Platons Politeia ist eine der wirkmächtigsten Schriften der Antike. Wie könnte ein gerechter Staat aussehen? Wie eine gerechte Gesellschaft? Platon entwirft einen Idealstaat, in dem Männer und Frauen der herrschenden Klasse gleichberechtigt sind, es weder Heirat noch Familie gibt, alle Kinder gemeinsam erzogen werden - ohne dass sie ihre Eltern kennen -, niemand etwas besitzt, eine kultivierte Elite über Recht und Ordnung wacht und Philosophen die Geschicke lenken. Einem jeden gehe es nicht um sein persönliches Glück, sondern um das Wohl des Staates: Ideal oder totalitäre Horrorvision?
Gernot Krapingers Neuübersetzung und Neukommentierung dieses Dialogs, der u.a. das berühmte Höhlengleichnis enthält, lässt auch den philosophisch nicht vorgebildeten Leser diesen Urtext aller politischen Theorien verstehen.
Gernot Krapingers Neuübersetzung und Neukommentierung dieses Dialogs, der u.a. das berühmte Höhlengleichnis enthält, lässt auch den philosophisch nicht vorgebildeten Leser diesen Urtext aller politischen Theorien verstehen.
»Eine sehr frische Übersetzung« NDR Kultur, 02.10.2021
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2018Platons "Staat" neu übersetzt
Platons "Staat" gehört zu den Büchern der griechisch-römischen Antike, die die westliche Tradition geprägt haben. Der Text erörtert ein zentrales ethisches Problem - die Frage, was Gerechtigkeit ausmacht - in einer Ausführlichkeit, die zum Zeitpunkt seiner Publikation in den späten siebziger Jahren des vierten vorchristlichen Jahrhunderts beispiellos war und auch noch heute dem Leser einiges an Kraft und Geduld abverlangt. Schleiermachers epochemachende, nahe am griechischen Original angesiedelte Übersetzung aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert, immer wieder, leicht modernisiert, nachgedruckt, ist gerade in ihrem Bemühen, die komplizierten griechischen Partikel adäquat wiederzugeben, die dem griechischen Text die spezifischen dialogischen Finessen verleihen, nur noch bedingt lesbar: "freilich nun durchaus nicht" oder "wie sollte es wohl nicht" und Ähnliches sind dem heutigen Verständnis sehr fremd geworden.
Die in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstandene Übertragung Rudolf Rufeners zeichnet dagegen eine Feierlichkeit der Sprache aus, die dem griechischen Text nicht gerecht wird. Entwirft Platon doch seine Diskussion in unprätentiöser, zugleich urbaner und exakter Sprache, die eine Gruppe vornehmer Athener im Haus des reichen, alten Kephalos - er hat als "Zugezogener"kein athenisches Bürgerrecht - in Piräus führt. Gesprächsführer ist natürlich Sokrates, den Platon auch zum Erzähler des gesamten Textes macht, der an ein unbestimmtes Publikum, in das sich jeder Leser einbezogen fühlen darf, gerichtet ist. Platon selbst fehlt, wie auch in seinen anderen Werken, als Teilnehmer, dafür weist er seinen Brüdern Glaukon und Adeimantos wichtige Rollen im Gespräch zu.
Die neue Übersetzung, die der Grazer Philologe Gernot Krapinger, ausgewiesen unter anderem durch die Übertragung von Aristoteles' "Rhetorik", erarbeitet hat, zieht den Leser mit klarer und unprätentiöser Sprache in das Werk hinein. Sie ist dem griechischen Text nah genug, besitzt aber zugleich eine eigene Dignität im deutschen Ausdruck. Unterstützt wird die Übersetzung durch ein dichtes Netz von erklärenden Anmerkungen, die insbesondere erhellende Querbeziehungen zu anderen platonischen Dialogen herstellen. Zudem skizziert Krapinger in seinem instruktiven Nachwort auch die Rezeptionsgeschichte des Textes. Bestimmte Prinzipien des Staates, den Sokrates modellhaft (oder utopisch) entwirft, stehen ja in so drastischem Gegensatz zu westlich-liberalen Erwartungen an ein (gutes) Staatswesen, dass Karl Popper vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit totalitären Staaten der dreißiger Jahre in Platon einen Erzfeind der offenen Gesellschaft ausmachte.
Dass Popper damit die Zielsetzung des Textes verzeichnete, ist oft festgestellt worden. Der moderne Gedanke, dass alle prinzipiell die Möglichkeit haben müssen, alles zu versuchen, ist Platon wie der gesamten Antike freilich fremd. Es lohnt jedoch, das, was Platon im "Staat" entwickelt, anhand der neuen Übersetzung "nachzudenken". Viele aktuelle Probleme erscheinen dadurch in einer interessanten historischen Beleuchtung.
MARTIN HOSE.
Platon: "Der Staat".
Übersetzt und herausgegeben von Gernot Krapinger. Reclam Verlag, Stuttgart 2017.
580 S., geb., 30,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Platons "Staat" gehört zu den Büchern der griechisch-römischen Antike, die die westliche Tradition geprägt haben. Der Text erörtert ein zentrales ethisches Problem - die Frage, was Gerechtigkeit ausmacht - in einer Ausführlichkeit, die zum Zeitpunkt seiner Publikation in den späten siebziger Jahren des vierten vorchristlichen Jahrhunderts beispiellos war und auch noch heute dem Leser einiges an Kraft und Geduld abverlangt. Schleiermachers epochemachende, nahe am griechischen Original angesiedelte Übersetzung aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert, immer wieder, leicht modernisiert, nachgedruckt, ist gerade in ihrem Bemühen, die komplizierten griechischen Partikel adäquat wiederzugeben, die dem griechischen Text die spezifischen dialogischen Finessen verleihen, nur noch bedingt lesbar: "freilich nun durchaus nicht" oder "wie sollte es wohl nicht" und Ähnliches sind dem heutigen Verständnis sehr fremd geworden.
Die in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstandene Übertragung Rudolf Rufeners zeichnet dagegen eine Feierlichkeit der Sprache aus, die dem griechischen Text nicht gerecht wird. Entwirft Platon doch seine Diskussion in unprätentiöser, zugleich urbaner und exakter Sprache, die eine Gruppe vornehmer Athener im Haus des reichen, alten Kephalos - er hat als "Zugezogener"kein athenisches Bürgerrecht - in Piräus führt. Gesprächsführer ist natürlich Sokrates, den Platon auch zum Erzähler des gesamten Textes macht, der an ein unbestimmtes Publikum, in das sich jeder Leser einbezogen fühlen darf, gerichtet ist. Platon selbst fehlt, wie auch in seinen anderen Werken, als Teilnehmer, dafür weist er seinen Brüdern Glaukon und Adeimantos wichtige Rollen im Gespräch zu.
Die neue Übersetzung, die der Grazer Philologe Gernot Krapinger, ausgewiesen unter anderem durch die Übertragung von Aristoteles' "Rhetorik", erarbeitet hat, zieht den Leser mit klarer und unprätentiöser Sprache in das Werk hinein. Sie ist dem griechischen Text nah genug, besitzt aber zugleich eine eigene Dignität im deutschen Ausdruck. Unterstützt wird die Übersetzung durch ein dichtes Netz von erklärenden Anmerkungen, die insbesondere erhellende Querbeziehungen zu anderen platonischen Dialogen herstellen. Zudem skizziert Krapinger in seinem instruktiven Nachwort auch die Rezeptionsgeschichte des Textes. Bestimmte Prinzipien des Staates, den Sokrates modellhaft (oder utopisch) entwirft, stehen ja in so drastischem Gegensatz zu westlich-liberalen Erwartungen an ein (gutes) Staatswesen, dass Karl Popper vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit totalitären Staaten der dreißiger Jahre in Platon einen Erzfeind der offenen Gesellschaft ausmachte.
Dass Popper damit die Zielsetzung des Textes verzeichnete, ist oft festgestellt worden. Der moderne Gedanke, dass alle prinzipiell die Möglichkeit haben müssen, alles zu versuchen, ist Platon wie der gesamten Antike freilich fremd. Es lohnt jedoch, das, was Platon im "Staat" entwickelt, anhand der neuen Übersetzung "nachzudenken". Viele aktuelle Probleme erscheinen dadurch in einer interessanten historischen Beleuchtung.
MARTIN HOSE.
Platon: "Der Staat".
Übersetzt und herausgegeben von Gernot Krapinger. Reclam Verlag, Stuttgart 2017.
580 S., geb., 30,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main