Markus Gabriel, Spiegel-Bestseller-Autor, zeigt in diesem Buch, dass das Denken Teil der biologischen Sinne ist, der nicht künstlich nachgebaut werden kann. Längst gilt er als einer der wichtigsten deutschsprachigen Philosophen der Gegenwart, dessen unverwechselbar leichtfüßiger Stil klassische und moderne Theoretiker sowie die Popkultur zusammenführt.
Das Denken ist vielleicht der wahre Hauptbegriff der Philosophie. Insbesondere Platon und Aristoteles haben sie als das Nachdenken über das Nachdenken definiert. Unser menschliches Denken ist einer unserer Sinne und damit unüberwindbar an biologische Bedingungen gebunden. Das lässt sich zwar nicht nachbauen. Dennoch sind wir in bestimmter Hinsicht selber eine Form der künstlichen Intelligenz. Denn unser geistiges Vermögen entsteht historisch und kulturell aus dem Bild, das wir uns von uns selber und von unserer Umgebung machen. Oder ist das ganze Universum vielleicht nur eine Simulation? Mit Esprit führt Markus Gabriel in hochaktuelle Themen ein und streift dabei Hume, Leibniz und Kant ebenso wie Searle und Taylor, aber auch Filme und Serien wie Ghost in the Shell, Matrix oder Der sechs Millionen Dollar Mann.
Das Denken ist vielleicht der wahre Hauptbegriff der Philosophie. Insbesondere Platon und Aristoteles haben sie als das Nachdenken über das Nachdenken definiert. Unser menschliches Denken ist einer unserer Sinne und damit unüberwindbar an biologische Bedingungen gebunden. Das lässt sich zwar nicht nachbauen. Dennoch sind wir in bestimmter Hinsicht selber eine Form der künstlichen Intelligenz. Denn unser geistiges Vermögen entsteht historisch und kulturell aus dem Bild, das wir uns von uns selber und von unserer Umgebung machen. Oder ist das ganze Universum vielleicht nur eine Simulation? Mit Esprit führt Markus Gabriel in hochaktuelle Themen ein und streift dabei Hume, Leibniz und Kant ebenso wie Searle und Taylor, aber auch Filme und Serien wie Ghost in the Shell, Matrix oder Der sechs Millionen Dollar Mann.
"Der Autor unternimmt eine beeindruckende Tour durch die Höhen der Erkenntnistheorie wie durch die Niederungen der Tagespolitik und zeigt: Philosophie gehört nicht in den Elfenbeinturm." FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2018Im Kopf geht manches vor sich, aber die Welt entsteht dort nicht
Was man sich unter Denken zu denken hat: Markus Gabriel bringt seine philosophische Trilogie zum Abschluss
Denken ist kein abgehobenes Philosophenthema. Wie wir das Denken verstehen, das macht der Bonner Philosoph Markus Gabriel klar, ist vielmehr zentral dafür, wie wir unsere Stellung in der Welt wahrnehmen und was wir uns zutrauen. Um den Sinn des Denkens geht es bei ihm im doppelten Sinne: als Antwort auf die Frage, wozu das Denken gut ist, und als Bestimmung des Denkens selbst als Sinn. Denn genau das sei das Denken: ein Sinn wie Riechen, Schmecken, Hören, Sehen und Tasten, der Denksinn eben. "Nooskop" tauft ihn der Autor.
Wie die anderen Sinne diene der Denksinn dazu, dass wir Kontakt zur Wirklichkeit finden, in diesem Falle zu einer geistigen Wirklichkeit. Im Denken finden wir eine Wirklichkeit, wie wir sie "im Rahmen der menschlichen Lebensform entdecken können". Sie ist groß genug, um Ideen wie Gerechtigkeit, Menschenrechte und Freiheit erfassen zu können, doch sie bleibe eine eingeschränkte Perspektive, die nie das "große Ganze" umfassen und also nie abgeschlossen sein kann. Und noch in einer weiteren Hinsicht ähnelt das Denken den anderen Sinnen: Wir machen unsere Gedanken nicht, sie fallen uns ein.
Nach "Warum es die Welt nicht gibt" und "Ich ist nicht Gehirn" ist "Der Sinn des Denkens" der Schlussteil einer Trilogie, in der Gabriel seinen "Neuen Realismus" für Hörer aller Fakultäten darlegt, ein Schlussteil, der, wie der Autor betont, auch ohne Lektüre der beiden anderen Bände zu verstehen ist. Und wie zuvor geht es ihm auch hier darum, Denkfehler aus dem Weg zu räumen. Auf zwei hat er es dabei besonders abgesehen: die Annahme, Künstliche Intelligenz sei tatsächlich intelligent, und die Idee, die Wirklichkeit sei letztlich eine Illusion, so etwas wie die Matrix, zu der uns nur die rote Pille fehlt, um uns das Dahinter zu zeigen.
Nach Art eines Proseminars dröselt Gabriel zunächst auf, wie er seine Begriffe verwendet: Denken, Gedanke, Inhalt, Eigenschaft, für alle diese Termini kann man im Anhang auch eine kurze Erklärung nachlesen. Denken ist das Fassen von Gedanken, Gedanken sind die Inhalte des Denkens. Dann holt er weiter aus, um zu erklären, warum es nicht sein kann, dass wir uns alle zeitlebens in einem Traum befinden: bis zu Heideggers "Gestell", Wittgensteins Privatsprachen-Argument, Adorno, Baudrillard und Frege; es fehlen weder das Gedankenexperiment vom "Chinesischen Zimmer" noch das vom Stück für Stück durch Technik ersetzten Menschen, weder Anleihen aus "Westworld" noch Dave Eggers "Circle". Die Begriffe, mit denen wir denken - Hauptbahnhof, Gleis, Brötchen -, und ihre Zusammenhänge ermöglichen uns die Orientierung in der Welt, doch sie sind keine Konstrukte, keine Daten, die wir im Kopf "verarbeiten", sondern zeigen, was wirklich der Fall ist. Wirklich ist das, worüber wir uns irren können, das, was nicht in Gedanken aufgeht.
Nach dem Illusionsdiskurs nimmt Gabriel sich den Funktionalismus vor, die Grundlage aller KI-Forschung: Nur wenn es gelingen kann, die Funktionen des Denkens in einem anderen Substrat als der organischen Materie zu realisieren, kann es künstliche Intelligenz geben. Der Funktionalismus sei nicht wirklich zu widerlegen, konstatiert Gabriel, es sei eine Art Metaphysik, die funktioniert, weil man die Details, etwa die Bedeutung der Emotionen für das menschliche Denken, nicht genau genug sieht. Künstliche Intelligenz schaffe daher immer nur Denkmodelle, kein Denken, denn ihren Produkten fehle etwas Entscheidendes: das Bewusstsein und damit die Emotionen und das qualitative Erleben. Diese begriffliche Klärung verwischt er allerdings gleich wieder, indem er erklärt, das menschliche Denken sei, weil kulturell überformt, selbst eine künstliche Intelligenz. Das Modell dieser immer schon künstlichen Intelligenz müsse also genau genommen KKI heißen: künstliche künstliche Intelligenz.
Diese KKI sieht Gabriel so kritisch wie manche Ängste vor ihr: Echokammern etwa seien eher ein Zeichen von Bequemlichkeit als eine echte Gefahr. Was außer Faulheit hindert uns, uns vielseitig zu informieren? Mehr Sorge bereitet ihm, dass die so objektiv daherkommenden Algorithmen in ihren Verfahrensweisen Werte und Werturteile transportieren, die nicht offengelegt werden. Die größte Gefahr besteht für ihn allerdings darin - das ist vielleicht die wichtigste Botschaft des Buches -, dass wir unser Menschenbild an den vermeintlichen Denkmaschinen ausrichten, ihnen nacheifern und bedauern, nicht mithalten zu können, statt uns auf das zu besinnen, was menschliche Intelligenz wirklich ausmacht: die Fähigkeit, Einsichten, Wahrheit und Tatsachen manchmal Vorrang vor unseren egoistischen Interessen zu geben. Wer den Übermenschen will, verachtet in Wahrheit das Leben, so Gabriel in seiner nicht zu Unrecht mit "pathetisch" überschriebenen Schlussbemerkung.
Der Autor unternimmt eine beeindruckende Tour durch die Höhen der Erkenntnistheorie wie durch die Niederungen der Tagespolitik und zeigt: Philosophie gehört nicht in den Elfenbeinturm. Manchmal allerdings erliegt er bei allem Bemühen um Verständlichkeit der Philosophenmarotte, immer neue Begriffe einzuführen, als gäbe es nicht genug Wörter, um sich klar auszudrücken. Man kann auch bezweifeln, dass der philosophische Realismus sich auf seine Weise wirklich schlüssig begründen und eine der ganz großen Debatten der Philosophie sich damit beenden lässt. Wer erkenntnistheoretische Zweifel an der Erkennbarkeit der Wahrheit hegt, muss sich durchaus nicht auf die Seite der Verfechter alternativer Wahrheiten stellen. Die Herausforderung besteht gerade darin, sich klarzumachen, dass auch wissenschaftliches Wissen grundsätzlich revidierbar und dennoch alles andere als beliebig ist. Zweifelhaft ist auch, ob sich die neueren Entwicklungen im Bereich des maschinellen Lernens so einfach unter "KI ist reine Logik" abtun lassen.
Doch Gabriels Plädoyer für den Universalismus, der Anstoß, sich auf die menschliche Art des Denkens zu besinnen und den Mittelweg zwischen emotionaler Gedankenlosigkeit und gefühllosem Maschinendenken zu suchen, ist triftig.
MANUELA LENZEN
Markus Gabriel: "Der Sinn des Denkens".
Ullstein Buchverlage, Berlin 2018. 367 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was man sich unter Denken zu denken hat: Markus Gabriel bringt seine philosophische Trilogie zum Abschluss
Denken ist kein abgehobenes Philosophenthema. Wie wir das Denken verstehen, das macht der Bonner Philosoph Markus Gabriel klar, ist vielmehr zentral dafür, wie wir unsere Stellung in der Welt wahrnehmen und was wir uns zutrauen. Um den Sinn des Denkens geht es bei ihm im doppelten Sinne: als Antwort auf die Frage, wozu das Denken gut ist, und als Bestimmung des Denkens selbst als Sinn. Denn genau das sei das Denken: ein Sinn wie Riechen, Schmecken, Hören, Sehen und Tasten, der Denksinn eben. "Nooskop" tauft ihn der Autor.
Wie die anderen Sinne diene der Denksinn dazu, dass wir Kontakt zur Wirklichkeit finden, in diesem Falle zu einer geistigen Wirklichkeit. Im Denken finden wir eine Wirklichkeit, wie wir sie "im Rahmen der menschlichen Lebensform entdecken können". Sie ist groß genug, um Ideen wie Gerechtigkeit, Menschenrechte und Freiheit erfassen zu können, doch sie bleibe eine eingeschränkte Perspektive, die nie das "große Ganze" umfassen und also nie abgeschlossen sein kann. Und noch in einer weiteren Hinsicht ähnelt das Denken den anderen Sinnen: Wir machen unsere Gedanken nicht, sie fallen uns ein.
Nach "Warum es die Welt nicht gibt" und "Ich ist nicht Gehirn" ist "Der Sinn des Denkens" der Schlussteil einer Trilogie, in der Gabriel seinen "Neuen Realismus" für Hörer aller Fakultäten darlegt, ein Schlussteil, der, wie der Autor betont, auch ohne Lektüre der beiden anderen Bände zu verstehen ist. Und wie zuvor geht es ihm auch hier darum, Denkfehler aus dem Weg zu räumen. Auf zwei hat er es dabei besonders abgesehen: die Annahme, Künstliche Intelligenz sei tatsächlich intelligent, und die Idee, die Wirklichkeit sei letztlich eine Illusion, so etwas wie die Matrix, zu der uns nur die rote Pille fehlt, um uns das Dahinter zu zeigen.
Nach Art eines Proseminars dröselt Gabriel zunächst auf, wie er seine Begriffe verwendet: Denken, Gedanke, Inhalt, Eigenschaft, für alle diese Termini kann man im Anhang auch eine kurze Erklärung nachlesen. Denken ist das Fassen von Gedanken, Gedanken sind die Inhalte des Denkens. Dann holt er weiter aus, um zu erklären, warum es nicht sein kann, dass wir uns alle zeitlebens in einem Traum befinden: bis zu Heideggers "Gestell", Wittgensteins Privatsprachen-Argument, Adorno, Baudrillard und Frege; es fehlen weder das Gedankenexperiment vom "Chinesischen Zimmer" noch das vom Stück für Stück durch Technik ersetzten Menschen, weder Anleihen aus "Westworld" noch Dave Eggers "Circle". Die Begriffe, mit denen wir denken - Hauptbahnhof, Gleis, Brötchen -, und ihre Zusammenhänge ermöglichen uns die Orientierung in der Welt, doch sie sind keine Konstrukte, keine Daten, die wir im Kopf "verarbeiten", sondern zeigen, was wirklich der Fall ist. Wirklich ist das, worüber wir uns irren können, das, was nicht in Gedanken aufgeht.
Nach dem Illusionsdiskurs nimmt Gabriel sich den Funktionalismus vor, die Grundlage aller KI-Forschung: Nur wenn es gelingen kann, die Funktionen des Denkens in einem anderen Substrat als der organischen Materie zu realisieren, kann es künstliche Intelligenz geben. Der Funktionalismus sei nicht wirklich zu widerlegen, konstatiert Gabriel, es sei eine Art Metaphysik, die funktioniert, weil man die Details, etwa die Bedeutung der Emotionen für das menschliche Denken, nicht genau genug sieht. Künstliche Intelligenz schaffe daher immer nur Denkmodelle, kein Denken, denn ihren Produkten fehle etwas Entscheidendes: das Bewusstsein und damit die Emotionen und das qualitative Erleben. Diese begriffliche Klärung verwischt er allerdings gleich wieder, indem er erklärt, das menschliche Denken sei, weil kulturell überformt, selbst eine künstliche Intelligenz. Das Modell dieser immer schon künstlichen Intelligenz müsse also genau genommen KKI heißen: künstliche künstliche Intelligenz.
Diese KKI sieht Gabriel so kritisch wie manche Ängste vor ihr: Echokammern etwa seien eher ein Zeichen von Bequemlichkeit als eine echte Gefahr. Was außer Faulheit hindert uns, uns vielseitig zu informieren? Mehr Sorge bereitet ihm, dass die so objektiv daherkommenden Algorithmen in ihren Verfahrensweisen Werte und Werturteile transportieren, die nicht offengelegt werden. Die größte Gefahr besteht für ihn allerdings darin - das ist vielleicht die wichtigste Botschaft des Buches -, dass wir unser Menschenbild an den vermeintlichen Denkmaschinen ausrichten, ihnen nacheifern und bedauern, nicht mithalten zu können, statt uns auf das zu besinnen, was menschliche Intelligenz wirklich ausmacht: die Fähigkeit, Einsichten, Wahrheit und Tatsachen manchmal Vorrang vor unseren egoistischen Interessen zu geben. Wer den Übermenschen will, verachtet in Wahrheit das Leben, so Gabriel in seiner nicht zu Unrecht mit "pathetisch" überschriebenen Schlussbemerkung.
Der Autor unternimmt eine beeindruckende Tour durch die Höhen der Erkenntnistheorie wie durch die Niederungen der Tagespolitik und zeigt: Philosophie gehört nicht in den Elfenbeinturm. Manchmal allerdings erliegt er bei allem Bemühen um Verständlichkeit der Philosophenmarotte, immer neue Begriffe einzuführen, als gäbe es nicht genug Wörter, um sich klar auszudrücken. Man kann auch bezweifeln, dass der philosophische Realismus sich auf seine Weise wirklich schlüssig begründen und eine der ganz großen Debatten der Philosophie sich damit beenden lässt. Wer erkenntnistheoretische Zweifel an der Erkennbarkeit der Wahrheit hegt, muss sich durchaus nicht auf die Seite der Verfechter alternativer Wahrheiten stellen. Die Herausforderung besteht gerade darin, sich klarzumachen, dass auch wissenschaftliches Wissen grundsätzlich revidierbar und dennoch alles andere als beliebig ist. Zweifelhaft ist auch, ob sich die neueren Entwicklungen im Bereich des maschinellen Lernens so einfach unter "KI ist reine Logik" abtun lassen.
Doch Gabriels Plädoyer für den Universalismus, der Anstoß, sich auf die menschliche Art des Denkens zu besinnen und den Mittelweg zwischen emotionaler Gedankenlosigkeit und gefühllosem Maschinendenken zu suchen, ist triftig.
MANUELA LENZEN
Markus Gabriel: "Der Sinn des Denkens".
Ullstein Buchverlage, Berlin 2018. 367 S., geb., 20,- [Euro].
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