Jörg Baberowski bietet einen fundierten Überblick über einflußreiche Denker und Strömungen der Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts und zeigt anhand konkreter Fallbeispiele die Bedeutung ihrer Theorien für den Alltag des Historikers auf. Sein besonderes Augenmerk gilt dabei denjenigen philosophischen Theorien, die Aufschluß darüber geben können, mit welchen Methoden der Gegenstand der Geschichte erschlossen werden kann.
Eine verständlich geschriebene Einführung in Grundfragen der modernen Geschichtstheorie von Hegel bis Foucault.
Eine verständlich geschriebene Einführung in Grundfragen der modernen Geschichtstheorie von Hegel bis Foucault.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.2005"Fundiert" kommt von "nicht gefunden"
Schon wieder eine böse Überraschung für den Bundeskanzler? Ist aus dem Nebel der Zeitgeschichte ein weiterer Halbbruder aufgetaucht? "Otto Vosseler", so steht es auf der ersten Seite von Jörg Baberowskis Abriß der Geschichte der Geschichtstheorie ("Der Sinn der Geschichte". Geschichtstheorien von Hegel bis Foucault. Verlag C. H. Beck, München 2005. 250 S., br., 12,90 [Euro]), hat "vor mehr als 20 Jahren gesagt", die Geschichte habe nicht einen Sinn, sondern, was mehr sei, sie sei Sinn. Doch es wird nicht dazu kommen, daß ein Privatsender dem Autor dieser Sentenz einen heißen Lehrstuhl einrichtet, von dem aus er als Historiker aus dem Volk den Einflüsterungen der Ratgeber hinter dem Kanzlerthron vom Schlage eines Gregor Schöllgen sinnigen Klartext entgegenschleudern könnte. Bei dem Autor des 1979 erschienenen Suhrkamp-Bändchens "Geschichte als Sinn" handelt es sich um den 1987 verstorbenen Frankfurter Historiker Otto Vossler, den Sohn des berühmten Romanisten Karl Vossler. In Baberowskis Register ist der Name wiederum falsch geschrieben, dafür in der Bibliographie und bei der zweiten Erwähnung im Text richtig.
1937 hatte Otto Vossler Betrachtungen über den Gang des Nationalgedankens von Rousseau bis Ranke publiziert. Hier rügt er die gängige Übung, "Hegel und Ranke als Antipoden zu betrachten", die den Historikern als Entschuldigung für ihre "öde antiphilosophische Haltung" diene. Über diese Haltung ist Baberowski hinaus. Das "besondere Augenmerk des Autors gilt" nach Mitteilung der Taschenbuchrückseite "denjenigen philosophischen Theorien, die Aufschluß darüber geben können, mit welchen Methoden der Gegenstand der Geschichte erschlossen werden kann". Nach Vossler muß Hegels Philosophie für Ranke aufschlußreich gewesen sein, als er sich seinen Gegenstand erschloß. Wo er namens der Wirklichkeit gegen den Begriff protestierte, da ist er, so Vosslers Pointe, "einfach noch Hegelischer als Hegel selber" gewesen. "Er hat eben noch feiner, noch zarter und geschmeidiger die Vernunft eingehen lassen in die historische Wirklichkeit als jener es vermocht hatte."
Bei Baberowski wird nun wieder in der simpelsten Manier Rankes Geschichtswissenschaft aus dem Gegensatz zur Hegelschule hergeleitet. Mit Savigny gegen Naturrecht und Fortschritt: diesen Frontverlauf markieren die allzu bekannten Programmsätze aus Vorreden und Vorträgen, die Verehrer und Verächter Rankes seit jeher herunterzubeten verstehen wie Führerscheinprüflinge die Straßenverkehrsordnung. So führt Baberowski die angebliche Forderung Rankes, der Historiker "müsse sein Ich auslöschen", nach der deutlich mehr als zwanzig Jahre alten Streitschrift von Georg Iggers gegen die deutsche historische Tradition an. Hätte er die "Englische Geschichte" aufgeschlagen, hätte er festgestellt, daß dort ein Wunsch ausgesprochen wird, dessen Unerfüllbarkeit der Autor eingesteht.
Dem Verlag zufolge bietet Baberowskis Buch "einen fundierten Überblick". Was heißt fundiert in solchen Werbekontexten? Die freundlichste Übersetzung wäre: nicht bodenlos. Nicht ausgedacht, sondern wenigstens brav abgeschrieben. Aber wo? Die "ausgewählte Literatur" zum Kapitel über Ranke, Droysen und den Historismus umfaßt sieben Bücher und drei Aufsätze, darunter zwei zur Erklären-Verstehen-Kontroverse. Keine Monographie zu Ranke oder Droysen wird angegeben. Hilfreich dagegen natürlich der Hinweis auf die vierzehn Bände der alten Burckhardt-Werkausgabe! Zum Vergleich: Zum Foucault-Kapitel werden zweiundzwanzig Titel aufgeführt. Immerhin steht Felix Gilberts Alterswerk zum Vergleich von Ranke und Burckhardt in der Leseliste. Ob Baberowski es gelesen hat? Es wendet sich gerade gegen die von ihm erneuerte Legende, daß Ranke seine "Ideen allein im Staat verkörpert sah". Tja, die Abfassung von Papstgeschichte und Reformationsgeschichte hätte sich Ranke so gesehen sparen können. Während Baberowski an die Religion wahrscheinlich einfach nicht gedacht hat, als er das Nichtpolitische einklagte, sieht er in der Rankeschule systematische Vergeßlichkeit am Werk: "auch heute ist diese Art erzählender Politikgeschichte, die sich über die Voraussetzungen, aus denen sie kommt, keine Rechenschaft ablegt, aus den Universitäten nicht verschwunden". Daß dieser Satz mit einer Anmerkungsziffer versehen ist, stimmt nun in höchstem Maße neugierig. Doch leider wird unter Ziffer 15 keine rückständige Universität und kein renitenter Kollege genannt, sondern nur Lutz Raphaels Überblick über die "Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme".
Baberowskis Buch basiert auf Vorlesungen. Seine Berliner Studenten sind gewiß dankbar dafür, daß der Professor für Osteuropäische Geschichte auf das große Ganze auszugehen wagt. Sie werden nicht erwarten, daß er eigene Forschungen vorträgt. Fremde vielleicht schon? Von Daniel Fulda, Siegfried Baur und Johannes Süßmann liegen Monographien vor, die zeigen, wie Ranke in seinen politischen Erzählungen seine philosophischen Voraussetzungen reflektierte und sich mit einem Idealismus auseinandersetzte, den Hegel nicht allein repräsentierte. Das jüngste dieser Bücher, die Vosslers geistreiche Behauptung von der verfeinerten Vernünftigkeit der Rankeschen Welt philologisch belegen, ist nun auch wieder fünf Jahre alt. Warum wird Tertiärliteratur, die ein Fundament neuerer Forschung durch einen Fundus alter Meinungen ersetzt, bei Beck gedruckt?
Verräterisch ein weiterer Euphemismus der Verlagswerbung: "eine verständlich geschriebene Einführung". Schwellenangst unnötig! Aber Studienliteratur aus dritter Hand macht ihre Gegenstände vollends unverständlich. Hegel und Ranke "waren gleichermaßen von den Wirkungen kosmischer Mächte überzeugt". So muß es auch bei Jörg Baberowski gewesen sein. Höhere Wesen befahlen: Sinn der Geschichte ausmalen!
PATRICK BAHNERS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schon wieder eine böse Überraschung für den Bundeskanzler? Ist aus dem Nebel der Zeitgeschichte ein weiterer Halbbruder aufgetaucht? "Otto Vosseler", so steht es auf der ersten Seite von Jörg Baberowskis Abriß der Geschichte der Geschichtstheorie ("Der Sinn der Geschichte". Geschichtstheorien von Hegel bis Foucault. Verlag C. H. Beck, München 2005. 250 S., br., 12,90 [Euro]), hat "vor mehr als 20 Jahren gesagt", die Geschichte habe nicht einen Sinn, sondern, was mehr sei, sie sei Sinn. Doch es wird nicht dazu kommen, daß ein Privatsender dem Autor dieser Sentenz einen heißen Lehrstuhl einrichtet, von dem aus er als Historiker aus dem Volk den Einflüsterungen der Ratgeber hinter dem Kanzlerthron vom Schlage eines Gregor Schöllgen sinnigen Klartext entgegenschleudern könnte. Bei dem Autor des 1979 erschienenen Suhrkamp-Bändchens "Geschichte als Sinn" handelt es sich um den 1987 verstorbenen Frankfurter Historiker Otto Vossler, den Sohn des berühmten Romanisten Karl Vossler. In Baberowskis Register ist der Name wiederum falsch geschrieben, dafür in der Bibliographie und bei der zweiten Erwähnung im Text richtig.
1937 hatte Otto Vossler Betrachtungen über den Gang des Nationalgedankens von Rousseau bis Ranke publiziert. Hier rügt er die gängige Übung, "Hegel und Ranke als Antipoden zu betrachten", die den Historikern als Entschuldigung für ihre "öde antiphilosophische Haltung" diene. Über diese Haltung ist Baberowski hinaus. Das "besondere Augenmerk des Autors gilt" nach Mitteilung der Taschenbuchrückseite "denjenigen philosophischen Theorien, die Aufschluß darüber geben können, mit welchen Methoden der Gegenstand der Geschichte erschlossen werden kann". Nach Vossler muß Hegels Philosophie für Ranke aufschlußreich gewesen sein, als er sich seinen Gegenstand erschloß. Wo er namens der Wirklichkeit gegen den Begriff protestierte, da ist er, so Vosslers Pointe, "einfach noch Hegelischer als Hegel selber" gewesen. "Er hat eben noch feiner, noch zarter und geschmeidiger die Vernunft eingehen lassen in die historische Wirklichkeit als jener es vermocht hatte."
Bei Baberowski wird nun wieder in der simpelsten Manier Rankes Geschichtswissenschaft aus dem Gegensatz zur Hegelschule hergeleitet. Mit Savigny gegen Naturrecht und Fortschritt: diesen Frontverlauf markieren die allzu bekannten Programmsätze aus Vorreden und Vorträgen, die Verehrer und Verächter Rankes seit jeher herunterzubeten verstehen wie Führerscheinprüflinge die Straßenverkehrsordnung. So führt Baberowski die angebliche Forderung Rankes, der Historiker "müsse sein Ich auslöschen", nach der deutlich mehr als zwanzig Jahre alten Streitschrift von Georg Iggers gegen die deutsche historische Tradition an. Hätte er die "Englische Geschichte" aufgeschlagen, hätte er festgestellt, daß dort ein Wunsch ausgesprochen wird, dessen Unerfüllbarkeit der Autor eingesteht.
Dem Verlag zufolge bietet Baberowskis Buch "einen fundierten Überblick". Was heißt fundiert in solchen Werbekontexten? Die freundlichste Übersetzung wäre: nicht bodenlos. Nicht ausgedacht, sondern wenigstens brav abgeschrieben. Aber wo? Die "ausgewählte Literatur" zum Kapitel über Ranke, Droysen und den Historismus umfaßt sieben Bücher und drei Aufsätze, darunter zwei zur Erklären-Verstehen-Kontroverse. Keine Monographie zu Ranke oder Droysen wird angegeben. Hilfreich dagegen natürlich der Hinweis auf die vierzehn Bände der alten Burckhardt-Werkausgabe! Zum Vergleich: Zum Foucault-Kapitel werden zweiundzwanzig Titel aufgeführt. Immerhin steht Felix Gilberts Alterswerk zum Vergleich von Ranke und Burckhardt in der Leseliste. Ob Baberowski es gelesen hat? Es wendet sich gerade gegen die von ihm erneuerte Legende, daß Ranke seine "Ideen allein im Staat verkörpert sah". Tja, die Abfassung von Papstgeschichte und Reformationsgeschichte hätte sich Ranke so gesehen sparen können. Während Baberowski an die Religion wahrscheinlich einfach nicht gedacht hat, als er das Nichtpolitische einklagte, sieht er in der Rankeschule systematische Vergeßlichkeit am Werk: "auch heute ist diese Art erzählender Politikgeschichte, die sich über die Voraussetzungen, aus denen sie kommt, keine Rechenschaft ablegt, aus den Universitäten nicht verschwunden". Daß dieser Satz mit einer Anmerkungsziffer versehen ist, stimmt nun in höchstem Maße neugierig. Doch leider wird unter Ziffer 15 keine rückständige Universität und kein renitenter Kollege genannt, sondern nur Lutz Raphaels Überblick über die "Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme".
Baberowskis Buch basiert auf Vorlesungen. Seine Berliner Studenten sind gewiß dankbar dafür, daß der Professor für Osteuropäische Geschichte auf das große Ganze auszugehen wagt. Sie werden nicht erwarten, daß er eigene Forschungen vorträgt. Fremde vielleicht schon? Von Daniel Fulda, Siegfried Baur und Johannes Süßmann liegen Monographien vor, die zeigen, wie Ranke in seinen politischen Erzählungen seine philosophischen Voraussetzungen reflektierte und sich mit einem Idealismus auseinandersetzte, den Hegel nicht allein repräsentierte. Das jüngste dieser Bücher, die Vosslers geistreiche Behauptung von der verfeinerten Vernünftigkeit der Rankeschen Welt philologisch belegen, ist nun auch wieder fünf Jahre alt. Warum wird Tertiärliteratur, die ein Fundament neuerer Forschung durch einen Fundus alter Meinungen ersetzt, bei Beck gedruckt?
Verräterisch ein weiterer Euphemismus der Verlagswerbung: "eine verständlich geschriebene Einführung". Schwellenangst unnötig! Aber Studienliteratur aus dritter Hand macht ihre Gegenstände vollends unverständlich. Hegel und Ranke "waren gleichermaßen von den Wirkungen kosmischer Mächte überzeugt". So muß es auch bei Jörg Baberowski gewesen sein. Höhere Wesen befahlen: Sinn der Geschichte ausmalen!
PATRICK BAHNERS
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Patrick Bahners hält nicht viel von Jörg Baberowskis "Der Sinn der Geschichte". "Tertiärliteratur" nennt er das auf Vorlesungen beruhende Werk des Berliner Professors für Osteuropäische Geschichte. Dem Beck Verlag stellt er gar die Frage, warum eine solche Tertiärliteratur, "die ein Fundament neuerer Forschung durch einen Fundus alter Meinungen ersetzt", gedruckt werde? Vielsagend, dass Bahners sich beinahe ebenso intensiv mit dem Klappentext des Taschenbuchs auseinandersetzt wie mit Baberowskis Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Ranke und Hegel. Keine Empfehlung. Schlampiges Lektorat rundet Bahners schlechten Eindruck ab.
© Perlentaucher Medien GmbH
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