Es ist Hochsommer - schlechte Zeiten für Albert Samson, den billigsten aller billigen Detektive von Indianapolis. Nicht einmal seine Zeitungsannonce (gigantischer Detektiv-Ausverkauf) lockt einen Klienten an. Als ihn eine verzweifelte Frau bittet, für sie herauszufinden, warum man sie seit Monaten nicht an das Krankenbett ihres Bruders läßt, ist er daher bereit, sein Bestes zu geben...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.1995Unrasiert, doch voller Wärme
Michael Lewin rät zu mehr Vorsicht im Labor
Man muß ihn gern haben, Albert Samson, den mangels Kundschaft besitz- und arbeitslosen Privatdetektiv am Rande der Innenstadt von Indianapolis. Alles bricht über diesen Unglückswurm herein. Das schäbige Büro mit benachbartem Schlafraum, wo der Einsame vergebens auf Klienten wartet, wird ihm gekündigt, und seine wenigen Ersparnisse wandern schließlich in die Taschen einer Verbrecherbande. Wie fast immer in diesem Romangenre fängt alles harmlos an. Auf eine kleine Werbeanzeige hin meldet sich eine ratsuchende, etwas verschrobene Dame. Ihr Bruder John Pighee liegt nach einem Unfall in einem Krankenhaus, das seiner Firma gehört. Doch merkwürdigerweise sind Krankenbesuche verboten. Damit will sich die Schwester nicht abfinden.
So beginnt eine hinreißende Geschichte, die mit Verwicklungen und Überraschungen nicht spart. Der Schwerverletzte arbeitete schon lange nicht mehr nur als Verkaufsmanager, sondern auch als Hobbychemiker in jenem Labor, dessen Explosion er zum Opfer fiel. Warum legen Verantwortliche der Firma alles darauf an, Nachforschungen der Versicherungen zu verhindern? Lebt eigentlich der Patient noch, der so in Verbände eingehüllt ist, daß man ihn nicht erkennen kann? Welches Interesse haben ein bärenhafter Techniker und eine masochistische Ärztin daran, den Fall geheimzuhalten? Woran arbeitete Pighee eigentlich, und was geschah in dem Labor wirklich?
Wer wie Samson diese Rätsel lösen will, lebt gefährlich. Je näher er der Lösung des Falles kommt, desto mehr Fallstricke werden ausgespannt. Angeblich geht es um ein Projekt des FBI, das Drogenhändlern das Handwerk legen soll. Samson möge die Finger davon lassen. Doch der schäbige Held, ohne Waffen und mit nur wenigen Cents in der Tasche, möchte keine halbe Arbeit leisten. Um ein Haar wird ihm dieser kleine Ehrgeiz zum Verhängnis. Schließlich erfährt der Leser, daß vieles ganz anders war, als man sich bis wenige Seiten vor Schluß des Romans vorstellen konnte.
Über erzählerische Ruhepunkte und heitere Intermezzi hinweg versteht es Lewin, Spannung aufzubauen und durchzuhalten. Das zeugt ebenso von schriftstellerischem Können wie der Einfall, einen zweiten Handlungsfaden in das Textgewebe einzuziehen. Denn Samson bleibt in seinen zwischenmenschlichen Kontakten nicht mehr nur auf die Würstchenbude seiner skeptischen Mutter und auf die Wohnung einer zickigen Freundin angewiesen. Vielmehr erhält er Besuch aus der Schweiz, den Besuch seiner fast erwachsenen Tochter, die Samsons geschiedene Frau einst mitgenommen hatte und die sich nun auf die Suche nach ihrem merkwürdigen Vater gemacht hat. Das klingt nach Kolportage, doch entgeht Lewin mit trockenem Humor der Sentimentalität. Mit humoristischer Feinnervigkeit werden die manchmal grotesken Stadien der menschlichen Annäherung zwischen Vater und Tochter geschildert, und es macht Freude, zu verfolgen, wie die Melancholie des vom Leben nicht verwöhnten Helden mit der Unbekümmertheit eines reichen Teenagers zusammenstößt.
Daß Lewin schon im Titel auf einen underdog der amerikanischen Literatur, auf den Handlungsreisenden in Arthur Millers berühmtem Stück, anspielen möchte, darf wohl angenommen werden. Diese Huldigung ist nicht fehl am Platz. Denn Lewin kommt ohne grobe Effekte aus und zeichnet die fatale innere und äußere Lage seines Helden in Formen der trauernden Selbstironie und des lakonischen, manchmal sarkastischen Erzählerkommentars. Zwar legt Samson in diesem Fall einmal die Hartnäckigkeit und den Scharfsinn an den Tag, die sein Beruf eigentlich voraussetzt, doch erwächst selbst im turbulenten Geschehen allmählich und eigentlich ein Porträt hilfloser Humanität, die wohl nur vorübergehend der Skrupellosigkeit Herr werden darf. So wird in einer spannenden Geschichte das Innenleben eines komplizierten Menschen beleuchtet - mit einer Sympathie, die sich dem Leser bald mitzuteilen weiß. Wer Stunden entspannten und doch gespannten Lesevergnügens genießen möchte, wird mit diesem Roman nicht enttäuscht, ja er wird sich, einmal in die Lektüre versunken, über jede Störung ärgern. WILHELM KÜHLMANN
Michael Lewin: "Der stumme Handlungsreisende". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Michaela Link. Diogenes Verlag, Zürich 1995. 416 S., geb., 39,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Michael Lewin rät zu mehr Vorsicht im Labor
Man muß ihn gern haben, Albert Samson, den mangels Kundschaft besitz- und arbeitslosen Privatdetektiv am Rande der Innenstadt von Indianapolis. Alles bricht über diesen Unglückswurm herein. Das schäbige Büro mit benachbartem Schlafraum, wo der Einsame vergebens auf Klienten wartet, wird ihm gekündigt, und seine wenigen Ersparnisse wandern schließlich in die Taschen einer Verbrecherbande. Wie fast immer in diesem Romangenre fängt alles harmlos an. Auf eine kleine Werbeanzeige hin meldet sich eine ratsuchende, etwas verschrobene Dame. Ihr Bruder John Pighee liegt nach einem Unfall in einem Krankenhaus, das seiner Firma gehört. Doch merkwürdigerweise sind Krankenbesuche verboten. Damit will sich die Schwester nicht abfinden.
So beginnt eine hinreißende Geschichte, die mit Verwicklungen und Überraschungen nicht spart. Der Schwerverletzte arbeitete schon lange nicht mehr nur als Verkaufsmanager, sondern auch als Hobbychemiker in jenem Labor, dessen Explosion er zum Opfer fiel. Warum legen Verantwortliche der Firma alles darauf an, Nachforschungen der Versicherungen zu verhindern? Lebt eigentlich der Patient noch, der so in Verbände eingehüllt ist, daß man ihn nicht erkennen kann? Welches Interesse haben ein bärenhafter Techniker und eine masochistische Ärztin daran, den Fall geheimzuhalten? Woran arbeitete Pighee eigentlich, und was geschah in dem Labor wirklich?
Wer wie Samson diese Rätsel lösen will, lebt gefährlich. Je näher er der Lösung des Falles kommt, desto mehr Fallstricke werden ausgespannt. Angeblich geht es um ein Projekt des FBI, das Drogenhändlern das Handwerk legen soll. Samson möge die Finger davon lassen. Doch der schäbige Held, ohne Waffen und mit nur wenigen Cents in der Tasche, möchte keine halbe Arbeit leisten. Um ein Haar wird ihm dieser kleine Ehrgeiz zum Verhängnis. Schließlich erfährt der Leser, daß vieles ganz anders war, als man sich bis wenige Seiten vor Schluß des Romans vorstellen konnte.
Über erzählerische Ruhepunkte und heitere Intermezzi hinweg versteht es Lewin, Spannung aufzubauen und durchzuhalten. Das zeugt ebenso von schriftstellerischem Können wie der Einfall, einen zweiten Handlungsfaden in das Textgewebe einzuziehen. Denn Samson bleibt in seinen zwischenmenschlichen Kontakten nicht mehr nur auf die Würstchenbude seiner skeptischen Mutter und auf die Wohnung einer zickigen Freundin angewiesen. Vielmehr erhält er Besuch aus der Schweiz, den Besuch seiner fast erwachsenen Tochter, die Samsons geschiedene Frau einst mitgenommen hatte und die sich nun auf die Suche nach ihrem merkwürdigen Vater gemacht hat. Das klingt nach Kolportage, doch entgeht Lewin mit trockenem Humor der Sentimentalität. Mit humoristischer Feinnervigkeit werden die manchmal grotesken Stadien der menschlichen Annäherung zwischen Vater und Tochter geschildert, und es macht Freude, zu verfolgen, wie die Melancholie des vom Leben nicht verwöhnten Helden mit der Unbekümmertheit eines reichen Teenagers zusammenstößt.
Daß Lewin schon im Titel auf einen underdog der amerikanischen Literatur, auf den Handlungsreisenden in Arthur Millers berühmtem Stück, anspielen möchte, darf wohl angenommen werden. Diese Huldigung ist nicht fehl am Platz. Denn Lewin kommt ohne grobe Effekte aus und zeichnet die fatale innere und äußere Lage seines Helden in Formen der trauernden Selbstironie und des lakonischen, manchmal sarkastischen Erzählerkommentars. Zwar legt Samson in diesem Fall einmal die Hartnäckigkeit und den Scharfsinn an den Tag, die sein Beruf eigentlich voraussetzt, doch erwächst selbst im turbulenten Geschehen allmählich und eigentlich ein Porträt hilfloser Humanität, die wohl nur vorübergehend der Skrupellosigkeit Herr werden darf. So wird in einer spannenden Geschichte das Innenleben eines komplizierten Menschen beleuchtet - mit einer Sympathie, die sich dem Leser bald mitzuteilen weiß. Wer Stunden entspannten und doch gespannten Lesevergnügens genießen möchte, wird mit diesem Roman nicht enttäuscht, ja er wird sich, einmal in die Lektüre versunken, über jede Störung ärgern. WILHELM KÜHLMANN
Michael Lewin: "Der stumme Handlungsreisende". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Michaela Link. Diogenes Verlag, Zürich 1995. 416 S., geb., 39,- DM.
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"Auf weitere Fälle mit diesem Detektiv aus der lakonischen Feder Lewins darf gehofft werden, zumal er eine Vorliebe für keineswegs fiktive heiße Eisen hat und eine besondere Gabe, seine Szenerien spannend zu entwerfen." (Wiesbadener Tagblatt) "Nur soviel sei verraten, daß die Krimi-Experten unter Amerikas Kritikern Samsons Erfinder Michael Lewin mit Chandler und anderen Autoren dieses Kalibers vergleichen. Und daß man dem Urteil der Kollegen jenseits des Großen Teichs - nach der spannenden, witzigen, swingenden Lektüre - nur allzugern beipflichtet." (Welt am Sonntag) "Man muß ihn einfach gern haben: Albert Samson, den sympathischen, muskulösen, abgerissenen und witzigen Privatdetektiv aus Indianapolis. Er ist einer, der sich fragt, worum es wirklich geht im Leben. Spannungsgeladen, raffiniert, amüsant. Ein herrliches Buch, um sich damit in die Kissen sinken zu lassen." (The Boston Globe) "Ein Krimi der ungewöhnlichen Sorte, mit Sympathiebonus." (Südddeutscher Rundfunk)