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Produktdetails
  • Walter Eucken Institut, Beiträge zur Ordnungstheorie und Ordnungspolitik 153
  • Verlag: Mohr Siebeck
  • 1997.
  • Seitenzahl: 85
  • Deutsch
  • Abmessung: 225mm
  • Gewicht: 121g
  • ISBN-13: 9783161468513
  • ISBN-10: 3161468511
  • Artikelnr.: 07478595
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.1998

Die Selbstzerstörung des Sozialstaats
Der institutionelle Wettbewerb entlarvt die Systemfehler

Norbert Berthold: Der Sozialstaat im Zeitalter der Globalisierung. Verlag J. C. B. Mohr, Tübingen 1998, 85 Seiten, 64 DM.

Dinosaurier sind groß, fett, behäbig - und vor allem: ausgestorben. Mit dieser von der Evolution ausgesonderten Spezies vergleicht Norbert Berthold, Nationalökonom an der Universität Würzburg, den Sozialstaat deutscher und (allgemeiner) europäischer Prägung. Die herkömmlichen sozialstaatlichen Arrangements - die Regulierungen auf den Arbeitsmärkten, die Systeme der sozialen Sicherung und die fiskalische Umverteilung - seien angesichts der Globalisierung der Wirtschaft längst nicht mehr zeitgemäß, schreibt Berthold. Er sieht die Globalisierung nicht als bedrohliche Macht, die den Sozialstaat völlig beseitigen könnte, sondern als willkommenen Katalysator für dessen Entschlackung und Erneuerung: Ganz abschaffen will der Ökonom den Sozialstaat keinesfalls. In seinem flott geschriebenen Büchlein zeigt er, daß der Sozialstaat vor allem wegen der verfehlten Anreize, die er setzt, instabil ist und dazu neigt, sich selbst zu zerstören - auch ohne Globalisierung. In einem zweiten logischen Schritt stellt er dar, wie die Internationalisierung von Absatzmärkten und Produktion den Wettbewerb stärkt und damit den Zerfall des ineffizienten Sozialstaats beschleunigt.

Als "Anfang vom Ende" des Sozialstaats bezeichnet Berthold den Arbeitsmarkt, der als wettbewerblicher Ausnahmebereich ein Inseldasein friste. "Die europäischen Arbeitsmärkte sind . . . ein Lehrstück, wie man den Arbeitsmarkt gründlich destabilisieren und Massenarbeitslosigkeit auslösen kann, wenn der Preismechanismus weitgehend ausgeschaltet wird, man den Wettbewerb zur Restgröße degradiert und Macht an die Stelle von ökonomischem Gesetz tritt." Die überwiegend strukturelle Arbeitslosigkeit in Deutschland und Europa sei entstanden, weil die Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt nicht zugenommen habe - der instabileren und sich in ihrer Struktur rasch ändernden Arbeitsnachfrage zum Trotz. Ursache dafür sei das Tarifkartell, das nach Bereichen, Regionen und Qualifikationen hinreichend differenzierte Löhne verhindere und seine Verantwortung auf den Staat abwälze, ihn beschäftigungspolitisch in Geiselhaft nehme.

Bertholds Konsequenz heißt: Der Sozialstaat erhöht die Arbeitslosigkeit und trocknet die wichtigste finanzielle Quelle der umlagefinanzierten Systeme der sozialen Sicherung aus. Gerade da könne die Globalisierung und der mit ihr Einzug haltende Institutionenwettbewerb Abhilfe schaffen. "Im Standortwettbewerb werden nur die Arrangements auf den Arbeitsmärkten überleben, die Löhne und Arbeitsmarktstandards im Einklang mit der Arbeitsproduktivität halten. Damit werden Arbeitsmarktordnungen scheitern, die es den Tarifvertragsparteien ermöglichen, die beschäftigungspolitische Verantwortung auf Dritte abzuwälzen." So sieht der Autor unter anderem das Ende des zentral verhandelten Flächentarifs voraus.

An einer mangelhaften Zurechnung der Verantwortung krankt nach Berthold neben dem Arbeitsmarkt auch die Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung, das ganze System der sozialen Sicherung. Die eigentliche Not des Sozialstaats, erkenntlich an seinen Finanzsorgen, bestehe darin, daß er eine Ausbeuter- und Trittbrettfahrermentalität schaffe, die schließlich seine eigene ökonomische Basis erodiere. Dabei sei der Staat keineswegs zwingend zum Anbieter sozialer Sicherheit berufen. Denn bei der Herstellung dieser Dienstleistungen besitze er gegenüber Privaten kaum komparative Vorteile: "Der Sozialstaat war und ist gedacht als ein Sicherungsnetz gegen Risiken, für die auf privaten Märkten keine effiziente Vorsorge möglich ist."

Der Zusammenbruch des Systems werde durch die Globalisierung nur beschleunigt, nicht verursacht, schreibt Berthold. "Der intensivere institutionelle Wettbewerb ist . . . ein Geschenk des Himmels. Er deckt zum einen die Unterschiede in den weltweiten sozialstaatlichen Aktivitäten auf und zeigt den weniger erfolgreichen Ländern, wie man es auch effizienter machen kann. Er leistet zum anderen das, was politische Entscheidungsträger in Demokratien kaum zustande bringen können: Er stellt den Sozialstaat auf eine tragfähige ökonomische Basis. Läßt man den institutionellen Wettbewerb gewähren, wird der Sozialstaat in einer marktwirtschaftlichen Ordnung wieder auf die Felder verwiesen, auf denen er gegenüber privatwirtschaftlichen Lösungen eindeutig komparative Vorteile hat." Damit sei aber noch nicht das Ende jeder Sozialpolitik gekommen - soweit sie produktivitätssteigernd wirke oder zumindest dank fehlender Mobilität von den Faktormärkten toleriert werde.

Daß es dennoch Verlierer der zunehmenden Globalisierung geben wird, sieht auch Berthold. Er macht als Benachteiligte die gering qualifizierten Arbeitnehmer aus. Die Struktur der Arbeitsnachfrage werde sich immer stärker zu ihren Lasten entwickeln, wenn die Dienstleistungen auf den Weltmärkten gegenüber der Industrie an Gewicht gewännen. Für den Ökonomen ist dies wieder Anlaß zur Mahnung: Das "Tal der Tränen" könne man um so schneller durchschreiten, je weniger die strukturelle Anpassung durch institutionelle Regeln behindert werde. Außerdem müsse man alles tun, was die zur geringqualifizierten Arbeit komplementären Produktionsfaktoren benachteilige. Berthold wirbt für ein Steuersystem, das sich am Konsum ausrichtet. KAREN HORN

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