Dieses Buch hat sich viel vorgenommen. Es will die wichtigsten Stadien der Mediengeschichte von den Anfängen bis zum Internet Revue passieren lassen. Also setzt es mit dem Urknall ein. Am Anfang war der Sound, der Big Bang, dessen Nachhall wir heute noch vernehmen. Heute dagegen überlagern sich im Multimedia-Rauschen alte und neue Erfindungen, senden durcheinander und sind auf der Suche nach ihrer eigentlichen Funktion. Das Paradox eines solchen Projekts liegt darin, dass es seine wichtigsten Themen nicht abbilden kann: Dem Buch liegt keine CD-ROM und keine Diskette bei. Es kann kein Update herunterladen. Aber es braucht auch keinen Virus zu fürchten und benötigt keinen Akku - nur die Energie des Lesers. Es bietet statt des sinnlichen Materials Überlegungen zur Sinnproduktion. Daraus ergibt sich auch die leitende These dieser Mediengeschichte/n: Während die frühe Medienwelt im Bann von Stimme und Schrift sinnzentriert ist, wendet sich die neuere Medientechnik an die Sinne und sprengt das traditionelle Trimat der Bedeutungen und alle zentrischen Kommunikationsverhältnisse. Eine Sendezentrale an alle: Gott übergibt seine zehn Gebote dem Medienmonopol der allumfassenden Kirche. Roma locuta, causa finita. Dass dieses Modell nicht mehr gilt, wissen wir alle. Audiovisuelle Hybridmedien wie der Computer, der am Internet hängt, bringen die beiden Stränge von Sinn und Sinnen zusammen und verstricken uns in ein Netz, das die Subjekte, die User und Loser zu Schnittstellen macht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.05.2001Der Geist sendet auf welcher Frequenz er will
Faktensammler sind keine Sinnhuber: Jochen Hörisch erzählt eine Geschichte der Medien und beweist, daß der Mediator die frohe Botschaft ist
Die Medienwissenschaft ist eine Buchreligion. Ihre Glaubenssätze wurden ihren Anhängern nicht auf einen Schlag offenbart, sondern es bildete sich nach und nach ein Kanon heraus, mit dessen Kommentierung ganze Heere von Seminaristen beschäftigt sind. Wie einst die zehn Gebote, die Mose vom Berg Sinai brachte, stiften sie die Identität einer Disziplin, deren konkrete Forschungsgegenstände vollkommen disparat sind und von frühzeitlichen Höhlenmalereien über das Postsystem des achtzehnten Jahrhunderts bis zu Videospielen reichen. Der berühmteste Lehrsatz lautet "Das Medium ist die Botschaft", ein anderer "Der Inhalt eines Mediums ist immer ein altes Medium", oder, als Gebot der Stunde: "Was zählt, ist die Hardware". Diese und ähnliche Sätze aus dem Buche Marshall, dem Evangelium nach Niklas oder der Apokalypse des Friedrich kann man stets im Munde führen und jedem Zweifler an der Allmacht und Allgegenwart des Medialen lautstark entgegenhalten.
Der neueste Bibelkommentar stammt von Jochen Hörisch, einem berufenen Exegeten, der sich der religiösen Wurzeln des Medienbegriffs nur zu bewußt ist. Von 1988 datiert seine Studie "Brot und Wein", in der er zeigte, daß die zentrale Leistung der Eucharistie eine mediale ist: nämlich die Vermittlung von Zeichen und Sein. Damals nahm er eine Motivgeschichte zum Leitfaden, um die moderne Ablösung des Religiösen durch die Ökonomie zu beschreiben. Die Ersetzung des Abendmahls durch materielle Tauschakte und technische Inszenierungen ließ sich eben auch als Transsubstantiation, als Wandlung beschreiben, da sich theologische Gehalte nicht einfach im Säurebad der Säkularisierung auflösen, sondern in neuer Gestalt wiederkehren.
In Hörischs neuem Buch "Der Sinn und die Sinne" fungiert die Erzählung von Moses auf dem Sinai als eine Art Urszene der Mediengeschichte: Moses begegnet Gott von Angesicht zu Angesicht, doch was er seinem Volk mitbringt, ist kein Bild, sondern Schrift. Eine Schrift auch noch, die in Bezug auf ihren Urheber ein ausdrückliches Bilderverbot erteilt. Damit ist eine Mediendifferenz etabliert, die bis heute weiterwirkt: Der Sinn steht über den Sinnen und noch in der kulturkritischen Rede von der "Bilderflut" klingt ein Rest dieser Hierarchisierung nach, obwohl die Medien spätestens seit Photographie und Grammophon ihre sinnliche Seite hervorkehren.
Daß die abendländische Schriftgläubigkeit, die sich zugleich gegen die Verwerfung des "toten Buchstaben" zu behaupten hatte, quicklebendig ist, zeigt sich schon daran, daß eine Mediengeschichte auch heute noch ein Buch ergibt. Für das Paradox, eine Entwicklung bis zum Universalmedium Computer als limitierte und numerierte Ausgabe in der "Anderen Bibliothek" zu beschreiben, weiß Hörisch selbst keine überzeugende Erklärung. Der häretischen These, daß der Inhalt von alten Medien immer neue Medien sind, kann ein Orthodoxer kaum zustimmen. Nicht nur die mediale Verfaßtheit seines Werks, sondern auch dessen höchst traditionelle Leitdifferenz von Sinn und Sinnlichkeit erweist Hörisch als Hüter der Schrift: Er ist Teil des Teils, der früher alles war und beobachtet noch Silicon Valley vom Bücherberg aus.
Man liest aber dieses Buch gerade darum mit Gewinn, wenn auch die zahlreichen Stationen von der Erfindung der Schrift über die Geschichte der Bibliothek bis zu den inflationären Medienrevolutionen zwischen Gutenberg und Tim Berners-Lee wenig Neues bieten. Das überaus faktenreiche, didaktisch vorbildliche Buch variiert zudem die aus Hörischs früheren Arbeiten bekannte Analogie zwischen Theologie, Ökonomie und Massenmedien. (Für einen Crashkurs in virtueller Christologie sei der Exkurs über "Hostie, Münze, CD-Rom" empfohlen.) Dennoch finden sich originelle Beobachtungen zuhauf; Hörisch ist ein Meister darin, leitende Materialien zu entdecken, mit denen sich auch die hölzernsten Konstruktionen zu einem Stromkreis verbinden lassen, und findet in Literatur, Film und Fernsehen reiches Anschauungsmaterial. Das infantile Gestammel der "Teletubbies" als Rückkehr hinter die babylonische Sprachverwirrung zu deuten, als Einlösung des Menschheitstraums der Verständigung ohne übersetzerische Streuverluste, das ist ein weiteres originelles Update der biblischen Mythologie, deren Referenzrahmen ein Assoziationsprofi wie Hörisch selbst im Kinderprogramm nicht verlassen kann. Daß hier die technisch hochgerüstete Aphasie - die Teletubbies sind selbst mobile Empfangsstationen - zum Fluchtpunkt der Mediengeschichte wird, deutet ihren latent endzeitlichen Zug an. Zum biblischen Erbe gehört auch die Programmvorschau aufs jüngste Gericht.
Hörisch ist ein versierter Autor, der mit Gespür für Ober- und Zwischentöne disparates Material elegant zu verknüpfen weiß. Vor allem die Rückübersetzung von Begriffen, die nach Nietzsche nur geronnene Metaphern sind, in ihre ursprünglichen Bilder beherrscht er virtuos. Zugleich liegt aber in dieser rhetorischen Brillanz auch die größte Schwäche dieses Buches. Denn allzuoft stellt der Fluß der Sprache Verbindungen zwischen Unvereinbarem her oder setzt umstandslos ein Gleichheitszeichen zwischen die herbeizitierten Gewährsmänner. Daß auch Kronzeugen widersprechende Aussagen machen könnten, scheint Hörisch nicht zu stören. So spricht er beispielsweise mit Simmels "Philosophie des Geldes" von "Substanzen, die kaum eine Bedeutung für den Einzelmenschen als solchen, sondern einen Sinn nur in den Beziehungen zwischen Menschen und Menschengruppen haben, die in ihnen kristallisiert sind", um dann fortzufahren: "McLuhan hat es weniger schön, dafür aber schlagend klar gesagt: Das Medium ist die Botschaft". Nun sagen McLuhan und Simmel freilich schlagend klar etwas vollkommen anderes. Während Simmel vom bestimmten Zeichen spricht, deren Inhalt im Verweis auf eine Relation besteht, spricht McLuhan von einer Determination des Inhalts durch die Art und Weise seiner Vermittlung. Die wahre Botschaft ist der Mediator, der auch über klaffenden Widersprüchen eine Brücke baut.
Ein weiteres Beispiel: Gleich im Vorwort führt Hörisch den Buchdruck als Zäsur der Mediengeschichte an, weil seit Gutenberg die mögliche Konfrontation mit früheren Äußerungen die Identität gefährden kann: "Das Geschwätz von gestern stört bekanntlich nicht - die penetrante Dauerhaftigkeit des Geschriebenen aber kann für das jeweils aktuelle Selbstverständnis hochgradig störend sein". Im ersten Kapitel wird das Neugeborene als "das infans", "das Sound-Wesen, das schreiende, noch sprachlose Wesen" bestimmt, dem Sprach- und Mediensystem von außen auferlegt werden; später wird dem Baby ein primärer Mediengebrauch zugestanden, da es auch ohne Sprache höchst effektiv kommuniziere.
Man muß Hörisch auch deshalb für dieses Buch dankbar sein, da es, wenn auch unfreiwillig, ein grundsätzliches Dilemma aufzeigt. Man kann keine Geschichte der Medien erzählen, ohne eine kohärente und trennscharfe Medientheorie zugrunde zu legen, oder wenigstens eine eindeutige Definition. "Nun gibt es aber bekanntlich nicht das Medium, sondern viele Medien, Multimedien" - wer so einen Satz schreibt, von dem darf man logische Feinarbeit nicht erwarten. Hörisch greift dankbar auf, daß McLuhan das Geld als das "wohl mächtigste, am wenigsten vermeidbare unter den neuzeitlichen Massenmedien begriffen" habe, will sich aber nicht darauf einlassen, sämtliche "Körperextensionen" unter den Medienbegriff zu fassen - zu Recht, denn dann könnte man vom Dildo bis zum Düsenjet alles hineinnehmen. Das gleiche gilt für Luhmanns Konzept der "symbolisch generalisierten Medien", zu denen neben Geld etwa auch Wahrheit, Liebe oder religiöser Glaube zählen. Zur theoretischen Verbindung mit einem "harten" Konzept technischer Medien fallen Hörisch nur Banalitäten ein, etwa daß wer verliebt ist, gern einmal telephoniert und Machtausübung der Befehlsübermittlung bedarf.
Um nicht in die naheliegende Falle zu rennen, eine enzyklopädische "Geschichte von allem" zu schreiben, muß Hörisch doch auf den wenig originellen, aber pragmatischen Pfad ausweichen, entlang der technischen Innovationen der Speicher- und Übertragungsmedien zu erzählen. Gegen seine Hauptthese, daß nach dem jahrhundertelangen Primat der Speichermedien im Zeitalter von Telegraphie und Rundfunk die Übertragungsmedien in den Vordergrund rücken und schließlich im Computerzeitalter die Bearbeitungsfunktion, ist in dieser Allgemeinheit nichts zu sagen - sie ist freilich auch trivial. Daß im Cyberspace mit der Unterscheidung von Sinn und Sinnen nicht mehr sinnvoll zu operieren ist, gibt er selber zu: Bits und Bytes sind das Unsinnlichste überhaupt und doch zur Genesis ganzer Welten in der Lage. Was der Medienbegriff heuristisch zu leisten vermag, muß daher weiter offenbleiben. Es macht mißtrauisch, daß die Wissenschaften sehr lange, bis in die Hochphase von Rundfunk und Fernsehen, auf den Begriff gut verzichten konnten, ohne daß die Reflexion über das, was heute unter diesem Titel läuft, von Simmel bis Kracauer, von Benjamin bis Brecht, erkennbar darunter gelitten hätte.
RICHARD KÄMMERLINGS
Jochen Hörisch: "Der Sinn und die Sinne". Eine Geschichte der Medien. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2001. 444 S., Abb., geb., 58,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Faktensammler sind keine Sinnhuber: Jochen Hörisch erzählt eine Geschichte der Medien und beweist, daß der Mediator die frohe Botschaft ist
Die Medienwissenschaft ist eine Buchreligion. Ihre Glaubenssätze wurden ihren Anhängern nicht auf einen Schlag offenbart, sondern es bildete sich nach und nach ein Kanon heraus, mit dessen Kommentierung ganze Heere von Seminaristen beschäftigt sind. Wie einst die zehn Gebote, die Mose vom Berg Sinai brachte, stiften sie die Identität einer Disziplin, deren konkrete Forschungsgegenstände vollkommen disparat sind und von frühzeitlichen Höhlenmalereien über das Postsystem des achtzehnten Jahrhunderts bis zu Videospielen reichen. Der berühmteste Lehrsatz lautet "Das Medium ist die Botschaft", ein anderer "Der Inhalt eines Mediums ist immer ein altes Medium", oder, als Gebot der Stunde: "Was zählt, ist die Hardware". Diese und ähnliche Sätze aus dem Buche Marshall, dem Evangelium nach Niklas oder der Apokalypse des Friedrich kann man stets im Munde führen und jedem Zweifler an der Allmacht und Allgegenwart des Medialen lautstark entgegenhalten.
Der neueste Bibelkommentar stammt von Jochen Hörisch, einem berufenen Exegeten, der sich der religiösen Wurzeln des Medienbegriffs nur zu bewußt ist. Von 1988 datiert seine Studie "Brot und Wein", in der er zeigte, daß die zentrale Leistung der Eucharistie eine mediale ist: nämlich die Vermittlung von Zeichen und Sein. Damals nahm er eine Motivgeschichte zum Leitfaden, um die moderne Ablösung des Religiösen durch die Ökonomie zu beschreiben. Die Ersetzung des Abendmahls durch materielle Tauschakte und technische Inszenierungen ließ sich eben auch als Transsubstantiation, als Wandlung beschreiben, da sich theologische Gehalte nicht einfach im Säurebad der Säkularisierung auflösen, sondern in neuer Gestalt wiederkehren.
In Hörischs neuem Buch "Der Sinn und die Sinne" fungiert die Erzählung von Moses auf dem Sinai als eine Art Urszene der Mediengeschichte: Moses begegnet Gott von Angesicht zu Angesicht, doch was er seinem Volk mitbringt, ist kein Bild, sondern Schrift. Eine Schrift auch noch, die in Bezug auf ihren Urheber ein ausdrückliches Bilderverbot erteilt. Damit ist eine Mediendifferenz etabliert, die bis heute weiterwirkt: Der Sinn steht über den Sinnen und noch in der kulturkritischen Rede von der "Bilderflut" klingt ein Rest dieser Hierarchisierung nach, obwohl die Medien spätestens seit Photographie und Grammophon ihre sinnliche Seite hervorkehren.
Daß die abendländische Schriftgläubigkeit, die sich zugleich gegen die Verwerfung des "toten Buchstaben" zu behaupten hatte, quicklebendig ist, zeigt sich schon daran, daß eine Mediengeschichte auch heute noch ein Buch ergibt. Für das Paradox, eine Entwicklung bis zum Universalmedium Computer als limitierte und numerierte Ausgabe in der "Anderen Bibliothek" zu beschreiben, weiß Hörisch selbst keine überzeugende Erklärung. Der häretischen These, daß der Inhalt von alten Medien immer neue Medien sind, kann ein Orthodoxer kaum zustimmen. Nicht nur die mediale Verfaßtheit seines Werks, sondern auch dessen höchst traditionelle Leitdifferenz von Sinn und Sinnlichkeit erweist Hörisch als Hüter der Schrift: Er ist Teil des Teils, der früher alles war und beobachtet noch Silicon Valley vom Bücherberg aus.
Man liest aber dieses Buch gerade darum mit Gewinn, wenn auch die zahlreichen Stationen von der Erfindung der Schrift über die Geschichte der Bibliothek bis zu den inflationären Medienrevolutionen zwischen Gutenberg und Tim Berners-Lee wenig Neues bieten. Das überaus faktenreiche, didaktisch vorbildliche Buch variiert zudem die aus Hörischs früheren Arbeiten bekannte Analogie zwischen Theologie, Ökonomie und Massenmedien. (Für einen Crashkurs in virtueller Christologie sei der Exkurs über "Hostie, Münze, CD-Rom" empfohlen.) Dennoch finden sich originelle Beobachtungen zuhauf; Hörisch ist ein Meister darin, leitende Materialien zu entdecken, mit denen sich auch die hölzernsten Konstruktionen zu einem Stromkreis verbinden lassen, und findet in Literatur, Film und Fernsehen reiches Anschauungsmaterial. Das infantile Gestammel der "Teletubbies" als Rückkehr hinter die babylonische Sprachverwirrung zu deuten, als Einlösung des Menschheitstraums der Verständigung ohne übersetzerische Streuverluste, das ist ein weiteres originelles Update der biblischen Mythologie, deren Referenzrahmen ein Assoziationsprofi wie Hörisch selbst im Kinderprogramm nicht verlassen kann. Daß hier die technisch hochgerüstete Aphasie - die Teletubbies sind selbst mobile Empfangsstationen - zum Fluchtpunkt der Mediengeschichte wird, deutet ihren latent endzeitlichen Zug an. Zum biblischen Erbe gehört auch die Programmvorschau aufs jüngste Gericht.
Hörisch ist ein versierter Autor, der mit Gespür für Ober- und Zwischentöne disparates Material elegant zu verknüpfen weiß. Vor allem die Rückübersetzung von Begriffen, die nach Nietzsche nur geronnene Metaphern sind, in ihre ursprünglichen Bilder beherrscht er virtuos. Zugleich liegt aber in dieser rhetorischen Brillanz auch die größte Schwäche dieses Buches. Denn allzuoft stellt der Fluß der Sprache Verbindungen zwischen Unvereinbarem her oder setzt umstandslos ein Gleichheitszeichen zwischen die herbeizitierten Gewährsmänner. Daß auch Kronzeugen widersprechende Aussagen machen könnten, scheint Hörisch nicht zu stören. So spricht er beispielsweise mit Simmels "Philosophie des Geldes" von "Substanzen, die kaum eine Bedeutung für den Einzelmenschen als solchen, sondern einen Sinn nur in den Beziehungen zwischen Menschen und Menschengruppen haben, die in ihnen kristallisiert sind", um dann fortzufahren: "McLuhan hat es weniger schön, dafür aber schlagend klar gesagt: Das Medium ist die Botschaft". Nun sagen McLuhan und Simmel freilich schlagend klar etwas vollkommen anderes. Während Simmel vom bestimmten Zeichen spricht, deren Inhalt im Verweis auf eine Relation besteht, spricht McLuhan von einer Determination des Inhalts durch die Art und Weise seiner Vermittlung. Die wahre Botschaft ist der Mediator, der auch über klaffenden Widersprüchen eine Brücke baut.
Ein weiteres Beispiel: Gleich im Vorwort führt Hörisch den Buchdruck als Zäsur der Mediengeschichte an, weil seit Gutenberg die mögliche Konfrontation mit früheren Äußerungen die Identität gefährden kann: "Das Geschwätz von gestern stört bekanntlich nicht - die penetrante Dauerhaftigkeit des Geschriebenen aber kann für das jeweils aktuelle Selbstverständnis hochgradig störend sein". Im ersten Kapitel wird das Neugeborene als "das infans", "das Sound-Wesen, das schreiende, noch sprachlose Wesen" bestimmt, dem Sprach- und Mediensystem von außen auferlegt werden; später wird dem Baby ein primärer Mediengebrauch zugestanden, da es auch ohne Sprache höchst effektiv kommuniziere.
Man muß Hörisch auch deshalb für dieses Buch dankbar sein, da es, wenn auch unfreiwillig, ein grundsätzliches Dilemma aufzeigt. Man kann keine Geschichte der Medien erzählen, ohne eine kohärente und trennscharfe Medientheorie zugrunde zu legen, oder wenigstens eine eindeutige Definition. "Nun gibt es aber bekanntlich nicht das Medium, sondern viele Medien, Multimedien" - wer so einen Satz schreibt, von dem darf man logische Feinarbeit nicht erwarten. Hörisch greift dankbar auf, daß McLuhan das Geld als das "wohl mächtigste, am wenigsten vermeidbare unter den neuzeitlichen Massenmedien begriffen" habe, will sich aber nicht darauf einlassen, sämtliche "Körperextensionen" unter den Medienbegriff zu fassen - zu Recht, denn dann könnte man vom Dildo bis zum Düsenjet alles hineinnehmen. Das gleiche gilt für Luhmanns Konzept der "symbolisch generalisierten Medien", zu denen neben Geld etwa auch Wahrheit, Liebe oder religiöser Glaube zählen. Zur theoretischen Verbindung mit einem "harten" Konzept technischer Medien fallen Hörisch nur Banalitäten ein, etwa daß wer verliebt ist, gern einmal telephoniert und Machtausübung der Befehlsübermittlung bedarf.
Um nicht in die naheliegende Falle zu rennen, eine enzyklopädische "Geschichte von allem" zu schreiben, muß Hörisch doch auf den wenig originellen, aber pragmatischen Pfad ausweichen, entlang der technischen Innovationen der Speicher- und Übertragungsmedien zu erzählen. Gegen seine Hauptthese, daß nach dem jahrhundertelangen Primat der Speichermedien im Zeitalter von Telegraphie und Rundfunk die Übertragungsmedien in den Vordergrund rücken und schließlich im Computerzeitalter die Bearbeitungsfunktion, ist in dieser Allgemeinheit nichts zu sagen - sie ist freilich auch trivial. Daß im Cyberspace mit der Unterscheidung von Sinn und Sinnen nicht mehr sinnvoll zu operieren ist, gibt er selber zu: Bits und Bytes sind das Unsinnlichste überhaupt und doch zur Genesis ganzer Welten in der Lage. Was der Medienbegriff heuristisch zu leisten vermag, muß daher weiter offenbleiben. Es macht mißtrauisch, daß die Wissenschaften sehr lange, bis in die Hochphase von Rundfunk und Fernsehen, auf den Begriff gut verzichten konnten, ohne daß die Reflexion über das, was heute unter diesem Titel läuft, von Simmel bis Kracauer, von Benjamin bis Brecht, erkennbar darunter gelitten hätte.
RICHARD KÄMMERLINGS
Jochen Hörisch: "Der Sinn und die Sinne". Eine Geschichte der Medien. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2001. 444 S., Abb., geb., 58,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
In einem "alten" Medium, dem Buch, über "neue Medien" zu schreiben, habe etwas Widersinniges, bekennt laut Michael Mayer der Autor, dessen "fröhliche Mediengeschichte" dem Rezensenten deshalb auch gar nicht so fröhlich vorkommt. Hörischs Medientheorie sei dem Hegelschen Leitsatz vom Sinn und den Sinnen verpflichtet, so Mayer. In insgesamt drei Phasen unterteile der Autor die Mediengeschichte, in der sich eine Verlagerung und Fokussierung des Sinns auf die Sinne ergeben habe, von der sinnstiftenden Hochkultur des geschriebenen und gesprochenen Wortes bis hin zur Verschränkung der Sinne ohne eindeutige Hierarchie im Computerzeitalter. Hörischs Medientheorie sei nicht völlig neu, meint Mayer, aber selten sei sie so sachkundig aufbereitet und stilistisch brillant vorgetragen worden. Außerdem scheue der Autor nicht, kühne Verknüpfungen zu wagen, was Mayer einer methodologisch verengenden Studie jederzeit vorzieht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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