Die Unmöglichkeit des Vergessens
Ein fesselnder, poetischer Roman über große Gefühle und dunkle Leidenschaften: Nach Jahren treffen sich die beiden ungleichen Schwestern Maria Inês und Clarice wieder, um das Unerklärliche zu klären, das ihr Leben geprägt hat.
Die beiden Mädchen wachsen in einem wohlhabenden Elternhaus auf einer Fazenda im Landesinnern des Bundesstaates Rio de Janeiro auf. Ihre Kindheit verläuft scheinbar harmonisch und behütet, tatsächlich aber ist ihre Welt bestimmt von den "verbotenen Dingen", die man nicht aussprechen darf. Und so teilen Clarice und Maria Inês dunkle Geheimnisse, die jeden ihrer Schritte begleiten.
Mit den Jahren verlieren sie sich aus den Augen, die eine lebt als Ärztin in Rio, die andere auf der heimatlichen Fazenda. Erst nach dem Tod der Eltern treffen die Schwestern in einer schicksalhaften Nacht wieder aufeinander und bringen all die unausgesprochenen Wahrheiten endlich ans Licht.
"Der Sommer der Schmetterlinge" erzählt in starken Bildern und mit viel Atmosphäre von Abhängigkeiten und Abgründen in Zeiten der Diktatur und Repression.
"Wir haben es mit einer Autorin zu tun, der die Zukunft gehört. Ihr Schreiben verspricht Großes und hat bereits eine Menge davon erreicht." José Saramago
"Eine mitreißende Geschichte, ein eleganter Stil: Mit Der Sommer der Schmetterlinge gelingt der brasilianischen Schriftstellerin Adriana Lisboa der faszinierendste Roman der Saison." ELLE
Ein fesselnder, poetischer Roman über große Gefühle und dunkle Leidenschaften: Nach Jahren treffen sich die beiden ungleichen Schwestern Maria Inês und Clarice wieder, um das Unerklärliche zu klären, das ihr Leben geprägt hat.
Die beiden Mädchen wachsen in einem wohlhabenden Elternhaus auf einer Fazenda im Landesinnern des Bundesstaates Rio de Janeiro auf. Ihre Kindheit verläuft scheinbar harmonisch und behütet, tatsächlich aber ist ihre Welt bestimmt von den "verbotenen Dingen", die man nicht aussprechen darf. Und so teilen Clarice und Maria Inês dunkle Geheimnisse, die jeden ihrer Schritte begleiten.
Mit den Jahren verlieren sie sich aus den Augen, die eine lebt als Ärztin in Rio, die andere auf der heimatlichen Fazenda. Erst nach dem Tod der Eltern treffen die Schwestern in einer schicksalhaften Nacht wieder aufeinander und bringen all die unausgesprochenen Wahrheiten endlich ans Licht.
"Der Sommer der Schmetterlinge" erzählt in starken Bildern und mit viel Atmosphäre von Abhängigkeiten und Abgründen in Zeiten der Diktatur und Repression.
"Wir haben es mit einer Autorin zu tun, der die Zukunft gehört. Ihr Schreiben verspricht Großes und hat bereits eine Menge davon erreicht." José Saramago
"Eine mitreißende Geschichte, ein eleganter Stil: Mit Der Sommer der Schmetterlinge gelingt der brasilianischen Schriftstellerin Adriana Lisboa der faszinierendste Roman der Saison." ELLE
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.09.2013LITERATURLAND
BRASILIEN
Vergessen und Tod:
Adriana Lisboa
Wie ein Totenlied trägt Adriana Lisboa in ihrem Roman „Sommer der Schmetterlinge“ das Schicksal der Schwestern Clarice und Maria Inés zwischen 1965 und der Jahrtausendwende vor. Es ist eine Rückschau in die Kindheit, Erinnerungen, die auf der kleinen Fazenda in Jabuticabais, im Hinterland von Rio de Janeiro, noch immer lauern wie Trittfallen. Dieses Familiendrama stehe auch für die politische Lage, im damals von der Diktatur geknebelten Brasilien, erklärt Lisboa. „Vielleicht hatten sie die historische Bedeutung von Ameisen, die nach dem Regen in einer Pfütze ertrinken. Und die Geschichte, die sie alle einschloss, war nur ein kleiner Strich an der Wand, ein Kringel, den ein freches Kind mit Wachsstift hinterlassen hat“, schreibt sie.
Clarice war ein folgsames Mädchen. Dreizehn Jahre und vierzehn Sommer alt. Sie ertrug schweigend, was man ihr antat. Die Männerhand, die ihre Mädchenbrust anfasste, die Zunge, die das Innere ihres Ohres beschmutzte. Clarice, die sich nicht übergab, obwohl sie Ekel empfand. Die von sich dachte, dass sie nie geboren sein sollte, dass das Unglück ihrer Familie ihre Schuld sei. Clarice, die später den Nachbarsjungen Ilton Xavier heiratete. Doch eines Nachts, nach sechs Jahren Ehe übergab sie sich, stand auf und verschwand. Ohne Kommentar. Nun ist sie 48 und hat tiefe Narben an ihren Handgelenken. Sie „ist Zeuge, Opfer und Henker zugleich“.
In der traumverlorenen Welt ihrer Kindheit schien die Natur beseelt zu sein. Doch unter den Menschen war eine tödliche Stille. „Im Haus herrschte ein oberstes Gesetz, nach dem Dinge zwar existieren konnten, aber nicht benannt werden durften“, schreibt Lisboa, „man durfte nicht an sie rühren“, denn Worte seien heimtückisch, wie ein Tier, das auf Beute lauert. „Was ist die klügste Haltung, wenn man Angst hat? Die Augen verschließen oder sie öffnen? Loslassen, die Kontrolle verlieren, sich abwenden? Davonlaufen? Oder sich festklammern, sich behaupten, der Sache auf den Grund gehen, alles im Griff behalten?“ Clarices Losung ist: „Eines Tages das Vergessen. Die Zukunft. Der Tod.“
Die 1970 in Rio de Janeiro geborene Autorin spielt mit Zitaten und Anspielungen. Im Original heißt der Roman „Symphonie in Weiß“ in Anlehnung an das Gemälde des Malers James McNeill Whistler. Es zeigt eine ernste junge Frau, die vor einem weißen Vorhang auf einem Wolfsfell steht. Sie hat dunkle, ungebändigte Locken und trägt ein weißes Kleid. Neben ihr liegt – achtlos hingeworfen – ein kleiner Blumenstrauß. Eine Allegorie verlorener Unschuld. Die Autorin konzipierte die Figur der Maria Inés, Clarices Schwerster, nach diesem Gemälde. Und mit ihr die des Künstlers Tomás, der sich in die Frau auf dem Bild verliebt.
Auch der Weg der wilden Maria Inés scheint schon zu der Zeit, als sie noch viele Ringe an den Fingern trägt, die Tropicália-Band Os Mutantes hört und nachmittags mit Tomás im Bett liegt, neben ihnen die Reste eines Joints, vorgezeichnet. Jetzt, mit 44, ist sie eine mittelmäßige Ärztin, die mit ihrem Mann João Miguel in Rios Nobelviertel Leblon wohnt. In ihrer klinisch weiß eingerichteten Wohnung ist sie selbst fast ein Möbelstück. Es scheint, als hätten die Schwestern die Rollen getauscht. Die brave Clarice bricht aus, betäubt sich mit Drogen und verwirklicht sich als Künstlerin. In ihren Kindertagen war das Leben wie ein Schmetterling, der an einem Sommertag über dem Abgrund in der Mittagshitze flattert und nicht hinabstürzt.
Adriana Lisboa, die schon mit 18 Jahren als Sängerin nach Frankreich ging, studierte Musik, bevor sie sich der Literaturwissenschaft zuwandte. „Musik und Literatur vereinigen sich, wenn ich schreibe . . . Die Struktur, der Rhythmus, der Klang sind wichtig für mich.“ Auch ihren Protagonisten ordnet sie Musikstücke zu, die sie charakterisieren. Einzelne Themen wiederholt und variiert sie. Etwa den Kinderreim, der alles ins grotesk Gegenteilige verkehrt. „Ein langer Mensch von kurzem Wuchs, mit dickem Bauch, dünn war er auch, saß stehend auf ’ner steinern Bank . . .“ Auch Thomas Manns „Tod in Venedig“ durchzieht bedeutungsvoll den Roman. Immer wieder reisen Maria Inés und ihr Mann nach Venedig, dem Symbolort des unerfüllten Verlangens. 2003 erhielt Adriana Lisboa in Portugal den Premio José Saramago für ihren Roman.
Nach vielen Jahren kommt Maria Inés zurück auf die Fazenda. „Clarice war alt geworden. Das Wesentliche lag hinter ihr, alle Schritte und alle Schmerzen. Geblieben waren zwei identische Narben an den Handgelenken. Jetzt, mit achtundvierzig Jahren war es ihr gelungen, alle Hoffnungen auszulöschen. Sich kleinzumachen, sich zusammenzurollen wie ein Tier, das Winterschlaf hält.“
MICHAELA METZ
Adriana Lisboa: Der Sommer der Schmetterlinge. Deutsch von Enno Petermann. Aufbau Verlag 2013. 284 Seiten, 19,99 Euro.
Adriana Lisboa, geboren 1970, zog in ihrer Jugend nach Paris und hat als Jazzsängerin gearbeitet. Sie übersetzte Stevenson, Maurice Blanchot und Cormac McCarthy ins Portugiesische. Zurzeit lebt sie in Denver, Colorado. FOTO: AUFBAU VERLAG
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
BRASILIEN
Vergessen und Tod:
Adriana Lisboa
Wie ein Totenlied trägt Adriana Lisboa in ihrem Roman „Sommer der Schmetterlinge“ das Schicksal der Schwestern Clarice und Maria Inés zwischen 1965 und der Jahrtausendwende vor. Es ist eine Rückschau in die Kindheit, Erinnerungen, die auf der kleinen Fazenda in Jabuticabais, im Hinterland von Rio de Janeiro, noch immer lauern wie Trittfallen. Dieses Familiendrama stehe auch für die politische Lage, im damals von der Diktatur geknebelten Brasilien, erklärt Lisboa. „Vielleicht hatten sie die historische Bedeutung von Ameisen, die nach dem Regen in einer Pfütze ertrinken. Und die Geschichte, die sie alle einschloss, war nur ein kleiner Strich an der Wand, ein Kringel, den ein freches Kind mit Wachsstift hinterlassen hat“, schreibt sie.
Clarice war ein folgsames Mädchen. Dreizehn Jahre und vierzehn Sommer alt. Sie ertrug schweigend, was man ihr antat. Die Männerhand, die ihre Mädchenbrust anfasste, die Zunge, die das Innere ihres Ohres beschmutzte. Clarice, die sich nicht übergab, obwohl sie Ekel empfand. Die von sich dachte, dass sie nie geboren sein sollte, dass das Unglück ihrer Familie ihre Schuld sei. Clarice, die später den Nachbarsjungen Ilton Xavier heiratete. Doch eines Nachts, nach sechs Jahren Ehe übergab sie sich, stand auf und verschwand. Ohne Kommentar. Nun ist sie 48 und hat tiefe Narben an ihren Handgelenken. Sie „ist Zeuge, Opfer und Henker zugleich“.
In der traumverlorenen Welt ihrer Kindheit schien die Natur beseelt zu sein. Doch unter den Menschen war eine tödliche Stille. „Im Haus herrschte ein oberstes Gesetz, nach dem Dinge zwar existieren konnten, aber nicht benannt werden durften“, schreibt Lisboa, „man durfte nicht an sie rühren“, denn Worte seien heimtückisch, wie ein Tier, das auf Beute lauert. „Was ist die klügste Haltung, wenn man Angst hat? Die Augen verschließen oder sie öffnen? Loslassen, die Kontrolle verlieren, sich abwenden? Davonlaufen? Oder sich festklammern, sich behaupten, der Sache auf den Grund gehen, alles im Griff behalten?“ Clarices Losung ist: „Eines Tages das Vergessen. Die Zukunft. Der Tod.“
Die 1970 in Rio de Janeiro geborene Autorin spielt mit Zitaten und Anspielungen. Im Original heißt der Roman „Symphonie in Weiß“ in Anlehnung an das Gemälde des Malers James McNeill Whistler. Es zeigt eine ernste junge Frau, die vor einem weißen Vorhang auf einem Wolfsfell steht. Sie hat dunkle, ungebändigte Locken und trägt ein weißes Kleid. Neben ihr liegt – achtlos hingeworfen – ein kleiner Blumenstrauß. Eine Allegorie verlorener Unschuld. Die Autorin konzipierte die Figur der Maria Inés, Clarices Schwerster, nach diesem Gemälde. Und mit ihr die des Künstlers Tomás, der sich in die Frau auf dem Bild verliebt.
Auch der Weg der wilden Maria Inés scheint schon zu der Zeit, als sie noch viele Ringe an den Fingern trägt, die Tropicália-Band Os Mutantes hört und nachmittags mit Tomás im Bett liegt, neben ihnen die Reste eines Joints, vorgezeichnet. Jetzt, mit 44, ist sie eine mittelmäßige Ärztin, die mit ihrem Mann João Miguel in Rios Nobelviertel Leblon wohnt. In ihrer klinisch weiß eingerichteten Wohnung ist sie selbst fast ein Möbelstück. Es scheint, als hätten die Schwestern die Rollen getauscht. Die brave Clarice bricht aus, betäubt sich mit Drogen und verwirklicht sich als Künstlerin. In ihren Kindertagen war das Leben wie ein Schmetterling, der an einem Sommertag über dem Abgrund in der Mittagshitze flattert und nicht hinabstürzt.
Adriana Lisboa, die schon mit 18 Jahren als Sängerin nach Frankreich ging, studierte Musik, bevor sie sich der Literaturwissenschaft zuwandte. „Musik und Literatur vereinigen sich, wenn ich schreibe . . . Die Struktur, der Rhythmus, der Klang sind wichtig für mich.“ Auch ihren Protagonisten ordnet sie Musikstücke zu, die sie charakterisieren. Einzelne Themen wiederholt und variiert sie. Etwa den Kinderreim, der alles ins grotesk Gegenteilige verkehrt. „Ein langer Mensch von kurzem Wuchs, mit dickem Bauch, dünn war er auch, saß stehend auf ’ner steinern Bank . . .“ Auch Thomas Manns „Tod in Venedig“ durchzieht bedeutungsvoll den Roman. Immer wieder reisen Maria Inés und ihr Mann nach Venedig, dem Symbolort des unerfüllten Verlangens. 2003 erhielt Adriana Lisboa in Portugal den Premio José Saramago für ihren Roman.
Nach vielen Jahren kommt Maria Inés zurück auf die Fazenda. „Clarice war alt geworden. Das Wesentliche lag hinter ihr, alle Schritte und alle Schmerzen. Geblieben waren zwei identische Narben an den Handgelenken. Jetzt, mit achtundvierzig Jahren war es ihr gelungen, alle Hoffnungen auszulöschen. Sich kleinzumachen, sich zusammenzurollen wie ein Tier, das Winterschlaf hält.“
MICHAELA METZ
Adriana Lisboa: Der Sommer der Schmetterlinge. Deutsch von Enno Petermann. Aufbau Verlag 2013. 284 Seiten, 19,99 Euro.
Adriana Lisboa, geboren 1970, zog in ihrer Jugend nach Paris und hat als Jazzsängerin gearbeitet. Sie übersetzte Stevenson, Maurice Blanchot und Cormac McCarthy ins Portugiesische. Zurzeit lebt sie in Denver, Colorado. FOTO: AUFBAU VERLAG
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Die drei Jahre Arbeit an "Der Sommer der Schmetterlinge" haben sich mehr als gelohnt, schreibt Rezensentin Cejana Di Guimaraes nach der Lektüre von Adriana Lisboas zweitem Roman. Die brasilianische Autorin, die der Kritikerin als eine der "interessantesten" einer neuen Schriftsteller-Generation gilt, erzähle hier von den Geheimnissen und verborgenen Abgründen einer Familie von Überlebenden, in deren Mittelpunkt zwei Schwestern stehen, die ihre traumatischen Erfahrungen in der Gegenwart zu bewältigen versuchen. Die Kritikerin bewundert neben der Poesie und dem Bilderreichtum dieser Erzählung insbesondere die außergewöhnliche Musikalität dieser Erzählung. Und so kann sie diese brillant übersetzte "kunstvolle Stickerei aus Sprechen und Schweigen" nur unbedingt empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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