Danny Smiricky, ein tschechischer Schriftsteller, Held des Romans "Eine prima Saison", flieht 1968 aus seiner Heimat und sucht in der scheinbar friedlichen Welt Kanadas Zuflucht. Die politische Naivität der akademischen Kreise, in die er gerät, stört ihn, über die konterrevolutionären Pläne seiner Emigrantenfreunde macht er sich lustig. Erinnerungen an die Heimat und die Frau, die er einst geliebt hat, verfolgen ihn; er träumt von einer anderen Welt, bevölkert von anderen Menschen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.01.1999Konfessionen eines Swingkids
Josef Skvoreckýs grandiose Satire auf die Holzköpfe dieser Welt · Von Peter Demetz
Rabelais, Cervantes und Hasek, der Erfinder des guten Soldaten Schwejk, sind die Vorfahren des nahezu fünfundsiebzigjährigen tschechischen Schriftstellers Josef Skvorecký. Das ist aber nur seine halbe Ahnentafel, denn auf der anderen Seite kommt er vom Jazz, vor allem dem Swing der vierziger und fünfziger Jahre, und vom Film her. Deutsche Leser wollen Dissidenten, die tschechischen und die anderen, unmutig visionären Blicks und metaphysisch engagiert, nicht skeptisch, fast pausbäckig heiter und selbstironisch, und das erklärt, warum ein wagemutiger Wiener Verlag Skvoreckýs "Der Seeleningenieur" erst heute publiziert - mehr als zwanzig Jahre nach seinem ersten Erscheinen und vierzehn Jahre nach der erfolgreichen amerikanischen Übersetzung. Ganz im Gegensatz zu Skvoreckýs Vaterland, wo man eben eine geradezu klassisch würdige Ausgabe seiner Gesammelten Werke ediert, heute schon Band zehn, und das ist noch lange nicht das Ende.
Skvorecký spricht selten, aber eigentlich immer von sich selbst, zumeist aus dem Munde eines gewissen Danny Smirický, ehemals Gymnasiast, Saxophonist und ziemlich platonischer Schürzenjäger aus der böhmischen Kleinstadt Kostelec, die er auch in seinem kanadischen Exil nicht vergessen kann. Er unterrichtet amerikanische Literatur und Filmgeschichte in Toronto; und es genügt, daß ein Student im Seminar ein langweiliges Referat vom Blatte liest, und schon erinnert sich Professor Danny in einem mühelosen Flashback an seine Flirts mit der schlagfertigen Irena oder der blonden Marie oder gar seiner Liebe zur ewig hungrigen Arbeiterin Nadja, so vor Jahrzehnten in dem von der deutschen Wehrmacht okkupierten Protektorat Böhmen-Mähren. Kostelec (eigentlich die reale nordostböhmische Kleinstadt Náchod) ist ein permanenter Zustand seiner Seele mit Billardcafé, Metallfabrik, Eislaufplatz und Schloß - ebenjenes, das nach Meinung künftiger Kritiker Franz Kafka auf einer seiner Amtsreisen erblickte und in seinem Roman abbildete. Sein Landvermesser K. bleibt aber im Schnee stecken, Danny hingegen, Swingkid und Schreiber der von Gymnasiastinnen hoch geschätzten Liebesbriefe, geht mit den jungen Damen eislaufen oder ins Kino.
Im barocken Untertitel seiner Danny-Konfessionen verspricht uns Skvorecký "Amüsantes zu den alten Themen des Lebens - Frauen, Schicksal, Träume, Arbeiterklasse, Spitzel, Liebe und Tod". Er hält buchstäblich Wort, denn in den mehr als siebenhundertfünfzig Seiten seines Buches lebt die ganze Geschichte Mitteleuropas vom Zweiten Weltkrieg bis auf den Prager Frühling und, danach, die folgende Epoche der Restalinisierung. Im Krieg arbeitet Danny im "Totaleinsatz" in der Messerschmitt-Filiale in Kostelec, versucht sich als heroischer Saboteur (wer angibt, hat mehr vom Leben, besonders bei der patriotischen Nadja), studiert dann dies und das in Prag und schreibt ein frühes Musical, das die schon kommunistischen Ämter in Kostelec, aber auch die dortige Damenwelt provoziert (einige seiner berühmten Liebesbriefe sind eingearbeitet). Er emigriert dann nach Kanada, wo er vergebens versucht, die "Kinder der Prärie", wie er seine kanadischen Studenten nennt, davon zu überzeugen, das absurde Leben sei schön und fürchterlich zugleich; mit einem amerikanischen Vietnam-Deserteur hat er seine pädagogischen Schwierigkeiten, denn der will alles in Schwarz und Weiß sehen, aber eine der Studentinnen heißt auch Irena, und das hat seine voraussehbaren Folgen.
Im Mourek Inn in Toronto treffen Dannys Mitflüchtlinge der verschiedensten Jahrgänge und politischen Neigungen zusammen, um ihren böhmischen Nostalgien kollektiv und am Tresen zu frönen; Fräulein Tussie, die nur darauf gewartet hat, die kanadische Staatsbürgerschaft zu erwerben, um dann gleich nach Prag zu fahren und Polizisten am Wenzelsplatz durch ihr enganliegendes Sweatshirt herauszufordern; und da ist auch ein gewisser Herr Skvorecký, immer schon ein wenig whiskeybesäuselt (laut Dannys Angaben), der bescheidene Gatte einer resoluten Verlegerin, die ihre Perücken je nach Anlaß zu wechseln liebt (Skvorecký und seine Frau, die Nichtfiktiven, haben in zwanzigjähriger Tätigkeit ihres Unternehmens Sixty-Eight Publishers die wichtigsten Bücher des Exils und der Samisdat-Literatur publiziert, und Präsident Havel hat sie dafür mit dem höchsten Orden der Republik ausgezeichnet).
Kostelec-Vergangenheit und Toronto-Gegenwart, Erinnerung und Flüchtlingsgespräche sind von einer dritten Dimension des Textes getragen und kontrapunktisch durchbrochen - von den vielen Briefen, die alte Kumpel und Freundinnen aus der ganzen Welt an Danny schreiben, um ihm über ihr Leben zu berichten; der brave Arbeiter Lojza, zuletzt LPG-Skribent, der selbst in der entlegenen Slowakei zweimal wöchentlich ins Dorfkino geht und der glorreichen Heidemarie Hatheyer nachtrauert; der Poet Jan, der sich in den Kopf gesetzt hat, auch in der Diktatur als Revolutionär zu schreiben (vergebens); ein windiger und geschäftstüchtiger Wendehals-Dramatiker; die Schulfreundin Rebekka Silbernagel, die Theresienstadt und Auschwitz überlebte, in einem Kibbuz arbeitet und ihren Sohn, Offizier im Fünf-Tage-Krieg, durch eine arabische Bombe verliert; und Prema, der treueste aller Treuen, Revoluzzer aus Instinkt, der zuerst ein deutsches Benzinlager in die Luft jagt, später gegen die Kommunisten konspiriert, in die Fremdenlegion flüchtet und in Australien umkommt, nachdem er im Prager Frühling noch einmal versucht, nach Kostelec zurückzukehren.
Skvorecký oder eigentlich Danny nennt sich selbst einen "unernsten Erzähler zynischer Geschichten", aber so zynisch ist er auch wieder nicht, denn er hat seine Fähigkeit, eine Träne aus den Augen zu wischen, noch lange nicht verloren. Er gibt sich nicht wie sein italienischer Kollege Roberto Benigni in seinem vielgerühmten Film "Das Leben ist schön" der Illusion hin, daß man dem Zeitalter der Shoa und der Diktaturen mit begabten Clownerien allein beikommen könnte.
Skvoreckýs Satiren auf die "Holzköpfe", welche die Welt auf eine Formel reduzieren wollen, sind scharf und störrisch, aber er schämt sich einer schweigsameren Ergriffenheit nicht, wenn er von den Opfern und den Toten erzählt. Dannys Bericht über seine Erfahrungen im Messerschmitt-Werk zeigt, wie er das Groteske und das Tragische wunderbar balanciert. Auf den Männer-Aborten tagt die "Klo-Universität" in Permanenz (man diskutiert interessante Fragen, wie zum Beispiel die Topographie der Insel Atlantis, in aller Ruhe, und nur wenn der Mann vom Werkschutz erscheint, drängt alles zur Pißrinne); und auf dem Werkhof arbeitet ein besonders eifriges Kommando, das bunte Fässer von Ecke zu Ecke rollt, die immer gleichen, um den Anschein verbissener Arbeit für das Reich zu erwecken. Es geschieht aber auch anderes; Danny, gegen seine bürgerlichen Gewohnheiten, liebt die magere Nadja, die mit dem breiten Mund und den fiebrigen Augen, und muß mitansehen, wie die Tuberkulose sie verzehrt. Sie gibt ihm das einzige, was sie besitzt, sich selbst, und er kommt dann zu ihrem Begräbnis zu spät.
Danny darf von Glück sagen, denn sein tschechischer Meister (der selbst in die professionellere Sabotage von V2-Düsen verwickelt ist) deckt ihn, um eine Untersuchung in seiner Abteilung zu vermeiden; und der deutsche Oberkontrolleur, ein Amerika-Deutscher, der im Jahre 1933 aus Detroit heim ins Reich gekehrt ist, entdeckt, daß Danny, der Jazzfan, Englisch spricht, und macht kein Hehl aus seinen politischen Enttäuschungen. Im Mai 1945 wird der Oberkontrolleur von der "Revolutionsgarde" verhaftet, Danny bemüht sich, ihn zu retten (aber, typisch Danny, nicht konsequent genug, weil er abends mit Irena ins Kino will), und als er am anderen Morgen wiederkommt, um für den Oberkontrolleur zu bürgen, liegt der tot im Keller, und die Kollegen Revolutionsgardisten sagen hämisch, er hätte sich bei einem unglücklichen Fall die Treppe hinab das Genick gebrochen. Es gibt in diesem Roman keine Statisten, denn Dannys besserer Hang nach Geschichten ist ein Symptom seiner Humanität (nur die Episoden von den dummen Damen, die dem Prager Regime Spitzeldienste leisten, bedürften des Rotstifts). Danny will jedem Menschen, wenn möglich, Gerechtigkeit widerfahren lassen, und das geht nicht, ohne seine besondere Lebensgeschichte zu erzählen. Der ungewöhnliche Umfang des Buches hat eine ethische Dimension.
Von den drei bedeutendsten tschechischen Schriftstellern und Autorinnen der Exilwelle nach dem Dahinwelken des Prager Frühlings hat Skvorecký seiner Muttersprache die ungestörteste Loyalität bewahrt. Libuse Moniková, die allzu früh Verstorbene, hat seit Anfang ihres Exils in deutscher Sprache publiziert; Milan Kundera, der ambitiöse Künstler, hat seine beiden jüngsten Arbeiten französisch geschrieben, und obgleich Skvorecký unlängst einen amerikanischen Bürgerkriegsroman amerikanisch schrieb, produzierte er zugleich, wie er pragmatisch bemerkte, eine tschechische Fassung, um den Übersetzer zu sparen. Es wäre einfach zu sagen, Skvorecký sei ja im Grunde ein altmodischer Patriot, aber das ist es nicht allein, denn seine Loyalität zur Muttersprache leitet sich von der besonderen Art seines Talentes her. Er hat "ein akustisches Gedächtnis", das ihn befähigt oder gar dazu verdammt, Gespräche, die er vor Jahrzehnten hörte, Wort für Wort aufzubewahren; der Dialog oder das Miteinander vieler Stimmen ist sein artistisches Element, und nichts Gesprochenes geht je verloren.
Seine Übersetzerin Marcela Euler hatte keine einfache Arbeit zu bewältigen, aber sie hat die Prüfung bei Professor Skvorecký glanzvoll bestanden. Ich glaube ihr zwar nicht, daß das Schimpfwort "Blödmann" in einer deutschen Konversation der vierziger Jahre historisch funktioniert (später! später!), aber sie folgt dem tschechischen Text mit Intelligenz und Gestaltungskraft und läßt sich auch durch das englisch-tschechische Idiom vieler Flüchtlinge nicht aus der sprachlichen oder orthographischen Fassung bringen ("Unfortschnetly bin ich gerade bysy"). Die philologischen Idiosynkrasien der vielen Korrespondenzen Dannys bewältigt sie mit Sicherheit und Witz. Skvoreckýs "Seeleningenieur" ist ein weiser, komischer, trauriger und unterhaltsamer Roman aus vielen Romanen, und Marcela Eulers Übersetzung im authentischen Ton sollte dem Buch endlich jene Anerkennung und Sympathie sichern, die es längst verdient.
Josef Skvorecký: "Der Seeleningenieur". Roman. Aus dem Tschechischen übersetzt von Marcela Euler. Deuticke Verlag, Wien 1998. 764 S., geb., 49,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Josef Skvoreckýs grandiose Satire auf die Holzköpfe dieser Welt · Von Peter Demetz
Rabelais, Cervantes und Hasek, der Erfinder des guten Soldaten Schwejk, sind die Vorfahren des nahezu fünfundsiebzigjährigen tschechischen Schriftstellers Josef Skvorecký. Das ist aber nur seine halbe Ahnentafel, denn auf der anderen Seite kommt er vom Jazz, vor allem dem Swing der vierziger und fünfziger Jahre, und vom Film her. Deutsche Leser wollen Dissidenten, die tschechischen und die anderen, unmutig visionären Blicks und metaphysisch engagiert, nicht skeptisch, fast pausbäckig heiter und selbstironisch, und das erklärt, warum ein wagemutiger Wiener Verlag Skvoreckýs "Der Seeleningenieur" erst heute publiziert - mehr als zwanzig Jahre nach seinem ersten Erscheinen und vierzehn Jahre nach der erfolgreichen amerikanischen Übersetzung. Ganz im Gegensatz zu Skvoreckýs Vaterland, wo man eben eine geradezu klassisch würdige Ausgabe seiner Gesammelten Werke ediert, heute schon Band zehn, und das ist noch lange nicht das Ende.
Skvorecký spricht selten, aber eigentlich immer von sich selbst, zumeist aus dem Munde eines gewissen Danny Smirický, ehemals Gymnasiast, Saxophonist und ziemlich platonischer Schürzenjäger aus der böhmischen Kleinstadt Kostelec, die er auch in seinem kanadischen Exil nicht vergessen kann. Er unterrichtet amerikanische Literatur und Filmgeschichte in Toronto; und es genügt, daß ein Student im Seminar ein langweiliges Referat vom Blatte liest, und schon erinnert sich Professor Danny in einem mühelosen Flashback an seine Flirts mit der schlagfertigen Irena oder der blonden Marie oder gar seiner Liebe zur ewig hungrigen Arbeiterin Nadja, so vor Jahrzehnten in dem von der deutschen Wehrmacht okkupierten Protektorat Böhmen-Mähren. Kostelec (eigentlich die reale nordostböhmische Kleinstadt Náchod) ist ein permanenter Zustand seiner Seele mit Billardcafé, Metallfabrik, Eislaufplatz und Schloß - ebenjenes, das nach Meinung künftiger Kritiker Franz Kafka auf einer seiner Amtsreisen erblickte und in seinem Roman abbildete. Sein Landvermesser K. bleibt aber im Schnee stecken, Danny hingegen, Swingkid und Schreiber der von Gymnasiastinnen hoch geschätzten Liebesbriefe, geht mit den jungen Damen eislaufen oder ins Kino.
Im barocken Untertitel seiner Danny-Konfessionen verspricht uns Skvorecký "Amüsantes zu den alten Themen des Lebens - Frauen, Schicksal, Träume, Arbeiterklasse, Spitzel, Liebe und Tod". Er hält buchstäblich Wort, denn in den mehr als siebenhundertfünfzig Seiten seines Buches lebt die ganze Geschichte Mitteleuropas vom Zweiten Weltkrieg bis auf den Prager Frühling und, danach, die folgende Epoche der Restalinisierung. Im Krieg arbeitet Danny im "Totaleinsatz" in der Messerschmitt-Filiale in Kostelec, versucht sich als heroischer Saboteur (wer angibt, hat mehr vom Leben, besonders bei der patriotischen Nadja), studiert dann dies und das in Prag und schreibt ein frühes Musical, das die schon kommunistischen Ämter in Kostelec, aber auch die dortige Damenwelt provoziert (einige seiner berühmten Liebesbriefe sind eingearbeitet). Er emigriert dann nach Kanada, wo er vergebens versucht, die "Kinder der Prärie", wie er seine kanadischen Studenten nennt, davon zu überzeugen, das absurde Leben sei schön und fürchterlich zugleich; mit einem amerikanischen Vietnam-Deserteur hat er seine pädagogischen Schwierigkeiten, denn der will alles in Schwarz und Weiß sehen, aber eine der Studentinnen heißt auch Irena, und das hat seine voraussehbaren Folgen.
Im Mourek Inn in Toronto treffen Dannys Mitflüchtlinge der verschiedensten Jahrgänge und politischen Neigungen zusammen, um ihren böhmischen Nostalgien kollektiv und am Tresen zu frönen; Fräulein Tussie, die nur darauf gewartet hat, die kanadische Staatsbürgerschaft zu erwerben, um dann gleich nach Prag zu fahren und Polizisten am Wenzelsplatz durch ihr enganliegendes Sweatshirt herauszufordern; und da ist auch ein gewisser Herr Skvorecký, immer schon ein wenig whiskeybesäuselt (laut Dannys Angaben), der bescheidene Gatte einer resoluten Verlegerin, die ihre Perücken je nach Anlaß zu wechseln liebt (Skvorecký und seine Frau, die Nichtfiktiven, haben in zwanzigjähriger Tätigkeit ihres Unternehmens Sixty-Eight Publishers die wichtigsten Bücher des Exils und der Samisdat-Literatur publiziert, und Präsident Havel hat sie dafür mit dem höchsten Orden der Republik ausgezeichnet).
Kostelec-Vergangenheit und Toronto-Gegenwart, Erinnerung und Flüchtlingsgespräche sind von einer dritten Dimension des Textes getragen und kontrapunktisch durchbrochen - von den vielen Briefen, die alte Kumpel und Freundinnen aus der ganzen Welt an Danny schreiben, um ihm über ihr Leben zu berichten; der brave Arbeiter Lojza, zuletzt LPG-Skribent, der selbst in der entlegenen Slowakei zweimal wöchentlich ins Dorfkino geht und der glorreichen Heidemarie Hatheyer nachtrauert; der Poet Jan, der sich in den Kopf gesetzt hat, auch in der Diktatur als Revolutionär zu schreiben (vergebens); ein windiger und geschäftstüchtiger Wendehals-Dramatiker; die Schulfreundin Rebekka Silbernagel, die Theresienstadt und Auschwitz überlebte, in einem Kibbuz arbeitet und ihren Sohn, Offizier im Fünf-Tage-Krieg, durch eine arabische Bombe verliert; und Prema, der treueste aller Treuen, Revoluzzer aus Instinkt, der zuerst ein deutsches Benzinlager in die Luft jagt, später gegen die Kommunisten konspiriert, in die Fremdenlegion flüchtet und in Australien umkommt, nachdem er im Prager Frühling noch einmal versucht, nach Kostelec zurückzukehren.
Skvorecký oder eigentlich Danny nennt sich selbst einen "unernsten Erzähler zynischer Geschichten", aber so zynisch ist er auch wieder nicht, denn er hat seine Fähigkeit, eine Träne aus den Augen zu wischen, noch lange nicht verloren. Er gibt sich nicht wie sein italienischer Kollege Roberto Benigni in seinem vielgerühmten Film "Das Leben ist schön" der Illusion hin, daß man dem Zeitalter der Shoa und der Diktaturen mit begabten Clownerien allein beikommen könnte.
Skvoreckýs Satiren auf die "Holzköpfe", welche die Welt auf eine Formel reduzieren wollen, sind scharf und störrisch, aber er schämt sich einer schweigsameren Ergriffenheit nicht, wenn er von den Opfern und den Toten erzählt. Dannys Bericht über seine Erfahrungen im Messerschmitt-Werk zeigt, wie er das Groteske und das Tragische wunderbar balanciert. Auf den Männer-Aborten tagt die "Klo-Universität" in Permanenz (man diskutiert interessante Fragen, wie zum Beispiel die Topographie der Insel Atlantis, in aller Ruhe, und nur wenn der Mann vom Werkschutz erscheint, drängt alles zur Pißrinne); und auf dem Werkhof arbeitet ein besonders eifriges Kommando, das bunte Fässer von Ecke zu Ecke rollt, die immer gleichen, um den Anschein verbissener Arbeit für das Reich zu erwecken. Es geschieht aber auch anderes; Danny, gegen seine bürgerlichen Gewohnheiten, liebt die magere Nadja, die mit dem breiten Mund und den fiebrigen Augen, und muß mitansehen, wie die Tuberkulose sie verzehrt. Sie gibt ihm das einzige, was sie besitzt, sich selbst, und er kommt dann zu ihrem Begräbnis zu spät.
Danny darf von Glück sagen, denn sein tschechischer Meister (der selbst in die professionellere Sabotage von V2-Düsen verwickelt ist) deckt ihn, um eine Untersuchung in seiner Abteilung zu vermeiden; und der deutsche Oberkontrolleur, ein Amerika-Deutscher, der im Jahre 1933 aus Detroit heim ins Reich gekehrt ist, entdeckt, daß Danny, der Jazzfan, Englisch spricht, und macht kein Hehl aus seinen politischen Enttäuschungen. Im Mai 1945 wird der Oberkontrolleur von der "Revolutionsgarde" verhaftet, Danny bemüht sich, ihn zu retten (aber, typisch Danny, nicht konsequent genug, weil er abends mit Irena ins Kino will), und als er am anderen Morgen wiederkommt, um für den Oberkontrolleur zu bürgen, liegt der tot im Keller, und die Kollegen Revolutionsgardisten sagen hämisch, er hätte sich bei einem unglücklichen Fall die Treppe hinab das Genick gebrochen. Es gibt in diesem Roman keine Statisten, denn Dannys besserer Hang nach Geschichten ist ein Symptom seiner Humanität (nur die Episoden von den dummen Damen, die dem Prager Regime Spitzeldienste leisten, bedürften des Rotstifts). Danny will jedem Menschen, wenn möglich, Gerechtigkeit widerfahren lassen, und das geht nicht, ohne seine besondere Lebensgeschichte zu erzählen. Der ungewöhnliche Umfang des Buches hat eine ethische Dimension.
Von den drei bedeutendsten tschechischen Schriftstellern und Autorinnen der Exilwelle nach dem Dahinwelken des Prager Frühlings hat Skvorecký seiner Muttersprache die ungestörteste Loyalität bewahrt. Libuse Moniková, die allzu früh Verstorbene, hat seit Anfang ihres Exils in deutscher Sprache publiziert; Milan Kundera, der ambitiöse Künstler, hat seine beiden jüngsten Arbeiten französisch geschrieben, und obgleich Skvorecký unlängst einen amerikanischen Bürgerkriegsroman amerikanisch schrieb, produzierte er zugleich, wie er pragmatisch bemerkte, eine tschechische Fassung, um den Übersetzer zu sparen. Es wäre einfach zu sagen, Skvorecký sei ja im Grunde ein altmodischer Patriot, aber das ist es nicht allein, denn seine Loyalität zur Muttersprache leitet sich von der besonderen Art seines Talentes her. Er hat "ein akustisches Gedächtnis", das ihn befähigt oder gar dazu verdammt, Gespräche, die er vor Jahrzehnten hörte, Wort für Wort aufzubewahren; der Dialog oder das Miteinander vieler Stimmen ist sein artistisches Element, und nichts Gesprochenes geht je verloren.
Seine Übersetzerin Marcela Euler hatte keine einfache Arbeit zu bewältigen, aber sie hat die Prüfung bei Professor Skvorecký glanzvoll bestanden. Ich glaube ihr zwar nicht, daß das Schimpfwort "Blödmann" in einer deutschen Konversation der vierziger Jahre historisch funktioniert (später! später!), aber sie folgt dem tschechischen Text mit Intelligenz und Gestaltungskraft und läßt sich auch durch das englisch-tschechische Idiom vieler Flüchtlinge nicht aus der sprachlichen oder orthographischen Fassung bringen ("Unfortschnetly bin ich gerade bysy"). Die philologischen Idiosynkrasien der vielen Korrespondenzen Dannys bewältigt sie mit Sicherheit und Witz. Skvoreckýs "Seeleningenieur" ist ein weiser, komischer, trauriger und unterhaltsamer Roman aus vielen Romanen, und Marcela Eulers Übersetzung im authentischen Ton sollte dem Buch endlich jene Anerkennung und Sympathie sichern, die es längst verdient.
Josef Skvorecký: "Der Seeleningenieur". Roman. Aus dem Tschechischen übersetzt von Marcela Euler. Deuticke Verlag, Wien 1998. 764 S., geb., 49,80 DM.
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