Wundersam bunt und düster zugleich schildert Perutz die Welt in "Der schwedische Reiter", der den Leser im Nu in die Zeit um 1700 versetzt. Der Roman erzählt vom verflochtenen Schicksal zweier ungleicher Männer: Krieg und Barbarei beherrschen die Szenerie, in der ein namenloser Vagabund und der desertierte schwedische Offizier Christian von Tornefeld aufeinander treffen. Der eine nimmt mit List und Tücke, aber ebenso aus Liebe zu einer jungen Frau die Identität des anderen an...
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2008Das Werkzeug der Erlösung
Leo Perutz: „Der schwedische Reiter”
Landstreicher und Edelmann, was ist schon der Unterschied? Ein Zufall der Geburt, mehr ist da nicht. Dem Zufall kann abgeholfen werden, wenigstens in der Literatur, und dann tauschen der raue Geselle und der affektierte Aristokrat die Rollen. Aus dem Dieb wird ein Gutsbesitzer, aus dem stolzen Offizier ein Sträfling.
Der Wechsel der Identität, der vollständige Tausch der Existenz, des Namens, des Standes, ja des Schicksals, ist das Thema des 1936 erstmals erschienenen Romans „Der Schwedische Reiter” von Leo Perutz. Als sein meisterlicher, zwischen Historiengemälde und Phantastik changierender Roman erschien, war der in Prag geborene Perutz ein erfolgreicher Autor von 54 Jahren. Doch 1936 konnte der Zsolnay-Verlag das Buch des Juden in Deutschland nicht mehr ausliefern. Zwei Jahre später musste Leo Perutz aus Österreich ums Überleben fliehen, und im Exil in Palästina wurde er so gründlich vergessen, dass es ihm nach 1945 nie mehr gelang, im Literaturbetrieb Fuß zu fassen.
Nur wenig ist Perutz an den sozialen und psychologischen Implikationen seiner Personen-Konstellation interessiert. Im Jahr 1701 lässt er im vom Krieg verwüsteten Osten Deutschlands zwei Männer aufeinander treffen, die beide am Ende sind: den abwechselnd als Gottesräuber und Schwedischen Reiter bezeichneten Dieb – und den aus deutschem Fürstenheer desertierten Schweden Christian von Tornefeld. Beide sind sie auf der Flucht, beiden droht der Galgen. Wenig später ist der Aristokrat gefangen und zur Vernichtungsarbeit im Kalksteinwerk eines katholischen Bischofs verdammt, das Züge eines Konzentrationslagers trägt. Der Dieb hingegen ist frei, wird zum großen Räuber und endlich mit dem Wappenring, dem Namen und der Familiengeschichte Christian von Tornefelds zum Gutsherrn, mit dessen liebreizender Braut er eine glückliche Familie gründet.
Das geht so neun Jahre, ehe die beiden durch die eherne Mechanik des Schicksals wieder in ihre alten Rollen zurückgezwungen werden. Sie sterben im selben Augenblick, der Dieb in der Hölle des Kalksteinwerks, der Aristokrat auf dem Schlachtfeld, auf dem er den ersehnten Tod für die schwedische Sache findet.
Es ist eine in grelle Farben gefasste, völlig gottlose Welt, in der die beiden sich behaupten müssen, und am Ende erweist sich der Verrat als Werkzeug der Erlösung, die keine metaphysische ist: dass der eine seinen Tod als Sühne für den Verrat akzeptiert und der andere einzig durch diesen Verrat jenen Tod erleiden kann, den er von Anfang an suchte, ist Erlösung genug und eine eigenwillige Variante auf das Thema Zufall und Notwendigkeit. KARL-MARKUS GAUSS
Leo Perutz Foto: Ullstein Bild
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Leo Perutz: „Der schwedische Reiter”
Landstreicher und Edelmann, was ist schon der Unterschied? Ein Zufall der Geburt, mehr ist da nicht. Dem Zufall kann abgeholfen werden, wenigstens in der Literatur, und dann tauschen der raue Geselle und der affektierte Aristokrat die Rollen. Aus dem Dieb wird ein Gutsbesitzer, aus dem stolzen Offizier ein Sträfling.
Der Wechsel der Identität, der vollständige Tausch der Existenz, des Namens, des Standes, ja des Schicksals, ist das Thema des 1936 erstmals erschienenen Romans „Der Schwedische Reiter” von Leo Perutz. Als sein meisterlicher, zwischen Historiengemälde und Phantastik changierender Roman erschien, war der in Prag geborene Perutz ein erfolgreicher Autor von 54 Jahren. Doch 1936 konnte der Zsolnay-Verlag das Buch des Juden in Deutschland nicht mehr ausliefern. Zwei Jahre später musste Leo Perutz aus Österreich ums Überleben fliehen, und im Exil in Palästina wurde er so gründlich vergessen, dass es ihm nach 1945 nie mehr gelang, im Literaturbetrieb Fuß zu fassen.
Nur wenig ist Perutz an den sozialen und psychologischen Implikationen seiner Personen-Konstellation interessiert. Im Jahr 1701 lässt er im vom Krieg verwüsteten Osten Deutschlands zwei Männer aufeinander treffen, die beide am Ende sind: den abwechselnd als Gottesräuber und Schwedischen Reiter bezeichneten Dieb – und den aus deutschem Fürstenheer desertierten Schweden Christian von Tornefeld. Beide sind sie auf der Flucht, beiden droht der Galgen. Wenig später ist der Aristokrat gefangen und zur Vernichtungsarbeit im Kalksteinwerk eines katholischen Bischofs verdammt, das Züge eines Konzentrationslagers trägt. Der Dieb hingegen ist frei, wird zum großen Räuber und endlich mit dem Wappenring, dem Namen und der Familiengeschichte Christian von Tornefelds zum Gutsherrn, mit dessen liebreizender Braut er eine glückliche Familie gründet.
Das geht so neun Jahre, ehe die beiden durch die eherne Mechanik des Schicksals wieder in ihre alten Rollen zurückgezwungen werden. Sie sterben im selben Augenblick, der Dieb in der Hölle des Kalksteinwerks, der Aristokrat auf dem Schlachtfeld, auf dem er den ersehnten Tod für die schwedische Sache findet.
Es ist eine in grelle Farben gefasste, völlig gottlose Welt, in der die beiden sich behaupten müssen, und am Ende erweist sich der Verrat als Werkzeug der Erlösung, die keine metaphysische ist: dass der eine seinen Tod als Sühne für den Verrat akzeptiert und der andere einzig durch diesen Verrat jenen Tod erleiden kann, den er von Anfang an suchte, ist Erlösung genug und eine eigenwillige Variante auf das Thema Zufall und Notwendigkeit. KARL-MARKUS GAUSS
Leo Perutz Foto: Ullstein Bild
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensent Stefan Berkholz nimmt die Neuauflage von Leo Perutz? Roman "Der schwedische Reiter" zum Anlass, "einen der besten Erzähler seiner Zeit" vorzustellen. Mit seinen historischen Romanen habe Perutz "den Lesern ein Gleichnis schaffen" wollen, "damit sie Orientierung fänden in heilloser Zeit". Doch seien Perutz? historische Romane etwas Besonderes, in der Art wie sie die Welt mit "unwirklichen Gestalten und Visionen" bevölkerten, und in ihrer Sprache, die weit weg von der "Papiersprache" - wie Perutz selbst gesagt habe - sich daran orientiere, wie "die Großmutter Geschichten erzähle". Von dem Roman als solchem zeichnet Berkholz vor allem die Handlung nach - zwei Männer, ein vogelfreier Adliger und ein Landstreicher, die die Rollen tauschen und "hoffen, dadurch ihr Schicksal meistern zu können" - und Perutz? Leben zur Zeit seiner Fertigstellung - die Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland und die finanzielle Misere. Letztlich wendet sich auch Berkholz? Fazit nur halb dem Buch zu: "Eine Tragödie, wie auf dem Reißbrett entworfen, logisch und streng durchdacht, magisch und spannend und so unerklärlich und fantastisch wie viele Bücher von Leo Perutz."
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Perutz` Romane sind bis ins Kleinste berechnete Kunstwerke und an Spannung kaum zu überbieten." (F.A.Z.)