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Wurde Aachen zur Europastadt, weil Karl der Große ein passionierter Schwimmer war? Und was hat Mao Tse- tung damit zu tun? Beide Herrscher verbindet eine Politik des Schwimmens. Indem die politischen Akteure sich schwimmend abbilden ließen, wurde der eigene Körper zum Ausweis von sportlicher Tatkraft, patriarchalischer Fürsorge und Führungsstärke überhöht - und das Schwimmen zum Hauptelement einer körperbezogenen politischen Ikonologie. Die Beziehung von Wasser, Körper und Macht setzt sich bis heute fort, beispielsweise in der Inszenierung Wladimir Putins als Unterwasserarchäologe. Als Symbole…mehr

Produktbeschreibung
Wurde Aachen zur Europastadt, weil Karl der Große ein passionierter Schwimmer
war? Und was hat Mao Tse- tung damit zu tun? Beide Herrscher verbindet
eine Politik des Schwimmens. Indem die politischen Akteure sich schwimmend
abbilden ließen, wurde der eigene Körper zum Ausweis von sportlicher
Tatkraft, patriarchalischer Fürsorge und Führungsstärke überhöht - und das
Schwimmen zum Hauptelement einer körperbezogenen politischen Ikonologie.
Die Beziehung von Wasser, Körper und Macht setzt sich bis heute fort, beispielsweise
in der Inszenierung Wladimir Putins als Unterwasserarchäologe.
Als Symbole herrscherlicher Souveränität fungieren auch die Bart- und
Haartracht,
die Kleidung und die Tiere, mit denen sich Karl der Große umgibt.
Dabei spielen furchteinflößende, zu erjagende Bestien eine ebenso große Rolle
wie exotische Tiere, die in Gehegen befriedet vom Zuschauer betrachtet werden
konnten. Der Löwe steht für Karl selbst. In der stilisierten Darstellung am Bronzeportal
des AachenerDoms ist das Raubtier nicht nur gezähmt, sondern aus
dem Löwen (dem König der Tiere) ist ein Bote des Friedens geworden.
Bredekamps völlig neue Sicht auf Karl den Großen zeigt, wie aktuell dessen
Bildpolitik ist. Karl der Große hat als "Leuchtturm Europas", wie er von Zeitgenossen
genannt wurde, auch dem gegenwärtigen Europa etwas zu sagen: Politik
ist elastisch und fluid.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Horst Bredekamp, geboren 1947, ist seit 1993 Professor für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität. 2003- 2012 war er Permanent Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin. Er war u. a. auch Fellow des Institute of Advanced Study in Princeton, des Getty Center in Los Angeles und des Collegiums Budapest. Neben zahlreichen weiteren Auszeichnungen erhielt er 2000 den Sigmund-Freud-Preis, 2006 als erster Kunsthistoriker den renommierten Max- Planck-Forschungspreis und 2013 den Berliner Wissenschaftspreis. Zuletzt erschien von ihm Leibniz und die Revolution der Gartenkunst.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Urs Hafner findet es großartig, wie der Kunsthistoriker Horst Bredekamp in diesem Band nicht nur den großen Abstrakten Karl den Großen mittels scharfsinniger Quellendeutung in für Hafner staunenswert neues Licht taucht, sondern auch zeigt, welche Rolle Abbildungen auf Skulpturen, Architektur oder Münzen, etwa Badefreuden und Frisuren, im Kontext der Herrschaftspraxis spielen. Imperiale Eigenheiten des Kaisers erinnern Hafner zudem an die Selbstdarstellungspraktiken heutiger Herrscher hoch zu Roß.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.01.2014

Souverän ist, wer über die Badeanstalt verfügt

Vor genau 1200 Jahren starb in Aachen Karl der Große. Zur Wiederkehr des Todestages deutet der Kunsthistoriker Horst Bredekamp das Herrschaftsverständnis des Kaisers neu. Das gemeinsame Bad spielt darin eine zentrale Rolle.

Heute erscheint "Der schwimmende Souverän", ein Buch über Karl den Großen, das schon ursprünglich zweifach neugierig machte. Es kommt genau zum Datum des 1200. Todestags seines Gegenstands heraus, und es ist die erste Publikation des Wagenbach Verlags im fünfzigsten Jahr seines Bestehens. Wir haben es also mit einem doppelten Jubiläumsbuch zu tun, und deshalb war die Vorfreude aller Beteiligten groß, vor allem die des Autors Horst Bredekamp.

Vor einem Monat jedoch wies der "New Yorker" nach, dass der Kunsthistoriker wissenschaftliches Opfer einer großangelegten Fälschung geworden ist. Sein 2007 publiziertes Buch "Galileo der Künstler" und eine danach durch ihn initiierte internationale Forschergruppe zu Galileo Galileis 1610 verlegter Schrift "Sidereus Nuncius" hatten sich auf ein neu entdecktes, angeblich mit Handzeichnungen des Verfassers versehenes Exemplar dieser astronomischen Schrift berufen, das sich nun als Werk eines Fälschers herausgestellt hat.

Bredekamp, dem bei seinem langjährigen Kampf um eine Rehabilitierung des Visuellen im abendländischen Wissenschaftsverständnis diese Zeichnungen in die Hände zu spielen schienen, ist blamiert, zumal seine Freude über den unerwarteten Fund ihn die angeratene Sorgfalt bei der Prüfung von Authentizität und Provenienz vernachlässigen ließ (F.A.Z. vom 22. Januar). Deshalb darf sein neues Buch noch mehr Interesse beanspruchen: als Probe auf die Leistungskraft seiner Deutung und die Zuverlässigkeit von Bredekamps diesmaliger Materialsammlung.

Sie ist insofern weniger heikel, als der Autor in seiner Studie keine bislang unbekannten Objekte präsentiert. Ausgangsmaterial ist vielmehr der Kernbestand der materiellen Überlieferung zu Karl dem Großen. Da ist vor allem Einhards 829 verfasste Karls-Vita, die der frühere enge Vertraute des Monarchen bewusst im Stil einer von Suetons Kaiserbiographien anlegte, um damit dem antiken Herrscherideal zu entsprechen, das Karl zur Begründung seines neuen Kaisertums propagandistisch benutzte. Da ist die heute im Pariser Louvre aufbewahrte Reiterstatuette aus Metz, die von der Forschung meist mit Karl dem Kahlen, dem Enkel Karls des Großen, identifiziert wird, neuerdings aber im Sinne der Tradition wieder als Abbild des Großvaters selbst ins Gespräch gebracht wird: von Johannes Fried in seiner unten besprochenen Karls-Biographie wie auch von Bredekamp, dem Frieds Manuskript vor Drucklegung zugänglich gemacht worden war.

Und vor allem ist da das Zeugnis der Aachener Pfalzkapelle, die Karl am Regierungssitz seiner späteren Jahre errichten ließ und für deren Bau er antike Spolien aus Italien heranschaffen ließ, um der erwähnten Kontinuität des Kaisertums auch architektonisch Ausdruck zu verleihen. Das heute in den Aachener Dom integrierte, aber vollständig erhaltene Oktogon deutet Bredekamp als ein Lichtkunstwerk, bei dem alle Details - Kuppelgestalt, Fensterplazierung, Mosaizierung, Metallschmuck - der Schaffung einer Ambiguität dienten, die der Berliner Kunsthistoriker in die Kategorie des Fluidums, des Fließenden, fasst: "Karl der Große schwimmt im Wasser wie im Licht."

Und im Schwimmen sieht Bredekamp das zentrale Bild für Karls Herrschaftspraxis. Zur Verdeutlichung dient eine berühmte Passage aus Einhards Vita des Kaisers, in der er diesen beim gemeinsamen Bad mit einem großen Kreis von Vertrauten im heißen Wasser aus den Aachener Schwefelquellen beschreibt. "Viel ist darüber spekuliert worden", schreibt Bredekamp, "warum diese Stadt unter Karl dem Großen dazu auserwählt wurde, zu einem neuen Rom ausgebaut zu werden."

Das Wasser macht's, lautet seine Erklärung. Das ist allerdings nicht sonderlich originell, denn genauso verkünden es auch das aktuelle "Merian"-Heft zu Aachen und jede populäre Stadtgeschichte. Der rhetorischen Effekthascherei hat Bredekamp also im neuen Buch nicht abgeschworen. Um Aachen dreht sich alles darin, auch weil der zweite für Bredekamp zentrale Text sich speziell mit dem dortigen Pfalzgelände aus der Sicht des Jahres 829 beschäftigt. Damals kam der junge Mönch Walahfrid Strabo hierher an den Hof von Karls Sohn und Nachfolger als Kaiser, Ludwigs des Frommen. Walahfrid lieferte in seinem wenig später verfassten Dialog "De Imagine Tetrici" eine Beschreibung der Aachener Hofanlagen.

Im Gegensatz zum gleichzeitig in Arbeit befindlichen hagiographischen Text von Einhard nimmt der jüngere Kollege dem seit anderthalb Jahrzehnten toten Karl gegenüber eine kritische Position ein. Thema der Versdichtung ist die - nicht mehr erhaltene - Reiterstatue des weströmischen Herrschers Theoderich, die Karl der Große aus Ravenna nach Aachen hatte schaffen lassen. Walahfrid sah darin einen Frevel, den er durch diverse pejorative Formulierungen in seinem Dialog unterstrich.

Doch nicht der durch die Kämpfe ums kaiserliche Erbe bedingte damalige Wandel des Karls-Bilds interessiert Bredekamp, sondern Walahfrid als zeitgenössischer Augenzeuge der Aachener Badestätten. Nun findet sich davon im Gegensatz zu Einhards Text aber kein explizites Wort bei ihm; es ist nur davon die Rede, dass man aus den Fenstern der Palastkapelle einen Anblick aufs kaiserliche Wildgehege habe, das "unten einen herrlichen Park und das eilende Gemurmel der Bäche auf grünender Wiese" aufweise. Darin sieht Bredekamp einen zwingenden Bezug auf die nordöstlich der Kapelle ausgegrabenen karolingischen Bäder.

Die schlichte Ineinssetzung von Badebecken mit Bächen ist aber dubios, selbst wenn man die Ausflüsse berücksichtigt. Zumal die Badeanlagen auf gleicher Höhe mit der Kapelle, also nicht "unten", lagen und auf der westlichen Seite der Pfalz gleichfalls Bachverläufe in Aachen dokumentiert sind. Das ist wichtig, weil Bredekamps Situierung der verlorenen Theoderich-Statue im Osten der Pfalz unmittelbar vor den Badeanlagen (und somit an dem für einen politischen "Schwimmer" wie Karl natürlich zentralen Ort) allein darauf fußt, dass Walahfrids Gesprächspartner aus demselben Fenster übers Wildgehege und auf das Reiterstandbild blicken. Wenn jedoch für des Letzteren Position auch der westliche Vorplatz der Pfalz - wo die bisherige Forschung es ansiedelte - durch den Text gedeckt wäre, bricht Bredekamps Konstrukt der kaiserlichen Legitimation im Badehaus hier zusammen. Dann hätte es keine besondere Heraushebung des Thermalbereichs gegeben und somit auch kein Wellness-Zentrum fürs Selbstverständnis Karls des Großen.

Seine diesbezüglich steile These bettet Bredekamp ein in die Ikonographie schwimmender Herrscher, und es ist kein Wunder, dass dem 1947 geborenen Kunsthistoriker aus dessen politisch aktiven Zeiten in den Jahren der Studentenrevolution das Bild von Mao im Jangtse einfällt. Auch der in der Januarkälte schwimmende Mussolini taugt als Parallele, während erstaunlicherweise Ebert und Noske in ihren Badehosen ebenso fehlen wie Herbert Wehners Rede vom gern lau badenden Willy Brandt, aber mit diesen Beispielen wurden die Betreffenden ja auch herabgewürdigt. Doch passt es zu einer Erörterung "schwimmender Souveräne", dass solche Topoi fehlen? Zumal Bredekamp durchaus an Friedrich Barbarossa erinnert, der seinen Kreuzzugstod beim Schwimmen fand, und daran, dass solch ein Ende als schmählich galt, weil ihm die Sterbesakramente nicht mehr erteilt werden konnten. Zugunsten der Pointe vernachlässigt Bredekamp die Konsequenz.

Auch Walahfrid fand übrigens sein Ende 849 beim sommerlichen Bad in der Loire, was Bredekamp allerdings für nicht erwähnenswert hält - was noch mehr verblüfft, denn hierin hätte ja eine Pointe gelegen. Bei seinen kunstwissenschaftlichen Ausführungen verpasst er den Verweis auf die verblüffende Ähnlichkeit eines für ihn wichtigen Elfenbeineinbands, der für Karl den Großen geschnitzt worden sein soll, mit den zweifellos für den Kaiser gegossenen Bronzegittern der Aachener Pfalzkapelle.

Immerhin wurde beim letzten Korrekturdurchlauf des Buchs, der zeitlich mit der Aufdeckung des Galileo-Desasters zusammengefallen sein dürfte, noch die gewagte Formulierung, mit Walahfrids Nennung der murmelnden Bäche wäre die Frage der Lage des Wildgeheges im Osten "entschieden", abgemildert dazu, dass diese Lage "anzunehmen" sei, doch dabei ist unglücklicherweise der ganze Satz grammatikalisch in Unordnung geraten. Auch ein kurioser Bildtext, der auf einem Modell des Aachener Pfalzbezirks die Kapelle links identifiziert, während es vierzig Seiten später zur gleichen Ansicht richtig "rechts" heißt, geht auf einen solchen Austausch in letzter Minute zurück.

"Der schwimmende Souverän" wird somit nicht dazu beitragen, Sorgfalt und Methode von Horst Bredekamp zu rehabilitieren. Dass das Buch sich sehr gut liest und durchaus inspirierende Beobachtungen und Folgerungen enthält, bleibt davon unberührt. Aber das Misstrauen als Leser ist nun einmal da, und das, was man zuvor als Kleinigkeiten nicht so schwer gewichtet hätte, fällt nun entsprechend unangenehm auf.

ANDREAS PLATTHAUS

Horst Bredekamp: "Der schwimmende Souverän". Karl der Große und die Bildpolitik des Körpers.

Wagenbach Verlag, Berlin 2014. 176 S., 69 SW- und 23 Farbabb., geb., 26,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2014

Wer in den Löwenspiegel blickt, wie soll der aufzuhalten sein?
Karl der Große, seine Badehose und die Vorzüge der karolingischen Kurzhaarfrisur: Horst Bredekamps Studie „Der schwimmende Souverän“
Karl der Große verfügte offenbar über divinatorische Fähigkeiten, denn er war schon im 8. Jahrhundert mit Horst Bredekamps „Theorie des Bildakts“ bestens vertraut. Insbesondere das herrschaftsstabilisierende Potential des sogenannten schematischen Bildakts scheint dem Karolinger eingeleuchtet zu haben. Die Website des von Bredekamp ins Leben gerufenen „Interdisziplinären Labors: Bild – Wissen – Gestaltung“ der Humboldt-Universität erläutert, was man hierunter zu verstehen hat: „Unter dem Bildakt wird die Wirkung auf das Empfinden, Denken und Handeln verstanden, die aus der Kraft des Bildes und der Wechselwirkung mit dem betrachtenden, berührenden und auch hörenden Gegenüber entsteht.“ Der schematische Bildakt vollzieht sich „durch eine unmittelbar wirksame oder instrumentell eingesetzte Verlebendigung des Bildes in Körperkompositionen, Automaten und Biobildwerken.“ Karl der Große habe, so die These von Bredekamps neuem Buch, eine ganze Reihe solcher Strategien der Verlebendigung in raffinierter Weise im Sinne einer „Ritualmacht“ eingesetzt, um sein weder institutionell noch administrativ strukturiertes, damit im modernen Sinne vorstaatlich organisiertes und also schwer regierbares Riesenreich beherrschbar zu machen.
Zu den spannendsten Passagen des phantasievollen und thesenreichen Textes gehört die Analyse der Schwimm- und Badegewohnheiten des Kaisers, die sich in Bredekamps Darstellung zu einer veritablen Symbol- und Körperpolitik verdichten. Die anachronistische Verwendung des Souveränitätsbegriffes im knackigen Titel des Buches ist wohl eher dem Verlag als dem Autor anzulasten, denn im Text taucht er dann nicht mehr auf. Karl der Große war, wenn man den Quellen Glauben schenken darf, mit über 1,90 m nicht nur ein besonders großgewachsener Herrscher, sondern auch ein hervorragender Schwimmer – und er wusste diese sportliche Dominanz geschickt einzusetzen, um in immer neuen Akten des ostentativen Vorzeigens seines Körpers ad hoc gemeinschaftsstiftend und zugleich sozialdistinguierend zu wirken.
  Damit lässt er sich in eine politisch-ikonographische Traditionslinie mit anderen schwimmenden Herrschern und Despoten wie Otto II., Friedrich Barbarossa (bei diesem freilich mit tödlichem Ausgang der Badefreuden), Benito Mussolini, Mao Tse-tung sowie Wladimir Putin stellen. Das Schwimmen war im Mittelalter zudem ein Mittel kultureller Überlegenheitsdemonstration, denn die „Ungläubigen“ – allen voran die Sarazenen – konnten der zeitgenössischen Quellenpropaganda zufolge natürlich nicht schwimmen.
  Dass das Schwimmen für Karl ein prononcierter Herrschaftsakt war, zeigt sich auch daran, dass er als imperialer „Vorschwimmer“ seines Reiches nicht nur alleine schwamm, sondern im Kernbereich seiner Herrschaft, den antiken Vorbildern nachgebauten Aachener Thermen, in geschickt abgestuften Gnadenakten Mitschwimmer in seinen Bassins zuließ. Einhard benennt diejenigen sozialen Formationen, die sich durch ihre verwandtschaftliche oder auch räumliche Nähe zum Kaiser in ihren politischen Einflussmöglichkeiten unterschieden, in seiner Karlsbiographie im 22. Kapitel in absteigender Rangfolge: „Er lud nicht nur seine Söhne, sondern auch Optimaten und Freunde, manchmal sogar seine Palast- und seine Leibwache zum Baden ein. Oft badeten hundert oder mehr Leute mit ihm.“
  In einer nicht nur an dieser Stelle etwas überstrapazierten Fluiditätsmetaphorik schreibt Bredekamp hierzu: „Die Beteiligten hatten sich gegenüber einem Element zu bewähren, das ihnen den Grund unter den Füßen wegziehen konnte. Im Fluxus des Einsteigens in das Wasser und im Spiel mit dessen Fließen muss sich eine eigene Form der sozialen Bindung eingestellt haben, die durch die gestaffelte Teilnahme umso subtiler hierarchisch gewirkt haben mag, je egalitärer das gemeinsame Schwimmen angelegt war.“
Doch nicht nur das sportliche Schwimmen, das Bredekamp nicht immer hinlänglich präzise vom doch stärker der Körperreinigung dienenden Baden absetzt, war ein wichtiger Bestandteil von Karls „Bildpolitik des Körpers“. Flankierend hierzu identifiziert der Autor – nicht weniger originell als im Schwimm-Kapitel – eine Art „Haar-Politik“ der Karolinger, die bestrebt waren, sich durch gepflegte Kurzhaarfrisuren und ordentliche Scheitel vom abundanten Wildwuchs der Merowinger abzusetzen – der strikt getrimmte Schnurrbart wird damit zum sichtbar vorgezeigten Zeichen der Legitimation karolingischer Herrschaft, die ihr Reich ebenso mustergültig zu ordnen imstande wie ihre Haartracht.
  Wieso Bredekamp dann aber diese These ausgerechnet mit einer fränkischen Grabstele aus merowingischer Zeit in Niederdollendorf zu belegen versucht, auf der der Verstorbene mit einem Kamm und nur stilisiert angedeutetem, glatt anliegendem Haupthaar und Schnurrbart dargestellt ist, bleibt unverständlich.
  Auch in anderen Gehegen jüngerer „Turns“ in den Wissenschaften findet der Autor Belege für seine Thesen. So macht er Anleihen bei den animal studies , wenn er Karl als „Zoodirektor“ auftreten lässt, der seine politische Macht nicht nur in der Jagd wilder Tiere unter Beweis stellt, sondern auch und vor allem in der Zähmung des Wildes, das er – ganz souveräner Künstler-Kaiser, der die Anwendung der Bildakttheorie beherrscht – in seinem Aachener Tierpark zu lebenden Bildern gebändigter Bedrohlichkeit arrangiert habe.
  In der Rekonstruktion der funktionalen Aufteilung von Badeanstalt, Zoologischem Garten und Sakralbereich der Aachener Pfalz stützt sich Bredekamp vor allem auf das im Anhang des Buches edierte Gedicht „De Imagine Tetrici“ des Karl-Kritikers Walahfrid Strabo, in dem dieser gegen die Überführung des heute nicht mehr erhaltenen Reiterstandbilds des Ostgotenkönigs Theoderich aus Ravenna in den Aachener Pfalzbereich polemisiert.
  Denn nicht nur lebende heimische und exotische Tiere komponierte der Herrscher zu tableaux vivants, auch seine von Bredekamp postulierte „Skulpturenpolitik“ wies einen hohen animalischen Anteil auf: Neben dem Pferd der Theoderich-Statue und der Reiterstatuette Karls aus dem Louvre müssen die Aachener Bärin und die Löwenköpfe auf den Pforten der Aachener Pfalzkapelle als Belegstücke für solche schematischen Verlebendigungsstrategien herhalten: „Das Dominium Karls des Großen war auf die Sphäre der Pseudolebendigkeit des gestalteten Metalls erweitert. Vom Zeichencharakter des Körpers ausgehend, reichte sie über die Vermittlungsschritte der Kleidung und die Besiegung der Raubtiere in der Jagd bis zu deren Domestikation in zoologischen Gärten und zum beseelten Metallguss“.
  Wie diesem O-Ton schon zu entnehmen ist, wird dem Leser zum Ende des Buches hin einiges an Gutgläubigkeit abverlangt, denn hier zeigt sich der Bredekamps Habitus eines konjekturalen Denkens ganz offen: „Vermutlich“ ist hier (abgesehen von „Karl“) das wohl meistgebrauchte Wort, und der argumentative Dreisprung läuft stereotyp nach dem immergleichen pseudodialektischen Schema ab. Schritt 1: „Eventuell/Vielleicht/Möglicherweise/Vermutlich war x oder y der Fall“; Schritt 2: In einer Zeit, in der die Quellen quantitativ nicht gerade übersprudeln und damit ihr Vetorecht nur bedingt wahrnehmen können, „spricht nichts dagegen, dass…“; Schritt 3: „Daher muss es notwendigerweise so gewesen sein“ – quod erat demonstrandum.
  Sämtliche Grenzen der Sinnlogik verflüssigen sich in diesem darstellerischen „Panta rei“, wenn Ursache-Wirkungs-Verhältnisse beliebig umgekehrt, Objekte zu handelnden Subjekten, Strukturgeneralisierungen vor die genaue Befundanalyse verlagert, der metaphorische und der eigentliche Wortgebrauch heillos vermischt werden und so unter der Hand aus Dichtung Wahrheit wird und der alchemistisch agierende Autordemiurg aus pseudofluiden Materialen Leben schafft.
  Was wäre wohl geeigneter, um solche fließenden Transformationen, Metamorphosen und auktorialen Projektionen im Bildakt zu illustrieren, als die Rede von der Spiegelung und ihren Reflexionsmöglichkeiten, mit denen Bredekamps Text schließt – oder vielmehr sich in endlosen, leerlaufenden Selbstreflexionen ergeht. Dass die Begeisterungsfähigkeit in der von ihm selbst so genannten „Unschuld der rauschhaften Erkenntnis“ bisweilen mit dem Autor durchgeht, ist durchaus sympathisch. Doch seine – durch keinerlei Quellen gestützte – Interpretation der Pforten der Aachener Pfalzkapelle als monumentale Bronzespiegel, in denen Karl sein eigenes Konterfei in der Spiegelung angeblich von den darauf angebrachten Löwenköpfen überblenden ließ, um sich einer allmorgendlichen Selbst- und Fremdbefragung à la „Spieglein, Spieglein an der Kirchenwand, wer ist der Souveränste im ganzen Frankenland?“ zu unterziehen, ist im wahrsten Wortsinn an den Barthaaren der Löwenköpfe herbeigezogen, denen der Autor zu allem Überfluss auch noch die gleiche Trimmung wie Karls Schnauzer andichtet.
CHRISTINE TAUBER
  
Horst Bredekamp: Der schwimmende Souverän. Karl der Große und die Bildpolitik des Körpers. Eine Studie zum schematischen Bildakt. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2014. 176 Seiten, 26 Euro.
Das Schwimmen war für Karl ein
prononcierter Herrschaftsakt
Was sah Karl der Große in den
Löwenköpfen der Pfalzkapelle?
Die Statue Karls des Großen vor dem Rathaus zu Aachen.
Foto: AFP
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