Kurt Rittig, der Spendensammler, Roman 2013
Dass der Autor dieses brillanten Romans ein Meister des einfühlsamen Beobachtens und der klugen Verwandlung von Wirklichkeit in Sprache ist, weiß man lange. Spätestens seit seinem hochgelobten Drehbuch zu Franz Werfels Novelle „Eine blassblaue
Frauenschrift“. Und dass er Witz, Ironie und tiefere Bedeutung mit Lust verbinden kann, das weiß man seit den…mehrKurt Rittig, der Spendensammler, Roman 2013
Dass der Autor dieses brillanten Romans ein Meister des einfühlsamen Beobachtens und der klugen Verwandlung von Wirklichkeit in Sprache ist, weiß man lange. Spätestens seit seinem hochgelobten Drehbuch zu Franz Werfels Novelle „Eine blassblaue Frauenschrift“. Und dass er Witz, Ironie und tiefere Bedeutung mit Lust verbinden kann, das weiß man seit den Tagen der legendären „Notizen aus der Provinz“. Dass er dies alles aber zusammenführen kann in einem intelligenten, amüsanten und spannenden Roman, der das Genre des Krimis ebenso bedient wie das des Gesellschaftsromans und zugleich den Anspruch auf „Literatur als Lebensmittel“ erfüllt, das weiß man erst seit dem Erscheinen seines Romans „Der Spendensammler“.
In Gang gesetzt wird dieser Roman durch einen anonymen Glückwunsch, den Philipp Stadthagen, der Protagonist, zu seinem 50. Geburtstag erhält: „Der Gerhard Attendorn, die alte Sau, hat es bekanntlich nicht ganz geschafft, Deine Frau totzufahren. Aber wenn er so weitermacht, schafft er es, sie totzuvögeln! Wünsche einen wunderschönen gemeinsamen Abend.“
Ein Satz wie eine Keule, brutal, sarkastisch - und wirkungsvoll. Philipp Stadthagen, der Erfolgreiche, der Sensible, der immer wieder auch gegen seinen Willen Komische, wird davon getroffen und fast umgehauen. Plötzlich sind all seine Gewissheiten zweifelhaft, ist das eben noch verlässliche Umfeld verdächtig und ist die fraglose Liebe zu seiner Frau mit Fragen belegt. Wer schickt diese Botschaft? Was will er damit erreichen? Welche Wahrheit steckt darin?
Mit großem Verdruss macht sich Philipp Stadthagen an die Aufklärung dieser Fragen. Und mit großem Vergnügen folgt ihm der Leser dabei. Ein Lustgarten aus Irrwegen tut sich vor ihm auf, ein Labyrinth, das der Held mit Hoffen und Bangen durcheilt und dabei unweigerlich auch über eine Leiche stolpert.
Bis der Fall geklärt ist, holt der Roman, der konsequent nach vorn erzählt ist, nach und nach immer mehr Vergangenheit zurück. Dass es für den Autor ein Vergnügen gewesen sein muss, diese Fäden zu spinnen und zu verknüpfen, erkennt der Leser an dem eigenen Vergnügen, lesend den Roman mit zu erfinden und zu erleben. Für die Stunden der Lektüre jedenfalls gilt fraglos der Satz: Es ist eine Lust zu leben! Und zu lesen!
Christof Schmid