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Auf der Suche nach der verlorenen Ursprache reist der junge irische Literaturdozent Jack in die St. Gallener Klosterbibliothek. Er fährt gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder, dem Mönch Sam. Dabei werden die beiden zu Rivalen um die Liebe zu einer Schweizer Fotografin. Eine Rivalität mit tödlichen Folgen.

Produktbeschreibung
Auf der Suche nach der verlorenen Ursprache reist der junge irische Literaturdozent Jack in die St. Gallener Klosterbibliothek. Er fährt gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder, dem Mönch Sam. Dabei werden die beiden zu Rivalen um die Liebe zu einer Schweizer Fotografin. Eine Rivalität mit tödlichen Folgen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.1996

Zurück zum alten Adam
Wird's ein Bestseller? Richard Kearney will den Sündenfall

Richard Kearneys Roman "Der Sündenfall" reicht zunächst ein Familienalbum mit leicht vergilbten Fotos von einer irischen Kleinstadtjugend herum. Es geht um Zwillingsbrüder, von denen, wie bei Zwillingen üblich, der eine (Jack) dem anderen (Sam) immer ein bißchen voraus ist. Nach dem Selbstmord des weniger Kühnen (Sam) liest der Zurückgebliebene (Jack) dessen Erinnerungsaufzeichnungen und resümiert dabei auch sein eigenes Leben. Die beiden Brüder verkörpern einen Zwiespalt, den der Roman auf mehreren Ebenen durchspielt: einen Lebensweg der Betrachtung und des Forschens (Sam), und einen aktiven, der Welt und den Menschen zugewandten Weg (Jack). Zwischen den beiden steht die schöne Raphaelle, die mit Jack verlobt ist, aber auch Sam heimlich liebte, wie Jack aus dessen Tagebuch erfahren muß.

Jack und Sam waren gemeinsam auf einer Klosterschule und gerieten dabei in den Bann des Abtes Anselm, mit dessen Auftreten die Luft von Gruft und Tod durch die Geschichte zu wehen beginnt. Denn Anselm ist einem Geheimnis auf der Spur, das sich - es mußte wohl sein - in einem mittelalterlichen Manuskript verbirgt, einer Handschrift der Grammatik des Priscian aus St. Gallen, die im neunten Jahrhundert entstanden ist. Das Kloster St. Gallen war eine irische Tochtergründung, zu der Anselm enge Beziehungen pflegt. Das Geheimnis, dem er nachforscht, ist die Ursprache, mit der Gott die Welt und Adam schuf und mit der Adam wiederum die Welt benannte. Sie ging beim Turmbau von Babel verloren, blieb aber ein Sehnsuchtsziel der Gelehrten, denn hier hofften sie jenen Einklang von Sprache und Welt zu finden, der in der Willkürlichkeit der vielen Zeichen und Sprachen verloren ging.

Der Philosophieprofessor Kearney hat sich ein großes Thema der europäischen Geistesgeschichte für seinen Roman ausgesucht, das Arno Borst in einer sechsbändigen Ideengeschichte (dieses Jahr bei dtv in einer Kassette einem breiten Publikum zugänglich gemacht) auf über dreitausend Seiten behandelt hat. Noch kurz vor seinem Selbstmord liest Sam übrigens eben in Borsts "Turmbau von Babel". Anselm und sein Schüler Sam hoffen die verlorene Ursprache in irischen Randglossen zu der St. Galler Priscian-Handschrift zu entdecken. Kearney zieht diesen gelehrten Gegenstand ins Leben, indem er die Suche nach der göttlichen Sprache mit der frühen Erinnerung der Zwillinge an die noch unbenannte Welt der Kindheit in Verbindung bringt; und indem er Sams asketischen Forscherdrang gegen Jacks erotische Zuwendung zu Raphaelle ausspielt.

Das Ideengeschiebe läuft auf einen Kampf zwischen Abt Anselm und dem Mädchen Raphaelle um Sams Seele hinaus. Kearney hat sich große Mühe gegeben, seine Geschichte motivisch fein zu komponieren. Dafür ein Beispiel: Es war der Sündenfall, der den Riß zwischen Sprache und Welt hervorrief, weil er die Lüge ins menschliche Sprechen einführte. Die Geschichte des Heiligen Gallus, der das Kloster St. Gallen gründete, heißt "Casus (Fall, Fälle) Sancti Galli". Fälle hat auch die Sprache. Raphaelle verleitet Sam zu einem neuen (Sünden-) Fall, der ihn in Kenntnis der nichtverbalen Ursprache der körperlichen Liebe setzt. Enthalten die verschlüsselten St. Galler Glossen eine häretische Lehre, die eben einen solchen zweiten Sündenfall zur Rücknahme des ersten nahelegen? Das Fragezeichen, das der Rezensent hier setzen muß, würde er am liebsten extrafett drucken lassen.

Der Roman gleitet von der schlicht erzählten und schlicht gefühlten Jugenderinnerung zu einer philosophischen Schauergeschichte über, deren gedankliche Substanz freilich wiederum denkbar einfach, um nicht zu sagen einfältig, ist. Viel Gewese wird beispielsweise noch um Sehen und Blindheit gemacht (der Vater der Zwillinge ist Augenarzt, der Heilige Gallus wurde blind, und so fort). Voraussetzung der ganzen Geschichte ist, daß man nicht gleichzeitig asketisch forschen und ein schönes Mädchen lieben kann, daß sprachliche Erkenntnis und sinnliche Erfahrung einander ausschließen. George Steiner, der auch ein Babel-Buch geschrieben hat, vergleicht Kearneys Roman mit Joyce und Eco, doch nicht einmal Eco hätte einen solchen pseudokatholischen Schmonzes zur Grundlage eines Romans gemacht, geschweige daß ihm ein Fehler unterlaufen wäre wie der, dem Heiligen Augustinus eine "Summa theologica" zuzuschreiben. GUSTAV SEIBT

Richard Kearney: "Der Sündenfall". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Manfred Ohl und Hans Sartorius. Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt am Main 1996. 304 S., geb., 39,80 DM.

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