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Paul Eck wird von seinem Vater überraschend an den Neusiedler See eingeladen. Als er dort eintrifft, verschwindet sein Vater jedoch spurlos. Man vermutet einen Bootsunfall. Paul beginnt mit genaueren Nachforschungen, stößt bald auf dunkle Geschäfte und gerät aber selbst in Verdacht, seinen Vater beseitigt zu haben. Mit den Elementen der klassischen Detektivgeschichte porträtiert Roth eine durch Verbrechen und Korruption aus den Fugen geratene Gesellschaft.

Produktbeschreibung
Paul Eck wird von seinem Vater überraschend an den Neusiedler See eingeladen. Als er dort eintrifft, verschwindet sein Vater jedoch spurlos. Man vermutet einen Bootsunfall. Paul beginnt mit genaueren Nachforschungen, stößt bald auf dunkle Geschäfte und gerät aber selbst in Verdacht, seinen Vater beseitigt zu haben. Mit den Elementen der klassischen Detektivgeschichte porträtiert Roth eine durch Verbrechen und Korruption aus den Fugen geratene Gesellschaft.
Autorenporträt
Gerhard Roth, geboren 1942 in Graz und gestorben im Februar 2022, war einer der wichtigsten österreichischen Autoren. Er veröffentlichte zahlreiche Romane, Erzählungen, Essays und Theaterstücke, darunter den 1991 abgeschlossenen siebenbändigen Zyklus »Die Archive des Schweigens« und den nachfolgenden Zyklus »Orkus«. Zuletzt erschienen die drei Venedig-Romane »Die Irrfahrt des Michael Aldrian«, »Die Hölle ist leer ¿ die Teufel sind alle hier« und »Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe«. Sein nun letzter Roman »Die Imker« ist im Mai 2022 erschienen. Literaturpreise (Auswahl):Preis der »SWF-Bestenliste«Alfred-Döblin-PreisMarie-Luise-Kaschnitz-PreisPreis des Österreichischen BuchhandelsBruno-Kreisky-Preis 2003Großes Goldenes Ehrenzeichen der Stadt Wien 2003Jakob-Wassermann-Preis 2012Jeanette-Schocken-Preis 2015Jean-Paul-Preis 2015Großer Österreichischer Staatspreis 2016Hoffmann-von-Fallersleben-Preis 2016
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.09.1995

Archive im Sumpf
Auch seichte Wasser bergen Leichen: Gerhard Roths "Der See"

Gerhard Roth, so kündigt der Fischer-Verlag seinen neuen Essayband "Das doppelköpfige Österreich" an, "genießt einen nahezu legendären Ruf" als unermüdlich polemisierender Nestbeschmutzer. "Im Land der Mörder", wo dem letzten Rothschen Zensus zufolge immer noch eine absolute Mehrheit der Einwohner Nazis sind, ist es nachgerade eine Kunst, keiner zu sein. Wer nicht Antisemit, Waldheim oder Ausländerhasser ist, auch nicht Jäger, verstockter Trachtenträger oder verluderter Pressemensch, wird darum naturgemäß Künstler im Reich der Toten.

Roth, der es schon seit dem vierzehnten Lebensjahr "für notwendig hält, über die Vergangenheit nachzudenken", hat in seinen siebenbändigen "Archiven des Schweigens" dasselbe gebrochen und immer wieder das "erhellende Wort" in das "Schweigen der Lämmer" zu mengen versucht. "Der See", die erste größere Prosa nach dem 1991 vollendeten Zyklus, schwebt nun als Echo der großen Klage matt über den Wassern des Neusiedler Sees.

War Roth in den "Archiven" von der heimatlichen Steiermark bis in die Unterwelt Wiens vorgedrungen, so erschließt er sich jetzt den See an der ungarischen Grenze für seine Topographie des Gemütsterrors. Der Neusiedler See gilt bekanntlich trotz seines harmlosen Anscheins als tückisch. Keine zwei Meter tief, versandet und seicht, ist er doch unergründlich genug, um abgehackte Glieder, Wasserleichen und die dazugehörigen verdrängten Traumata stückweise freizugeben: der rechte Platz, um die Untiefen österreichischer Vergangenheit und Gegenwart auszuloten.

Roths Tauchfahrt des Schreckens konnte also nur ein Krimi werden. Freilich einer, der selten einmal die Gesetze des Genres erfüllt: Spannung wird eher behauptet als beschworen, und die Aufklärung im polizeilichen wie im philosophischen Sinne nährt sich vorzugsweise aus zufällig herumliegenden Zeitungen. Die Verdächtigen jedenfalls, so viel darf man verraten, sind politisch korrekt: ein serbischer Waffenhändler im Verein mit einem arabischen Terroristen, einem Altnazi und dem zwielichtigen Waffennarren Dr. Goriupp.

Weil ihn ein böser Kritiker einmal den "hysterischen Hausarzt" genannt hat, unterzieht Roth nicht nur die Fremdenverkehrsprospekte einer kritischen Lektüre, sondern stochert, selber Arztsohn und ehemaliger Medizinstudent, gleich auch in der Wunde Österreich und im Geschwür seiner niedergelassenen Ärzteschaft. Den Vorwand zum Doktorspiel liefert Paul Eck, ein tablettentüchtiger, von schizophrenen Schüben und Halluzinationen heimgesuchter Pharmavertreter, der zahllose Radiologen, HNO- und Zahnärzte besucht, die ihre Patienten fast so schlimm malträtieren wie die Nazis einst ihre Opfer im KZ.

Eck haust, bewaffnet und unter falschem Namen, auf einem Campingplatz, einem Pandämonium von Unrat und Spießertum. Schnell fallen sie übereinander her oder jubeln dem politischen "Hoffnungsträger" zu, einem Jörg Haider nachempfundenen Demagogen, bei dessen Wahlrede Eck instinktiv seinen Revolver entsichert. Der Schuß will sich nicht lösen, das Ferienidyll bleibt eine Hölle, häßlich und brutal. Ein schwuler Piefke fällt, zum Nachteil des Fremdenverkehrs, dem Kettensägenmassaker zweier Soldaten anheim, die als Söldner im jugoslawischen Krieg verrohten.

So wird Eck immer wieder Zeuge und fast auch Opfer sinnloser Gewaltexzesse. Ab und zu prangt ein Hakenkreuz auf einem Wartehäuschen. "Ich nehme an, daß alles irgendwie zusammenhängt", kombiniert Inspektor Schäffer die halbverwesten Leichenteile, die aus Schilf, Sumpf und kollektivem Unterbewußtsein auftauchen. Daß Eck sich mit Alkohol und einer Mischung aus Schmerz-, Schlaf- und Aufputschmitteln betäubt, darf nach all dem niemand verwundern. Bruchlos verfällt er aus Phasen der politischen oder sexuellen Erregung in ansteckende Schlaf- und Dämmerzustände. Eck ist nämlich ein am Rande der Gesellschaft dahintreibender Mann auf der Suche nach Identität, Vater und Vaterland. Eck senior war offenbar eine Art Pate des Sees, verantwortlich nicht nur für Umweltfrevel, Menschen- und Waffenhandel, sondern womöglich auch schuld am Selbstmord der Mutter.

Allein, selbst der traditionelle Vater-Sohn-Konflikt versandet im Schlick beziehungsloser Details: Ziellos und beinahe somnambul, von Silberfischchen und rabiaten Polizisten verfolgt, erkundet Eck den See zu Lande, zu Wasser und in der Luft und stolpert von einer Sehenswürdigkeit ins nächste Wartezimmer, ohne Gedanken festhalten oder Entschlüsse fassen zu können. Kein Sturm vermag das stille Wasser des ermittelnden Subjekts zu trüben. "Der See" will Kriminal- und Familienroman zugleich sein; er ist weder Fisch noch Fleisch. MARTIN HALTER

Gerhard Roth: "Der See". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1995. 236 S., geb., 38,- DM.

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