Die Überblicksdarstellung zur langen Geschichte des österreichischen Staatsvertrages!Rolf Steininger zeigt erstmals Zusammenhänge auf, die bisher nicht gesehen wurden. Die Verzahnung der österreichischen Frage mit der deutschen Frage und dem Kalten Krieg eröffnet ganz neue Perspektiven und macht die Entscheidungen in Bezug auf Österreich und den Staatsvertrag erst verständlich.Aus dem Inhalt:- Der "Anschluss"- Nach dem "Anschluss": Österreich als Opfer- Die Zukunft Österreichs: die Nachkriegsplanung der Alliierten- 1945/46: Renner-Regierung und "deutsches Eigentum"- 1945/46: Südtirol und der Kalte Krieg- 1946-1949: Im Schatten von containment und deutscher Frage- 1950-1954: Stalin-Note, Kurzvertrag und roll-back- 1955: Deutsche Frage und "österreichische Schweinerei"
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2005Am schönen blauen Rhein
Adenauers Westkurs und Österreichs Weg zur Neutralität
Rolf Steininger: Der Staatsvertrag. Österreich im Schatten von deutscher Frage und Kaltem Krieg 1938-1955. Studien Verlag, Innsbruck 2005. 198 Seiten, 19,- [Euro].
Vor 50 Jahren, am 15. Mai 1955, wurde zwischen den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges und der Republik Österreich in Wien jener Staatsvertrag unterzeichnet, der dem bis dato von Amerikanern, Russen, Briten und Franzosen besetzten Land die Souveränität schenkte. Die politische Bedingung für Österreichs Freiheit war seine Verpflichtung zur Neutralität: Diese säkulare Entwicklung hat Gerald Stourzh vor einigen Jahren in seinem opus magnum über "Die Geschichte des österreichischen Staatsvertrags" auf magistrale Art und Weise dargestellt.
Nunmehr hat der Innsbrucker Zeithistoriker Rolf Steininger, einer der besten Kenner der archivalischen Grundlagen europäischer Geschichte im 20. Jahrhundert, das Jubiläumsdatum zum Anlaß genommen, um den Weg zum Staatsvertrag vor dem Hintergrund der wechselvollen Geschichte Österreichs nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zu betrachten: Diese vollzog sich durchgehend im Zeichen, ja im Banne größerer, geschichtsmächtiger Potenzen, des Deutschen Reiches und der deutschen Frage einerseits, der "Großen Vier" und des Kalten Krieges andererseits.
Nach dem Untergang der Habsburger Monarchie suchten die Deutschösterreicher Anschluß an das Deutsche Reich. Weil das der in den Jahren 1919/20 eingerichteten Friedensordnung widersprach, blieb ihnen dieser Wunsch jedoch versagt. In einem verhängnisvollen Gemisch aus Gewalt, die sich der deutsche Diktator einzusetzen nicht scheute, und Begeisterung, mit der sich ihm so viele Österreicher hingaben, vollzog Hitlers Deutschland diesen "Anschluß" schließlich im Jahr 1938. Sieben Jahre später wollte man - der Tendenz nach jedenfalls - im geteilten und besetzten Österreich davon nicht mehr viel wissen, sondern nahm statt dessen für sich in Anspruch, das erste Opfer nationalsozialistischer Expansion gewesen zu sein.
Österreichs Weg durch die Geschichte führte am Ende zum Staatsvertrag. Dies hatte ganz wesentlich damit zu tun, daß die epochale Bedeutung des Kalten Kriegs diejenige der deutschen Frage mehr und mehr zurücktreten ließ. Lange Jahre war Österreich tatsächlich "eine Geisel des deutschen Problems" gewesen. Die unversöhnliche Rivalität der verfeindeten Blöcke erlaubte die Bewegung auf der einen Seite schon deshalb nicht, weil diese gleichsam automatisch diejenige auf der anderen Seite hätte nach sich ziehen können. Erst als die Sowjets einzusehen begannen, daß ihre österreichischen und deutschen Rochaden die Integration der Bundesrepublik in den Westen, in die Nato, nicht verhindern konnten, erwogen sie neue Möglichkeiten. Ebendies galt auch für die Westmächte, allen voran für die Amerikaner: Ungeachtet ihrer nach wie vor andauernden Befürchtungen, daß eine österreichische Neutralität für Deutschland zum Vorbild werden könne, erklärte Außenminister Dulles am 13. Februar 1954 auf der Berliner Außenministerkonferenz seinem sowjetischen Kollegen Molotow gegenüber: "Wenn Österreich eine Schweiz zu sein wünscht, werden die Vereinigten Staaten nicht im Wege stehen." Dazu verstanden sich die Amerikaner nicht zuletzt deshalb, weil eine am helvetischen Vorbild orientierte Neutralität vor allem die militärischen Belange betraf und eine ideologische sowie gesellschaftliche Affinität des Landes zum Westen erlauben würde.
Die einen, die Russen, wollten weit über den österreichischen Fall hinaus mit einer global angelegten Neutralitätsoffensive weltweit politische Eroberungen tätigen. Und die anderen, die Amerikaner, Briten und Franzosen, sahen in der Neutralität der Alpenrepublik, die ihrer allgemeinen Verfaßtheit nach sowieso zum Westen gehörte und die die Sowjets nun endgültig räumen würden, keine Gefährdung ihrer Interessen. Denn Konrad Adenauer, dem die "ganze österreichische Schweinerei" sowieso höchst verdächtig vorkam, fegte mit brüsker Entschiedenheit jede Erwägung vom Tisch, die österreichische Neutralität als ein Muster für die Überwindung der deutschen Teilung anzusehen. Der deutsche Bundeskanzler, so lautet Rolf Steiningers These, "hatte die Ratifizierung der Pariser Verträge durchgezogen, das hieß Beitritt der BRD zur Nato . . . Der klare Westkurs Adenauers war die Grundvoraussetzung für den österreichischen Staatsvertrag, oder - verkürzt - ohne Adenauer kein Staatsvertrag."
Dennoch: Weit über diese beileibe nicht zu unterschätzende Unbeirrbarkeit des alten Herrn an der Spitze der Bonner Republik hinaus war letztlich doch die große Politik für den Gang der Dinge ausschlaggebend: Weil Russen und Amerikaner aus ganz unterschiedlichen Gründen die Unabhängigkeit und Neutralität Österreichs als für ihre Interessen vorteilhaft einschätzten, während sie im Hinblick auf die deutsche Frage grundsätzlich anders urteilten, konnte es im Mai 1955 zum Abschluß des Staatsvertrages kommen, dessen Existenz durch den Beschluß des Nationalrates am 26. Oktober desselben Jahres über die immerwährende Neutralität des Landes seine historische Vollendung fand.
KLAUS HILDEBRAND
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Adenauers Westkurs und Österreichs Weg zur Neutralität
Rolf Steininger: Der Staatsvertrag. Österreich im Schatten von deutscher Frage und Kaltem Krieg 1938-1955. Studien Verlag, Innsbruck 2005. 198 Seiten, 19,- [Euro].
Vor 50 Jahren, am 15. Mai 1955, wurde zwischen den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges und der Republik Österreich in Wien jener Staatsvertrag unterzeichnet, der dem bis dato von Amerikanern, Russen, Briten und Franzosen besetzten Land die Souveränität schenkte. Die politische Bedingung für Österreichs Freiheit war seine Verpflichtung zur Neutralität: Diese säkulare Entwicklung hat Gerald Stourzh vor einigen Jahren in seinem opus magnum über "Die Geschichte des österreichischen Staatsvertrags" auf magistrale Art und Weise dargestellt.
Nunmehr hat der Innsbrucker Zeithistoriker Rolf Steininger, einer der besten Kenner der archivalischen Grundlagen europäischer Geschichte im 20. Jahrhundert, das Jubiläumsdatum zum Anlaß genommen, um den Weg zum Staatsvertrag vor dem Hintergrund der wechselvollen Geschichte Österreichs nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zu betrachten: Diese vollzog sich durchgehend im Zeichen, ja im Banne größerer, geschichtsmächtiger Potenzen, des Deutschen Reiches und der deutschen Frage einerseits, der "Großen Vier" und des Kalten Krieges andererseits.
Nach dem Untergang der Habsburger Monarchie suchten die Deutschösterreicher Anschluß an das Deutsche Reich. Weil das der in den Jahren 1919/20 eingerichteten Friedensordnung widersprach, blieb ihnen dieser Wunsch jedoch versagt. In einem verhängnisvollen Gemisch aus Gewalt, die sich der deutsche Diktator einzusetzen nicht scheute, und Begeisterung, mit der sich ihm so viele Österreicher hingaben, vollzog Hitlers Deutschland diesen "Anschluß" schließlich im Jahr 1938. Sieben Jahre später wollte man - der Tendenz nach jedenfalls - im geteilten und besetzten Österreich davon nicht mehr viel wissen, sondern nahm statt dessen für sich in Anspruch, das erste Opfer nationalsozialistischer Expansion gewesen zu sein.
Österreichs Weg durch die Geschichte führte am Ende zum Staatsvertrag. Dies hatte ganz wesentlich damit zu tun, daß die epochale Bedeutung des Kalten Kriegs diejenige der deutschen Frage mehr und mehr zurücktreten ließ. Lange Jahre war Österreich tatsächlich "eine Geisel des deutschen Problems" gewesen. Die unversöhnliche Rivalität der verfeindeten Blöcke erlaubte die Bewegung auf der einen Seite schon deshalb nicht, weil diese gleichsam automatisch diejenige auf der anderen Seite hätte nach sich ziehen können. Erst als die Sowjets einzusehen begannen, daß ihre österreichischen und deutschen Rochaden die Integration der Bundesrepublik in den Westen, in die Nato, nicht verhindern konnten, erwogen sie neue Möglichkeiten. Ebendies galt auch für die Westmächte, allen voran für die Amerikaner: Ungeachtet ihrer nach wie vor andauernden Befürchtungen, daß eine österreichische Neutralität für Deutschland zum Vorbild werden könne, erklärte Außenminister Dulles am 13. Februar 1954 auf der Berliner Außenministerkonferenz seinem sowjetischen Kollegen Molotow gegenüber: "Wenn Österreich eine Schweiz zu sein wünscht, werden die Vereinigten Staaten nicht im Wege stehen." Dazu verstanden sich die Amerikaner nicht zuletzt deshalb, weil eine am helvetischen Vorbild orientierte Neutralität vor allem die militärischen Belange betraf und eine ideologische sowie gesellschaftliche Affinität des Landes zum Westen erlauben würde.
Die einen, die Russen, wollten weit über den österreichischen Fall hinaus mit einer global angelegten Neutralitätsoffensive weltweit politische Eroberungen tätigen. Und die anderen, die Amerikaner, Briten und Franzosen, sahen in der Neutralität der Alpenrepublik, die ihrer allgemeinen Verfaßtheit nach sowieso zum Westen gehörte und die die Sowjets nun endgültig räumen würden, keine Gefährdung ihrer Interessen. Denn Konrad Adenauer, dem die "ganze österreichische Schweinerei" sowieso höchst verdächtig vorkam, fegte mit brüsker Entschiedenheit jede Erwägung vom Tisch, die österreichische Neutralität als ein Muster für die Überwindung der deutschen Teilung anzusehen. Der deutsche Bundeskanzler, so lautet Rolf Steiningers These, "hatte die Ratifizierung der Pariser Verträge durchgezogen, das hieß Beitritt der BRD zur Nato . . . Der klare Westkurs Adenauers war die Grundvoraussetzung für den österreichischen Staatsvertrag, oder - verkürzt - ohne Adenauer kein Staatsvertrag."
Dennoch: Weit über diese beileibe nicht zu unterschätzende Unbeirrbarkeit des alten Herrn an der Spitze der Bonner Republik hinaus war letztlich doch die große Politik für den Gang der Dinge ausschlaggebend: Weil Russen und Amerikaner aus ganz unterschiedlichen Gründen die Unabhängigkeit und Neutralität Österreichs als für ihre Interessen vorteilhaft einschätzten, während sie im Hinblick auf die deutsche Frage grundsätzlich anders urteilten, konnte es im Mai 1955 zum Abschluß des Staatsvertrages kommen, dessen Existenz durch den Beschluß des Nationalrates am 26. Oktober desselben Jahres über die immerwährende Neutralität des Landes seine historische Vollendung fand.
KLAUS HILDEBRAND
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als einen "der besten Kenner der archivalischen Grundlagen europäischer Geschichte im 20. Jahrhundert" würdigt Klaus Hildebrand den Historiker Rolf Steininger, der nun eine Arbeit über den österreichischen Staatsvertrag vorgelegt hat. Vor 50 Jahren, am 15. Mai 1955, unterzeichneten die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges und die Republik Österreich in Wien diesen Staatsvertrag, der Österreich unter der Bedingung, sich zur Neutralität zu verpflichten, die Souveränität schenkte. Steininger habe das Jubiläumsdatum zum Anlass genommen, den Weg zum Staatsvertrag vor dem Hintergrund der wechselvollen Geschichte Österreichs nach dem Ende des Ersten Weltkrieges nachzuzeichnen. Über das Buch selbst erfährt man vom Rezensenten bedauerlicherweise kaum etwas. Dafür unterrichtet er den Leser darüber, warum Russen und Amerikaner die Unabhängigkeit und Neutralität Österreichs als für ihre Interessen vorteilhaft einschätzten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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