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Der Roman spielt in der Zeit der Regierung Elisabeths I. von England und erzählt von Freundschaft und Verrat, von Lebensgier und Mord. Die Beteiligung des Spitzels Poley an dem Komplott, das zur Hinrichtung von Maria Stuart führte, bildet den historischen Kern. Mit seiner Schilderung der Intrigen am königlichen Hof verbindet der Autor die Frage nach Existenz und Tod Christopher Marlowes, des berühmten Dichters, der zeitweilig auch als Geheimagent der Regierung tätig war.

Produktbeschreibung
Der Roman spielt in der Zeit der Regierung Elisabeths I. von England und erzählt von Freundschaft und Verrat, von Lebensgier und Mord. Die Beteiligung des Spitzels Poley an dem Komplott, das zur Hinrichtung von Maria Stuart führte, bildet den historischen Kern. Mit seiner Schilderung der Intrigen am königlichen Hof verbindet der Autor die Frage nach Existenz und Tod Christopher Marlowes, des berühmten Dichters, der zeitweilig auch als Geheimagent der Regierung tätig war.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997

Liebhaber mit Grashüpferbeinen
"Der Spitzel": Andreas Höfele schreibt einen historischen Roman / Von Heinz Schlaffer

Die beiden erfolgreichsten Romane der letzten Jahrzehnte, Ecos "Name der Rose" und Süskinds "Parfum", sind historische Romane, Nachfahren also einer Gattung, die mit dem neunzehnten Jahrhundert entstanden ist und mit ihm unterzugehen bestimmt schien. Wiederkehren konnte sie nur, weil sie die breiten Sittengemälde, an denen einst das bürgerliche Bildungswissen sein Behagen fand, durch Anleihen beim Kriminalroman ersetzte. Beide, historischer Roman und Kriminalgeschichte, vermögen den Leser an Vorgängen zu beteiligen, die er in seiner Alltagswelt erträumen, aber nicht beobachten kann: am Leben der Vergangenheit und am Vollzug des Verbrechens.

Der historische Roman will unterhalten und unterrichten zugleich. Deshalb sind seine Verfasser nicht selten Professoren. Eine freudige Aneignung historischen Stoffs, wie sie Andreas Höfele, Professor für englische Literatur in Heidelberg, bei seinen Studenten vermißt, scheint er sich von den Lesern seines Romans über das elisabethanische Zeitalter zu erhoffen. Für die Bereitschaft, sich belehren zu lassen - über die Kämpfe zwischen der protestantischen und der katholischen Partei in England, über die Ämterverteilung am Hof Elisabeths, über geistliche Spiele auf dem Lande und humanistische Theater in London -, wird der Leser dieses Romans in regelmäßigen Abständen belohnt: durch die Schilderung von exzentrischen Charakteren und ihren Intrigen und Gewalttaten.

Wenngleich das Personal des historischen Romans noch heute bekannte Namen wie Elisabeth I., Maria Stuart, Walter Raleigh und Christopher Marlowe einschließt, muß die Figur, aus deren Blickwinkel das Geschehen erzählt wird, dem sozialen Status des durchschnittlichen Lesers näherstehen und genauso wie er selbst zu den Zelebritäten der Epoche hinaufblicken, mit ihnen aber durch günstige Umstände in Berührung kommen. Zu dieser Funktion eignet sich ein Spitzel besonders: er ist niederen Ranges, doch im Auftrag einer höheren Macht mit der Beobachtung wichtiger Personen beschäftigt. So entwickelt sich vor seinem scharfen Auge ein geschichtliches Panorama, dessen Abgründe den Zeitgenossen zum großen Teil verborgen geblieben waren. Seinem erdachten Spitzel verleiht Höfele einen Namen, der beiläufig in den Gerichtsprotokollen über die Verschwörung Babingtons gegen die englische Königin und später über den Tod Marlowes auftaucht: Robert Poley. Für diesen Mann erfindet der Romanautor eine Vorgeschichte als Hirtenjunge, eine Geschichte als Agent im Dienste der Regierung und eine Nachgeschichte als alter kranker Mann ohne Stellung.

Seltsamerweise schwindet das Interesse - zuerst des Lesers und bald auch des Autors - an diesem zwielichtigen Helden im Laufe des Romans mehr und mehr. Das von ländlichen Gewaltverhältnissen verstörte, fast zerstörte Kind ist nicht mehr in dem eleganten und potenten Schurken zu erkennen, der sein Wohlleben durch das Auskundschaften von Katholiken und Atheisten finanziert. Im Fortgang des Geschehens wird seine Tätigkeit, ja sogar seine Existenz immer unwichtiger. Beim Verrat von Babingtons Komplott spielt er noch eine gewisse, wenngleich undeutliche Rolle; zur Ermordung Marlowes kommt er nur zufällig hinzu, und beim Sturz von Elisabeths Günstling Essex begnügt er sich damit, der Hinrichtung zuzuschauen. Wenn Poley am Schluß einsam durch düstere Landschaften irrt, ist der Leser überrascht, daß es diese Figur, der der Roman doch immerhin seinen Titel verdankt, überhaupt noch gibt. Hier hat sich der Professor, der historische Gegenstände nach ihrer Bedeutung ordnet und deshalb den Ministern und Poeten mehr Platz einräumt als einem halbanonymen Zuträger, gegen den Erzähler durchgesetzt, der dem Charakter, dem Schicksal und der Perspektive der ein für allemal erfundenen Hauptfigur hätte treu bleiben müssen.

Der Vorteil des Literaturhistorikers, eine große Zahl von Romanformen unterscheiden zu können, bringt ihn in Verlegenheit, sobald er den Stand des Interpreten mit dem des Dichters vertauschen möchte. Für welche Form soll er sich entscheiden? Höfele fällt die Wahl so schwer, daß er mehrere Formen nach- und nebeneinander gebraucht: den historischen Roman, die Kriminalerzählung, den Politthriller, den sozialen Roman des englischen Land- und Stadtlebens, die fiktive Biographie des Pikaros Poley, den Künstlerroman des Dramatikers Marlowe.

Als traue der Professor nicht der Freiheit des Romanciers, zügelt er seine Phantasie mit Rücksicht auf die Aktenlage. Der scheinbar allwissende Erzähler, der die geheimen Gedankengänge seiner Figuren und ihre verschwiegenen Dialoge mitzuteilen weiß, bekennt plötzlich, daß dem - authentischen - Gerichtsprotokoll nicht zu entnehmen sei, woher Poleys Geld gekommen ist. Warum füllt hier nicht Erfindung die Lücke aus? Sollte Babingtons großsprecherische und dilettantische Verschwörung in der Tat ebenso konfus verlaufen sein wie ihre Aufdeckung, so müßte allerdings der Historiker eben dies konstatieren; der Romanautor hingegen darf entweder geistreiche Pläne und Gegenpläne suggerieren oder den Wechsel von Tatenlosigkeit und übereilten Aktionen zu einer psychologischen Studie nutzen.

Das umgekehrte Defizit zeigt sich in der Geschichte von Marlowes Tod: Er sei, so heißt es im Roman, ermordet worden, weil er sich geweigert habe, Sir Walter Raleigh wegen Atheismus zu denunzieren. Dieser Fiktion entzieht der Erzähler selbst den Boden, wenn er die Nachforschungen der Polizei zitiert: Hier weist nichts über eine banale Wirtshausschlägerei in der Künstlerbohème hinaus. Da dem Leser diese Version glaubhaft erscheint, wird er die Verschwörungstheorie des Erzählers für einen Notbehelf ansehen, um dem Helden Poley eine weitere Rolle und dem Roman eine Fortsetzung zu verschaffen.

Schwankend sind auch Mittel und Qualität von Höfeles literarischer Sprache. Mitunter lehnt er sich an die Topik des Kolportageromans an ("Marlowe, der sich vor Ungeduld die Fingerkuppen wund biß, während Frizer für fast zwei Stunden in Walsinghams Privatkontor verschluckt blieb . . ."), dann wieder sprechen die Ganoven der englischen Renaissance wie moderne Manager ("Sie müssen das einmal ganz nüchtern sehen. Gegen Kyds Aussage allein hätten Sie vielleicht halbwegs eine Chance . . .").

Überraschend finden sich virtuose Beschreibungen, etwa von Elisabeths Favoriten: "Die Königin bevorzugt langbeinige Männer: Robert Dudley, Earl of Leicester, Sir Christopher Hatton, Sir Walter Raleigh. Zuletzt Robert Devereux, Earl of Essex. Auf zeitgenössischen Bildern erinnern ihre Favoriten mit ihren unnatürlich langen Beinen an hochgezüchtete Rennpferde. Manchmal, wenn dem Maler die Wohlgeformtheit der Schenkel ins Groteske entglitten ist, sogar an edle Grashüpfer. Ihre schön gelockten Häupter ragen aus Körpern, die zu schweben scheinen. Das gibt ihren entschlossenen Mienen etwas akrobatisch Riskantes, ja Haltloses. Und seltsam schwankt ihr Blick zwischen Herablassung und Flehen." An solchen Stellen zeichnet sich die Form ab, in der Andreas Höfele glücklicher zu Hause gewesen wäre als in seinem mit allen Mitteln erzwungenem Roman: der historische Essay.

Andreas Höfele: "Der Spitzel". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 331 S., geb., 39,80 DM.

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