Ungarn 1956: Die Panzer rollen, der Aufstand schlägt fehl, die Hoffnung scheitert, dass die Welt eine andere hätte werden können. Ohne ein Wort verlässt Katalin ihre Familie und flüchtet über die Grenze in den Westen. Ihr Mann verkauft Haus und Hof und zieht fortan mit den Kindern Kata und Isti durch das Land.
Während er in Schwermut verfällt, errichten sich Kata und ihr kleiner Bruder Isti ihre eigene Welt: Isti hört, was die Dinge zu erzählen haben - das Haus, die Steine, die Pflanzen, der Schnee -, während Kata den Geschichten der Menschen zuhört, denen sie auf ihrer jahrelangen Reise begegnet. Der genaue Blick der Kinder trifft auf eine Welt, die sie nicht verstehen. Nur wenn sie am Wasser sind, an Flüssen, an Seen, wenn sie dem Vater zusehen, wie er seine weiten Bahnen zieht und wenn sie selber schwimmen - nur dann finden sie verzauberte Momente der Leichtigkeit und des Glücks. Beide ahnen, dass ihr Leben erst beginnt.
Während er in Schwermut verfällt, errichten sich Kata und ihr kleiner Bruder Isti ihre eigene Welt: Isti hört, was die Dinge zu erzählen haben - das Haus, die Steine, die Pflanzen, der Schnee -, während Kata den Geschichten der Menschen zuhört, denen sie auf ihrer jahrelangen Reise begegnet. Der genaue Blick der Kinder trifft auf eine Welt, die sie nicht verstehen. Nur wenn sie am Wasser sind, an Flüssen, an Seen, wenn sie dem Vater zusehen, wie er seine weiten Bahnen zieht und wenn sie selber schwimmen - nur dann finden sie verzauberte Momente der Leichtigkeit und des Glücks. Beide ahnen, dass ihr Leben erst beginnt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2002Sirup und Jauchegruben
Zsuzsa Bánks poetischer Debütroman / Von Hubert Spiegel
Manchmal passiert es, daß man ein Buch nicht nur liest, sondern auch hört, weil das Gelesene im Ohr des Lesers einen Klang entwickelt. Es gibt Bücher, die rauschen und Bücher, die glucksen. Es gibt dröhnende und brummende, fiepende und pfeifende Bücher. Der Klang von Zsuzsa Bánks Roman "Der Schwimmer" ist mit einem Wort nicht zu fassen. Er gleicht dem Wellenschlag am Seeufer in einer windstillen Nacht, so gleichmäßig und beruhigend, daß man Stunden lauschen möchte und darüber vergessen könnte, daß eine Tragödie ist, was hier geschieht.
"Der Schwimmer" beginnt mit einer Flucht, und er endet mit der Ankündigung eines Abschieds. Dazwischen liegen die Wanderjahre eines ungarischen Familientorsos. Die Mutter ist in den Westen geflohen und hat ihre beiden Kinder mit einem Vater zurückgelassen, der wortkarg ist bis an den Rand des völligen Verstummens. Und zuweilen sogar darüberhinaus: Stundenlang liegt Kálmán auf dem Bett, rauchend, mit offenen Augen in eine andere Welt blickend. Seine Kinder haben diesem Zustand einen Namen gegeben: "Vater taucht. Vater ist zum Tauchen gegangen. Ist Vater zurück vom Tauchen?, fragten wir einander."
Für Kata, die Erzählerin, und Isti, ihren kleinen Bruder, beginnt nun eine Zeit der Heimatlosigkeit. Die Mutter verschwand in der Nacht, ohne ein Wort des Abschieds. Der Vater bricht immer wieder auf, ohne ein Wort der Erklärung. Man fährt zu Verwandten, bleibt länger oder kürzer, der Vater nimmt eine Arbeit an, dann muß er den Ort verlassen, weil er eine Affäre mit der Frau eines Freundes hat. Schon lange vor der Flucht der Mutter waren sie ständig unterwegs. Sie reisten, sie "ließen keinen Weg aus, der uns irgendwohin führte", erinnert sich Kata an die Unruhe der jungen Frau, die in Riemchensandalen aufs Feld ging und nicht leben wollte in einem Dorf, in dem Kinder sterben, weil sie "in Jauchegruben fallen. Sie ersticken." Damals, auf ihren häufigen und ausgedehnten Zugreisen, führte für die Mutter kein Weg aus Ungarn und den engen, jämmerlichen Verhältnissen auf dem Dorf hinaus, aber alle Wege endeten für die Kinder wieder in ihrem Zuhause. Jetzt verlieren sie das Gefühl für die Bedeutung des Wortes.
Unfähig, den Verlust der Mutter zu verwinden, zieht Isti sich in seine eigene Welt zurück. Wie der Vater beginnt er zu "tauchen", dann erfindet er seine eigene Sprache, schließlich hört er die Dinge sprechen. Er vernimmt den Schrei der Haare, die abgeschnitten werden, er hört Steine, Dachbalken und Nägel sprechen in einer Sprache ohne Worte. Dann lernt er Schwimmen. Wie sein Vater, der mit einer Inbrunst schwimmt, "als könne er ein anderer sein, sobald er seine Kleider ablegte, das Wasser berührte und hinabtauchte", liebt Isti Flüsse und vor allem den See, an dem die Kinder eine lange und beinahe glückliche Zeit verbringen. Zuletzt findet er im Wasser, was er dort gesucht hat: den Tod.
So eindringlich wie in Zsuzsa Bánks Roman "Der Schwimmer" ist seit Agota Kristofs Roman "Das große Heft" wohl kein Kindheitsdrama mehr beschrieben worden. Bei allen Unterschieden zwischen dem Buch der in der Schweiz lebenden Ungarin und der 1965 in Frankfurt am Main als Tochter ungarischer Eltern geborenen Zsuzsa Bánk verblüffen doch zwei Gemeinsamkeiten. Da ist zunächst das große Einfühlungsvermögen, mit dem sich beide Autorinnen in ihre kindlichen Helden versetzen und die Welt aus ihrer Perspektive zu schildern vermögen. Dabei bleibt vieles so vage, wie es kindlicher Wahrnehmung entspricht. Und doch ist diese Vagheit von großer Präzision. Die Zeit etwa bietet sich Kindern in einem anderen Aggregatzustand dar als Erwachsenen. Zsuzsa Bánk läßt diesen Aggregatzustand erahnbar, wenn nicht gar fühlbar werden. Beinahe unmerklich schieben sie die Bewußtseinsebenen übereinander, wenn sie Kata über die Zeit ihres Aufenthalts in der Hauptstadt sagen läßt: "Budapest war grau . . . Es war, als habe jemand alle Uhren zum Stehen gebracht, als liefe die Zeit für uns nicht weiter. So, als habe man Isti und mich in Sirup fallen lassen und dort vergessen."
Der Moment, in dem in Ungarn die Uhren stehenbleiben, ist der Moment des gescheiterten Aufstands im Jahr 1956. Die folgende Hoffnungslosigkeit legt sich bleischwer auf das Land, das vor einem Massenexodus steht, an dem sich auch die Eltern von Zsuzsa Bánk beteiligt haben. Aus den Erinnerungen des Paares, das sich auf der Flucht in den Westen kennenlernte, hat die Tochter großen Gewinn gezogen. Ein politisches Buch ist so nicht entstanden, aber ein Roman von wunderbar trauriger Poesie.
Sie verdankt sich einer behutsamen, klaren Sprache sowie einer Erzählweise, die emotionslos und ungerührt scheint und Rührung und Anteilnahme erzeugt. In diesem distanzierten Blick auf ihre Figuren liegt die zweite Gemeinsamkeit mit Agota Kristof. Aber während "Das große Heft" die Kriegskindheit ihrer beiden Helden als Schule der Gefühllosigkeit beschreibt, als unmenschlichen Immunisierungsprozeß in einer barbarischen Welt, beschreibt "Der Schwimmer" eine gegenteiligen Prozeß: Isti wird gerade nicht immun, er kann sich nicht abhärten gegen die erlittenen Verletzungen des Verlassenwerdens, der Einsamkeit und Heimatlosigkeit. Er hat Wunden davongetragen, die nicht mehr heilen. Und auch seine Schwester vermag ihn nicht zu beschützen. Daß Isti den See, wo er ein neues Zuhause gefunden hatte, verlassen muß, ist mehr als der Junge ertragen kann.
Am Ende des Buches leben Kata und Kálmán wieder bei ihren Verwandten am See, bei Ági, Zoltán und ihrer lebenslustigen Tochter Virág. An der Anlegestelle erzählt man sich, in Prag habe sich ein Mann selbst angezündet, jetzt, ein halbes Jahr später, "wo alles längst schon vorbei sei". Kata weiß nicht, ob sie es glauben soll. Sie sitzt am See, denkt an Isti, wie er ins Wasser sprang, und wartet darauf, daß man sie ausreisen läßt.
Zsuzsa Bánk: "Der Schwimmer". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 285 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zsuzsa Bánks poetischer Debütroman / Von Hubert Spiegel
Manchmal passiert es, daß man ein Buch nicht nur liest, sondern auch hört, weil das Gelesene im Ohr des Lesers einen Klang entwickelt. Es gibt Bücher, die rauschen und Bücher, die glucksen. Es gibt dröhnende und brummende, fiepende und pfeifende Bücher. Der Klang von Zsuzsa Bánks Roman "Der Schwimmer" ist mit einem Wort nicht zu fassen. Er gleicht dem Wellenschlag am Seeufer in einer windstillen Nacht, so gleichmäßig und beruhigend, daß man Stunden lauschen möchte und darüber vergessen könnte, daß eine Tragödie ist, was hier geschieht.
"Der Schwimmer" beginnt mit einer Flucht, und er endet mit der Ankündigung eines Abschieds. Dazwischen liegen die Wanderjahre eines ungarischen Familientorsos. Die Mutter ist in den Westen geflohen und hat ihre beiden Kinder mit einem Vater zurückgelassen, der wortkarg ist bis an den Rand des völligen Verstummens. Und zuweilen sogar darüberhinaus: Stundenlang liegt Kálmán auf dem Bett, rauchend, mit offenen Augen in eine andere Welt blickend. Seine Kinder haben diesem Zustand einen Namen gegeben: "Vater taucht. Vater ist zum Tauchen gegangen. Ist Vater zurück vom Tauchen?, fragten wir einander."
Für Kata, die Erzählerin, und Isti, ihren kleinen Bruder, beginnt nun eine Zeit der Heimatlosigkeit. Die Mutter verschwand in der Nacht, ohne ein Wort des Abschieds. Der Vater bricht immer wieder auf, ohne ein Wort der Erklärung. Man fährt zu Verwandten, bleibt länger oder kürzer, der Vater nimmt eine Arbeit an, dann muß er den Ort verlassen, weil er eine Affäre mit der Frau eines Freundes hat. Schon lange vor der Flucht der Mutter waren sie ständig unterwegs. Sie reisten, sie "ließen keinen Weg aus, der uns irgendwohin führte", erinnert sich Kata an die Unruhe der jungen Frau, die in Riemchensandalen aufs Feld ging und nicht leben wollte in einem Dorf, in dem Kinder sterben, weil sie "in Jauchegruben fallen. Sie ersticken." Damals, auf ihren häufigen und ausgedehnten Zugreisen, führte für die Mutter kein Weg aus Ungarn und den engen, jämmerlichen Verhältnissen auf dem Dorf hinaus, aber alle Wege endeten für die Kinder wieder in ihrem Zuhause. Jetzt verlieren sie das Gefühl für die Bedeutung des Wortes.
Unfähig, den Verlust der Mutter zu verwinden, zieht Isti sich in seine eigene Welt zurück. Wie der Vater beginnt er zu "tauchen", dann erfindet er seine eigene Sprache, schließlich hört er die Dinge sprechen. Er vernimmt den Schrei der Haare, die abgeschnitten werden, er hört Steine, Dachbalken und Nägel sprechen in einer Sprache ohne Worte. Dann lernt er Schwimmen. Wie sein Vater, der mit einer Inbrunst schwimmt, "als könne er ein anderer sein, sobald er seine Kleider ablegte, das Wasser berührte und hinabtauchte", liebt Isti Flüsse und vor allem den See, an dem die Kinder eine lange und beinahe glückliche Zeit verbringen. Zuletzt findet er im Wasser, was er dort gesucht hat: den Tod.
So eindringlich wie in Zsuzsa Bánks Roman "Der Schwimmer" ist seit Agota Kristofs Roman "Das große Heft" wohl kein Kindheitsdrama mehr beschrieben worden. Bei allen Unterschieden zwischen dem Buch der in der Schweiz lebenden Ungarin und der 1965 in Frankfurt am Main als Tochter ungarischer Eltern geborenen Zsuzsa Bánk verblüffen doch zwei Gemeinsamkeiten. Da ist zunächst das große Einfühlungsvermögen, mit dem sich beide Autorinnen in ihre kindlichen Helden versetzen und die Welt aus ihrer Perspektive zu schildern vermögen. Dabei bleibt vieles so vage, wie es kindlicher Wahrnehmung entspricht. Und doch ist diese Vagheit von großer Präzision. Die Zeit etwa bietet sich Kindern in einem anderen Aggregatzustand dar als Erwachsenen. Zsuzsa Bánk läßt diesen Aggregatzustand erahnbar, wenn nicht gar fühlbar werden. Beinahe unmerklich schieben sie die Bewußtseinsebenen übereinander, wenn sie Kata über die Zeit ihres Aufenthalts in der Hauptstadt sagen läßt: "Budapest war grau . . . Es war, als habe jemand alle Uhren zum Stehen gebracht, als liefe die Zeit für uns nicht weiter. So, als habe man Isti und mich in Sirup fallen lassen und dort vergessen."
Der Moment, in dem in Ungarn die Uhren stehenbleiben, ist der Moment des gescheiterten Aufstands im Jahr 1956. Die folgende Hoffnungslosigkeit legt sich bleischwer auf das Land, das vor einem Massenexodus steht, an dem sich auch die Eltern von Zsuzsa Bánk beteiligt haben. Aus den Erinnerungen des Paares, das sich auf der Flucht in den Westen kennenlernte, hat die Tochter großen Gewinn gezogen. Ein politisches Buch ist so nicht entstanden, aber ein Roman von wunderbar trauriger Poesie.
Sie verdankt sich einer behutsamen, klaren Sprache sowie einer Erzählweise, die emotionslos und ungerührt scheint und Rührung und Anteilnahme erzeugt. In diesem distanzierten Blick auf ihre Figuren liegt die zweite Gemeinsamkeit mit Agota Kristof. Aber während "Das große Heft" die Kriegskindheit ihrer beiden Helden als Schule der Gefühllosigkeit beschreibt, als unmenschlichen Immunisierungsprozeß in einer barbarischen Welt, beschreibt "Der Schwimmer" eine gegenteiligen Prozeß: Isti wird gerade nicht immun, er kann sich nicht abhärten gegen die erlittenen Verletzungen des Verlassenwerdens, der Einsamkeit und Heimatlosigkeit. Er hat Wunden davongetragen, die nicht mehr heilen. Und auch seine Schwester vermag ihn nicht zu beschützen. Daß Isti den See, wo er ein neues Zuhause gefunden hatte, verlassen muß, ist mehr als der Junge ertragen kann.
Am Ende des Buches leben Kata und Kálmán wieder bei ihren Verwandten am See, bei Ági, Zoltán und ihrer lebenslustigen Tochter Virág. An der Anlegestelle erzählt man sich, in Prag habe sich ein Mann selbst angezündet, jetzt, ein halbes Jahr später, "wo alles längst schon vorbei sei". Kata weiß nicht, ob sie es glauben soll. Sie sitzt am See, denkt an Isti, wie er ins Wasser sprang, und wartet darauf, daß man sie ausreisen läßt.
Zsuzsa Bánk: "Der Schwimmer". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 285 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Flucht und Einsamkeit
Als Katalin das Unglück nicht mehr ertragen kann und aus dem Elend eines tristen sozialistischen Alltags flüchtet, lässt sie ohne eine Wort des Abschieds ihren Ehemann Kálmán und die beiden Kinder Kata und Isti allein zurück. Zunächst hoffen alle noch auf ihre Rückkehr. Sie bleibt aber verschwunden in der Fremde. Später werden sie erfahren, dass die Mutter auch in der Fremde ihr Glück nicht gefunden hat. Da der schwermütige Vater sich alleine nicht um die Kinder kümmern kann, ziehen sie, als nach einigen Wochen klar wird, dass Katalin nicht mehr zurückkehren wird, nach Budapest zu einer Tante des Vaters. Hier verleben sie eine schöne aber kurze Zeit bevor sie weiter in Richtung Osten fahren. Ziel ist zunächst der Bauernhof von Kálmáns Kusine, wo er seine Kinder unterbringt. Es ist aber nur eine weitere Station der rastlosen Wanderung, auf die der ratlose und allein gelassene Vater seine Kinder nimmt.
Kata und Isti
Im Mittelpunkt der Geschehnisse, die aus der Perspektive der sich erinnernden Kata geschildert werden, steht Isti, ihr jüngerer Bruder, der mit dem Weggang seiner Mutter nicht fertig wird. Er ist wohl auch der "Schwimmer": ohne Orientierung steckt er den Kopf unter Wasser und lässt sich treiben. Im Verlauf ihrer Odyssee nimmt der Vater immer weniger Notiz von seinen Kindern und verschwindet damit fast in derselben Weise wie Katalin. Mit dem Verlust seiner Eltern kommt Isti auf Dauer nicht zurecht. Seine Apathie endet schließlich in Selbstauslöschung.
Kindheitsdrama
Der Schwimmer ist ein eindringliches Kindheitsdrama, dessen Rhythmus den Leser in die Atmosphäre der geschilderten Szenen wiegt. Die auffallend kurzen und kompakten Abschnitte, die den Roman unterteilen, sind wie Atemzüge, deren Takt der Leser übernimmt. So entsteht die eigenartig melancholisch-schwebende Stimmung der Trauer, die durch Zsuzsa Bánks meisterhafte Sprache verstärkt wird. Zweifelsohne hat sie mit ihrem ersten Roman ein großartiges Stück Literatur geschaffen.
(Andreas Rötzer)
Als Katalin das Unglück nicht mehr ertragen kann und aus dem Elend eines tristen sozialistischen Alltags flüchtet, lässt sie ohne eine Wort des Abschieds ihren Ehemann Kálmán und die beiden Kinder Kata und Isti allein zurück. Zunächst hoffen alle noch auf ihre Rückkehr. Sie bleibt aber verschwunden in der Fremde. Später werden sie erfahren, dass die Mutter auch in der Fremde ihr Glück nicht gefunden hat. Da der schwermütige Vater sich alleine nicht um die Kinder kümmern kann, ziehen sie, als nach einigen Wochen klar wird, dass Katalin nicht mehr zurückkehren wird, nach Budapest zu einer Tante des Vaters. Hier verleben sie eine schöne aber kurze Zeit bevor sie weiter in Richtung Osten fahren. Ziel ist zunächst der Bauernhof von Kálmáns Kusine, wo er seine Kinder unterbringt. Es ist aber nur eine weitere Station der rastlosen Wanderung, auf die der ratlose und allein gelassene Vater seine Kinder nimmt.
Kata und Isti
Im Mittelpunkt der Geschehnisse, die aus der Perspektive der sich erinnernden Kata geschildert werden, steht Isti, ihr jüngerer Bruder, der mit dem Weggang seiner Mutter nicht fertig wird. Er ist wohl auch der "Schwimmer": ohne Orientierung steckt er den Kopf unter Wasser und lässt sich treiben. Im Verlauf ihrer Odyssee nimmt der Vater immer weniger Notiz von seinen Kindern und verschwindet damit fast in derselben Weise wie Katalin. Mit dem Verlust seiner Eltern kommt Isti auf Dauer nicht zurecht. Seine Apathie endet schließlich in Selbstauslöschung.
Kindheitsdrama
Der Schwimmer ist ein eindringliches Kindheitsdrama, dessen Rhythmus den Leser in die Atmosphäre der geschilderten Szenen wiegt. Die auffallend kurzen und kompakten Abschnitte, die den Roman unterteilen, sind wie Atemzüge, deren Takt der Leser übernimmt. So entsteht die eigenartig melancholisch-schwebende Stimmung der Trauer, die durch Zsuzsa Bánks meisterhafte Sprache verstärkt wird. Zweifelsohne hat sie mit ihrem ersten Roman ein großartiges Stück Literatur geschaffen.
(Andreas Rötzer)