Das erstmals vor fünfzehn Jahren erschienene Buch "Der SED-Staat" wurde als die erste nach der Wiedervereinigung erschienene Gesamtdarstellung von Geschichte und Strukturen der DDR aufgenommen. Jetzt hat der Politologe Klaus Schroeder sein Buch vollständig überarbeitet und um mehrere Kapitel - u.a. Kultur, Umwelt, Sport, Rechtsextremismus, Korruption - sowie Kurzbiografien der wichtigsten politischen Akteure ergänzt. So ist in vielerlei Hinsicht ein neues Buch entstanden, das sich zwar auf das Grundgerüst der ursprünglichen Fassung bezieht, aber vieles neu komponiert und einordnet. In die umfassende Überarbeitung fließen die seit dem ersten Erscheinen veröffentlichten (wesentlichen) Darstellungen und Analysen zu Geschichte und Strukturen der DDR mit ein. Diese ergänzen, präzisieren oder modifizieren mitunter auch die frühere Darstellung. Zum Verständnis der deutschen Teilungs- und Vereinigungsgeschichte ist Schroeders Buch unverzichtbar.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nicht nur als Mittel gegen ostalgischen Geschichtsrevisionismus empfiehlt Karl Wilhelm Fricke diese erweiterte und überarbeitete Neuauflage von Klaus Schroeders Panorama der DDR. Dass der Autor historische Fehlwahrnehmungen und Legenden vermeidet und stattdessen enzyklopädisch Geschichte und Strukturen im SED-Staat untersucht, betreffend die Entwicklungszeit der DDR, wie auch zu Zeiten der friedlichen Revolution, detailliert, meinungsfreudig und gut dokumentiert, lässt Fricke regelrecht aufatmen. Zur Bändigung der Stofffülle lobt er sich die halbfett gedruckten Marginalien und inhaltlichen Zusammenfassungen der einzelnen Kapitel samt Kurzchroniken. Die Erweiterungen in den Abschnitten zur Abhängigkeit der DDR von der Sowjetunion und zu den innerdeutschen Verhältnissen der 70er und 80er Jahre sowie die neu hinzugekommenen Kapitel zu den innerdeutschen Flucht- und Wanderungsbewegungen und zur Kontaktpolitik der 60er Jahre fügen sich für Fricke umstandslos ein in ein rundum gelungenes Geschichtswerk, dessen Dokumententeil und Literaturübersicht er mehr als umfangreich findet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2013Schroeders Dritte
Ein enzyklopädisches Werk zur Geschichte des SED-Staates
Nicht nur mit Blick auf den DDR-nostalgischen Geschichtsrevisionismus, der fortwährend neue Sumpfblüten treibt, tat Klaus Schroeder gut daran, sein vor fünfzehn Jahren erstmalig erschienenes Werk "Der SED-Staat" in dritter Auflage herauszubringen, und zwar erheblich erweitert und überarbeitet. Denn sein Buch offeriert ein realistisches DDR-Bild ohne historische Fehlwahrnehmungen, Legenden und Verfälschungen. Dank der Einbeziehung neuer Themenfelder wuchs der Umfang im Vergleich zur Erstauflage um rund 350 Seiten. Entstanden ist ein geradezu enzyklopädisches Werk zu Geschichte und Strukturen der zweiten Diktatur in Deutschland.
Der Autor - Professor an der FU Berlin und Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat - behielt Aufbau und Gliederung im Wesentlichen wie in der Erstauflage bei. Die Darstellung der politisch-historischen Entwicklung der SBZ/DDR von 1945 bis 1990 macht den zehn Kapitel umfassenden Teil A aus. Sie beginnt mit dem Ende der NS-Herrschaft und der alliierten Nachkriegspolitik. Geschildert werden die Anfänge der "Volksdemokratie" in der SBZ, die unter dem Protektorat der sowjetischen Okkupationsmacht 1949 zur Gründung der DDR führen und die staatliche Spaltung Deutschlands vertiefen sollte. Die Krisen, die die SED unter der Ägide Ulbrichts mit der Etablierung ihres Regimes und der Errichtung ihres Repressionsapparates im Zuge des "Aufbaus des Sozialismus" in der DDR heraufbeschwor und die ihren Tiefpunkt mit dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 erfuhren, vermochte die Staatspartei im Grunde genommen erst mit den Sperrmaßnahmen vom 13. August 1961 zu bewältigen. Der Bau der Berliner Mauer war für die SED die Ultima Ratio ihres Machterhalts. Als Zeit der Versprechungen und Hoffnungen und deren schnelle Enttäuschung sieht der Autor die Ära Honecker, bis die DDR in den 1980er Jahren in Stagnation und Krise driftet. Mit ihrem unaufhaltsamen Niedergang und der friedlichen Revolution 1989/90 öffnet sich der Weg zum vereinten Deutschland.
Schroeder zeichnet das ausführlich nach, informativ und detailliert, mit Fakten und Daten untermauert, gut dokumentiert und meinungsfreudig, im Klartext sozusagen. Jedem Kapitel sind eine kurze inhaltliche Zusammenfassung und eine Chronik ausgesuchter Geschichtsdaten vorangestellt. Das erleichtert die Orientierung im Text, der zusätzlich durch halbfett gedruckte Marginalien erschlossen wird. Bei der Fülle, ja Überfülle des Stoffes eine didaktisch sinnvolle Idee, die die Handhabung des opulenten Wälzers als Nachschlagewerk erleichtert.
In Teil B folgen Darlegung und Analyse der Strukturen der DDR-Gesellschaft. Das politische System, seine Gestaltung und Inszenierung durch die SED werden beschrieben, die von ihr gesteuerte Justiz und die Staatssicherheit als "Schild und Schwert der Partei". Schließlich stellt der Autor die Ideologie der SED der Lebenswirklichkeit zwischen Ostsee und Fichtelgebirge gegenüber. Erheblich geändert beziehungsweise erweitert gegenüber der Erstauflage wurde Abschnitt C. Schroeder setzt sich darin mit der Abhängigkeit der DDR von der Sowjetunion auseinander sowie mit den durch Abgrenzung und Annäherung charakterisierten innerdeutschen Verhältnissen der 1970er und 1980er Jahre. Neu werden in eigenständigen Kapiteln die innerdeutschen Flucht- und Wanderungsbewegungen und die sich in den 1960er Jahren zögerlich anbahnende Kontaktpolitik abgehandelt. "Zentralistische Planwirtschaft versus soziale Marktwirtschaft" - unter dieser Überschrift thematisiert er den politisch-ideologischen "Kampf der Systeme" zwischen Ost und West.
Teil D ist der begrifflichen Einordnung der DDR in der Zeitgeschichtsforschung vorbehalten. Schroeder geizt nicht mit zuweilen polemischer Kritik an der westdeutschen DDR-Forschung vor 1990, speziell an dem systemimmanenten Forschungsansatz. Den SED-Staat definiert er als "(spät-)totalitären Versorgungs- und Überwachungsstaat", eine in der Zunft nicht unumstrittene Formulierung, mit der er schon in der Erstauflage operiert hat. Immerhin deutet sie implizit die Ursache an, aus welcher der DDR-Sozialismus gescheitert ist: dem "unaufhebbaren Widerspruch zwischen dem totalitären Gestaltungs- und Machtwillen der SED-Führung und den unzureichenden Entwicklungspotentialen einer hiervon gefesselten und blockierten Industriegesellschaft". Reformunfähigkeit heißt das Stichwort. Erweitert wurde im Übrigen der Dokumententeil, in dem 45 Zeitdokumente wiedergegeben werden. In Teil E hat der Autor 73 Kurzbiographien zu einer biographischen Übersicht über "die wichtigsten politischen Akteure der DDR" zusammengestellt, unter denen der Rezensent allerdings einige Schlüsselfiguren vermisst (Hilde Benjamin, Fechner, Ziller). Die schon in der Erstauflage umfangreiche Literaturübersicht wurde mit rund 1600 Titeln beträchtlich angereichert. Fachkollegen und Studierende, Geschichtslehrer und in der politischen Bildungsarbeit Tätige werden es zu schätzen wissen.
KARL WILHELM FRICKE
Klaus Schroeder: Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR 1949-1990. Böhlau Verlag, Köln 2013. XXII und 1134 S., 79,90 [Euro] (Subskriptionspreis bis 31. Dezember, später 99,- [Euro]).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein enzyklopädisches Werk zur Geschichte des SED-Staates
Nicht nur mit Blick auf den DDR-nostalgischen Geschichtsrevisionismus, der fortwährend neue Sumpfblüten treibt, tat Klaus Schroeder gut daran, sein vor fünfzehn Jahren erstmalig erschienenes Werk "Der SED-Staat" in dritter Auflage herauszubringen, und zwar erheblich erweitert und überarbeitet. Denn sein Buch offeriert ein realistisches DDR-Bild ohne historische Fehlwahrnehmungen, Legenden und Verfälschungen. Dank der Einbeziehung neuer Themenfelder wuchs der Umfang im Vergleich zur Erstauflage um rund 350 Seiten. Entstanden ist ein geradezu enzyklopädisches Werk zu Geschichte und Strukturen der zweiten Diktatur in Deutschland.
Der Autor - Professor an der FU Berlin und Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat - behielt Aufbau und Gliederung im Wesentlichen wie in der Erstauflage bei. Die Darstellung der politisch-historischen Entwicklung der SBZ/DDR von 1945 bis 1990 macht den zehn Kapitel umfassenden Teil A aus. Sie beginnt mit dem Ende der NS-Herrschaft und der alliierten Nachkriegspolitik. Geschildert werden die Anfänge der "Volksdemokratie" in der SBZ, die unter dem Protektorat der sowjetischen Okkupationsmacht 1949 zur Gründung der DDR führen und die staatliche Spaltung Deutschlands vertiefen sollte. Die Krisen, die die SED unter der Ägide Ulbrichts mit der Etablierung ihres Regimes und der Errichtung ihres Repressionsapparates im Zuge des "Aufbaus des Sozialismus" in der DDR heraufbeschwor und die ihren Tiefpunkt mit dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 erfuhren, vermochte die Staatspartei im Grunde genommen erst mit den Sperrmaßnahmen vom 13. August 1961 zu bewältigen. Der Bau der Berliner Mauer war für die SED die Ultima Ratio ihres Machterhalts. Als Zeit der Versprechungen und Hoffnungen und deren schnelle Enttäuschung sieht der Autor die Ära Honecker, bis die DDR in den 1980er Jahren in Stagnation und Krise driftet. Mit ihrem unaufhaltsamen Niedergang und der friedlichen Revolution 1989/90 öffnet sich der Weg zum vereinten Deutschland.
Schroeder zeichnet das ausführlich nach, informativ und detailliert, mit Fakten und Daten untermauert, gut dokumentiert und meinungsfreudig, im Klartext sozusagen. Jedem Kapitel sind eine kurze inhaltliche Zusammenfassung und eine Chronik ausgesuchter Geschichtsdaten vorangestellt. Das erleichtert die Orientierung im Text, der zusätzlich durch halbfett gedruckte Marginalien erschlossen wird. Bei der Fülle, ja Überfülle des Stoffes eine didaktisch sinnvolle Idee, die die Handhabung des opulenten Wälzers als Nachschlagewerk erleichtert.
In Teil B folgen Darlegung und Analyse der Strukturen der DDR-Gesellschaft. Das politische System, seine Gestaltung und Inszenierung durch die SED werden beschrieben, die von ihr gesteuerte Justiz und die Staatssicherheit als "Schild und Schwert der Partei". Schließlich stellt der Autor die Ideologie der SED der Lebenswirklichkeit zwischen Ostsee und Fichtelgebirge gegenüber. Erheblich geändert beziehungsweise erweitert gegenüber der Erstauflage wurde Abschnitt C. Schroeder setzt sich darin mit der Abhängigkeit der DDR von der Sowjetunion auseinander sowie mit den durch Abgrenzung und Annäherung charakterisierten innerdeutschen Verhältnissen der 1970er und 1980er Jahre. Neu werden in eigenständigen Kapiteln die innerdeutschen Flucht- und Wanderungsbewegungen und die sich in den 1960er Jahren zögerlich anbahnende Kontaktpolitik abgehandelt. "Zentralistische Planwirtschaft versus soziale Marktwirtschaft" - unter dieser Überschrift thematisiert er den politisch-ideologischen "Kampf der Systeme" zwischen Ost und West.
Teil D ist der begrifflichen Einordnung der DDR in der Zeitgeschichtsforschung vorbehalten. Schroeder geizt nicht mit zuweilen polemischer Kritik an der westdeutschen DDR-Forschung vor 1990, speziell an dem systemimmanenten Forschungsansatz. Den SED-Staat definiert er als "(spät-)totalitären Versorgungs- und Überwachungsstaat", eine in der Zunft nicht unumstrittene Formulierung, mit der er schon in der Erstauflage operiert hat. Immerhin deutet sie implizit die Ursache an, aus welcher der DDR-Sozialismus gescheitert ist: dem "unaufhebbaren Widerspruch zwischen dem totalitären Gestaltungs- und Machtwillen der SED-Führung und den unzureichenden Entwicklungspotentialen einer hiervon gefesselten und blockierten Industriegesellschaft". Reformunfähigkeit heißt das Stichwort. Erweitert wurde im Übrigen der Dokumententeil, in dem 45 Zeitdokumente wiedergegeben werden. In Teil E hat der Autor 73 Kurzbiographien zu einer biographischen Übersicht über "die wichtigsten politischen Akteure der DDR" zusammengestellt, unter denen der Rezensent allerdings einige Schlüsselfiguren vermisst (Hilde Benjamin, Fechner, Ziller). Die schon in der Erstauflage umfangreiche Literaturübersicht wurde mit rund 1600 Titeln beträchtlich angereichert. Fachkollegen und Studierende, Geschichtslehrer und in der politischen Bildungsarbeit Tätige werden es zu schätzen wissen.
KARL WILHELM FRICKE
Klaus Schroeder: Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR 1949-1990. Böhlau Verlag, Köln 2013. XXII und 1134 S., 79,90 [Euro] (Subskriptionspreis bis 31. Dezember, später 99,- [Euro]).
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