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Ghetto-Rap, HipHopSuicide, Black-Bildungsroman - zu neuen Genrebezeichnungen forderte der junge Lyriker Paul Beatty, ein Star der New Yorker Szene, die Leser und Kritiker seines ersten Romans heraus. Dabei ist alles ganz einfach. Sein Held ist schwarz, heißt Gunnar Kaufman und wächst im schicken weißen Santa Monica heran. In der Schule werden sie Kinder politisch korrekt in Hautfarbenblindheit unterwiesen, in den Kinderzimmern wird mit ausnahmslos weißen jüdischen Freunden Computerkrieg geführt. Sie liegen vor Stalingrad und spielen Hitler. Einer der beteiligten Väter fragt sich, ob er ein…mehr

Produktbeschreibung
Ghetto-Rap, HipHopSuicide, Black-Bildungsroman - zu neuen Genrebezeichnungen forderte der junge Lyriker Paul Beatty, ein Star der New Yorker Szene, die Leser und Kritiker seines ersten Romans heraus. Dabei ist alles ganz einfach. Sein Held ist schwarz, heißt Gunnar Kaufman und wächst im schicken weißen Santa Monica heran. In der Schule werden sie Kinder politisch korrekt in Hautfarbenblindheit unterwiesen, in den Kinderzimmern wird mit ausnahmslos weißen jüdischen Freunden Computerkrieg geführt. Sie liegen vor Stalingrad und spielen Hitler. Einer der beteiligten Väter fragt sich, ob er ein schlechtes Gewissen haben muß, wenn er die KZ-Nummer seines Vaters als Lottozahl benutzt. Verständlich, daß Gunnars Mama sich um das Identitätsbewußtsein ihrer Kinder sorgt. Sie zieht mit ihnen in eine schwarze Gegend im Westen von Los Angeles. Schlimmer konnte es nicht kommen. Gunnar, der 'weiße Neger', versteht die Körpersprache und Codes der dortigen Kids nicht, zieht sich zurück, liest Kant, Hegel und Homer. Wie Gunnar Kaufman dennoch den Durchbruch als Dichter und Basketballspieler schafft und sogar zum Erlöser der afroamerikanischen Geschichte wird - das erzählt Paul Beatty in seinem satirischen Entwicklungsroman frech, virtuos und in schnellen, wechselnden Rhythmen. Als hätter er jeder Stimmung eine eigen Musik erfunden, lesen und hören wir einen Roman aus Blues, Bebop, Soul und Rap.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.1999

Schwarz bleiben
Asphaltlektionen: Paul Beatty und der Sklavenmessias

"Beim Kampf um Gleichberechtigung haben Schwarze alles versucht. Wir haben appelliert, revoltiert und amüsiert, wir sind Mischehen eingegangen und werden trotzdem noch wie der letzte Dreck behandelt. Nichts hat was gebracht, warum also erst groß an Toxinen und amerikanischer Leistungsethik dahinsiechen, wenn wir die Freiheit zur zügigen Selbstliquidierung haben?"

Wer solche Fragen stellt - in diesem Fall ist es Gunnar Kaufman, der schwarze Ich-Erzähler im Prolog zu Paul Beattys Roman-Erstling "Der Sklavenmessias" -, gibt zu erkennen, daß er mit Bürgerrechtsideen, Gleichstellungsprojekten und organisiertem positiven Denken abgeschlossen hat. Schon zu Beginn seines ersten Kapitels betont Beatty, ein 1962 geborener und in Los Angeles aufgewachsener Lyriker, der bereits zwei preisgekrönte Gedichtbände vorgelegt hat, die Distanz seines Helden zum "erdverbundenen, volkstümlichen schwarzen Voodoo-Priester - Totem im Blaumann, Blues im Blut -, der den weißen Rassismus großmütig weg- und den Pulitzerpreis einsteckt": Gunnar stellt sich vor als "der erste Sohn eines rückgratlosen, farbenblinden Hurensohns, des dritten Sohns eines arschkriecherischen, nestbeschmutzenden Hausnegers".

Durch diese und viele anderen Attacken unterscheidet sich "Der Sklavenmessias", formal die Autobiographie eines jungen, überdurchschnittlich gebildeten Schwarzen mit erziehungsbedingten Identitätsproblemen, von jener Anklage- und Verheißungsliteratur, welche man hierzulande mit Namen wie etwa Langston Hughes, James Baldwin oder Ralph Ellison assoziiert, ganz zu schweigen von ehemals radikalen Propheten wie LeRoi Jones (seit 1965 Imamu Amiri Baraka). Nein, Gunnar Kaufman - der am Ende des von ihm beschriebenen Lebensweges von seinem Urheber Beatty zum "Sklavenmessias" befördert wird und sich vor einer begeisterten, scheinbar todessüchtigen Gefolgschaft demonstrativ einen Finger abhackt, nachdem er Uncle Sam, den "großen weißen Vater", unter dem Motto "Tötet alle Nigger" um den Abwurf einer Atombombe auf die in Los Angeles gelegene Schwarzensiedlung Hillside angefleht hat - durchschaut sämtliche individuellen Attitüden und kollektiven Maskeraden im zeitgenössischen Amerika viel zu gründlich, als daß er noch durch harmlosere Parolen oder gutgemeinte Programme zu beeindrucken wäre.

Der Entzauberungsprozeß beginnt in der "vornehmlich weißen multikulturellen Schule von Santa Monica", wo der kleine Gunnar, der mit zwei Schwestern bei seiner geschiedenen Mutter aufwächst, seine ersten Bildungserlebnisse hat. Die bestehen in seiner Erinnerung vor allem aus "zwei Spielarten des Multikulturalismus: Klassenzimmermultikulturalismus, der Rasse, sexuelle Präferenzen und Geschlecht bagatellisierte, und Pausenhofmultikulturalismus, wo die Kids uneingeschränkt herrschten, die die meisten Polen-, Schwulen- und Farmerstöchterwitze kannten. Die Querbeettoleranz drinnen konnte gegen die Asphaltlektionen draußen nicht anstinken."

Die "Asphaltlektionen" werden härter, als die Familie von Santa Monica nach Los Angeles, in den Schwarzen-Stadtteil Hillside, umzieht. Schockiert vernimmt der frisch eingetroffene Gunnar den Vorwurf eines Gleichaltrigen, er rede "geschwollen wie der letzte Motherfucker" und trage ein nichtswürdiges "Jambalaya-Outfit". Alsbald wird ihm klar, daß er, um in dieser Umgebung leichter überleben zu können, eine "Gangzugehörigkeit" wenigstens simulieren muß, und lernt manche "Ghettolektion", etwa: "Laß dir niemals anmerken, daß du jemandem mißtraust. Selbst wenn er dich übers Ohr hauen will, könnte er deshalb eingeschnappt sein." Polizisten holen "Mitschüler zu Spontanvernehmungen aus dem Unterricht", "Bombendrohungen und Schließfachrazzien" gehören zum Alltag; und nur im Internet genießt man "wahre Versammlungsfreiheit". Seine sexuelle Initiation erlebt Gunnar durch die Bemühungen zweier mit allen Wassern gewaschenen Teenager auf dem Betonboden eines Waschraums. Und ehe er es sich versieht, ist er zumindest assoziiertes Mitglied der "Gun Totin' Hooligans", deren Anführer, pleonastisch "Psycho Loco" genannt, zusammen mit dem introvertierten schwarzen Jazz-Adepten Nicholas Scoby zu Gunnars Hauptkumpel wird.

Gunnar, der begonnen hat, Gedichte zu veröffentlichen, und ebenso wie Scoby als Basketballspieler glänzt, zeigt sich fasziniert von der Direktheit, Durchsetzungskraft und ungezügelten Brutalität des Psycho Loco: "Er war eine Bedrohung. Der amerikanische Dichter war ein Klatschmaul, eine Heulsuse, bestenfalls ein Wortführer." Als in Los Angeles Krawalle ausbrechen, weil weiße Polizisten, die den Schwarzen Rodney King krankenhausreif geprügelt haben, in ihrem ersten Prozeß freigesprochen werden, merkt Gunnar, "daß es nicht reicht, ein Dichter zu sein. Man muß Dichter und Farmer sein, Dichter und Hafenarbeiter, Dichter und Möchtegern-Revolutionär."

Spätestens als der Jungpoet wegen seiner Beteiligung an einem Diebstahl infolge glücklicher Umstände mit der sonderbaren Strafe bedacht wird, die letzten beiden Jahre seiner Schulzeit an einer "piekfeinen privaten High School im San Fernando Valley" verbringen zu müssen, vollendet sich seine Sozialisation auf eine für die geschiedenen Eltern, die den Wechsel veranlaßt haben, doch eher unerwünschte Weise: "Wenn man will, daß ein Ghettokind eine schwarze Identität entwickelt, muß man es nur auf eine weiße High School schicken." Die flapsige Aufmunterung "Bleib schwarz, Nigger", die ihm sein Freund Scoby bei jedem Abschied zuruft, erweist sich als überflüssig.

Als "wichtigste Lektion" dieser Zeit lernt Gunnar, daß er "der weißen Rasse keineswegs hinterherhinkt". Einen akademischen Werber, der ihn wegen seiner Basketball-Fertigkeiten für die Havard-Universität keilen will, entlarvt er in einer komischen Episode als Heuchler und Scheinliberalen.

Als er sich für die Boston University entschieden hat, wird Gunnar an seinem achtzehnten Geburtstag auf Betreiben von Psycho Loco mit der per Katalog bestellten Japanerin Yoshiko verheiratet, die ihn an die Ostküste begleitet. Nicholas Scoby, der beiden gefolgt ist, bringt sich dort aus akutem Heimweh um. Gunnar, der mittlerweile bekannte Dichter, schlägt sich mit den überspannten weißen Bürgerkindern, die ihm ihre Verehrung bezeugen wollen, ebenso herum wie mit Schwindlern seiner eigenen Hautfarbe, welche Handel mit Verbalschwulst zum Thema "Schwarze Identität" treiben ("stubenreine Nigger", wie er sie in seinen aufrührerischen Reden nennt).

Seine letzte Mission verfolgt Gunnar, in einer Art Motel-Quarantäne lebend, wieder in Los Angeles: "Es reicht mir, ständig im Dreck um mich zu schlagen und keinen Schritt voranzukommen, also erlöse ich den Nigger doch lieber aus seinem Elend." In dieser Szene, die bereits im Epilog stattfindet, ist der Held damit beschäftigt, den Kopf seiner inzwischen geborenen Tochter Naomi mit Seife einzuschäumen, dem Baby die Kaufman-Familiensaga zu erzählen und auf das von ihm herbeiphantasierte Ende zu warten - ein Bildungs- und Entwicklungsroman, der in einem grotesken Schwebezustand endet.

Lesenswert ist Beattys Buch, weil hier der Repräsentant einer neuen Generation schwarzer amerikanischer Schriftsteller mit eingefahrenen, unreflektiert übernommenen Haltungen bricht, die in der Neuen Welt wie anderswo noch dominieren. Es rechnet mit Ideen und Verhaltensweisen ab, indem diese und ihre Protagonisten vom heranreifenden Helden als hohl, haltlos und unlebbar erfahren werden: die als Benevolenz und Toleranz kaschierte Indolenz noch der bemühtesten Angehörigen der weißen Mittelschicht; die längst zum armseligen Geschäft degenerierte Einspurigkeit schwarzer Helden-, Opfer- und Rebellionsrhetorik; das abgeschmackt Komische an den Gemeinschaftsideologien, Mitmachern und Sprücheklopfern jeglicher Couleur. "Der Sklavenmessias" zeigt keinen Patentausweg aus einem gesamtgesellschaftlichen Blockadezustand. Als kulturkritisches Werk hat der Text inhaltliche Gemeinsamkeiten mit "Howl", dem bekanntesten Gedicht des Beatty-Förderers Allen Ginsberg.

Was die deutsche Übersetzung des Romans betrifft, so ist sie beinahe uneingeschränkt zu loben. Es mag Unmut hervorrufen, wenn man lesen muß, daß jemand ein Hinterland "traversierte", obwohl "durchmaß" denselben Sinn und wohl dieselbe Absicht besser wiedergegeben hätte. Man stört sich vielleicht daran zu erfahren, ein Basketballspieler sei der "Preisstudent" des Trainers gewesen, wo doch der "Musterschüler" gemeint ist. Dennoch wurde Hervorragendes geleistet: Beattys Sprache, die, abgesehen von ihren jähen und überlegten Tempowechseln, auch von Anspielungen auf die griechische Mythologie über Spezialitäten aus der amerikanischen Geschichte bis hin zum Straßenjargon heutiger Westküsten-Ghettobewohner ziemlich alles enthält, was schwierig hinüberzuretten ist, wird lebendig und einfallsreich wiedergegeben. Zuvörderst aber hat sich der Übersetzer vor übertriebenem Eindeutschungswillen gehütet - in der Sprache der Handelnden wimmelt es von Original-Anreden wie "Cuz", "Dude", "Homeboy" oder dem meist zärtlich gemeinten "Nigger". Wer dergleichen übersetzen will, läuft Gefahr, sich lächerlich zu machen. WOLFGANG STEUHL

Paul Beatty: "Der Sklavenmessias". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ulrich Blumenbach. Rowohlt-Berlin Verlag, Berlin 1999. 380 S., geb., 42,- DM.

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