Produktdetails
  • Verlag: NordSüd Verlag
  • ISBN-13: 9783851955118
  • ISBN-10: 3851955110
  • Artikelnr.: 24756224
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.2008

Man muss doch etwas für die Kunst tun

Hundert Küsse von der Prinzessin sollten es schon sein: Lisbeth Zwerger hat Andersens "Schweinehirt" in großartige Bilder gebracht. Jetzt ist das lange vergriffene Buch wieder da.

Ein Prinz, eine Prinzessin, so geht das Märchen los, und weil an dieser Konstellation niemand rütteln mag, am wenigsten die beiden, geht die Sache auch schief. Denn natürlich hätte es andere Prinzessinnen gegeben, die den ansehnlichen und leidlich berühmten, wenn auch recht armen Prinzen gern genommen hätten - nur hatte er sich eben ausgerechnet diese eine Prinzessin in den Kopf gesetzt, die ihn nicht mochte.

Eine Liebesgeschichte also ohne Happy End (anders als im verwandten "König Drosselbart") - aber küssen sich die beiden nicht ständig? Hängen sie nicht fast einhundert Küsse lang aneinander, umgeben von den versammelten Hofdamen, die sie vor fremden Blicken abschirmen und eben dadurch die Aufmerksamkeit des alten Kaisers erregen, der seine Tochter dann auch wegen der Küsserei verstößt?

So kann man das lesen, und am Ende bekommt die wankelmütige Prinzessin schließlich ihre verdiente Strafe - nur dass Andersens Geschichte natürlich viel weiter reicht. Denn die Prinzessin verkörpert mit ihrer Faszination für Künstliches (Blumen, Vögel, Musikanten) die Maschinenträume ihrer aufgeregten Zeit, des Biedermeier, und wo sie scheitert, scheitert sie exemplarisch. Dem Prinzen aber geht es nicht viel besser: Ihm steht es zwar frei, das Dasein als Schweinehirt wieder abzustreifen, aber seine Liebe ist er los. Welche Prinzessin er auch immer jetzt wählt - wenn er denn wählt -, es ist die zweite Wahl.

In Andersens Märchen steckt beides, die Liebesburleske und die Tragödie, das Private wie das Politische, und Lisbeth Zwergers feine Illustrationen, die jetzt in einer Neuausgabe des ursprünglich 1982 erschienenen Bandes vorliegen, spielen in großartiger Selbstgewissheit mit diesen Ebenen, lassen mal die Konstellation, mal das Individuum aufscheinen, verleihen dem Prinzen sozialen Rang und Persönlichkeit zugleich, während die Prinzessin so unglücklich laviert, dass sie am Ende als Häufchen Elend, eingehüllt in ihren viel zu großen, viel zu bunten Umhang mit dem Rücken zu jenem Baum sitzt, hinter dem sich der als Schweinehirt dekorativ angeschmuddelte Prinz gerade säubert und umzieht. "Man muss etwas für die Kunst tun", so hatte sie ihre Bereitschaft begründet, den Prinzen im Tausch gegen ein burleskes Musikinstrument zu küssen, und dass ihr dies geblieben ist, macht die Sache nicht besser.

Zwergers Figuren besitzen eine jeweils eigene Dynamik. Sie scheinen kaum einmal wirklich still zu halten, sie biegen und strecken sich, und selbst wo die Prinzessin wie vom Donner gerührt allein in der Mitte des Bildes steht, weil ihr Vater gerade den sechsundachtzigsten Kuss unterbunden hat, ist ihr Körper gespannt, als würde er an den Enden zusammengebogen. Das und die prächtig verwaschenen Hintergründe machen diese Version des "Schweinehirten" zu einer der aufregendsten unter den überaus zahlreichen Illustrationen dieses Märchens. Zwerger erhielt 1990 für ihr Werk den Ritterschlag der Andersen-Medaille.

TILMAN SPRECKELSEN

Hans Christian Andersen, Lisbeth Zwerger: "Der Schweinehirt". Minedition, Bargteheide 2008. 32 S., geb., 12,90 [Euro]. Ab 5 J.

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