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Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt unterliegen am Ende dieses Jahrhunderts einer sich beschleunigenden Erosion. Kann der Staat den Zerfall seiner Grundlagen überleben? Wer diese Frage beantworten will, muß neu über den Staatsbegriff nachdenken. Stefan Breuers multidisziplinär angelegte Studie bietet hierzu eine Typenlehre auf der Grundlage Max Webers.

Produktbeschreibung
Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt unterliegen am Ende dieses Jahrhunderts einer sich beschleunigenden Erosion. Kann der Staat den Zerfall seiner Grundlagen überleben? Wer diese Frage beantworten will, muß neu über den Staatsbegriff nachdenken. Stefan Breuers multidisziplinär angelegte Studie bietet hierzu eine Typenlehre auf der Grundlage Max Webers.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.1998

Kühne Kenner aller Kniffe
Stefan Breuer erläutert die Institutionalisierung politischer Macht

"Vorstaatliche politische Verbände: das Häuptlingstum" lautet die Überschrift des ersten Kapitels. Sie kennzeichnet den Anspruch des Buches. Breuer will beschreiben, wie sich die Verfestigung politischer Macht weltgeschichtlich entwickelt hat. Strenggenommen ist der Titel daher zu eng. Das Wort "Staat" gibt es erst seit dem fünfzehnten Jahrhundert. Es sollte die beginnende Entkoppelung von Recht und Politik kaschieren. Aber wie man eine "deutsche Verfassungsgeschichte" mit den antiken römischen Kaisern beginnen darf, so darf man eine Beschreibung des Wandels politischer Ordnungen "Der Staat" nennen.

Der universalhistorische Anspruch verlangt nach Begriffen, mit denen man die Vielfalt der Erscheinungen vereinfachen kann. Breuer übernimmt mit durchdachten Abwandlungen Max Webers Macht- und Legitimationsbegriff und die berühmten drei reinen Typen der Legitimität: Charisma, Tradition und Ratio. Webers Konzept beruht freilich auf dem Gedanken, man müsse versuchen, die Zwecke der handelnden Subjekte zu verstehen, wenn man soziale Beziehungen verstehen wolle. Die soziologische Systemtheorie hat diese Vorstellung inzwischen energisch bekämpft. Aber die Politikwissenschaft kann auf das handelnde Subjekt nicht verzichten. Sie versteht sich als Planungswissenschaft, und Planung ohne zweckmäßig handelnden "Akteur" scheint kaum denkbar.

Man darf sich daher nicht wundern, wenn bei Breuer schon das archaische Häuptlingstum erstaunlich zweckmäßig agiert. Es verschafft sich Einfluß, "weil es den Zugang zu den übernatürlichen Quellen des Heils kontrolliert und damit psychische Zwangsmittel besitzt". Außerdem: "Herrschaft muß sich bewähren." Sie muß ausreichend "Nahrung und Ehre" schaffen, wie die zünftigen Handwerksgesellen noch im neunzehnten Jahrhundert sagten. Aber wie bewährt sich die Herrschaft von Häuptlingen, wenn es nicht regnet, obwohl der Häuptling stundenlang dafür getrommelt hat? Bringt ihn das Volk dann um, oder glaubt es ihm, wenn er sagt, das Volk habe den Regengott eben zu tief verletzt? Die alten Juden jedenfalls haben ihren Propheten ähnliche Reden meist abgenommen. Die andere "Bewährung des Charismas", die "Vergrößerung des eigenen Prestiges", haben die Häuptlingstümer in "Prestigegütern" verdinglicht. Das sind "Objekte, die durch ihre besondere Seltenheit geeignet sind, den herausgehobenen Status ihres Besitzers anzuzeigen".

Die Verdinglichung des Prestiges festigt das Charisma, macht es aber zugleich übertragbar, weil sie es von seiner Bindung an die Herkunft des Trägers aus einer Familie oder einem Klan löst. Dadurch wird es möglich, die Verfügung über Prestige zu konzentrieren und zu monopolisieren. Wenn es einem Häuptling gelingt, die "oberste Gottheit in seine Ahnenreihe zu inkorporieren", entsteht der charismatische Staat, in dem der Häuptling nicht mehr das Volk gegenüber den Göttern, sondern die Götter gegenüber dem Volk repräsentiert. Der traditionale Staat bildet sich heraus, wenn das Charisma unglaubwürdig wird, eine alternative Legitimation aber nicht zur Verfügung steht. Als Legitimationsprinzip ist Tradition gleichsam glaubensloses Charisma. Inhaltlich wird die Religion durch eine "Kindes- und Dienerpietät" ersetzt, die hinreichend zuverlässig Gehorsam sichert.

Eine "Kindes- und Dienerpietät" halten die Leute auf die Dauer nicht aus. Sie haben ein Freiheitsbedürfnis und wollen Gleichberechtigung, die Voraussetzungen des rationalen Staates. Deshalb ist der Wechsel von traditionaler zu rationaler Legitimität "das Resultat von Interventionen der Beherrschten" und nicht von besserer Einsicht der Herrschenden. Dafür hätte man sich allerdings genauere Belege gewünscht als eine pauschale Berufung auf die neuzeitlichen Revolutionen. Der Kurfürst von Brandenburg hat das Berufsbeamtentum - nach Max Weber der klassische Fall einer Verwaltungsrationalisierung - doch nicht auf "Intervention der Beherrschten" eingeführt. Selbst die Zusammensetzung der ersten französischen Nationalversammlung und des Paulskirchen-Parlaments spricht eher für "Revolutionen von oben". Wie es zu den bekannten "Selbstaufhebungen der Demokratie" im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert kommen konnte, wenn letztlich die Beherrschten den Wechsel zu rationaler Legitimität bewirkt haben, muß Breuer demgemäß mit menschlicher Schwäche erklären: In einer Demokratie krallen sich gewählte Politiker oft an der Macht fest und sind die Beherrschten "ständig verführt, ihren in Wahlen und Abstimmungen zum Ausdruck gebrachten Willen mißachtet oder verfälscht zu sehen".

Breuer differenziert intelligent innerhalb der einzelnen Legitimationstypen und belegt die Differenzierungen mit Beispielen aus allen Zeiten und allen Orten der Weltgeschichte, in der Regel allerdings als Bestätigung der bereits theoretisch gefundenen Ergebnisse. Die Fülle und Breite des Materials beeindruckt, vermittelt freilich auch das Gefühl, man könne nicht alles kontrollieren.

Die Grenzen des Weberschen Konzeptes zeigen sich bei der Erörterung des Feudalismus. Breuer sieht, daß das Lehnsverhältnis "in der persönlichen Beziehung zwischen Herrn und Vasallen besteht", nennt diese Beziehung aber charismatisch, "soweit es einen politischen Zusammenhang gibt". Charisma ist einseitige Autorität. Das Lehnsverhältnis beruhte jedoch so auf gegenseitiger Treue, wie die bürgerliche Ehe auf gegenseitiger Liebe beruht. Der Vasall, der "Knecht", blieb ein freier Mann, wie auch die Frau mit der Eheschließung nicht Befehlsempfängerin wird. "Schutz und Schirm gegen treue Dienste" hieß das Prinzip. Aber "Herrschaft auf Gegenseitigkeit", das paßt nicht ins Webersche Konzept.

Trotzdem. Eine grundlegende Einsicht vermittelt der handlungstheoretische Ansatz jedenfalls, wenn Breuer sie auch nicht ausformuliert: Politische Ordnungen können an ihren eigenen Erfolgen zugrunde gehen, und dagegen ist nichts zu machen, weil niemand gegen Erfolge protestieren kann. Diese Einsicht rechtfertigt den eher skeptischen Ausblick Breuers und macht sein Buch zu einer zwar nicht leichten, aber spannenden Lektüre. GERD ROELLECKE

Stefan Breuer: "Der Staat". Entstehung, Typen, Organisationsstadien. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1998. 335 S., br., 26,90 DM.

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