Thomas Mach, ein junger Österreicher aus Wien, reist nach Ägypten. Er soll an die Stelle der Reiseleiterin Eva Blum treten, die sich kurz zuvor aus dem Fenster ihres Hotelzimmers gestürzt hat. Geleitet von Evas Tagebuch verfolgt Thomas Mach die Spur der Frau.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.02.2003Wasserpfeifenkopf
Irgendjemand trägt immer einen Hai auf der Schulter: Gerhard Roth berauscht sich in seinem Buch „Der Strom” am Rätsel Ägypten
Vier Ägypter kriechen nachts zu einem Elefanten in den Stall. Der eine bekommt ein Ohr zu fassen und hält es für einen Fächer. Der zweite berührt ein Bein und vergleicht es mit einer Säule. Der Dritte tastet den Rücken ab und glaubt, einen Thron zu fassen. Der Vierte schließlich ergreift den Rüssel und ist sicher: Dies ist eine Wasserpfeife. Wer nur einzelne Teile betrachtet, so die Botschaft Sheikh Hassans, wird das Ganze nie begreifen. Es ist kein Wunder, dass das Gleichnis dem Gast des Sheikh so gut gefällt. Thomas Mach, Sohn eines Papierfabrikanten und Protagonist in Gerhard Roths Roman „Der Strom”, hat es sehr plötzlich an den Nil verschlagen, und bis zum Schluss begreift er von Ägypten nie mehr als dessen völlige Rätselhaftigkeit. Doch gerade darin liegt der Reiz.
Schon beim Landeanflug ist der junge Wiener ganz aus dem Häuschen, denn er kann „das gesamte Nildelta erkennen, in dem der Strom mit allen seinen Verzweigungen die Form einer Papyruspflanze annahm, die ihn (gleichsam ein Wasserzeichen in der Wüste) abermals an die Papierfabrik seiner Familie erinnerte”. Mach betrachtet das Land zwischen Alexandria und Assuan wie eine Sammlung auratischer Zeichen, einen einzigen gigantischen Text. Und Roth öffnet den Lesezirkel weiter: Menschen, Märkte, Tempel, Tierleiber, sogar Kleidungsstücke sind bedeutungsschwer: „Thomas Mach sah die Falten in Blums schwarzen Schuhen, die ihm offenbarten, dass er sich seinem Willen fügen musste.” Der Leser aber sieht solche Passagen, und sie offenbaren ihm, dass selbst eine chiffrierte Banalität eine Banalität bleibt.
Mach soll an die Stelle der Reiseleiterin Eva Blum treten, die sich in Kairo aus dem Hotelfenster gestürzt hat. War es Mord? War es Selbstmord? Er trifft auf den verwitweten Ehemann, einen falschen Detektiv sowie allerlei Gelichter, doch am Ende entledigt sich Roth dieser Frage so beiläufig wie ein Ägypter leerer Kürbiskernschalen.
„Der Strom” ist der vierte Teil in Roths siebenteiligem Zyklus „Orkus”, doch trotz des bedeutungsraunenden Dauerplätscherns hat das Werk den Sog eines trockenen Bachbetts. Die Geschichte hängt an zwei kamelhaardünnen Handlungsfäden: Erstens regiert den Helden eine ebenso launenhafte wie herrische „innere Stimme”. Sie befiehlt ihm, sinnloses Zeug anzustellen, etwa sich die Haare rot zu färben. Zweitens glaubt Mach, den Stationen in Eva Blums Studienbuch nachreisen zu müssen, um ihren Tod zu ergründen, was ihn auf kurzem narrativem Wege zu allen Highlights des Landes bringt – zu den koptischen Klöstern und den Müllmännern in Kairo, nach Sakkara und Fayoum. Vor allem diese erzählerische Nachlässigkeit macht den Ursprung des Buches als Recycling einer Reise unübersehbar.
Viele dicke Brocken hemmen den ohnehin trägen Fluss der Erzählung: Ungelenke Wortschraubereien („Einzelne Gruppen schoben sich jetzt im Gefolge von Fremdenführern nach vorne und überschritten so die Grenze zu einem imaginären Bildrahmen”), ein öliges Product-placement („Heute würde er die gelben Timberland-Desertboots anziehen”) und die Eitelkeit, mit der der Autor seine orientalistischen Basiskenntnisse zur Schau stellt. Doch nichts ist ärgerlicher als jene fast voyeuristische Perspektive, die Interesse an Land und Leuten vorgibt, aber in Wahrheit gar nichts erkennen will, sondern sich lieber an der ewigen Unergründlichkeit Ägyptens berauscht, wo die Bettler erbärmlicher sind als zu Hause und die Basare stinkender, wo die Sprache gefährlicher klingt und irgend jemand immer einen Haifischkopf auf der Schulter trägt oder eine Schlange tanzen lässt. Natürlich ist dieses verquatschte Staunen über die Mysterien des Morgenlandes eine Verbeugung vor den frühen Ägyptenreisenden. Aber 150 Jahre nach Flaubert buchen Touristen Besuche in den Totenstädten aus dem Katalog. Das Staunen über das ewig Fremde in einem Land des Massentourismus wirkt im Zeitalter der Globalisierung so modern wie das Dschungelbuch.
Am Ende sitzt Mach glücklich bekifft im Kino, versteht kein Wort und hat wieder mal das Gefühl, dass er perfekt in diese Welt passt. Selten hat eine innere Stimme so daneben gelegen.
SONJA ZEKRI
GERHARD ROTH: Der Strom. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 344 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Irgendjemand trägt immer einen Hai auf der Schulter: Gerhard Roth berauscht sich in seinem Buch „Der Strom” am Rätsel Ägypten
Vier Ägypter kriechen nachts zu einem Elefanten in den Stall. Der eine bekommt ein Ohr zu fassen und hält es für einen Fächer. Der zweite berührt ein Bein und vergleicht es mit einer Säule. Der Dritte tastet den Rücken ab und glaubt, einen Thron zu fassen. Der Vierte schließlich ergreift den Rüssel und ist sicher: Dies ist eine Wasserpfeife. Wer nur einzelne Teile betrachtet, so die Botschaft Sheikh Hassans, wird das Ganze nie begreifen. Es ist kein Wunder, dass das Gleichnis dem Gast des Sheikh so gut gefällt. Thomas Mach, Sohn eines Papierfabrikanten und Protagonist in Gerhard Roths Roman „Der Strom”, hat es sehr plötzlich an den Nil verschlagen, und bis zum Schluss begreift er von Ägypten nie mehr als dessen völlige Rätselhaftigkeit. Doch gerade darin liegt der Reiz.
Schon beim Landeanflug ist der junge Wiener ganz aus dem Häuschen, denn er kann „das gesamte Nildelta erkennen, in dem der Strom mit allen seinen Verzweigungen die Form einer Papyruspflanze annahm, die ihn (gleichsam ein Wasserzeichen in der Wüste) abermals an die Papierfabrik seiner Familie erinnerte”. Mach betrachtet das Land zwischen Alexandria und Assuan wie eine Sammlung auratischer Zeichen, einen einzigen gigantischen Text. Und Roth öffnet den Lesezirkel weiter: Menschen, Märkte, Tempel, Tierleiber, sogar Kleidungsstücke sind bedeutungsschwer: „Thomas Mach sah die Falten in Blums schwarzen Schuhen, die ihm offenbarten, dass er sich seinem Willen fügen musste.” Der Leser aber sieht solche Passagen, und sie offenbaren ihm, dass selbst eine chiffrierte Banalität eine Banalität bleibt.
Mach soll an die Stelle der Reiseleiterin Eva Blum treten, die sich in Kairo aus dem Hotelfenster gestürzt hat. War es Mord? War es Selbstmord? Er trifft auf den verwitweten Ehemann, einen falschen Detektiv sowie allerlei Gelichter, doch am Ende entledigt sich Roth dieser Frage so beiläufig wie ein Ägypter leerer Kürbiskernschalen.
„Der Strom” ist der vierte Teil in Roths siebenteiligem Zyklus „Orkus”, doch trotz des bedeutungsraunenden Dauerplätscherns hat das Werk den Sog eines trockenen Bachbetts. Die Geschichte hängt an zwei kamelhaardünnen Handlungsfäden: Erstens regiert den Helden eine ebenso launenhafte wie herrische „innere Stimme”. Sie befiehlt ihm, sinnloses Zeug anzustellen, etwa sich die Haare rot zu färben. Zweitens glaubt Mach, den Stationen in Eva Blums Studienbuch nachreisen zu müssen, um ihren Tod zu ergründen, was ihn auf kurzem narrativem Wege zu allen Highlights des Landes bringt – zu den koptischen Klöstern und den Müllmännern in Kairo, nach Sakkara und Fayoum. Vor allem diese erzählerische Nachlässigkeit macht den Ursprung des Buches als Recycling einer Reise unübersehbar.
Viele dicke Brocken hemmen den ohnehin trägen Fluss der Erzählung: Ungelenke Wortschraubereien („Einzelne Gruppen schoben sich jetzt im Gefolge von Fremdenführern nach vorne und überschritten so die Grenze zu einem imaginären Bildrahmen”), ein öliges Product-placement („Heute würde er die gelben Timberland-Desertboots anziehen”) und die Eitelkeit, mit der der Autor seine orientalistischen Basiskenntnisse zur Schau stellt. Doch nichts ist ärgerlicher als jene fast voyeuristische Perspektive, die Interesse an Land und Leuten vorgibt, aber in Wahrheit gar nichts erkennen will, sondern sich lieber an der ewigen Unergründlichkeit Ägyptens berauscht, wo die Bettler erbärmlicher sind als zu Hause und die Basare stinkender, wo die Sprache gefährlicher klingt und irgend jemand immer einen Haifischkopf auf der Schulter trägt oder eine Schlange tanzen lässt. Natürlich ist dieses verquatschte Staunen über die Mysterien des Morgenlandes eine Verbeugung vor den frühen Ägyptenreisenden. Aber 150 Jahre nach Flaubert buchen Touristen Besuche in den Totenstädten aus dem Katalog. Das Staunen über das ewig Fremde in einem Land des Massentourismus wirkt im Zeitalter der Globalisierung so modern wie das Dschungelbuch.
Am Ende sitzt Mach glücklich bekifft im Kino, versteht kein Wort und hat wieder mal das Gefühl, dass er perfekt in diese Welt passt. Selten hat eine innere Stimme so daneben gelegen.
SONJA ZEKRI
GERHARD ROTH: Der Strom. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 344 Seiten, 19,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.10.2002Wasserzeichen in der Wüste
Im Staub der Pharaonen: Gerhard Roths ägyptischer Roman
Wie für Jorge Luis Borges ist das Universum für Gerhard Roth eine labyrinthische, unbegrenzte und zyklische Bibliothek, durch die er selbst als "Silberfischchen" gleitet, "auf der Odyssee durch die Meere der Titel, Namen, Wörter und Sätze". Diese Bibliotheksreisen haben schon den siebenbändigen Romanzyklus "Die Archive des Schweigens" gezeitigt, der die Geschichte und Gegenwart Österreichs darstellte, nun ist Roth in der Mitte seines ebenfalls siebenbändigen Zyklus "Orkus" angelangt, der die Abgründe fremder Kulturen auslotet. Der Roth-Leser kennt bereits den Beamten der Wiener Nationalbibliothek, den Bücherwurm Konrad Feldt, der sich in dem Japan-Roman "Der Plan" (1998) mit ungewissem Ausgang als Detektiv des Wissens betätigt hatte. Er bleibt allerdings in "Der Strom" in seinem Bücherturm sitzen.
Nach Ägypten reist diesmal an seiner Stelle der junge Wiener Absolvent der Geographie und Geschichte Thomas Mach, der wiederum die Stelle Eva Blums einnehmen soll, die in Kairo aus dem Fenster ihres Hotels gestürzt ist. Wie schon zuvor wird auch hier die Reise gleich mit Lektüre identifiziert. Der Erzähler begleitet den Helden auf seinen arabesken Wegen zwischen Kairo und Alexandria auf den Spuren von Eva Blums Studientagebuch, und immer wieder führen diese Wege in die Bibliothek.
Was sich äußerlich als exotistischer Kriminalroman gibt, ist die passagenweise ziemlich notdürftig in Handlung eingeschlagene Frage nach der Deutbarkeit der Zeichen und der Lesbarkeit der fremden Welt. Thomas Mach ist ein ziemlich schlichter und vor allem staubtrockener Charakter, was daran liegen mag, daß er einer Familie von Papierherstellern entstammt. Jedenfalls leidet er offenbar unter einer ererbten professionellen Deformation des Blicks: "Funkelndes Goldlicht lag wie Staub auf der Landschaft, Staub der Vergangenheit mit mikroskopischen Resten von Blütenpollen, Korallen, Tier- und Menschenknochen, Natron, Schilf, Muschelsplittern, Granatapfel- und Dattelkernen. Und durch diesen Schleier winzigster Staubkörner konnte er jetzt für einen Moment das gesamte Nildelta erkennen, in dem der Strom mit allen seinen Verzweigungen die Form einer Papyruspflanze annahm, die ihn (gleichsam ein Wasserzeichen in der Wüste) abermals an die Papierfabrik seiner Familie erinnerte."
Als wäre das nicht deutlich genug, bildet der Erzähler die Trockenheit seines Helden im Stil eines Besinnungsaufsatzes ab, und aus dem ereignisreichen Leben des Thomas Mach erfährt der Leser, daß er sich mit vierzehn den Knöchel verstaucht hat und andere Details, die fatal an den bekannten Sack Reis in Peking erinnern. Der Held bewegt sich von einer Binsenweisheit zur anderen, und immer wieder bis zum Überdruß stellt ihn sein Erzähler ratlos vor die Schrift: "Überall auf den Wänden fand er Inschriften, mit Kreide geschrieben oder mit einem spitzen Gegenstand in den Verputz geritzt, mitunter waren die braungelben Mauern so dicht mit weißen Schriftzeichen bedeckt, daß Thomas Mach an ein Gestöber aus Buchstaben dachte."
"Die exotischen Reize, das bunte Leben, die Armut, der Schmutz und die fremde Sprache hatten ihn erschöpft." So ergeht es auch dem Leser, auf die Valiumtabletten, die Mach stets bei sich hat, kann er gut verzichten. Bei allem Respekt vor dem enzyklopädischen Furor und dem langen Atem dieses Erzählers wirkt die Konstruktion des Romans, in der Zufälle eine übermäßige Rolle spielen, lustlos und trivial. Sie scheint nur noch als Einwickelpapier der ägyptologischen Lesefrüchte zu dienen. Borges beherrschte die Kunst, die Idee der unendlichen Lektüre in der prägnanten Situation erregend aufscheinen zu lassen, in Roths papierenem Redestrom dagegen versiegt die Lust am Text im Staub der Pharaonen.
FRIEDMAR APEL
Gerhard Roth: "Der Strom". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 350 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Staub der Pharaonen: Gerhard Roths ägyptischer Roman
Wie für Jorge Luis Borges ist das Universum für Gerhard Roth eine labyrinthische, unbegrenzte und zyklische Bibliothek, durch die er selbst als "Silberfischchen" gleitet, "auf der Odyssee durch die Meere der Titel, Namen, Wörter und Sätze". Diese Bibliotheksreisen haben schon den siebenbändigen Romanzyklus "Die Archive des Schweigens" gezeitigt, der die Geschichte und Gegenwart Österreichs darstellte, nun ist Roth in der Mitte seines ebenfalls siebenbändigen Zyklus "Orkus" angelangt, der die Abgründe fremder Kulturen auslotet. Der Roth-Leser kennt bereits den Beamten der Wiener Nationalbibliothek, den Bücherwurm Konrad Feldt, der sich in dem Japan-Roman "Der Plan" (1998) mit ungewissem Ausgang als Detektiv des Wissens betätigt hatte. Er bleibt allerdings in "Der Strom" in seinem Bücherturm sitzen.
Nach Ägypten reist diesmal an seiner Stelle der junge Wiener Absolvent der Geographie und Geschichte Thomas Mach, der wiederum die Stelle Eva Blums einnehmen soll, die in Kairo aus dem Fenster ihres Hotels gestürzt ist. Wie schon zuvor wird auch hier die Reise gleich mit Lektüre identifiziert. Der Erzähler begleitet den Helden auf seinen arabesken Wegen zwischen Kairo und Alexandria auf den Spuren von Eva Blums Studientagebuch, und immer wieder führen diese Wege in die Bibliothek.
Was sich äußerlich als exotistischer Kriminalroman gibt, ist die passagenweise ziemlich notdürftig in Handlung eingeschlagene Frage nach der Deutbarkeit der Zeichen und der Lesbarkeit der fremden Welt. Thomas Mach ist ein ziemlich schlichter und vor allem staubtrockener Charakter, was daran liegen mag, daß er einer Familie von Papierherstellern entstammt. Jedenfalls leidet er offenbar unter einer ererbten professionellen Deformation des Blicks: "Funkelndes Goldlicht lag wie Staub auf der Landschaft, Staub der Vergangenheit mit mikroskopischen Resten von Blütenpollen, Korallen, Tier- und Menschenknochen, Natron, Schilf, Muschelsplittern, Granatapfel- und Dattelkernen. Und durch diesen Schleier winzigster Staubkörner konnte er jetzt für einen Moment das gesamte Nildelta erkennen, in dem der Strom mit allen seinen Verzweigungen die Form einer Papyruspflanze annahm, die ihn (gleichsam ein Wasserzeichen in der Wüste) abermals an die Papierfabrik seiner Familie erinnerte."
Als wäre das nicht deutlich genug, bildet der Erzähler die Trockenheit seines Helden im Stil eines Besinnungsaufsatzes ab, und aus dem ereignisreichen Leben des Thomas Mach erfährt der Leser, daß er sich mit vierzehn den Knöchel verstaucht hat und andere Details, die fatal an den bekannten Sack Reis in Peking erinnern. Der Held bewegt sich von einer Binsenweisheit zur anderen, und immer wieder bis zum Überdruß stellt ihn sein Erzähler ratlos vor die Schrift: "Überall auf den Wänden fand er Inschriften, mit Kreide geschrieben oder mit einem spitzen Gegenstand in den Verputz geritzt, mitunter waren die braungelben Mauern so dicht mit weißen Schriftzeichen bedeckt, daß Thomas Mach an ein Gestöber aus Buchstaben dachte."
"Die exotischen Reize, das bunte Leben, die Armut, der Schmutz und die fremde Sprache hatten ihn erschöpft." So ergeht es auch dem Leser, auf die Valiumtabletten, die Mach stets bei sich hat, kann er gut verzichten. Bei allem Respekt vor dem enzyklopädischen Furor und dem langen Atem dieses Erzählers wirkt die Konstruktion des Romans, in der Zufälle eine übermäßige Rolle spielen, lustlos und trivial. Sie scheint nur noch als Einwickelpapier der ägyptologischen Lesefrüchte zu dienen. Borges beherrschte die Kunst, die Idee der unendlichen Lektüre in der prägnanten Situation erregend aufscheinen zu lassen, in Roths papierenem Redestrom dagegen versiegt die Lust am Text im Staub der Pharaonen.
FRIEDMAR APEL
Gerhard Roth: "Der Strom". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 350 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main