämlich als Autor eines Berichts über eine mit seinem Vater unternommene Italien-Reise; nur wenige Jahre später schrieb und redigierte er eine in dreißig Exemplaren gedruckte Zeitschrift mit dem TItel "Erdball und Weltall".
Daraus wird zwar keine Biographie in nuce, zu schlingernd ist dafür die Fahrt, aber man wird auf unaufdringliche, manchmal überraschende Weise mit einigen Zügen Blumenbergs bekannt.
hmay.
Uwe Wolff: "Der Schreibtisch des Philosophen". Erinnerungen an Hans Blumenberg. Claudius Verlag, München 2020. 135 S., geb., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hans Blumenbergs "Matthäuspassion" ist kein Buch über Bach, sondern eine Art von letzter Theologie, die sich die Frage vorlegt, warum uns diese Passion bewegt, wo doch alle Selbstverständlichkeit der felix culpa, von welcher der Kreuzestod des Gottessohnes die Menschen freikauft, dahin ist. Sie wie der Theologe - und passionierte Angelologe - Uwe Wolff in seinen nun erschienenen "Erinnerungen an Hans Blumenberg" als "Logbuch einer Fahrt in die Gottesfinsternis" zu bezeichnen, ja sie als Blumenbergs "Nachfolge Christi" zu nehmen mag ein Pathos ins Spiel bringen, das Blumenberg in seinen verwinkelten Sätzen einklammerte, aber theologisch unangemessen ist diese Charakterisierung wohl nicht. Sie erinnert jedenfalls zu Recht an den Stellenwert dieses schmalen Buchs für zentrale, intellektuell wie biographisch tiefliegende Motive Blumenbergs, der sein Studium als Priesteramtskandidat begonnen hatte. Alle Aufnahmen von Bachs Werk, berichtet Wolff, habe Blumenberg besessen und an jedem Karfreitag eine von ihnen vollständig gehört.
Der Untertitel des Büchleins von Wolff, mit dem Blumenberg seit dessen Jahren als Student in Münster einen freundschaftlichen Austausch pflegte, täuscht ein wenig. Denn zwar berichtet der Autor vom akademischen Lehrer Blumenberg, vom Geschichtenerzähler, seinem Auftreten, seinem Sinn für Komik und von manchen Gewohnheiten. Aber er bleibt nicht bei seinen eigenen Erinnerungen, durchmischt mit Lektüreerfahrungen, sondern geht weit zurück in Blumenbergs Biographie: zum Elternhaus, zum Schüler am Lübecker Katharineum, zum Theologiestudenten, der sein Studium als "Halbjude" abbrechen muss, zu früh geschlossenen und über die Jahrzehnte dauernden Freundschaften. Es ist ein Stückchen "archäologische Biographie-Arbeit", die etwa auch zutage fördert, dass Blumenberg sich mit zehn Jahren zum ersten Mal gedruckt sah, nämlich als Autor eines Berichts über eine mit seinem Vater unternommene Italien-Reise; nur wenige Jahre später schrieb und redigierte er eine in dreißig Exemplaren gedruckte Zeitschrift mit dem TItel "Erdball und Weltall".
Daraus wird zwar keine Biographie in nuce, zu schlingernd ist dafür die Fahrt, aber man wird auf unaufdringliche, manchmal überraschende Weise mit einigen Zügen Blumenbergs bekannt.
hmay.
Uwe Wolff: "Der Schreibtisch des Philosophen". Erinnerungen an Hans Blumenberg. Claudius Verlag, München 2020. 135 S., geb., 16,- [Euro].
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