Kriminalroman mit ungewöhnlichem Setting, der auf Distanz bleibt
Das Setting, das Tina Seel für ihren neuesten Kriminalroman „Der sonderbare Fall der Rosi Brucker“ gewählt hat, mutet fast wie eine andere Welt an: ein kleines pfälzisches Dorf in den Siebzigerjahren, in dem Nächstenliebe,
Gemeinschaftssinn und Toleranz Fremdwörter zu sein scheinen. Diese überzogen negative Darstellung mutet…mehrKriminalroman mit ungewöhnlichem Setting, der auf Distanz bleibt
Das Setting, das Tina Seel für ihren neuesten Kriminalroman „Der sonderbare Fall der Rosi Brucker“ gewählt hat, mutet fast wie eine andere Welt an: ein kleines pfälzisches Dorf in den Siebzigerjahren, in dem Nächstenliebe, Gemeinschaftssinn und Toleranz Fremdwörter zu sein scheinen. Diese überzogen negative Darstellung mutet bisweilen bizarr an, sorgt aber zugleich für ein durchaus interessantes Leseerlebnis.
Dass die geistig behinderte Rosi Brucker ermordet wurde, erfährt der kleine Ort Allweiler erst mit einiger Verzögerung. Der Finder der Leiche, Bäckerlehrling Hasel, ergreift nämlich die Gelegenheit beim Schopf und fordert von den begüterten Eltern der jungen Frau ein Lösegeld, anstatt ihren Tod zu vermelden. Damit setzt er die Polizei, die insgesamt nicht so auf Zack ist, auf eine völlig falsche Spur, sodass sie erfolglos durchs Dorf ermittelt und mit nahezu allen Bewohnern spricht, von denen sich einer unsympathischer und empathieloser erweist als der nächste. Beim Lesen fällt es bisweilen schwer, aus diesem Wust an menschlichen Abgründen noch eine Identifikation mit irgendeiner Figur zustande zu bringen. Die Polyphonie der vielen Stimmen, die zu Wort kommen, lässt sowieso nur wenig Zeit für individuelle Figurenzeichnung. Obendrein bedient sich die Autorin einer äußerst indirekten Erzählweise mit vielen Rückblenden und indirekter Rede, die eine deutliche Distanz zum Geschehen aufbaut. Kurz gesagt: Man bleibt immer außen stehen. Wenn man das vor dem Hintergrund der abgeschotteten Dorfgemeinschaft liest, kein ungeschickter Kniff, jedoch teils etwas anstrengend zu lesen.
Was Tina Seel hingegen meisterhaft gelingt, ist, einen sehr konkreten Eindruck eines bestimmten Milieus heraufzubeschwören. Von der Ausdrucksweise über die Auswahl der Figuren mit ihren diversen Hintergründen und Geheimnissen – alles lässt das Bild dieses (aus moderner Sicht) rückständigen Dörfchens lebendig und präsent erscheinen. Die Kriminalhandlung ist zudem durchaus solide, wenn auch nicht gerade geprägt von überraschenden Wendungen. Insbesondere die Figur Hasels, der sich disruptiv auf die Ermittlungen auswirkt, sorgt für Spannung.
Insgesamt ist „Der sonderbare Fall der Rosi Brucker“ ein durchaus lesenswerter Kriminalroman mit starken Elementen einer Milieustudie, der jedoch nicht immer angenehm zu lesen ist und mit extrem unsympathischen Figuren und einer deutlichen Distanz zur Leserschaft daherkommt.