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Paul Eck, ein tablettensüchtiger Arzneimittelvertreter, wird von seinem Vater überraschend an den Neusiedler See eingeladen. Die beiden haben sich seit Jahrzehnten nicht gesehen. An dem Tag, an dem Eck am See eintrifft, verschwindet der Vater spurlos. Der Sohn versucht, Licht in die Vergangenheit des Vaters zu bringen, und entdeckt, daß dieser in dubiose Waffengeschäfte verstrickt war. Er betreibt Nachforschungen bei den Anwohnern des Sees und stößt auf eine Mauer des Schweigens.

Produktbeschreibung
Paul Eck, ein tablettensüchtiger Arzneimittelvertreter, wird von seinem Vater überraschend an den Neusiedler See eingeladen. Die beiden haben sich seit Jahrzehnten nicht gesehen. An dem Tag, an dem Eck am See eintrifft, verschwindet der Vater spurlos. Der Sohn versucht, Licht in die Vergangenheit des Vaters zu bringen, und entdeckt, daß dieser in dubiose Waffengeschäfte verstrickt war. Er betreibt Nachforschungen bei den Anwohnern des Sees und stößt auf eine Mauer des Schweigens.
Autorenporträt
Gerhard Roth, 1942 in Graz geboren, war nach seinem Medizinstudium Organisationsleiter im Rechenzentrum Graz. Heute lebt er als freier Autor in Wien und in der Steiermark. Roth wurde unter anderem mit dem Preis der SWF-Bestenliste, dem "Alfred-Döblin-Preis" und dem "Preis des Österreichischen Buchhandels" ausgezeichnet. 2012 erhielt er den "Jakob-Wassermann-Literaturpreis" der Stadt Fürth, 2015 den "Jean-Paul-Preis" und 2016 den "Hoffmann-von-Fallersleben-Preis" für zeitkritische Literatur sowie den "Großen Österreichischen Staatspreis".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.09.1995

Archive im Sumpf
Auch seichte Wasser bergen Leichen: Gerhard Roths "Der See"

Gerhard Roth, so kündigt der Fischer-Verlag seinen neuen Essayband "Das doppelköpfige Österreich" an, "genießt einen nahezu legendären Ruf" als unermüdlich polemisierender Nestbeschmutzer. "Im Land der Mörder", wo dem letzten Rothschen Zensus zufolge immer noch eine absolute Mehrheit der Einwohner Nazis sind, ist es nachgerade eine Kunst, keiner zu sein. Wer nicht Antisemit, Waldheim oder Ausländerhasser ist, auch nicht Jäger, verstockter Trachtenträger oder verluderter Pressemensch, wird darum naturgemäß Künstler im Reich der Toten.

Roth, der es schon seit dem vierzehnten Lebensjahr "für notwendig hält, über die Vergangenheit nachzudenken", hat in seinen siebenbändigen "Archiven des Schweigens" dasselbe gebrochen und immer wieder das "erhellende Wort" in das "Schweigen der Lämmer" zu mengen versucht. "Der See", die erste größere Prosa nach dem 1991 vollendeten Zyklus, schwebt nun als Echo der großen Klage matt über den Wassern des Neusiedler Sees.

War Roth in den "Archiven" von der heimatlichen Steiermark bis in die Unterwelt Wiens vorgedrungen, so erschließt er sich jetzt den See an der ungarischen Grenze für seine Topographie des Gemütsterrors. Der Neusiedler See gilt bekanntlich trotz seines harmlosen Anscheins als tückisch. Keine zwei Meter tief, versandet und seicht, ist er doch unergründlich genug, um abgehackte Glieder, Wasserleichen und die dazugehörigen verdrängten Traumata stückweise freizugeben: der rechte Platz, um die Untiefen österreichischer Vergangenheit und Gegenwart auszuloten.

Roths Tauchfahrt des Schreckens konnte also nur ein Krimi werden. Freilich einer, der selten einmal die Gesetze des Genres erfüllt: Spannung wird eher behauptet als beschworen, und die Aufklärung im polizeilichen wie im philosophischen Sinne nährt sich vorzugsweise aus zufällig herumliegenden Zeitungen. Die Verdächtigen jedenfalls, so viel darf man verraten, sind politisch korrekt: ein serbischer Waffenhändler im Verein mit einem arabischen Terroristen, einem Altnazi und dem zwielichtigen Waffennarren Dr. Goriupp.

Weil ihn ein böser Kritiker einmal den "hysterischen Hausarzt" genannt hat, unterzieht Roth nicht nur die Fremdenverkehrsprospekte einer kritischen Lektüre, sondern stochert, selber Arztsohn und ehemaliger Medizinstudent, gleich auch in der Wunde Österreich und im Geschwür seiner niedergelassenen Ärzteschaft. Den Vorwand zum Doktorspiel liefert Paul Eck, ein tablettentüchtiger, von schizophrenen Schüben und Halluzinationen heimgesuchter Pharmavertreter, der zahllose Radiologen, HNO- und Zahnärzte besucht, die ihre Patienten fast so schlimm malträtieren wie die Nazis einst ihre Opfer im KZ.

Eck haust, bewaffnet und unter falschem Namen, auf einem Campingplatz, einem Pandämonium von Unrat und Spießertum. Schnell fallen sie übereinander her oder jubeln dem politischen "Hoffnungsträger" zu, einem Jörg Haider nachempfundenen Demagogen, bei dessen Wahlrede Eck instinktiv seinen Revolver entsichert. Der Schuß will sich nicht lösen, das Ferienidyll bleibt eine Hölle, häßlich und brutal. Ein schwuler Piefke fällt, zum Nachteil des Fremdenverkehrs, dem Kettensägenmassaker zweier Soldaten anheim, die als Söldner im jugoslawischen Krieg verrohten.

So wird Eck immer wieder Zeuge und fast auch Opfer sinnloser Gewaltexzesse. Ab und zu prangt ein Hakenkreuz auf einem Wartehäuschen. "Ich nehme an, daß alles irgendwie zusammenhängt", kombiniert Inspektor Schäffer die halbverwesten Leichenteile, die aus Schilf, Sumpf und kollektivem Unterbewußtsein auftauchen. Daß Eck sich mit Alkohol und einer Mischung aus Schmerz-, Schlaf- und Aufputschmitteln betäubt, darf nach all dem niemand verwundern. Bruchlos verfällt er aus Phasen der politischen oder sexuellen Erregung in ansteckende Schlaf- und Dämmerzustände. Eck ist nämlich ein am Rande der Gesellschaft dahintreibender Mann auf der Suche nach Identität, Vater und Vaterland. Eck senior war offenbar eine Art Pate des Sees, verantwortlich nicht nur für Umweltfrevel, Menschen- und Waffenhandel, sondern womöglich auch schuld am Selbstmord der Mutter.

Allein, selbst der traditionelle Vater-Sohn-Konflikt versandet im Schlick beziehungsloser Details: Ziellos und beinahe somnambul, von Silberfischchen und rabiaten Polizisten verfolgt, erkundet Eck den See zu Lande, zu Wasser und in der Luft und stolpert von einer Sehenswürdigkeit ins nächste Wartezimmer, ohne Gedanken festhalten oder Entschlüsse fassen zu können. Kein Sturm vermag das stille Wasser des ermittelnden Subjekts zu trüben. "Der See" will Kriminal- und Familienroman zugleich sein; er ist weder Fisch noch Fleisch. MARTIN HALTER

Gerhard Roth: "Der See". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1995. 236 S., geb., 38,- DM.

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