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In seinem Roman erzählt der isländische Autor die Geschichte einer Neunjährigen, die zum ersten Mal das Elternhaus an der Küste Islands verläßt. Als Strafe für einen Ladendiebstahl muß sie den Sommer auf einem Bauernhof im Landesinneren verbringen. Allein unter schweigsamen Bauern deutet sie die Rätsel ihrer Umgebung und ihres neuen Lebens mit Hilfe der Phantasie. "Noch viele Tage nach der Lektüre des 'Schwan' war ich wie verzaubert. In diesem Buch werden Sie einen großen europäischen Romancier entdecken, dem es mit einzigartiger Finesse gelingt, das Leben eines heranwachsenden Mädchens einzufangen." (Milan Kundera.)…mehr

Produktbeschreibung
In seinem Roman erzählt der isländische Autor die Geschichte einer Neunjährigen, die zum ersten Mal das Elternhaus an der Küste Islands verläßt. Als Strafe für einen Ladendiebstahl muß sie den Sommer auf einem Bauernhof im Landesinneren verbringen. Allein unter schweigsamen Bauern deutet sie die Rätsel ihrer Umgebung und ihres neuen Lebens mit Hilfe der Phantasie. "Noch viele Tage nach der Lektüre des 'Schwan' war ich wie verzaubert. In diesem Buch werden Sie einen großen europäischen Romancier entdecken, dem es mit einzigartiger Finesse gelingt, das Leben eines heranwachsenden Mädchens einzufangen." (Milan Kundera.)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.1998

Schwarze Lämmer in Island
Strafversetzt: Gudbergur Bergssons Roman "Der Schwan"

Wenn nach isländischer Literatur gefragt wird, muß der deutsche Durchschnittsleser passen. Allenfalls kennt er den Namen Halldór Laxness; wirklich hineingeschaut in ein Buch des Nobelpreisträgers von 1955 haben aber eher Ostdeutsche als Westdeutsche, weil die DDR, seiner sozialkritischen bis sozialistischen Tendenzen wegen, den Isländer ihren Bürgern als eine Art Traditionsvater vorschrieb. Ferner hat der deutsche Bildungsbürger natürlich von den Sagas gehört, wenngleich die "Edda" längst nicht mehr, wie in den völkischen dreißiger und vierziger Jahren, gehätschelter Oberschulstoff ist. Doch weiß man, daß sie in unserem Sagenschatz ihre Spuren hinterließ und daß das Bayreuther Wagner-Spektakel nicht denkbar wäre ohne die altisländischen Wurzeln der Libretti.

Mit alldem macht sich der isländische Schriftsteller, den wir heute kennenlernen, wenig zu schaffen. Gudbergur Bergsson erzählt von der Gegenwart seines Landes, von den Menschen, die als unsere Zeitgenossen dort leben, von ihrem Alltag, den wir ohne weiteres mit ihnen teilen könnten, so nahe rückt er sie uns. Der 1932 geborene Autor debütierte 1961, schrieb Romane, Gedichte, ein Kinderbuch, Kurzgeschichten. Mehrere seiner Werke wurden preisgekrönt. Er übersetzt Literatur aus dem Spanischen und Portugiesischen, denn er lebt nicht festgenagelt auf seiner nördlichen Insel, sondern pendelt zwischen Reykjavik und Madrid.

Durch Bergssons Roman "Der Schwan" führt eine relativ ungewöhnliche Hauptfigur, gemessen jedenfalls daran, daß der Autor während der Niederschrift schon ein bejahrter Mann um die sechzig war und daß "Der Schwan" kein Kinderbuch ist. Seine Heldin zählt nicht mehr als neun Jahre, was nicht ohne Einfluß auf die Perspektive bleiben konnte, denn wir schauen die Welt allgemein und Island im besonderen mit des Kindes Augen an. Dessenungeachtet ist es eine erwachsene Geschichte, in der die Bewohner des nordischen Bauernlandes ein Leben nach ihren Dickschädeln führen, umgänglich oder zänkisch, verliebt oder verdrossen, erpicht auf die Unantastbarkeit der eigenen Privatsphäre und zugleich mit gierigem Blick für das Intime des Nachbarn. Menschen wie überall, aber keine Typen von der Stange. Dafür sorgt die Schilderung aus der Sicht des Kindes, die zuweilen karikierende Züge gewinnt, aber immer von großer Lebendigkeit ist.

Der Autor nennt uns weder den Namen der Heldin noch die Namen der übrigen Figuren. Eine solche Identifizierung ist entbehrlich, die Personen weisen sich unverwechselbar aus durch das, was sie tun. Das kleine Mädchen, so heißt es, hat daheim Waren aus Läden gemaust, zur Strafe ist sie aus ihrer Stadt am Meer aufs Land geschickt worden. Nun muß sie Bauer und Bäuerin dienen, Leuten, die in Maßen umgänglich sind, wenigstens ersparen sie der Sünderin Entrüstung und moralische Tiraden. Freilich nehmen eigene Probleme sie hinreichend in Anspruch, denn ihre Tochter laboriert an einer verpfuschten Liebe und läßt ihr Baby abtreiben. Der Knecht, mit dem die Kleine die Unterkunft teilen muß, verkündet düstere Weisheiten über den Kampf zwischen den Geschlechtern. Dem Kind verwirrt das den Kopf, dennoch hängt es an dem Sonderling, weil dessen Gesellschaft die Last der Einsamkeit zu mindern scheint. Abends, sonntags, feiertags beobachten die bäuerlichen Nachbarn einander durchs Fernglas und gewinnen Stoff zum Tratschen, aber regelmäßig feiern sie gemeinsam Feste und verbrüdern sich im Suff.

In manchen Einzelheiten könnte die Romangeschichte ein isländischer Bauernschwank sein, wäre da nicht der große Ernst, mit dem die kindliche Beobachterin die Szene tränkt. Durch ihre Augen gesehen, wandelt sich jeder Ansatz zur Posse sogleich zum Drama in der Nußschale, noch der letzte Landtölpel trägt dazu bei, bedrückende Unzulänglichkeiten menschlichen Miteinanders zu dekuvrieren. Wir mögen deshalb dem Werbetext des Verlages nicht recht folgen, der Reiz und Bedeutung des Romans daraus ableitet, der Blick des Kindes sei "zutiefst human in seiner Naivität und seinem beglückenden Witz".

Während der Lektüre wird man den Gedanken nicht los, daß hier doch eine gewaltige Grausamkeit begangen wird. Das Kind hat gefehlt, nun gut. Aber was ist das für eine Pädagogik, die solch ein Kleines mutterseelenallein in die Fremde schickt, zur ungewohnten Fron verurteilt, sein Heimweh nicht achtet und die Einflüsse nicht bedenkt, die ungefiltert des Kindes Kopf und Herz attackieren. Weder die Eltern noch die Erwachsenen in der Bauernregion verschwenden einen Gedanken daran, wie die Neunjährige das verarbeiten soll. Es zählt nur, daß sie sich anzupassen versucht, das erzieherische Experiment also geglückt scheint.

Im Grunde aber demonstriert uns Bergsson einige traurige Exempel für den Mangel an Liebe, an Phantasie, an selbständigem Denken, an Humanität im Alltag - also für all die Gründe, die in Jahrtausenden Menschheitsgeschichte für deren Desaster sorgten. Daß es nicht zu weit hergeholt ist, die Maßregelung der Kleinen in diesen Rahmen zu fügen, zeigt die Schlußsequenz des Romans: Da steigt das Kind auf einen Berg und beobachtet - oder träumt? -, wie ein weißer Schwan ein Schaf mit seinem Lamm verfolgt. Des Schwans gewaltige Flügel schleudern das Lamm vom Berg hinunter in den See, wo es ertrinkt. Über das flüchtende Kind erfahren wir: "Das sah sie alles auf einen Blick: die Weite, das Haus am Fuß des Berges, und daß alle Pferde außer dem Pferd der Tochter verschwunden waren. Und sie sah auch etwas, was sie nicht verstehen konnte: Sie sah den schneeweißen Schwan, der vorausflog und ihr den Weg zu weisen schien."

Der Schwan - hier kommt doch noch einmal die "Edda" ins Spiel - ist in der nordischen Überlieferung eine der Erscheinungsformen von Nornen und Walküren. Hinter dem seltsamen Albtraumvogel, der dem Kind auf dem Berge erscheint, darf man also eine Manifestation des Schicksals, ja des Verhängnisses erkennen. Das Lamm, der Mutter entrissen, ist vom Untergang bedroht. Bergsson sagt das nicht unmißverständlich, er drückt es, wie vieles, nur in Andeutungen aus. Aber wer empfänglich ist für Bilder, der kann nicht verkennen, daß sich hinter den Alltagsszenen und Alltagsreden eine Tragödie verbirgt. SABINE BRANDT

Gudbergur Bergsson: "Der Schwan". Roman. Aus dem Isländischen übersetzt von Hubert Seelow. Steidl Verlag, Göttingen 1998. 192 S., geb., 34,- DM.

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