"Carl Schmitt ist in meiner und ich bin in seiner Biographie unvermeidlich", notierte Ernst Jünger am 18. August 1995. Die enge Freundschaft, vor allem aber die sachliche Differenz beider ist bislang nicht hinreichend erforscht. Die Freundschaft begann im Jahre 1930 mit einem ersten Gespräch, bei dem es sofort brisant wurde. Es ging um nichts weniger als das Erkennen der "Lage" und die anspruchsvolle moralische Entscheidung - für Jünger wie Schmitt ein leitmotivisches Thema, das der eine mit mythischen Annäherungen, der andere mit einem konkreten Situationsdenken anging. Doch beide müssen schließlich einräumen, die Lage nicht wirklich erkennen zu können. Ihre Positionen waren schwer vereinbar und hatten sich zu bewähren in einem Bürgerkrieg, der verdeckt geführt wurde und quer zu den offiziellen Fronten verlief. Er spitzte sich für Ernst Jünger wie für Carl Schmitt zur tödlichen Bedrohung zu und forderte Jüngers Sohn als Opfer.
Dieser gedanklich tiefgehende und philologisch sorgfältig gearbeitete Essay ist unverzichtbar für jeden, der sich mit Jünger oder Schmitt beschäftigt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.09.2008Ein wenig fassungslos
Margret Boveri schreibt an Ernst Jünger
Einem Riesen nähert man sich auf Zehenspitzen. Von diesem kindlichen Gedanken beseelt, bewahrte sich die Publizistin Margret Boveri, berühmt in Nachkriegsdeutschland, bis zum Tod eine dankende Bewunderung für Ernst Jünger. Sein Werk habe ihr das eigene Leben entschlüsselt. Als sie ihn 1947 erstmals rezensierte, pries sie Jüngers Tiefenblick auf die „Umrisse von Ordnungen, wo die Mehrheit noch in heilloser Verwirrung lebt”. Das einzige Treffen der beiden, drei Jahre später, geriet zur Katastrophe. Sie war enttäuscht, er verstimmt. Wie überlebt man den Tod einer Begeisterung, von der man nicht lassen kann?
Dass Ernst Jünger im Tagebuch und im Brief fast alle geistesgeschichtlichen Felder des 20. Jahrhunderts weit ausschritt, zeigt sich etwa in den Korrespondenzen mit Stefan Andres, Gerhard Nebel, Carl Schmitt. Männer waren sie allesamt und keine Kritiker, keine Journalisten. Insofern hatte die 1900 geborene Tochter des Biologen Theodor Boveri, 1933 mit einer Arbeit über die britische Außenpolitik promoviert, einen schweren Stand. Der „erwählte Meister”, der eine „gar nicht zu ermessende Bereicherung und Verwandlung ihres Lebens”, so Boveri 1947, bewirkte, teilte ihr in souveräner Ironie mit: „Immer häufiger begegnet man jetzt unheimlich klugen Frauen – das ist auch ein Zeichen für die rapide Veränderung, in der wir begriffen sind – ob aber ein günstiges?”
Da schrieb man das Jahr 1954, es war der erste Brief nach einem sechsjährigen Schweigen Jüngers. Zwischen der Journalistin und dem Dichter stand mittlerweile der Schatten eines Nachmittags mit Mohrenköpfen und Schillerlocken. Bei diesem Gebäck hatten Herr und Frau Jünger Margret Boveri empfangen, Anfang 1950 in Ravensburg. Gravierendes fiel nicht vor, doch eben dieses enttäuschende Parlieren gestaltete Boveri breit. Sie verfasste einen Rundbrief über das Treffen. Einer der wenigen Adressaten aus ihrem Freundeskreis zeigte die Schilderung dem Chicagoer Verleger Henry Regnery, der sie veröffentlichen wollte. Boveri fragte bei Jüngers an und kam in allerschlimmste Wetter.
Privatsekretär Mohler war entsetzt, dass „Sie in undiplomatischer Weise Dinge weitergegeben haben, die als Hinweis unter vier Augen gedacht waren”. Ehefrau Gretha bekräftigte, „es wurde ein Fehler begangen insofern, als ein privater Brief an die Freunde durch die Weitergabe an Regnery in das Licht der Öffentlichkeit gerückt wurde”. Man sei „ein wenig fassungslos”. Boveri antwortete sofort, selbstredend werde es zu keiner Veröffentlichung kommen.
Der Riese ließ also empfindlich reagieren. Er stutzte sich zurecht auf Menschenmaß. Verdenken kann man es ihm kaum. Der nun erstmals komplett abgedruckte Rundbrief, eine feine Ausgrabung aus der Berliner Staatsbibliothek, zeichnet kein schmeichelhaftes Porträt. Jünger, mit Augen „wie von vergeistigten Juden”, strahle eine „konzentrierte Schärfe” aus, der jede „füllende, ausgleichende Substanz” fehle – „so wie Salzheringe oder Sardellenpaste, man braucht viel Brot und Butter dazu, dann wird es ausgezeichnet, aber allein ist es nicht gut erträglich.” Sein „Hang zum lehrhaft-Katalogisierenden” trug dazu bei, dass „zwischen uns kein Funken übergesprungen ist”. Vielleicht müsse man „Mitleid mit ihm haben , es fehlt ihm der unmittelbare Kontakt zu den Menschen; er tut sich, glaub ich, schwer”. Beim Abschied von Ravensburg denkt Boveri, „der erfreulichere Besuch sei doch der des morgens gewesen, und der, der zu einer echten menschlichen Beziehung geführt habe”. Sie hatte bei dem Reformpädagogen Georg Picht gefrühstückt.
Ins menschlich Bedenkliche abermals abgeschoben: So wollte Jünger, der seit 1949 wieder in Deutschland publizieren konnte, nicht dargestellt werden. Ganz abbrechen ließ er den Kontakt aber nicht – auch dann nicht, als Boveri nach der Rundbrief-Affäre neue, sanft kritische Töne in ihren Briefen fand. Man sandte sich weiterhin die neuen Schriften, tauschte sich aus über Kirsch- und Mispelbäume, erkundigte sich nach dem Befinden, was Jünger die Gelegenheit gab, gegenüber der oft kränkelnden Boveri als Ausbund an Virilität zu erscheinen.
Boveris Hauptwerk, die vierbändige Geschichte des „Verrats im 20. Jahrhundert”, fand Jüngers Anerkennung. „Der Verrat”, bemerkte er im August 1956, „gehört zu unserer theologischen Situation. Das böse Gewissen ebenfalls. Und hinterher die Gewalt.” Treu blieb er seiner Briefgefährtin wohl auch deshalb, weil diese ihr Jünger-Bild 1932 beginnen ließ, mit dem „Arbeiter”, und so ihm jene Treue zu sich selbst bestätigen konnte, die eher Wunschbild denn Faktum war. In keine ihrer Rezensionen gelangte damit Jüngers soldatischer Nationalismus der zwanziger Jahre, die Glorifizierung des Frontsoldatentums und des deutschen Stoßtruppkämpfers als eines neuen Menschenschlags, dem Jünger 1925 attestierte, ein „neues, führendes Geschlecht in Europa” werden zu können, „furchtlos und fabelhaft, ohne Blutscheu und rücksichtslos”. Der „Arbeiter” löst beide Idealtypen ab und begründet Jüngers übernationales, ja planetarisches Denken im Zeichen von Mythos und Imperium – und seine endgültige Ablehnung des Nationalsozialismus. Diese Zäsur nimmt Boveri offenbar als Anfang, wenn sie zu Jüngers siebzigstem Geburtstag schreibt, er habe lebenslang sein „Schiff auf geradem Kurs gesteuert”.
Neben der Leidenschaft für Baum und Strauch, für ferne Länder und für Ordnungen jedweder Art eint Boveri und Jünger ihr „Doppelleben”. Boveri hatte das ihre eher harmlos im November 1957 beschrieben. Das Familiengut im fränkischen Höfen bei Bamberg bewohne nicht dieselbe Person, die den Rest des Jahres „das allgemein sichtbare Leben in Berlin” führt. In der Provinz, ohne Strom und ohne Wasserleitung, sei sie selbst „im Wesen, im Aussehen, im Gang sogar, ganz anders als in Berlin”. Jünger radikalisiert die Beobachtung zum Habitus. Man müsse „sich selbst objektivieren und zum Fetisch machen. Während die anderen sich damit beschäftigen, sitzt man behaglich in seinem Interieur und tut sich was Gutes an.”
Erkundung einer Leerstelle
Diese radikale Scheidung von inszeniertem Fremd- und verborgenem Selbstbild führt ins Zentrum der Jüngerschen Welterfahrung, wie sie Martin Tielke entwickelt. Der Germanist aus Aurich nimmt Boveris Leerstelle in den Blick, das Dritte Reich. Sie, die den Endkampf um Berlin bewusst in der Hauptstadt, die Zeit davor aber in New York, Lissabon, Madrid erlebt hatte, blendet die Hitler-Jahre weitgehend aus. Tielke untersucht sie anhand einer Frage, die Jüngers „Wendungen und Brüche” einbezieht und die ein neues Licht wirft auf den Streit um den Rundbrief: Wie privat darf eine politische Existenz sein?
In seinem behutsam argumentierenden, von kritischer Sympathie getragenen Essay entfaltet Tielke die Geschichte einer weiteren Freundschaftskrise, jener von Carl Schmitt und Ernst Jünger. Des „Kronjuristen” Propagandadienste für die Nationalsozialisten trübten das Verhältnis schon im August 1933, als Jünger ihm zur Emigration riet. Die Eskalation ereignete sich nach dem Krieg. Jüngers „Heliopolis” wurde 1949 als „privat und streckenweise öd belanglos” besprochen. Schmitt erschreckte darüber weit mehr als Jünger: „Dieses ,Privat‘ ist ein böses Stichwort. Ich verstehe etwas davon. Es hat mich tief beunruhigt.”
Diese Beunruhigung war Jüngers Sache nicht. Er hatte bekanntlich sein „Interieur”, in das dieser Vorwurf nicht eindrang, weil er es allem Äußerlichen überlegen wähnte. Schmitt hingegen, so Tielke, sah „nur darin, dass er nicht in die reine Privatheit absank, die Bedingung der Möglichkeit seines Überlebens in der Diktatur”. Der „Rest staatlicher Öffentlichkeit, wie pervertiert auch immer, konnte ihn retten”; der „Preußische Staatsrat” Schmitt blieb eine öffentliche Person trotz seines „beredten Schweigens” von 1936 an. Indem Jünger mit „Heliopolis”, seiner Parabel auf die Diktatur, öffentlich privat werden konnte, bestätigte er laut Tielke die „Hohlheit dieses Öffentlichen”, an dem Schmitts Leben hing.
Tielkes Verdienst ist die scharfe Konturierung einer „wechselseitigen Blindheit”. Schmitt hielt den ästhetisierten Rückzug des „militärisch verkleideten Intellektuellen” ins Innere für eine Flucht aus der Wirklichkeit. Jünger begriff nicht, weshalb der Jurist Kontakt halten musste zu einer verkehrten Öffentlichkeit, um vor ihr nicht ganz zu kapitulieren. Ihrer beider Freundschaft war damit Geschichte. Diese aber lässt sich nun – wie auch die Fortschreibung Jüngers durch Boveri – neu lesen: als dreifach verschiedene Antwort auf die Frage, welche Öffentlichkeit das politische Individuum herzustellen und welche es hinzunehmen hat. ALEXANDER KISSLER
MARGRET BOVERI, ERNST JÜNGER: Briefwechsel aus den Jahren 1946 bis 1973. Herausgegeben, kommentiert und mit einem Vorwort versehen von Roland Berbig, Tobias Bock und Walter Kühn. Landtverlag, Berlin 2008. 334 Seiten, 34,90 Euro.
MARTIN TIELKE: Der stille Bürgerkrieg. Ernst Jünger und Carl Schmitt im Dritten Reich. Landtverlag, Berlin 2008, 144 Seiten, 24,90 Euro.
Auch ein recht abenteuerliches Herz: Margret Boveri Foto: oh
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Margret Boveri schreibt an Ernst Jünger
Einem Riesen nähert man sich auf Zehenspitzen. Von diesem kindlichen Gedanken beseelt, bewahrte sich die Publizistin Margret Boveri, berühmt in Nachkriegsdeutschland, bis zum Tod eine dankende Bewunderung für Ernst Jünger. Sein Werk habe ihr das eigene Leben entschlüsselt. Als sie ihn 1947 erstmals rezensierte, pries sie Jüngers Tiefenblick auf die „Umrisse von Ordnungen, wo die Mehrheit noch in heilloser Verwirrung lebt”. Das einzige Treffen der beiden, drei Jahre später, geriet zur Katastrophe. Sie war enttäuscht, er verstimmt. Wie überlebt man den Tod einer Begeisterung, von der man nicht lassen kann?
Dass Ernst Jünger im Tagebuch und im Brief fast alle geistesgeschichtlichen Felder des 20. Jahrhunderts weit ausschritt, zeigt sich etwa in den Korrespondenzen mit Stefan Andres, Gerhard Nebel, Carl Schmitt. Männer waren sie allesamt und keine Kritiker, keine Journalisten. Insofern hatte die 1900 geborene Tochter des Biologen Theodor Boveri, 1933 mit einer Arbeit über die britische Außenpolitik promoviert, einen schweren Stand. Der „erwählte Meister”, der eine „gar nicht zu ermessende Bereicherung und Verwandlung ihres Lebens”, so Boveri 1947, bewirkte, teilte ihr in souveräner Ironie mit: „Immer häufiger begegnet man jetzt unheimlich klugen Frauen – das ist auch ein Zeichen für die rapide Veränderung, in der wir begriffen sind – ob aber ein günstiges?”
Da schrieb man das Jahr 1954, es war der erste Brief nach einem sechsjährigen Schweigen Jüngers. Zwischen der Journalistin und dem Dichter stand mittlerweile der Schatten eines Nachmittags mit Mohrenköpfen und Schillerlocken. Bei diesem Gebäck hatten Herr und Frau Jünger Margret Boveri empfangen, Anfang 1950 in Ravensburg. Gravierendes fiel nicht vor, doch eben dieses enttäuschende Parlieren gestaltete Boveri breit. Sie verfasste einen Rundbrief über das Treffen. Einer der wenigen Adressaten aus ihrem Freundeskreis zeigte die Schilderung dem Chicagoer Verleger Henry Regnery, der sie veröffentlichen wollte. Boveri fragte bei Jüngers an und kam in allerschlimmste Wetter.
Privatsekretär Mohler war entsetzt, dass „Sie in undiplomatischer Weise Dinge weitergegeben haben, die als Hinweis unter vier Augen gedacht waren”. Ehefrau Gretha bekräftigte, „es wurde ein Fehler begangen insofern, als ein privater Brief an die Freunde durch die Weitergabe an Regnery in das Licht der Öffentlichkeit gerückt wurde”. Man sei „ein wenig fassungslos”. Boveri antwortete sofort, selbstredend werde es zu keiner Veröffentlichung kommen.
Der Riese ließ also empfindlich reagieren. Er stutzte sich zurecht auf Menschenmaß. Verdenken kann man es ihm kaum. Der nun erstmals komplett abgedruckte Rundbrief, eine feine Ausgrabung aus der Berliner Staatsbibliothek, zeichnet kein schmeichelhaftes Porträt. Jünger, mit Augen „wie von vergeistigten Juden”, strahle eine „konzentrierte Schärfe” aus, der jede „füllende, ausgleichende Substanz” fehle – „so wie Salzheringe oder Sardellenpaste, man braucht viel Brot und Butter dazu, dann wird es ausgezeichnet, aber allein ist es nicht gut erträglich.” Sein „Hang zum lehrhaft-Katalogisierenden” trug dazu bei, dass „zwischen uns kein Funken übergesprungen ist”. Vielleicht müsse man „Mitleid mit ihm haben , es fehlt ihm der unmittelbare Kontakt zu den Menschen; er tut sich, glaub ich, schwer”. Beim Abschied von Ravensburg denkt Boveri, „der erfreulichere Besuch sei doch der des morgens gewesen, und der, der zu einer echten menschlichen Beziehung geführt habe”. Sie hatte bei dem Reformpädagogen Georg Picht gefrühstückt.
Ins menschlich Bedenkliche abermals abgeschoben: So wollte Jünger, der seit 1949 wieder in Deutschland publizieren konnte, nicht dargestellt werden. Ganz abbrechen ließ er den Kontakt aber nicht – auch dann nicht, als Boveri nach der Rundbrief-Affäre neue, sanft kritische Töne in ihren Briefen fand. Man sandte sich weiterhin die neuen Schriften, tauschte sich aus über Kirsch- und Mispelbäume, erkundigte sich nach dem Befinden, was Jünger die Gelegenheit gab, gegenüber der oft kränkelnden Boveri als Ausbund an Virilität zu erscheinen.
Boveris Hauptwerk, die vierbändige Geschichte des „Verrats im 20. Jahrhundert”, fand Jüngers Anerkennung. „Der Verrat”, bemerkte er im August 1956, „gehört zu unserer theologischen Situation. Das böse Gewissen ebenfalls. Und hinterher die Gewalt.” Treu blieb er seiner Briefgefährtin wohl auch deshalb, weil diese ihr Jünger-Bild 1932 beginnen ließ, mit dem „Arbeiter”, und so ihm jene Treue zu sich selbst bestätigen konnte, die eher Wunschbild denn Faktum war. In keine ihrer Rezensionen gelangte damit Jüngers soldatischer Nationalismus der zwanziger Jahre, die Glorifizierung des Frontsoldatentums und des deutschen Stoßtruppkämpfers als eines neuen Menschenschlags, dem Jünger 1925 attestierte, ein „neues, führendes Geschlecht in Europa” werden zu können, „furchtlos und fabelhaft, ohne Blutscheu und rücksichtslos”. Der „Arbeiter” löst beide Idealtypen ab und begründet Jüngers übernationales, ja planetarisches Denken im Zeichen von Mythos und Imperium – und seine endgültige Ablehnung des Nationalsozialismus. Diese Zäsur nimmt Boveri offenbar als Anfang, wenn sie zu Jüngers siebzigstem Geburtstag schreibt, er habe lebenslang sein „Schiff auf geradem Kurs gesteuert”.
Neben der Leidenschaft für Baum und Strauch, für ferne Länder und für Ordnungen jedweder Art eint Boveri und Jünger ihr „Doppelleben”. Boveri hatte das ihre eher harmlos im November 1957 beschrieben. Das Familiengut im fränkischen Höfen bei Bamberg bewohne nicht dieselbe Person, die den Rest des Jahres „das allgemein sichtbare Leben in Berlin” führt. In der Provinz, ohne Strom und ohne Wasserleitung, sei sie selbst „im Wesen, im Aussehen, im Gang sogar, ganz anders als in Berlin”. Jünger radikalisiert die Beobachtung zum Habitus. Man müsse „sich selbst objektivieren und zum Fetisch machen. Während die anderen sich damit beschäftigen, sitzt man behaglich in seinem Interieur und tut sich was Gutes an.”
Erkundung einer Leerstelle
Diese radikale Scheidung von inszeniertem Fremd- und verborgenem Selbstbild führt ins Zentrum der Jüngerschen Welterfahrung, wie sie Martin Tielke entwickelt. Der Germanist aus Aurich nimmt Boveris Leerstelle in den Blick, das Dritte Reich. Sie, die den Endkampf um Berlin bewusst in der Hauptstadt, die Zeit davor aber in New York, Lissabon, Madrid erlebt hatte, blendet die Hitler-Jahre weitgehend aus. Tielke untersucht sie anhand einer Frage, die Jüngers „Wendungen und Brüche” einbezieht und die ein neues Licht wirft auf den Streit um den Rundbrief: Wie privat darf eine politische Existenz sein?
In seinem behutsam argumentierenden, von kritischer Sympathie getragenen Essay entfaltet Tielke die Geschichte einer weiteren Freundschaftskrise, jener von Carl Schmitt und Ernst Jünger. Des „Kronjuristen” Propagandadienste für die Nationalsozialisten trübten das Verhältnis schon im August 1933, als Jünger ihm zur Emigration riet. Die Eskalation ereignete sich nach dem Krieg. Jüngers „Heliopolis” wurde 1949 als „privat und streckenweise öd belanglos” besprochen. Schmitt erschreckte darüber weit mehr als Jünger: „Dieses ,Privat‘ ist ein böses Stichwort. Ich verstehe etwas davon. Es hat mich tief beunruhigt.”
Diese Beunruhigung war Jüngers Sache nicht. Er hatte bekanntlich sein „Interieur”, in das dieser Vorwurf nicht eindrang, weil er es allem Äußerlichen überlegen wähnte. Schmitt hingegen, so Tielke, sah „nur darin, dass er nicht in die reine Privatheit absank, die Bedingung der Möglichkeit seines Überlebens in der Diktatur”. Der „Rest staatlicher Öffentlichkeit, wie pervertiert auch immer, konnte ihn retten”; der „Preußische Staatsrat” Schmitt blieb eine öffentliche Person trotz seines „beredten Schweigens” von 1936 an. Indem Jünger mit „Heliopolis”, seiner Parabel auf die Diktatur, öffentlich privat werden konnte, bestätigte er laut Tielke die „Hohlheit dieses Öffentlichen”, an dem Schmitts Leben hing.
Tielkes Verdienst ist die scharfe Konturierung einer „wechselseitigen Blindheit”. Schmitt hielt den ästhetisierten Rückzug des „militärisch verkleideten Intellektuellen” ins Innere für eine Flucht aus der Wirklichkeit. Jünger begriff nicht, weshalb der Jurist Kontakt halten musste zu einer verkehrten Öffentlichkeit, um vor ihr nicht ganz zu kapitulieren. Ihrer beider Freundschaft war damit Geschichte. Diese aber lässt sich nun – wie auch die Fortschreibung Jüngers durch Boveri – neu lesen: als dreifach verschiedene Antwort auf die Frage, welche Öffentlichkeit das politische Individuum herzustellen und welche es hinzunehmen hat. ALEXANDER KISSLER
MARGRET BOVERI, ERNST JÜNGER: Briefwechsel aus den Jahren 1946 bis 1973. Herausgegeben, kommentiert und mit einem Vorwort versehen von Roland Berbig, Tobias Bock und Walter Kühn. Landtverlag, Berlin 2008. 334 Seiten, 34,90 Euro.
MARTIN TIELKE: Der stille Bürgerkrieg. Ernst Jünger und Carl Schmitt im Dritten Reich. Landtverlag, Berlin 2008, 144 Seiten, 24,90 Euro.
Auch ein recht abenteuerliches Herz: Margret Boveri Foto: oh
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Alexander Kissler hat neben dem Briefwechsel Ernst Jüngers mit Margret Boveri auch diesen Essay mit großem Interesse gelesen. Im Verhältnis von Carl Schmitt und Ernst Jünger konzentriert sich der Germanist Martin Tielke auf die Zeit des Nationalsozialismus und stellt die Frage, "wie privat eine politische Existenz sein darf" ins Zentrum seiner Untersuchung. Dass er diese sowohl für Schmitt als auch für Jünger heikle Frage in den Mittelpunkt stellt und es bei aller Kritik weder an Sympathie noch an Behutsamkeit fehlen lässt, gefällt dem Rezensenten. Besonders lobt Kissler, dass es dem Autor gelingt, die Differenzen klar herauszuarbeiten: Während Schmitt in der inneren Emigration Wirklichkeitsflucht sah und stets ein Absinken ins rein Private fürchtete, wähnte Jünger sein privates Leben einer "verkehrten Öffentlichkeit" überlegen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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