war? Und was hat Mao Tse- tung damit zu tun? Beide Herrscher verbindet
eine Politik des Schwimmens. Indem die politischen Akteure sich schwimmend
abbilden ließen, wurde der eigene Körper zum Ausweis von sportlicher
Tatkraft, patriarchalischer Fürsorge und Führungsstärke überhöht - und das
Schwimmen zum Hauptelement einer körperbezogenen politischen Ikonologie.
Die Beziehung von Wasser, Körper und Macht setzt sich bis heute fort, beispielsweise
in der Inszenierung Wladimir Putins als Unterwasserarchäologe.
Als Symbole herrscherlicher Souveränität fungieren auch die Bart- und
Haartracht,
die Kleidung und die Tiere, mit denen sich Karl der Große umgibt.
Dabei spielen furchteinflößende, zu erjagende Bestien eine ebenso große Rolle
wie exotische Tiere, die in Gehegen befriedet vom Zuschauer betrachtet werden
konnten. Der Löwe steht für Karl selbst. In der stilisierten Darstellung am Bronzeportal
des AachenerDoms ist das Raubtier nicht nur gezähmt, sondern aus
dem Löwen (dem König der Tiere) ist ein Bote des Friedens geworden.
Bredekamps völlig neue Sicht auf Karl den Großen zeigt, wie aktuell dessen
Bildpolitik ist. Karl der Große hat als "Leuchtturm Europas", wie er von Zeitgenossen
genannt wurde, auch dem gegenwärtigen Europa etwas zu sagen: Politik
ist elastisch und fluid.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Vor genau 1200 Jahren starb in Aachen Karl der Große. Zur Wiederkehr des Todestages deutet der Kunsthistoriker Horst Bredekamp das Herrschaftsverständnis des Kaisers neu. Das gemeinsame Bad spielt darin eine zentrale Rolle.
Heute erscheint "Der schwimmende Souverän", ein Buch über Karl den Großen, das schon ursprünglich zweifach neugierig machte. Es kommt genau zum Datum des 1200. Todestags seines Gegenstands heraus, und es ist die erste Publikation des Wagenbach Verlags im fünfzigsten Jahr seines Bestehens. Wir haben es also mit einem doppelten Jubiläumsbuch zu tun, und deshalb war die Vorfreude aller Beteiligten groß, vor allem die des Autors Horst Bredekamp.
Vor einem Monat jedoch wies der "New Yorker" nach, dass der Kunsthistoriker wissenschaftliches Opfer einer großangelegten Fälschung geworden ist. Sein 2007 publiziertes Buch "Galileo der Künstler" und eine danach durch ihn initiierte internationale Forschergruppe zu Galileo Galileis 1610 verlegter Schrift "Sidereus Nuncius" hatten sich auf ein neu entdecktes, angeblich mit Handzeichnungen des Verfassers versehenes Exemplar dieser astronomischen Schrift berufen, das sich nun als Werk eines Fälschers herausgestellt hat.
Bredekamp, dem bei seinem langjährigen Kampf um eine Rehabilitierung des Visuellen im abendländischen Wissenschaftsverständnis diese Zeichnungen in die Hände zu spielen schienen, ist blamiert, zumal seine Freude über den unerwarteten Fund ihn die angeratene Sorgfalt bei der Prüfung von Authentizität und Provenienz vernachlässigen ließ (F.A.Z. vom 22. Januar). Deshalb darf sein neues Buch noch mehr Interesse beanspruchen: als Probe auf die Leistungskraft seiner Deutung und die Zuverlässigkeit von Bredekamps diesmaliger Materialsammlung.
Sie ist insofern weniger heikel, als der Autor in seiner Studie keine bislang unbekannten Objekte präsentiert. Ausgangsmaterial ist vielmehr der Kernbestand der materiellen Überlieferung zu Karl dem Großen. Da ist vor allem Einhards 829 verfasste Karls-Vita, die der frühere enge Vertraute des Monarchen bewusst im Stil einer von Suetons Kaiserbiographien anlegte, um damit dem antiken Herrscherideal zu entsprechen, das Karl zur Begründung seines neuen Kaisertums propagandistisch benutzte. Da ist die heute im Pariser Louvre aufbewahrte Reiterstatuette aus Metz, die von der Forschung meist mit Karl dem Kahlen, dem Enkel Karls des Großen, identifiziert wird, neuerdings aber im Sinne der Tradition wieder als Abbild des Großvaters selbst ins Gespräch gebracht wird: von Johannes Fried in seiner unten besprochenen Karls-Biographie wie auch von Bredekamp, dem Frieds Manuskript vor Drucklegung zugänglich gemacht worden war.
Und vor allem ist da das Zeugnis der Aachener Pfalzkapelle, die Karl am Regierungssitz seiner späteren Jahre errichten ließ und für deren Bau er antike Spolien aus Italien heranschaffen ließ, um der erwähnten Kontinuität des Kaisertums auch architektonisch Ausdruck zu verleihen. Das heute in den Aachener Dom integrierte, aber vollständig erhaltene Oktogon deutet Bredekamp als ein Lichtkunstwerk, bei dem alle Details - Kuppelgestalt, Fensterplazierung, Mosaizierung, Metallschmuck - der Schaffung einer Ambiguität dienten, die der Berliner Kunsthistoriker in die Kategorie des Fluidums, des Fließenden, fasst: "Karl der Große schwimmt im Wasser wie im Licht."
Und im Schwimmen sieht Bredekamp das zentrale Bild für Karls Herrschaftspraxis. Zur Verdeutlichung dient eine berühmte Passage aus Einhards Vita des Kaisers, in der er diesen beim gemeinsamen Bad mit einem großen Kreis von Vertrauten im heißen Wasser aus den Aachener Schwefelquellen beschreibt. "Viel ist darüber spekuliert worden", schreibt Bredekamp, "warum diese Stadt unter Karl dem Großen dazu auserwählt wurde, zu einem neuen Rom ausgebaut zu werden."
Das Wasser macht's, lautet seine Erklärung. Das ist allerdings nicht sonderlich originell, denn genauso verkünden es auch das aktuelle "Merian"-Heft zu Aachen und jede populäre Stadtgeschichte. Der rhetorischen Effekthascherei hat Bredekamp also im neuen Buch nicht abgeschworen. Um Aachen dreht sich alles darin, auch weil der zweite für Bredekamp zentrale Text sich speziell mit dem dortigen Pfalzgelände aus der Sicht des Jahres 829 beschäftigt. Damals kam der junge Mönch Walahfrid Strabo hierher an den Hof von Karls Sohn und Nachfolger als Kaiser, Ludwigs des Frommen. Walahfrid lieferte in seinem wenig später verfassten Dialog "De Imagine Tetrici" eine Beschreibung der Aachener Hofanlagen.
Im Gegensatz zum gleichzeitig in Arbeit befindlichen hagiographischen Text von Einhard nimmt der jüngere Kollege dem seit anderthalb Jahrzehnten toten Karl gegenüber eine kritische Position ein. Thema der Versdichtung ist die - nicht mehr erhaltene - Reiterstatue des weströmischen Herrschers Theoderich, die Karl der Große aus Ravenna nach Aachen hatte schaffen lassen. Walahfrid sah darin einen Frevel, den er durch diverse pejorative Formulierungen in seinem Dialog unterstrich.
Doch nicht der durch die Kämpfe ums kaiserliche Erbe bedingte damalige Wandel des Karls-Bilds interessiert Bredekamp, sondern Walahfrid als zeitgenössischer Augenzeuge der Aachener Badestätten. Nun findet sich davon im Gegensatz zu Einhards Text aber kein explizites Wort bei ihm; es ist nur davon die Rede, dass man aus den Fenstern der Palastkapelle einen Anblick aufs kaiserliche Wildgehege habe, das "unten einen herrlichen Park und das eilende Gemurmel der Bäche auf grünender Wiese" aufweise. Darin sieht Bredekamp einen zwingenden Bezug auf die nordöstlich der Kapelle ausgegrabenen karolingischen Bäder.
Die schlichte Ineinssetzung von Badebecken mit Bächen ist aber dubios, selbst wenn man die Ausflüsse berücksichtigt. Zumal die Badeanlagen auf gleicher Höhe mit der Kapelle, also nicht "unten", lagen und auf der westlichen Seite der Pfalz gleichfalls Bachverläufe in Aachen dokumentiert sind. Das ist wichtig, weil Bredekamps Situierung der verlorenen Theoderich-Statue im Osten der Pfalz unmittelbar vor den Badeanlagen (und somit an dem für einen politischen "Schwimmer" wie Karl natürlich zentralen Ort) allein darauf fußt, dass Walahfrids Gesprächspartner aus demselben Fenster übers Wildgehege und auf das Reiterstandbild blicken. Wenn jedoch für des Letzteren Position auch der westliche Vorplatz der Pfalz - wo die bisherige Forschung es ansiedelte - durch den Text gedeckt wäre, bricht Bredekamps Konstrukt der kaiserlichen Legitimation im Badehaus hier zusammen. Dann hätte es keine besondere Heraushebung des Thermalbereichs gegeben und somit auch kein Wellness-Zentrum fürs Selbstverständnis Karls des Großen.
Seine diesbezüglich steile These bettet Bredekamp ein in die Ikonographie schwimmender Herrscher, und es ist kein Wunder, dass dem 1947 geborenen Kunsthistoriker aus dessen politisch aktiven Zeiten in den Jahren der Studentenrevolution das Bild von Mao im Jangtse einfällt. Auch der in der Januarkälte schwimmende Mussolini taugt als Parallele, während erstaunlicherweise Ebert und Noske in ihren Badehosen ebenso fehlen wie Herbert Wehners Rede vom gern lau badenden Willy Brandt, aber mit diesen Beispielen wurden die Betreffenden ja auch herabgewürdigt. Doch passt es zu einer Erörterung "schwimmender Souveräne", dass solche Topoi fehlen? Zumal Bredekamp durchaus an Friedrich Barbarossa erinnert, der seinen Kreuzzugstod beim Schwimmen fand, und daran, dass solch ein Ende als schmählich galt, weil ihm die Sterbesakramente nicht mehr erteilt werden konnten. Zugunsten der Pointe vernachlässigt Bredekamp die Konsequenz.
Auch Walahfrid fand übrigens sein Ende 849 beim sommerlichen Bad in der Loire, was Bredekamp allerdings für nicht erwähnenswert hält - was noch mehr verblüfft, denn hierin hätte ja eine Pointe gelegen. Bei seinen kunstwissenschaftlichen Ausführungen verpasst er den Verweis auf die verblüffende Ähnlichkeit eines für ihn wichtigen Elfenbeineinbands, der für Karl den Großen geschnitzt worden sein soll, mit den zweifellos für den Kaiser gegossenen Bronzegittern der Aachener Pfalzkapelle.
Immerhin wurde beim letzten Korrekturdurchlauf des Buchs, der zeitlich mit der Aufdeckung des Galileo-Desasters zusammengefallen sein dürfte, noch die gewagte Formulierung, mit Walahfrids Nennung der murmelnden Bäche wäre die Frage der Lage des Wildgeheges im Osten "entschieden", abgemildert dazu, dass diese Lage "anzunehmen" sei, doch dabei ist unglücklicherweise der ganze Satz grammatikalisch in Unordnung geraten. Auch ein kurioser Bildtext, der auf einem Modell des Aachener Pfalzbezirks die Kapelle links identifiziert, während es vierzig Seiten später zur gleichen Ansicht richtig "rechts" heißt, geht auf einen solchen Austausch in letzter Minute zurück.
"Der schwimmende Souverän" wird somit nicht dazu beitragen, Sorgfalt und Methode von Horst Bredekamp zu rehabilitieren. Dass das Buch sich sehr gut liest und durchaus inspirierende Beobachtungen und Folgerungen enthält, bleibt davon unberührt. Aber das Misstrauen als Leser ist nun einmal da, und das, was man zuvor als Kleinigkeiten nicht so schwer gewichtet hätte, fällt nun entsprechend unangenehm auf.
ANDREAS PLATTHAUS
Horst Bredekamp: "Der schwimmende Souverän". Karl der Große und die Bildpolitik des Körpers.
Wagenbach Verlag, Berlin 2014. 176 S., 69 SW- und 23 Farbabb., geb., 26,- [Euro].
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