Als erste Gebirgsbahn stellt die 1854 eröffnete Strecke über den Semmering ein technisches und ästhetisches Monument von Weltrang dar. Ein entlegenes Gebiet wurde zur Bühne effektvoller Landschaftsinszenierungen, der Semmering zur Elitemarke des mitteleuropäischen Tourismus. Auf dem "Balkon von Wien" traf sich eine moderne großstädtische Oberschicht zwischen Villen und Grandhotels. Der Glanzzeit um 1900 folgten zahlreiche Krisen und Comebacks. Heute stellt sich die Frage nach Zukunftschancen jenseits der Nostalgie. Der Kulturhistoriker Wolfgang Kos erzählt die konfliktreiche Geschichte einer exzentrischen Landschaft, die Reichenau an der Rax ebenso umfasst wie Mürzzuschlag. Eine spannende Reise durch die Jahrhunderte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2021Hundert Brücken sind nicht genug
Kaum jemand mochte daran glauben: eine Zugverbindung vom niederösterreichischen Gloggnitz hinauf zum Semmering? Pure Illusion. Knapp 450 Höhenmeter und die Strecke durch steiles, felsiges Gelände, das bisher Wanderern und Ziegen vorbehalten war. Das hochfliegende Projekt zog Spott auf sich. Doch Ingenieur Karl Ritter von Ghega ließ sich nicht beirren. Bei der Eröffnung der ersten normalspurigen Gebirgsbahn Europas am 16. Mai 1854 wurde er bejubelt. 41 Kilometer Geleise mit 14 Tunneln, 16 zum Teil zweistöckigen Viadukten und 100 Brücken: ein Meisterwerk der Technik. Die Bahn ist inzwischen zum UNESCO-Kulturerbe aufgestiegen, und der Semmering ist immer noch das erweiterte Wohnzimmer der Wiener, wie Wolfgang Kos in seinem Buch "Der Semmering" ausführt. Hier verbrachte die bessere Gesellschaft ihre Sommerfrische: nah genug von zu Hause, um Börsenkurse und Theaterkritiken zu verfolgen und doch in eine Szenerie entrückt, die der Seele Abwechslung und Auslauf zuspielte. Der Autor definiert die Gegend mit den Villen und Grandhotels als Beletage der k. u. k. Monarchie. Mit den Felskulissen von Rax und Schneeberg im Blick schuf man sich "einen Corso zwischen Natur und Künstlichkeit", zu dem auch die spektakuläre Anreise per Zug zählte. Bis die Weltkriege den Glanz der Gegend zerstörten. Heute sucht man an goldenen Zeiten anzuknüpfen und sich im Jetzt zu positionieren. Der mit Bildern reich ausgestattete Band spiegelt ein Stück Sozialgeschichte: spannend, unterhaltsam und erhellend. aber
"Der Semmering - Eine exzentrische Landschaft" von Wolfgang Kos. Residenz Verlag, Wien 2021. 384 Seiten, mit Fotos und Illustrationen. Gebunden, 34 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kaum jemand mochte daran glauben: eine Zugverbindung vom niederösterreichischen Gloggnitz hinauf zum Semmering? Pure Illusion. Knapp 450 Höhenmeter und die Strecke durch steiles, felsiges Gelände, das bisher Wanderern und Ziegen vorbehalten war. Das hochfliegende Projekt zog Spott auf sich. Doch Ingenieur Karl Ritter von Ghega ließ sich nicht beirren. Bei der Eröffnung der ersten normalspurigen Gebirgsbahn Europas am 16. Mai 1854 wurde er bejubelt. 41 Kilometer Geleise mit 14 Tunneln, 16 zum Teil zweistöckigen Viadukten und 100 Brücken: ein Meisterwerk der Technik. Die Bahn ist inzwischen zum UNESCO-Kulturerbe aufgestiegen, und der Semmering ist immer noch das erweiterte Wohnzimmer der Wiener, wie Wolfgang Kos in seinem Buch "Der Semmering" ausführt. Hier verbrachte die bessere Gesellschaft ihre Sommerfrische: nah genug von zu Hause, um Börsenkurse und Theaterkritiken zu verfolgen und doch in eine Szenerie entrückt, die der Seele Abwechslung und Auslauf zuspielte. Der Autor definiert die Gegend mit den Villen und Grandhotels als Beletage der k. u. k. Monarchie. Mit den Felskulissen von Rax und Schneeberg im Blick schuf man sich "einen Corso zwischen Natur und Künstlichkeit", zu dem auch die spektakuläre Anreise per Zug zählte. Bis die Weltkriege den Glanz der Gegend zerstörten. Heute sucht man an goldenen Zeiten anzuknüpfen und sich im Jetzt zu positionieren. Der mit Bildern reich ausgestattete Band spiegelt ein Stück Sozialgeschichte: spannend, unterhaltsam und erhellend. aber
"Der Semmering - Eine exzentrische Landschaft" von Wolfgang Kos. Residenz Verlag, Wien 2021. 384 Seiten, mit Fotos und Illustrationen. Gebunden, 34 Euro.
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