Produktdetails
- Verlag: Brill Fink / Wilhelm Fink Verlag
- Artikelnr. des Verlages: 1882704
- 1996
- Seitenzahl: 426
- Deutsch
- Abmessung: 235mm
- Gewicht: 645g
- ISBN-13: 9783770530984
- ISBN-10: 3770530985
- Artikelnr.: 06324704
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.1996Der Ruf nach dem Menschen
Friedrich Balke dekonstruiert Carl Schmitts personalistische Sehnsüchte
Der Streit zwischen Hermeneutik und Dekonstruktivismus ist nun auch in der Schmitt-Forschung ausgebrochen. Während der Hermeneutiker danach fragt, was der Autor sagen wollte, kehrt der Dekonstruktivist den Gehalt eines Werkes gegen die Autorintentionen; er radikalisiert die Spannung von Sachgehalt und Selbstverständnis eines Werkes und setzt dabei gerne bei Marginalien, am verräterischen Rand des Werkes an. Gegen die hermeneutische Abstraktion einer reinen "Lehre" Carl Schmitts geht Friedrich Balke in dekonstruktiver Absicht auf das "Problem" zurück, auf das die Lehre antwortete. Die Lehre selbst ist vom Selbstverständnis des Autors her leicht benannt: Schmitt betrieb "Verfassungslehre" im Horizont einer "Politischen Theologie" - so der Titel seiner Programmschrift von 1922; er betrieb Rechtswissenschaft von einem politisch engagierten Teilnahmestandpunkt aus und präsentierte für sein politisches Wollen theologische Motive und Gründe.
Stand die kritische Auseinandersetzung mit den politischen Absichten und Interventionen Schmitts, des "Totengräbers" Weimars und "Kronjuristen" des Dritten Reiches, am Anfang der Schmitt-Literatur so suchte man in den letzten Jahren verstärkt, das "Zentrum" des labyrinthischen, in die verschiedensten literarischen Formen facettierten Werkes von den religiösen Motiven her zu bestimmen und Schmitt als Theoretiker neu zu entdecken. Die Diskussion verlagerte sich dabei aus der Rechtswissenschaft auf die Geisteswissenschaften.
Balkes philosophische Auseinandersetzung kommt nun mit Derrida und Foucault, Deleuze und Guattari aus Frankreich. Dort liegt die Attraktivität Schmitts in einer Art Ergänzungsverhältnis zu Heidegger. Schmitt war nicht nur der Mineur des Niedergangs des bürgerlichen Rechtsstaats und Zeitalters. Er begriff Metaphysik als "klarsten Ausdruck einer Epoche" und betrieb Zeitkritik als Suche nach der "metaphysischen Formel" einer Zeit. Weltkundiger als Heidegger setzte er dafür bei den Rechtsformen und Machtverhältnissen an und beschrieb Ordnungskonzepte als, wie Foucault gesagt hätte, "Machtdispositive". Mit einem aus der Heidegger-Forschung bekannten Stichwort läßt sich Balkes Problemstellung deshalb als "politische Ontologie" umschreiben. Balke beobachtet Schmitts kritische Analyse der Auflösung der alteuropäisch überlieferten Ordnung in den Machtdispositiven der Gegenwart und kritisiert dessen Restaurationsversuch eines personalistischen, führerzentrierten Systems der Herrschaft.
Dabei weist er zunächst treffend darauf hin, daß "Politische Theologie" für Schmitt nicht "Gehorsam des Glaubens" im Unterschied zu einer irgendwie klassischen Politischen Philosophie war, sondern ein Lektüreverfahren, das "heterogene politische Gedankengruppen soweit homogenisiert, daß ihre Vergleichbarkeit sichergestellt ist". Schmitts Wendung zum politischen Tageskampf liest Balke als Antwort auf eine im Frühwerk entwickelte modernitätskritische Fragestellung. Als Problem der Gegenwart erkannte Schmitt die Unmöglichkeit, irgendeine Weltanschauung gegen die "Steigerung der Ideenzirkulation" unter den modernen Kommunikationsbedingungen zu fixieren. In Parallele mit Robert Musil und Paul Valéry zeigt Balke Schmitts Mühen auf, eine klassische Politik eindeutiger Unterscheidungen und Entscheidungen gegen den romantischen Möglichkeitssinn, den "Occasionalismus" der Zeit zu restituieren. Balke bemerkt Schmitts "Gespür für die säkulare Dimension der Entmachtung des klassischen Handlungsverständnisses". Schmitt antwortete mit einem "Exzeptionalismus", der mittels rhetorischer Dramatisierung von Krisen- und Ausnahmesituationen eine "Repersonalisierung der Politik" betrieb. Nur knapp deutet Balke Schmitts Probleme an, den Nationalsozialismus als Sieg des Soldaten über den Bürger, des Führers über die Legalität des verpönten bürgerlichen Rechtsstaats zu beschreiben.
Beim Ende der dreißiger Jahre einsetzenden Spätwerk unterscheidet Balke ähnlich strikt zwischen Problemanalyse und Rezeptur, zwischen Schmitts treffender Diagnose einer Wandlung grundlegender Ordnungsvorstellungen infolge einer technologisch bedingten "Raumrevolution" und seiner Befürwortung einer zunächst nationalsozialistischen, dann katholisch stabilisierten "Raumordnung". Dieses Schwanken zwischen erhellenden Problemanalysen und falschen praktischen Folgerungen entdeckt Balke auch in der Rezeption nach 1945, namentlich bei Ernst Forsthoff, wieder. Als Fazit hält er fest, daß die Aufgabe einer "Transformation der Normalität von einer Status- in eine Prozeßkategorie" von Schmitt her nicht lösbar sei. Die "Versuchung Carl Schmitts" lag darin, so läßt sich Balkes Titel wohl lesen, wider die eigene Einsicht in das Ende der Epoche des bürgerlichen Rechtsstaats und - so Schmitts pointierte Folgerung - der Staatlichkeit überhaupt noch am staatsbezogenen Politikbegriff festgehalten zu haben.
Über die grundlegende Unterscheidung von absoluter Verfassung und positivem Verfassungsgesetz hinaus hat Schmitt nach Balke die Voraussetzung des politischen Denkens und Handelns erkundet. Er problematisierte mit den personalistischen Voraussetzungen der Politik das geschichtliche Selbstverständnis des Menschen überhaupt. Hinter seiner Beschwörung der Politik als "Schicksal" und dem Ruf nach dem Führer steht der Notschrei eines Individuums, sich noch als Akteur und Held der Verhältnisse zu wissen. Schmitt artikulierte das Krisenbewußtsein in der Moderne. Dagegen empfiehlt Balke eine weniger aufgeregte Haltung zum geschichtlichen Prozeß. REINHARD MEHRING
Friedrich Balke: "Der Staat nach seinem Ende". Die Versuchung Carl Schmitts. Wilhelm Fink Verlag, München 1996. 426 S., br., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Friedrich Balke dekonstruiert Carl Schmitts personalistische Sehnsüchte
Der Streit zwischen Hermeneutik und Dekonstruktivismus ist nun auch in der Schmitt-Forschung ausgebrochen. Während der Hermeneutiker danach fragt, was der Autor sagen wollte, kehrt der Dekonstruktivist den Gehalt eines Werkes gegen die Autorintentionen; er radikalisiert die Spannung von Sachgehalt und Selbstverständnis eines Werkes und setzt dabei gerne bei Marginalien, am verräterischen Rand des Werkes an. Gegen die hermeneutische Abstraktion einer reinen "Lehre" Carl Schmitts geht Friedrich Balke in dekonstruktiver Absicht auf das "Problem" zurück, auf das die Lehre antwortete. Die Lehre selbst ist vom Selbstverständnis des Autors her leicht benannt: Schmitt betrieb "Verfassungslehre" im Horizont einer "Politischen Theologie" - so der Titel seiner Programmschrift von 1922; er betrieb Rechtswissenschaft von einem politisch engagierten Teilnahmestandpunkt aus und präsentierte für sein politisches Wollen theologische Motive und Gründe.
Stand die kritische Auseinandersetzung mit den politischen Absichten und Interventionen Schmitts, des "Totengräbers" Weimars und "Kronjuristen" des Dritten Reiches, am Anfang der Schmitt-Literatur so suchte man in den letzten Jahren verstärkt, das "Zentrum" des labyrinthischen, in die verschiedensten literarischen Formen facettierten Werkes von den religiösen Motiven her zu bestimmen und Schmitt als Theoretiker neu zu entdecken. Die Diskussion verlagerte sich dabei aus der Rechtswissenschaft auf die Geisteswissenschaften.
Balkes philosophische Auseinandersetzung kommt nun mit Derrida und Foucault, Deleuze und Guattari aus Frankreich. Dort liegt die Attraktivität Schmitts in einer Art Ergänzungsverhältnis zu Heidegger. Schmitt war nicht nur der Mineur des Niedergangs des bürgerlichen Rechtsstaats und Zeitalters. Er begriff Metaphysik als "klarsten Ausdruck einer Epoche" und betrieb Zeitkritik als Suche nach der "metaphysischen Formel" einer Zeit. Weltkundiger als Heidegger setzte er dafür bei den Rechtsformen und Machtverhältnissen an und beschrieb Ordnungskonzepte als, wie Foucault gesagt hätte, "Machtdispositive". Mit einem aus der Heidegger-Forschung bekannten Stichwort läßt sich Balkes Problemstellung deshalb als "politische Ontologie" umschreiben. Balke beobachtet Schmitts kritische Analyse der Auflösung der alteuropäisch überlieferten Ordnung in den Machtdispositiven der Gegenwart und kritisiert dessen Restaurationsversuch eines personalistischen, führerzentrierten Systems der Herrschaft.
Dabei weist er zunächst treffend darauf hin, daß "Politische Theologie" für Schmitt nicht "Gehorsam des Glaubens" im Unterschied zu einer irgendwie klassischen Politischen Philosophie war, sondern ein Lektüreverfahren, das "heterogene politische Gedankengruppen soweit homogenisiert, daß ihre Vergleichbarkeit sichergestellt ist". Schmitts Wendung zum politischen Tageskampf liest Balke als Antwort auf eine im Frühwerk entwickelte modernitätskritische Fragestellung. Als Problem der Gegenwart erkannte Schmitt die Unmöglichkeit, irgendeine Weltanschauung gegen die "Steigerung der Ideenzirkulation" unter den modernen Kommunikationsbedingungen zu fixieren. In Parallele mit Robert Musil und Paul Valéry zeigt Balke Schmitts Mühen auf, eine klassische Politik eindeutiger Unterscheidungen und Entscheidungen gegen den romantischen Möglichkeitssinn, den "Occasionalismus" der Zeit zu restituieren. Balke bemerkt Schmitts "Gespür für die säkulare Dimension der Entmachtung des klassischen Handlungsverständnisses". Schmitt antwortete mit einem "Exzeptionalismus", der mittels rhetorischer Dramatisierung von Krisen- und Ausnahmesituationen eine "Repersonalisierung der Politik" betrieb. Nur knapp deutet Balke Schmitts Probleme an, den Nationalsozialismus als Sieg des Soldaten über den Bürger, des Führers über die Legalität des verpönten bürgerlichen Rechtsstaats zu beschreiben.
Beim Ende der dreißiger Jahre einsetzenden Spätwerk unterscheidet Balke ähnlich strikt zwischen Problemanalyse und Rezeptur, zwischen Schmitts treffender Diagnose einer Wandlung grundlegender Ordnungsvorstellungen infolge einer technologisch bedingten "Raumrevolution" und seiner Befürwortung einer zunächst nationalsozialistischen, dann katholisch stabilisierten "Raumordnung". Dieses Schwanken zwischen erhellenden Problemanalysen und falschen praktischen Folgerungen entdeckt Balke auch in der Rezeption nach 1945, namentlich bei Ernst Forsthoff, wieder. Als Fazit hält er fest, daß die Aufgabe einer "Transformation der Normalität von einer Status- in eine Prozeßkategorie" von Schmitt her nicht lösbar sei. Die "Versuchung Carl Schmitts" lag darin, so läßt sich Balkes Titel wohl lesen, wider die eigene Einsicht in das Ende der Epoche des bürgerlichen Rechtsstaats und - so Schmitts pointierte Folgerung - der Staatlichkeit überhaupt noch am staatsbezogenen Politikbegriff festgehalten zu haben.
Über die grundlegende Unterscheidung von absoluter Verfassung und positivem Verfassungsgesetz hinaus hat Schmitt nach Balke die Voraussetzung des politischen Denkens und Handelns erkundet. Er problematisierte mit den personalistischen Voraussetzungen der Politik das geschichtliche Selbstverständnis des Menschen überhaupt. Hinter seiner Beschwörung der Politik als "Schicksal" und dem Ruf nach dem Führer steht der Notschrei eines Individuums, sich noch als Akteur und Held der Verhältnisse zu wissen. Schmitt artikulierte das Krisenbewußtsein in der Moderne. Dagegen empfiehlt Balke eine weniger aufgeregte Haltung zum geschichtlichen Prozeß. REINHARD MEHRING
Friedrich Balke: "Der Staat nach seinem Ende". Die Versuchung Carl Schmitts. Wilhelm Fink Verlag, München 1996. 426 S., br., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main