Der Krieg im früheren Jugoslawien ist nach Meinung des Autors in den bisherigen Berichten stets auf Schwarzweißbildern reduziert worden. Ohne Berücksichtigung ihrer Vergangenheit dämonstrierte man die Serben als Kriegshetzer und Mordgesellen. Olschewski leuchtet in dunkle Episoden und läßt in dramatischen Bildern ein blutdurchtränktes Jahrtausend vorbeiziehen. Beginnend mit der Schlacht am Amselfeld im Jahre 1389, über die bis heute totgeschwiegenen k.u.k. Kriegsverbrechen des Jahres 1914, bis hin zur Tito-Ära und Milosevic-Internas spannt sich der Bogen, der nach den Ursachen und Wurzeln des letzten Krieges sucht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.12.1998Serbischer Mythomanismus
Noch eine verspätete Nation?
Malte Olschewski: Der serbische Mythos. Die verspätete Nation. F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 1998. 478 Seiten, 30 Abbildungen, 49,90 Mark.
"Fast alle Völker Europas haben es zur Jahrtausendwende erreicht: Sie dürfen in einem gemeinsamen Staat und auf angestammten Siedlungsgebieten leben. Nur die Serben dürfen nicht, was andere dürfen . . . Sie scheinen aber bisher die ersten und einzigen Aufständischen in der Düsternis des Konsums zu werden. Sie bleiben vorerst der Stachel im weichen Bauch Europas, der nur mehr verdauen möchte." Malte Olschewski, langjähriger Redakteur beim Österreichischen Rundfunk, mag an den Serben genau das, wofür sie von der Weltöffentlichkeit gescholten werden: Das Festhalten an nationalen Mythen, die kriegerische Tradition, die beharrliche Weigerung, nach den rationalen Regeln der modernen Welt zu spielen.
Um dieser Sympathie Ausdruck zu verleihen, hat Olschewski die "erste Geschichte der Serben in deutscher Sprache" (Klappentext) geschrieben. Ein Standardwerk kann das Buch aber kaum werden - dazu ist seine Perspektive zu einseitig und der Umgang mit den Quellen zu undurchsichtig. Olschewski will dem Leser eine "neue Dimension der Geschichtsschreibung" öffnen, indem er jugoslawische Fernsehsendungen zu geschichtlichen Themen als Quellen benutzt. Sicher - das Wesen eines Mythos läßt sich über historische Spielfilme und monumentale Gemälde durchaus erfassen. Das Material liefert eine Fülle plastischer Szenen, die Olschewskis Buch bereichern und sehr lesbar machen. Nur trennt der gebürtige Klagenfurter nicht sauber zwischen dem Mythos, seiner Wirkung und seriöser Geschichtsschreibung. Über weite Strecken folgt er einfach einem serbisch-nationalen Geschichtsbild, ohne die konkurrierenden Perspektiven anderer Balkanvölker auch nur in Betracht zu ziehen. Daß er absichtlich so verfährt, ist keine Entschuldigung.
Dabei hält Olschewski auf den ersten 60 Seiten noch einigermaßen Distanz zum serbischen Mythos. Vor der Schlacht auf dem Amselfeld 1389, schreibt er zutreffend, habe Fürst Lazar die Möglichkeit gehabt, der türkischen Übermacht auszuweichen, um sie später aus dem Hinterhalt zu bekämpfen. Aber er wählte den heroischen, aussichtslosen Weg der direkten Konfrontation, der bald nach der Schlacht als Entscheidung für das himmlische anstatt des irdischen Königreichs gedeutet wurde. So haben serbischer Messianismus und serbisches Überlegenheitsgefühl ihren Ursprung im Kosovo-Mythos. Auch die Suche nach nationalen "Verrätern" beginnt hier. Denn Vuk Brankovic, ein anderer Fürst, schlug wohl einen gemäßigteren, nicht in den Untergang führenden Schlachtplan vor. Im Mythos wurde er zum serbischen Judas, der noch viele Nachfolger haben sollte: Zuletzt die serbischen Kommunisten, die 1974 der Autonomie des Kosovo zustimmten, und die nichtnationalistische Belgrader Opposition von heute.
In den folgenden Kapiteln läßt Olschewski es allerdings nicht damit bewenden, die Wirkung des Mythos in der serbischen Geschichte zu schildern. Er bewundert die Serben als Volk, das bereit sei, für seine Werte zu sterben. Und als eines, das die habsburgische "Arroganz" und "Dekadenz" aus der Tiefe seiner Seele verneint habe. Dieser Blickwinkel macht Olschewski blind für diejenigen, die unter serbischer Dominanz zu leiden hatten. Die Kosovoalbaner behandelt er mal von oben herab als "Viehhirten", mal als unverschämte Fanatiker, die ihre Autonomie seit 1974 dazu benutzten, den Serben die Friedhöfe zu schänden, die Brunnen zu vergiften und die Felder anzuzünden. Den Kroaten wirft er "Überempfindlichkeit bei Bewahrung und Verteidigung nationaler Symbole" vor - während er für dieselbe Empfindlichkeit bei den Serben voller Verständnis ist. Bei den bosnischen Muslimen hätte erst Habsburg ein "künstliches Nationalgefühl" erzeugt.
Das ist nicht ganz falsch, nur übersieht Olschewski dabei, daß auch Teile der serbischen Nation in Kroatien und Bosnien "künstlich" durch Assimilierung romanischer Vlachen entstanden sind. Indem er sich den serbischen Mythos zu eigen macht, wird Olschewski also auch unsensibel für die Vielfältigkeit der Serben selbst. Wer dem Mythos nicht folgt, gehört einfach nicht in Olschewskis Bild von "den Serben". Die bürgerlichen Traditionen der Vojvodina werden ausgeblendet wie auch die städtischen Milieus von Belgrad oder Nis. Wie bei den serbischen Mythomanen.
"Ohne Nationalismus", schreibt Olschewski, "gäbe es keine Nation und auch keine Zivilisation. Nationalismus ist ein genetisches Programm, daher kann Nationalismus nicht abgeschafft oder weggeredet werden." Wenn Olschewski das wirklich glaubt, dann sollte er auch einen Weg vorschlagen, wie konkurrierende Nationalismen miteinander vereinbart werden können. Bislang hat die Übersteigerung dieses Prinzips auf dem Balkan vor allem Leid gebracht - auch wenn das im jugoslawischen Fernsehen nicht immer so aussieht.
KLAUS BUCHENAU
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Noch eine verspätete Nation?
Malte Olschewski: Der serbische Mythos. Die verspätete Nation. F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 1998. 478 Seiten, 30 Abbildungen, 49,90 Mark.
"Fast alle Völker Europas haben es zur Jahrtausendwende erreicht: Sie dürfen in einem gemeinsamen Staat und auf angestammten Siedlungsgebieten leben. Nur die Serben dürfen nicht, was andere dürfen . . . Sie scheinen aber bisher die ersten und einzigen Aufständischen in der Düsternis des Konsums zu werden. Sie bleiben vorerst der Stachel im weichen Bauch Europas, der nur mehr verdauen möchte." Malte Olschewski, langjähriger Redakteur beim Österreichischen Rundfunk, mag an den Serben genau das, wofür sie von der Weltöffentlichkeit gescholten werden: Das Festhalten an nationalen Mythen, die kriegerische Tradition, die beharrliche Weigerung, nach den rationalen Regeln der modernen Welt zu spielen.
Um dieser Sympathie Ausdruck zu verleihen, hat Olschewski die "erste Geschichte der Serben in deutscher Sprache" (Klappentext) geschrieben. Ein Standardwerk kann das Buch aber kaum werden - dazu ist seine Perspektive zu einseitig und der Umgang mit den Quellen zu undurchsichtig. Olschewski will dem Leser eine "neue Dimension der Geschichtsschreibung" öffnen, indem er jugoslawische Fernsehsendungen zu geschichtlichen Themen als Quellen benutzt. Sicher - das Wesen eines Mythos läßt sich über historische Spielfilme und monumentale Gemälde durchaus erfassen. Das Material liefert eine Fülle plastischer Szenen, die Olschewskis Buch bereichern und sehr lesbar machen. Nur trennt der gebürtige Klagenfurter nicht sauber zwischen dem Mythos, seiner Wirkung und seriöser Geschichtsschreibung. Über weite Strecken folgt er einfach einem serbisch-nationalen Geschichtsbild, ohne die konkurrierenden Perspektiven anderer Balkanvölker auch nur in Betracht zu ziehen. Daß er absichtlich so verfährt, ist keine Entschuldigung.
Dabei hält Olschewski auf den ersten 60 Seiten noch einigermaßen Distanz zum serbischen Mythos. Vor der Schlacht auf dem Amselfeld 1389, schreibt er zutreffend, habe Fürst Lazar die Möglichkeit gehabt, der türkischen Übermacht auszuweichen, um sie später aus dem Hinterhalt zu bekämpfen. Aber er wählte den heroischen, aussichtslosen Weg der direkten Konfrontation, der bald nach der Schlacht als Entscheidung für das himmlische anstatt des irdischen Königreichs gedeutet wurde. So haben serbischer Messianismus und serbisches Überlegenheitsgefühl ihren Ursprung im Kosovo-Mythos. Auch die Suche nach nationalen "Verrätern" beginnt hier. Denn Vuk Brankovic, ein anderer Fürst, schlug wohl einen gemäßigteren, nicht in den Untergang führenden Schlachtplan vor. Im Mythos wurde er zum serbischen Judas, der noch viele Nachfolger haben sollte: Zuletzt die serbischen Kommunisten, die 1974 der Autonomie des Kosovo zustimmten, und die nichtnationalistische Belgrader Opposition von heute.
In den folgenden Kapiteln läßt Olschewski es allerdings nicht damit bewenden, die Wirkung des Mythos in der serbischen Geschichte zu schildern. Er bewundert die Serben als Volk, das bereit sei, für seine Werte zu sterben. Und als eines, das die habsburgische "Arroganz" und "Dekadenz" aus der Tiefe seiner Seele verneint habe. Dieser Blickwinkel macht Olschewski blind für diejenigen, die unter serbischer Dominanz zu leiden hatten. Die Kosovoalbaner behandelt er mal von oben herab als "Viehhirten", mal als unverschämte Fanatiker, die ihre Autonomie seit 1974 dazu benutzten, den Serben die Friedhöfe zu schänden, die Brunnen zu vergiften und die Felder anzuzünden. Den Kroaten wirft er "Überempfindlichkeit bei Bewahrung und Verteidigung nationaler Symbole" vor - während er für dieselbe Empfindlichkeit bei den Serben voller Verständnis ist. Bei den bosnischen Muslimen hätte erst Habsburg ein "künstliches Nationalgefühl" erzeugt.
Das ist nicht ganz falsch, nur übersieht Olschewski dabei, daß auch Teile der serbischen Nation in Kroatien und Bosnien "künstlich" durch Assimilierung romanischer Vlachen entstanden sind. Indem er sich den serbischen Mythos zu eigen macht, wird Olschewski also auch unsensibel für die Vielfältigkeit der Serben selbst. Wer dem Mythos nicht folgt, gehört einfach nicht in Olschewskis Bild von "den Serben". Die bürgerlichen Traditionen der Vojvodina werden ausgeblendet wie auch die städtischen Milieus von Belgrad oder Nis. Wie bei den serbischen Mythomanen.
"Ohne Nationalismus", schreibt Olschewski, "gäbe es keine Nation und auch keine Zivilisation. Nationalismus ist ein genetisches Programm, daher kann Nationalismus nicht abgeschafft oder weggeredet werden." Wenn Olschewski das wirklich glaubt, dann sollte er auch einen Weg vorschlagen, wie konkurrierende Nationalismen miteinander vereinbart werden können. Bislang hat die Übersteigerung dieses Prinzips auf dem Balkan vor allem Leid gebracht - auch wenn das im jugoslawischen Fernsehen nicht immer so aussieht.
KLAUS BUCHENAU
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