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Wochen- und Monatsrhythmen, Jahreszeiten, natürliche und kosmische Kreisläufe strukturieren unser Leben. Der Ruhetag in einem 7-Tage-Rhythmus findet sich in fast allen Kulturen. "Die Kulturgeschichte des Sonntags" zeichnet dessen Bedeutung von der Antike bis zur Gegenwart nach, vergleicht die drei Weltreligionen, den jüdischen Sabbat, den christlichen Sonntag und das islamische Freitagsgebet, beschreibt die Versuche verschiedener Regime, den Sonntag abzuschaffen, Gegenkalender aufzustellen oder andere Zeitrechnungen einzuführen, die allesamt fehlschlugen.

Produktbeschreibung
Wochen- und Monatsrhythmen, Jahreszeiten, natürliche und kosmische Kreisläufe strukturieren unser Leben. Der Ruhetag in einem 7-Tage-Rhythmus findet sich in fast allen Kulturen. "Die Kulturgeschichte des Sonntags" zeichnet dessen Bedeutung von der Antike bis zur Gegenwart nach, vergleicht die drei Weltreligionen, den jüdischen Sabbat, den christlichen Sonntag und das islamische Freitagsgebet, beschreibt die Versuche verschiedener Regime, den Sonntag abzuschaffen, Gegenkalender aufzustellen oder andere Zeitrechnungen einzuführen, die allesamt fehlschlugen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.1998

Der Frühschoppen ist eine Messe wert
Denk positiv über deine private Werteskala, und laß dich nicht geistlos füttern: Wer den Nutzen des Sonntags beweist, gibt ihn verloren

Warum muß ausgerechnet der Sonntag der Tag sein, an dem alle Räder stillstehen? Für die Wirtschaft ist ein solcher immer noch weithin verbindlicher Ruhetag ohnehin ein lästiges Relikt. Die Beschäftigungssparten, die keine Sonntagsruhe kennen, nehmen beständig zu. Und ist es nicht auch in der eigenen Lebensführung angenehm, nicht alle sieben Tage über dieses große, leere Hindernis stolpern zu müssen? Haben nicht auch die Tage ein Recht auf Gleichheit?

Daß die Leute sich auch einmal ausruhen müssen, ist ja unbestritten - aber warum alle sieben Tage? Warum nicht alle zehn oder alle fünf und warum alle zusammen? Ist es nicht viel praktischer, wenn sich das jeder so einteilt, wie es ihm zweckmäßig erscheint? Man hat seinen freien Tag, und die gesamte städtische Umgebung läuft weiter auf Hochtouren - herrlich, ein Feriengefühl, das der dumpfe Sonntag mit seinen ausgestorbenen Straßen, seinen geschlossenen Kneipen, seinen Familienstreitereien und den verstopften Straßen zu den näheren und ferneren Ausflugszielen niemals gewähren kann.

Nun gibt es da unter den gesellschaftlichen Gruppen, in die wir die Völker einzuteilen gelernt haben, den schrumpfenden Kreis, der mit dem seltsamen Begriff "praktizierende Christen" belegt wird - was hat man sich wohl unter einem "nicht praktizierenden Christen" vorzustellen? Eine Minderheit der Protestanten möchte und eine etwas größere Minderheit der Katholiken fühlt sogar die Pflicht, am Sonntag in die Kirche zu gehen. Wenn der Sonntag nicht mehr der allgemeine Ruhetag wäre, könnte dieser Kreis sogar noch kleiner werden. Da wird in den Funktionärszirkeln der christlichen Organisationen die Notwendigkeit empfunden, die schwach gewordene Position des Sonntags etwas zu stärken. Man möchte sich in die allgemeine Diskussion "einbringen", um dem säkularisierten Publikum den Wert eines allgemeinen Sonntags zu vermitteln.

Wir kennen das "Dr.-Karl-Kummer-Institut für Sozialpolitik und Sozialreform" nicht, aber man muß nach Lektüre des von diesem Institut herausgegebenen Sammelbandes "Der Tag des Herrn - eine Kulturgeschichte des Sonntags" vermuten, daß es sich um eine der katholischen Kirche Österreichs nahestehende Einrichtung handelt, obwohl keiner der überaus behutsam, ja gleichsam auf Zehenspitzen katholisch argumentierenden Autoren hier ein deutliches Bekenntnis ablegt.

Viel Gutes können sie dem Sonntag nachsagen: daß die Siebentagewoche, deren Bestandteil er ist, schon von den Chaldäern her stamme, daß der Siebentagerhythmus von großer biologischer Weisheit sei und dem Menschen gut bekomme, obwohl er zwar am Mondwechsel orientiert sei, aber nicht völlig mit ihm übereinstimme, daß die Abschaffung des Sonntags weder den russischen noch den französischen Revolutionären gelungen sei, daß der Sonntag die Gemeinschaft, die Familie und die Ruhe fördere, daß der Sonntag ein gewerkschaftlich erkämpfter Besitzstand sei und daß erst der bei modernen Theologen übel angesehene Kaiser Konstantin den Sonntag als verbindlichen Ruhetag eingeführt habe.

Und dennoch ist der Sonntag in Gefahr. Daher formuliert Herbert Pribyl "Thesen zur Bewahrung des Sonntags": "Die Sonntagsarbeit sollte in Achtung der privaten Werteskala des einzelnen grundsätzlich nur in freier Vereinbarung gefordert und geleistet werden." Man bewundere hier die diplomatische Delikatesse, mit der ein Amtskatholik seine Religion zu benennen gelernt hat: private Werteskala. "Der Sonntag soll ein Tag sein, an dem positiv denken und handeln gelernt wird" - schrieb das der Apostel Carnegie an die Philadelphier? "Um am Sonntag die schönen Seiten des Lebens zu entdecken, bedarf es eines aktiven Eingehens auf den Nächsten bei den jeweiligen Begegnungen." Sonst natürlich nicht. "Der Sonntag soll ein Tag sein, bei dem sich der einzelne nicht durch die Unterhaltungsindustrie ,geistlos füttern' läßt." Hier fehlt der Vorschlag, es statt dessen doch einmal mit einem "guten Buch" zu versuchen.

Aber noch ist nicht aller Sonntage Abend: "Der Verantwortung besonders der gesellschaftlichen Großgruppen und der Sozialpartner für den Erhalt des Sonntags soll abschließend noch kurz nachgegangen werden. Hier ist auch die österreichische Sozialpartnerschaft in hervorragender Weise angesprochen" - und da wird sie sich schwer entziehen können.

Man trifft es nicht oft, daß einem geistlosen Buch ein gewichtiger, erwägenswerter Irrtum zugrunde liegt, den die Autoren nicht verschuldet haben - sie haben es halt so gelernt. Sie sehen die vielen guten Folgen, die ein in Ruhe verbrachter Sonntag für die Gesellschaft entfalten könnte, und meinen deshalb, den Sonntag "retten" zu sollen. Aber nicht um seines sozialen Nutzens willen war der Sonntag einst heilig, sondern geradezu gegen ihn. Am Sonntag opferte der Arme Gott einen Tageslohn, indem er nicht auf dem Feld oder in der Werkstatt stand, sondern in der Kirche. Für die christliche Kultur, deren einem Ende nahekommende Schwächung wir erleben, war der Sonntag ein Axiom, und nur als solches wirkte er in die Gesellschaft hinein. Die humanen Seiten der Sonntagskultur entwickelten sich, weil man sie nicht im Auge hatte - bezweckt war nur der Gott geschuldete Dienst.

Juden und Christen zählten die Wochentage ja nicht nach Mondrhythmen und chaldäischen Traditionen, sondern nach dem Schöpfungsbericht der Genesis. Danach schuf Gott Himmel und Erde an einem Sonntag; der Sonntag ist der erste Tag der Geschichte. An einem Sonntag erstand Jesus Christus von den Toten auf, "una sabbatorum valde mane", frühmorgens am ersten Tag der Woche fanden die Frauen das leere Grab. Nach christlicher Überzeugung war dies der Beginn der zweiten Weltschöpfung. Wie der Schöpfergott am siebten Tage ruhte, hatte Christus am Samstag im Grab geruht, um dann am Sonntag den Makel der alten Schöpfung, den Tod, zu besiegen.

Sonntag ist immer Ostern. Im katholischen Osternachtsritus wird die Weltschöpfung in ihren elementaren Akten nachvollzogen: die Trennung des Lichts von der Finsternis durch die Weihe des Osterfeuers, die Heiligung des Wassers, das als "Geschöpf" angeredet wird und das der Priester anhaucht, so wie Gottes Geist über den Wassern wehte. Der Christ der Tradition starb jeden Freitag fastend mit seinem Erlöser, verbrachte den Sabbat-Samstag vorbereitend und stand am Sonntag als neuer erlöster Mensch mit Jesus von den Toten auf.

Man könnte stark verkürzt, aber keineswegs weniger zutreffend sagen, daß die Feier des Sonntags der Ausdruck des Glaubens ist, daß Gott die Welt geschaffen hat. Mit der Verkümmerung der Liturgie und des Bewußtseins ihrer Sakramentalität in der römischen Kirche ist auch dieser Glaube verblaßt; so würde es jedenfalls Mircea Eliade sehen, der feststellt, daß die Sakramente das Handeln Gottes darstellen und vergegenwärtigen, daß also der westliche sakramentlose Christ an die Erschaffung der Welt durch Gott nicht mehr glaubt. Und so ist denn die Befürchtung der Autoren, bei einer Abschaffung des freien Sonntags würden "die christliche Tradition und jeder Einfluß der Kirche unterbunden", eine Verwechslung von Ursache und Wirkung: Das Verschwinden der christlichen Tradition vielmehr hat das Verschwinden des Sonntags zur Folge.

So wie unsere Kultur dem Tanzlehrerverband das Urteil über die guten Manieren übertragen hat, überläßt man dem Deutschen Normenausschuß die Ordnung vieler kultureller Phänomene, so auch des Kalenders: Seit den siebziger Jahren ist der Sonntag in allen offiziellen Kalendern nicht mehr der erste, sondern der letzte Tag der Woche, wobei man es auch hinnahm, daß der Mittwoch nun nicht mehr die Wochenmitte bezeichnet. Kein "Bandbreitenmodell" für eine flexible Beschäftigung und keine "Schwingende Viertagewoche", wie sie die Autoren zur Sicherung des Sonntags vorschlagen, werden den Sonntag bewahren, wenn die Vertreter der Kirche selbst den Sinn des Sonntags als Ersten Tages vergessen haben.

Die russischen Bauern, die gegen Stalins Verbot am Sonntag ihre stundenlange prunkvolle Liturgie feierten und so schließlich erreichten, daß die Bolschewisten ihre revolutionäre Zehntagewoche wieder fallenlassen mußten, haben hier womöglich deutlicher gezeigt, was zur Bewahrung des Sonntags, so er einem denn am Herzen liegt, getan werden könnte, als es den Repräsentanten des Dr.-Karl-Kummer-Institut gelungen ist. MARTIN MOSEBACH

Rudolf Weiler (Hrsg.): "Der Tag des Herrn". Kulturgeschichte des Sonntags. Böhlau Verlag, Wien 1998. 273 S., Abb., geb., 58,- DM.

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