Von Washington bis London, in Paris, Wien, Berlin und Bern, überall werden die Sicherheitsgesetze verschärft. Die Erfassungsnetze werden dichter, die beobachtungsfreien Zonen kleiner: Jeder Einzelne muss es sich gefallen lassen, dass er "zur Sicherheit" überwacht wird. Zur Sicherheit wird belauscht und ausgespäht, zur Sicherheit werden Computer durchsucht, werden Menschen gefangengehalten, wird sogar gefoltert. Die Politik verdünnt das Recht, weil sie glaubt, so besser mit den globalen Risiken fertig zu werden. Aus dem freiheitlichen Rechtsstaat wird ein Präventionsstaat, der seine Bürger nicht mehr als unverdächtig, sondern als potentiell verdächtig betrachtet - alle Bürger.
Jeder ist verdächtig. Sie nicht?
Telefonüberwachung, Rasterfahndung, Lauschangriff, staatlicher Zugriff auf Bankkonten, Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, geheime Durchsuchung privater Computer, zentrale Speicherung digitalisierter Fingerabdrücke, Militäreinsatz im Inneren, Abschuss von entführten Zivilflugzeugen: Seit dem 11. September 2001 ist das Sichere nicht mehr sicher. Freiheitsrechte werden eingeschränkt, Grundrechte in Frage gestellt. Wer nichts zu verbergen hat, sagt die Politik, habe doch nichts zu befürchten. Für die neuen Antiterrorgesetze jedoch gilt jeder als potentiell verdächtig; er muss beweisen, dass er nicht gefährlich ist. Bisher war das umgekehrt: Wer keinen Anlass für staatliches Eingreifen bot, wurde in Ruhe gelassen. Man nannte das Rechtsstaat.
Die Terroristen haben das Denken besetzt, sie verseuchen den Geist der Gesetze. Die Angst vor dem Terrorismus treibt die westlichen Staaten zu Reaktionen, vor denen man Angst haben muss. Sogar die Folter klopft wieder an die Tür. Und Personen, die man für gefährlich hält, sollen auf Dauer inhaftiert werden, auch wenn sie noch nichts getan haben. Das neue Vorbeugungsrecht, das sich auf Mutmaßungen stützt, ist in Wahrheit der Rückfall in ein altes, ein mittelalterliches Recht: Es ist kein Recht mehr für Menschen und gegen Straftaten, sondern ein Instrument gegen das Böse.
Um Gefahren zu beseitigen, um kriminelle Taten schon im Vorfeld zu verhindern, wird die Kontrolle über alle Lebensbereiche immer weiter ausgebaut. Der neue Präventions- und Sicherheitsstaat zehrt von den Garantien des Rechtsstaats; er entsteht, indem er sie verbraucht. Mittlerweile wird selbst die Menschenwürde antastbar, ihre Unantastbarkeit relativiert; so wird der Mensch vom Subjekt zum Objekt staatlichen Sicherheitsdenkens.
Das Buch ist ein eindringliches Plädoyer für eine Politik der mutigen Gelassenheit. Es wirbt für eine Politik, die innere Sicherheit findet in dem Satz: Recht sichert Freiheit.
"Überzeugender ist mit der Gesetzgebung zur Inneren Sicherheit, mit der Verwandlung der Bundesrepublik in einen angstgetriebenen Überwachungsstaat noch nie abgerechnet worden. Früher hätte eine solche Streitschrift eine Revolution ausgelöst." Burkhard Hirsch, Bundestagsvizepräsident a.D.
Jeder ist verdächtig. Sie nicht?
Telefonüberwachung, Rasterfahndung, Lauschangriff, staatlicher Zugriff auf Bankkonten, Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, geheime Durchsuchung privater Computer, zentrale Speicherung digitalisierter Fingerabdrücke, Militäreinsatz im Inneren, Abschuss von entführten Zivilflugzeugen: Seit dem 11. September 2001 ist das Sichere nicht mehr sicher. Freiheitsrechte werden eingeschränkt, Grundrechte in Frage gestellt. Wer nichts zu verbergen hat, sagt die Politik, habe doch nichts zu befürchten. Für die neuen Antiterrorgesetze jedoch gilt jeder als potentiell verdächtig; er muss beweisen, dass er nicht gefährlich ist. Bisher war das umgekehrt: Wer keinen Anlass für staatliches Eingreifen bot, wurde in Ruhe gelassen. Man nannte das Rechtsstaat.
Die Terroristen haben das Denken besetzt, sie verseuchen den Geist der Gesetze. Die Angst vor dem Terrorismus treibt die westlichen Staaten zu Reaktionen, vor denen man Angst haben muss. Sogar die Folter klopft wieder an die Tür. Und Personen, die man für gefährlich hält, sollen auf Dauer inhaftiert werden, auch wenn sie noch nichts getan haben. Das neue Vorbeugungsrecht, das sich auf Mutmaßungen stützt, ist in Wahrheit der Rückfall in ein altes, ein mittelalterliches Recht: Es ist kein Recht mehr für Menschen und gegen Straftaten, sondern ein Instrument gegen das Böse.
Um Gefahren zu beseitigen, um kriminelle Taten schon im Vorfeld zu verhindern, wird die Kontrolle über alle Lebensbereiche immer weiter ausgebaut. Der neue Präventions- und Sicherheitsstaat zehrt von den Garantien des Rechtsstaats; er entsteht, indem er sie verbraucht. Mittlerweile wird selbst die Menschenwürde antastbar, ihre Unantastbarkeit relativiert; so wird der Mensch vom Subjekt zum Objekt staatlichen Sicherheitsdenkens.
Das Buch ist ein eindringliches Plädoyer für eine Politik der mutigen Gelassenheit. Es wirbt für eine Politik, die innere Sicherheit findet in dem Satz: Recht sichert Freiheit.
"Überzeugender ist mit der Gesetzgebung zur Inneren Sicherheit, mit der Verwandlung der Bundesrepublik in einen angstgetriebenen Überwachungsstaat noch nie abgerechnet worden. Früher hätte eine solche Streitschrift eine Revolution ausgelöst." Burkhard Hirsch, Bundestagsvizepräsident a.D.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.08.2008Terrorismus
Neues Sicherheitsdenken
Eine exakte Beschreibung der Grenzlinien und Grenzzonen im Überschneidungsbereich von Recht und Politik: Das wäre schon hilfreich, auch für dieses Buch des süddeutschen Journalisten mit juristischer Ausbildung und dem Ruf, sich für den freisinnigen Gehalt unserer Rechtsordnung publizistisch jederzeit in die Bresche zu werfen. Denn eigentlich müsste der Untertitel heißen: "Wie man mit Angst Rechtspolitik macht". Heribert Prantl nimmt sich die rechtspolitische Entwicklung in Deutschland, aber auch in anderen Demokratien, vor und stellt grimmig fest: "Die Angst vor dem Terrorismus hat die westlichen Staaten zu Reaktionen getrieben, vor denen man Angst haben muss." Die zuerst genannte Angst habe dazu geführt, dass die westliche Welt dabei ist, ihre Rechtsstaaten in Präventionsstaaten umzubauen, dass sich die Folterverbote zunehmend lockern, dass ein sogenanntes Feindstrafrecht entsteht, in dessen Rahmen die Freiheitsrechte von Personen systematisch herabgestuft werden. Von dieser destruktiv instrumentalisierten Angst wird offenbar eine zweite Art Angst unterschieden, und die beflügelt die Polemik des Autors. Polemik ist Überspitzung, und das schließt die Vorstellung ein, dass man dabei sachlich und punktgenau argumentiert. Da ergibt sich hier eine gemischte Bilanz. Häufig muss man Prantl zustimmen, etwa bei seinem Bestehen auf einem absoluten Folterverbot. Die Auseinandersetzung mit echten oder vermeintlichen Befürwortern gewisser Folterpraktiken in Ausnahmesituationen fällt aber wenig tiefsinnig aus. So führen etwa die aufdringlichen Vergleiche mit der Hexenverfolgung an Mittelalter und Neuzeit eher in die Irre. Ähnlich das Kapitel über den "Präventionsstaat", der den Rechtsstaat unterhöhlen könnte: Völlig zu Recht wendet sich der Autor gegen eine grassierende "Präventionseuphorie", die es aber nicht nur für die innere Sicherheit, sondern auch für andere Politikbereiche, etwa die Außenpolitik, zu konstatieren gilt. Warum Prävention und Krisenvorbeugung Konjunktur haben und dass es sich dabei nicht nur um Marotten von Bürokraten und staatszentrisch denkenden Politikern handelt, darüber fehlt jede Reflexion. Mit seinem Hang zur Breitseiten-Polemik hat Prantl seinen vielen nachdenklich stimmenden Argumenten gegen das gegenwärtige Sicherheitsdenken in Deutschland und anderswo leider nicht optimal Gehör verschafft.
WILFRIED VON BREDOW
Heribert Prantl: Der Terrorist als Gesetzgeber. Wie man mit Angst Politik macht. Droemer Verlag, München 2008. 220 S., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neues Sicherheitsdenken
Eine exakte Beschreibung der Grenzlinien und Grenzzonen im Überschneidungsbereich von Recht und Politik: Das wäre schon hilfreich, auch für dieses Buch des süddeutschen Journalisten mit juristischer Ausbildung und dem Ruf, sich für den freisinnigen Gehalt unserer Rechtsordnung publizistisch jederzeit in die Bresche zu werfen. Denn eigentlich müsste der Untertitel heißen: "Wie man mit Angst Rechtspolitik macht". Heribert Prantl nimmt sich die rechtspolitische Entwicklung in Deutschland, aber auch in anderen Demokratien, vor und stellt grimmig fest: "Die Angst vor dem Terrorismus hat die westlichen Staaten zu Reaktionen getrieben, vor denen man Angst haben muss." Die zuerst genannte Angst habe dazu geführt, dass die westliche Welt dabei ist, ihre Rechtsstaaten in Präventionsstaaten umzubauen, dass sich die Folterverbote zunehmend lockern, dass ein sogenanntes Feindstrafrecht entsteht, in dessen Rahmen die Freiheitsrechte von Personen systematisch herabgestuft werden. Von dieser destruktiv instrumentalisierten Angst wird offenbar eine zweite Art Angst unterschieden, und die beflügelt die Polemik des Autors. Polemik ist Überspitzung, und das schließt die Vorstellung ein, dass man dabei sachlich und punktgenau argumentiert. Da ergibt sich hier eine gemischte Bilanz. Häufig muss man Prantl zustimmen, etwa bei seinem Bestehen auf einem absoluten Folterverbot. Die Auseinandersetzung mit echten oder vermeintlichen Befürwortern gewisser Folterpraktiken in Ausnahmesituationen fällt aber wenig tiefsinnig aus. So führen etwa die aufdringlichen Vergleiche mit der Hexenverfolgung an Mittelalter und Neuzeit eher in die Irre. Ähnlich das Kapitel über den "Präventionsstaat", der den Rechtsstaat unterhöhlen könnte: Völlig zu Recht wendet sich der Autor gegen eine grassierende "Präventionseuphorie", die es aber nicht nur für die innere Sicherheit, sondern auch für andere Politikbereiche, etwa die Außenpolitik, zu konstatieren gilt. Warum Prävention und Krisenvorbeugung Konjunktur haben und dass es sich dabei nicht nur um Marotten von Bürokraten und staatszentrisch denkenden Politikern handelt, darüber fehlt jede Reflexion. Mit seinem Hang zur Breitseiten-Polemik hat Prantl seinen vielen nachdenklich stimmenden Argumenten gegen das gegenwärtige Sicherheitsdenken in Deutschland und anderswo leider nicht optimal Gehör verschafft.
WILFRIED VON BREDOW
Heribert Prantl: Der Terrorist als Gesetzgeber. Wie man mit Angst Politik macht. Droemer Verlag, München 2008. 220 S., 14,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wilfried von Bredow hat Heribert Prantls kritische Auseinandersetzung mit dem Sicherheitsdenken in Deutschland angesichts terroristischer Bedrohungen mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Er vermisst eine klarere Abgrenzung zwischen den Bereichen Recht und Politik, der treffendere Untertitel des Buchs wäre nämlich seines Erachtens "Wie man mit Angst Rechtspolitik macht". Generell stört ihn der polemische Ton, den Prantl anschlägt, wenn er den in den westlichen Demokratien im Gang befindlichen Umbau von Rechtsstaaten in Präventionsstaaten geißelt. Zwar stimmt er Prantl in vielen Punkten zu, etwa in seinem Bestehen auf einem absoluten Folterverbot oder in seiner Kritik der grassierenden "Präventionseuphorie". Aber er hätte sich zum Beispiel auch eine Reflexion über die Frage gewünscht, warum Prävention und Krisenvorbeugung Konjunktur eigentlich haben. "Mit seinem Hang zur Breitseiten-Polemik", resümiert der Rezensent, habe Prantl seinen Argumenten "leider nicht optimal Gehör verschafft".
© Perlentaucher Medien GmbH
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