Eines der letzten gesellschaftlichen Tabus
Unser Sozialsystem benachteiligt Eltern, weil wir zwar Kinder brauchen, um es zu finanzieren, Kinder groß zu ziehen aber kaum honoriert wird. Arbeitgeber bevorzugen Kinderlose, dadurch ist Kinderlosigkeit gerade für gut ausgebildete Männer und Frauen ein attraktives Lebensmodell geworden. Kinderlose wiederum zahlen in den meisten Unternehmen mit Überstunden für die fehlgeschlagene Vereinbarkeitspolitik der vergangenen Jahre.
So entsteht ein tiefer gesellschaftlicher Riss. Um ihn zu überbrücken, brauchen wir ein gerechtes, völlig umgestaltetes Sozialsystem - weg vom Generationenvertrag - und ein Umdenken in den Unternehmen.
Unser Sozialsystem benachteiligt Eltern, weil wir zwar Kinder brauchen, um es zu finanzieren, Kinder groß zu ziehen aber kaum honoriert wird. Arbeitgeber bevorzugen Kinderlose, dadurch ist Kinderlosigkeit gerade für gut ausgebildete Männer und Frauen ein attraktives Lebensmodell geworden. Kinderlose wiederum zahlen in den meisten Unternehmen mit Überstunden für die fehlgeschlagene Vereinbarkeitspolitik der vergangenen Jahre.
So entsteht ein tiefer gesellschaftlicher Riss. Um ihn zu überbrücken, brauchen wir ein gerechtes, völlig umgestaltetes Sozialsystem - weg vom Generationenvertrag - und ein Umdenken in den Unternehmen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2017Sonst habt ihr keine Probleme?
Alarmstufe Nachwuchs: Susanne Garsoffky und Britta Sembach wollen den Riss zwischen Eltern und Kinderlosen heilen. Aber ihr Plädoyer für eine neue Familienpolitik trägt nicht sehr weit.
Zwei Frauen, vier Kinder, ein Thema: der Untergang der Familie. Die Autorinnen, beide Jahrgang 1968, sind freie Journalistinnen. Und sie sind wütend. Denn sie sind Mütter, jede von ihnen hat zwei Söhne. Die beiden Frauen gehören zu den "abgekämpften Familienarbeiterinnen", die wissen, was es bedeutet, Kinder großzuziehen. Und jetzt schreiben sie, anstatt zu schreien. Sie glauben nämlich, dass es einen Grund gäbe, laut zu schreien. Die Kinder, die für das verantwortungslose Verhalten der Erwachsenen gar nichts können, "werden am Ende den Preis für alle heutigen Versäumnisse bezahlen".
Zutiefst beunruhigt zeigen sie sich von dem "tiefen Riss", der sich durch unsere Gesellschaft ziehe - ein Riss zwischen Eltern und Kinderlosen. Höchste Zeit also, Brücken zu bauen, finden Susanne Garsoffky und Britta Sembach, für einen Paradigmenwechsel "zu einer vom Kind her gedachten Familienpolitik". Sie sind überzeugt, dass dies auch Kinderlosen gerecht wird, schließlich gibt es ohne Kinder keine Zukunft.
Von zwei getrennten Welten erzählen die beiden Mütter und beobachten - ganz unparteiisch - die Kinderlosen, die zum Beispiel "in einem kleinen kuscheligen Café zum Brunch mit Freunden" sitzen, "Sonntags, so gegen zwei". Mit dem Alltag der engagierten Mütter hat ein solches Leben wenig zu tun. Sie brunchen nicht, ist aus dieser Episode zu lernen, sondern haben einen höchst strapaziösen Alltag, etwa "im herbstlichen Sprühregen samstagmorgens um acht auf dem Fußballplatz zu stehen".
Keine der beiden Welten sei schlechter oder besser als die andere, beteuern die Autorinnen zwar, aber belegt ihre Gegenüberstellung das tatsächlich? Da gibt es auf der einen Seite "diejenigen, die Sorgeverpflichtungen haben, mit allen möglichen persönlichen Belohnungen, die daraus entstehen, aber eben auch allen ökonomischen Belastungen". Das sind die Eltern. Auf der anderen Seite stehen "diejenigen, die diese Verpflichtungen nicht haben - mit allen ökonomischen Belohnungen, die sich daraus ergeben, aber auch allen möglichen persönlichen Belastungen". Das sind die Kinderlosen.
Einer solchen Machart folgt das gesamte Buch. Die Autorinnen pauschalisieren, vereinfachen und folgen einem ideologisierten Schwarz-Weiß-Denken, das sämtliche Facetten jenseits ihrer Demarkationslinie außer Acht lässt und überhaupt erst den Riss produziert, den sie zu kitten vorgeben. Richtig: Kinder kosten Geld, für das die Eltern aufkommen müssen. Das bedeutet aber nicht, dass alle Kinderlosen automatisch wohlhabender sind. Was ist mit den Geringverdienern unter ihnen? Was ist mit jenen, die kinderlos Teilzeit arbeiten müssen (ein Modell, das nach Auffassung der Autorinnen alleiniges Schicksal von schuftenden Müttern ist), zum Beispiel weil sie keine andere Stelle bekommen? Was ist mit den Müttern, die ungewollt Kinder bekommen haben? Und woher nehmen die Autorinnen die Gewissheit, dass Kinderlosigkeit für die Betroffenen eine Belastung darstellt?
Darauf finden sie eine Antwort in der Biologie. Sie kritisieren, dass "wir den Mann als Norm betrachten, wenn wir über Frauen und Beruf sprechen". Die männliche Norm stehe für Wettbewerb und Konkurrenz, Härte und Durchsetzungsfähigkeit. Frauen hätten andere Präferenzen: "Ist es möglicherweise eine biologische Tatsache, dass Frauen sich gern kümmern?" Daraus abzuleiten, dass sie sich auch kümmern müssen, sei zwar falsch, aber Frauen seien eben andere Dinge wichtig: "Sie entscheiden sich, wenn es drauf ankommt und sie die Möglichkeit dazu haben, oft eher für die Liebe statt für (mehr) Geld."
Kinderlosigkeit stellt demnach eine Abweichung von der weiblichen Natur dar. Folgerichtig konzentrieren Garsoffky und Sembach sich auf die "ungewollt Kinderlosen"; dass Frauen freiwillig auf Kinder verzichten und damit glücklich sind, halten sie aber nicht für sehr wahrscheinlich. Damit nicht genug, suggerieren die Autorinnen, dass Frauen ohne Kinder grundsätzlich weniger Bereitschaft zeigten, sich um andere Menschen zu kümmern. Sie könnten und wollten zwar niemanden auffordern, Kinder zu bekommen, legen es aber implizit doch nahe.
Die Autorinnen begeben sich in ein Fahrwasser, das Vorurteile gegen Frauen im Allgemeinen, ihre Reduktion auf Emotionalität, "Liebe" und Fürsorglichkeit, und Vorurteile gegen kinderlose Frauen im Besondern bestätigt. Obwohl das eine aus dem anderen nicht unmittelbar zu schließen ist, gelten Frauen, die sich gegen Kinder entscheiden, nicht nur als "unweiblich", sondern oftmals auch als Kinderfeinde. Dass man selbstbestimmt kinderlos und trotzdem kinderlieb sein kann, liegt im selbstreferentiellen System der Elternschaft außerhalb des Denkbaren.
Ungewollt bestätigen Garsoffky und Sembach auch Vorurteile gegenüber Eltern von heute: über ihre unverhältnismäßige Anspruchshaltung, über ihren Drang, sich durch ihre Kinder selbst zu verwirklichen und sie als Statussymbol zu betrachten, über ihren Unwillen, ihr Elternsein einfach zu praktizieren, anstatt es aufwendig zu inszenieren. Dass es auch ganz andere Eltern gibt, gerät dabei schnell aus dem Blick.
Der reißerische Tonfall macht die Sache keineswegs besser. Da ist von einer "Mutterschaftsbestrafung" die Rede, da wird behauptet, es sei hierzulande völlig in Ordnung, "engagierte Mütter hemmungslos fertigzumachen und öffentlich vorzuführen", da klagen die Autorinnen, man könne schon froh sein, "auf dem Spielplatz nicht mit faulen Eiern und Tomaten beworfen zu werden", wenn man sich selbst um seine Kinder kümmert. Diese Emphase, die jegliche Sachebene verlässt, korrespondiert mit dem "Wir", das die Autorinnen sich durchgehend zu eigen machen. Dabei bleibt unklar, in wessen Namen sie hier sprechen wollen. Mal scheinen sie bloß sich selbst zu meinen, mal die ganze Gesellschaft, mal nur die Frauen.
Das ist nicht nur methodisch unsauber, sondern suggeriert auch ein kollektives Einverständnis, das es in diesen Fragen nicht gibt. Das zentrale Problem, das Garsoffky und Sembach antreibt, ist aber pekuniärer Natur. Es geht schlicht und einfach ums Geld. Sie fühlen sich als Mütter benachteiligt und machen daraus ein Politikum. Weil Kinderlose nicht für die enormen Kosten aufkommen müssten, die Kinder verursachten, und somit das Sozialsystem in unserer alternden Gesellschaft, dem "Demografie-Dilemma", belasteten, ohne in Form von eigenen Kindern in die Zukunft zu investieren, plädieren die Autorinnen für einen Aufschlag auf die Einkommensteuer für Kinderlose. Auch das bedingungslose Grundeinkommen halten sie für eine gute Idee - könnte es doch dazu beitragen, dass die angeblich so männliche Norm in unserer Arbeitswelt überwunden und Frauen sich den Dingen widmen können, die für sie wichtig sind.
Dennoch ist das Buch als Wohlstandsindikator unserer Gesellschaft aufschlussreich. Richtig ist: Elternsein hat sich verändert, auf habitueller Ebene nicht unbedingt zu seinem Vorteil (wovon dieses Buch unfreiwillig beredtes Zeugnis ablegt). Und es gibt Konflikte zwischen Eltern und Kinderlosen, von denen Frauen viel mehr betroffen sind als Männer. Das alles zeigt sich in einem Gewand, das aus soziologischer Perspektive gar nicht so uninteressant ist. Auch aus feministischer Sicht kann das wichtig sein, denn noch immer stehen kinderlose Frauen unter einem enormen gesellschaftlichen Rechtfertigungsdruck. Und der demographische Wandel ist eine Herausforderung, die ernsthaft kaum jemand kleinreden würde.
Müttern und Eltern geht es heute so gut wie noch nie. Wir haben ein engmaschiges Sozialsystem, von dem andere Länder nur träumen können. Wer auf so hohem Niveau voller Inbrunst klagt, macht den Anlass der Klage nicht transparent, sondern demonstriert vor allem, wie verwöhnt diese Gesellschaft ist.
HANNAH BETHKE
Susanne Garsoffky und Britta Sembach: "Der tiefe Riss". Wie Politik und Wirtschaft Eltern und Kinderlose gegeneinander ausspielen.
Pantheon Verlag, München 2017. 256 S., br., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alarmstufe Nachwuchs: Susanne Garsoffky und Britta Sembach wollen den Riss zwischen Eltern und Kinderlosen heilen. Aber ihr Plädoyer für eine neue Familienpolitik trägt nicht sehr weit.
Zwei Frauen, vier Kinder, ein Thema: der Untergang der Familie. Die Autorinnen, beide Jahrgang 1968, sind freie Journalistinnen. Und sie sind wütend. Denn sie sind Mütter, jede von ihnen hat zwei Söhne. Die beiden Frauen gehören zu den "abgekämpften Familienarbeiterinnen", die wissen, was es bedeutet, Kinder großzuziehen. Und jetzt schreiben sie, anstatt zu schreien. Sie glauben nämlich, dass es einen Grund gäbe, laut zu schreien. Die Kinder, die für das verantwortungslose Verhalten der Erwachsenen gar nichts können, "werden am Ende den Preis für alle heutigen Versäumnisse bezahlen".
Zutiefst beunruhigt zeigen sie sich von dem "tiefen Riss", der sich durch unsere Gesellschaft ziehe - ein Riss zwischen Eltern und Kinderlosen. Höchste Zeit also, Brücken zu bauen, finden Susanne Garsoffky und Britta Sembach, für einen Paradigmenwechsel "zu einer vom Kind her gedachten Familienpolitik". Sie sind überzeugt, dass dies auch Kinderlosen gerecht wird, schließlich gibt es ohne Kinder keine Zukunft.
Von zwei getrennten Welten erzählen die beiden Mütter und beobachten - ganz unparteiisch - die Kinderlosen, die zum Beispiel "in einem kleinen kuscheligen Café zum Brunch mit Freunden" sitzen, "Sonntags, so gegen zwei". Mit dem Alltag der engagierten Mütter hat ein solches Leben wenig zu tun. Sie brunchen nicht, ist aus dieser Episode zu lernen, sondern haben einen höchst strapaziösen Alltag, etwa "im herbstlichen Sprühregen samstagmorgens um acht auf dem Fußballplatz zu stehen".
Keine der beiden Welten sei schlechter oder besser als die andere, beteuern die Autorinnen zwar, aber belegt ihre Gegenüberstellung das tatsächlich? Da gibt es auf der einen Seite "diejenigen, die Sorgeverpflichtungen haben, mit allen möglichen persönlichen Belohnungen, die daraus entstehen, aber eben auch allen ökonomischen Belastungen". Das sind die Eltern. Auf der anderen Seite stehen "diejenigen, die diese Verpflichtungen nicht haben - mit allen ökonomischen Belohnungen, die sich daraus ergeben, aber auch allen möglichen persönlichen Belastungen". Das sind die Kinderlosen.
Einer solchen Machart folgt das gesamte Buch. Die Autorinnen pauschalisieren, vereinfachen und folgen einem ideologisierten Schwarz-Weiß-Denken, das sämtliche Facetten jenseits ihrer Demarkationslinie außer Acht lässt und überhaupt erst den Riss produziert, den sie zu kitten vorgeben. Richtig: Kinder kosten Geld, für das die Eltern aufkommen müssen. Das bedeutet aber nicht, dass alle Kinderlosen automatisch wohlhabender sind. Was ist mit den Geringverdienern unter ihnen? Was ist mit jenen, die kinderlos Teilzeit arbeiten müssen (ein Modell, das nach Auffassung der Autorinnen alleiniges Schicksal von schuftenden Müttern ist), zum Beispiel weil sie keine andere Stelle bekommen? Was ist mit den Müttern, die ungewollt Kinder bekommen haben? Und woher nehmen die Autorinnen die Gewissheit, dass Kinderlosigkeit für die Betroffenen eine Belastung darstellt?
Darauf finden sie eine Antwort in der Biologie. Sie kritisieren, dass "wir den Mann als Norm betrachten, wenn wir über Frauen und Beruf sprechen". Die männliche Norm stehe für Wettbewerb und Konkurrenz, Härte und Durchsetzungsfähigkeit. Frauen hätten andere Präferenzen: "Ist es möglicherweise eine biologische Tatsache, dass Frauen sich gern kümmern?" Daraus abzuleiten, dass sie sich auch kümmern müssen, sei zwar falsch, aber Frauen seien eben andere Dinge wichtig: "Sie entscheiden sich, wenn es drauf ankommt und sie die Möglichkeit dazu haben, oft eher für die Liebe statt für (mehr) Geld."
Kinderlosigkeit stellt demnach eine Abweichung von der weiblichen Natur dar. Folgerichtig konzentrieren Garsoffky und Sembach sich auf die "ungewollt Kinderlosen"; dass Frauen freiwillig auf Kinder verzichten und damit glücklich sind, halten sie aber nicht für sehr wahrscheinlich. Damit nicht genug, suggerieren die Autorinnen, dass Frauen ohne Kinder grundsätzlich weniger Bereitschaft zeigten, sich um andere Menschen zu kümmern. Sie könnten und wollten zwar niemanden auffordern, Kinder zu bekommen, legen es aber implizit doch nahe.
Die Autorinnen begeben sich in ein Fahrwasser, das Vorurteile gegen Frauen im Allgemeinen, ihre Reduktion auf Emotionalität, "Liebe" und Fürsorglichkeit, und Vorurteile gegen kinderlose Frauen im Besondern bestätigt. Obwohl das eine aus dem anderen nicht unmittelbar zu schließen ist, gelten Frauen, die sich gegen Kinder entscheiden, nicht nur als "unweiblich", sondern oftmals auch als Kinderfeinde. Dass man selbstbestimmt kinderlos und trotzdem kinderlieb sein kann, liegt im selbstreferentiellen System der Elternschaft außerhalb des Denkbaren.
Ungewollt bestätigen Garsoffky und Sembach auch Vorurteile gegenüber Eltern von heute: über ihre unverhältnismäßige Anspruchshaltung, über ihren Drang, sich durch ihre Kinder selbst zu verwirklichen und sie als Statussymbol zu betrachten, über ihren Unwillen, ihr Elternsein einfach zu praktizieren, anstatt es aufwendig zu inszenieren. Dass es auch ganz andere Eltern gibt, gerät dabei schnell aus dem Blick.
Der reißerische Tonfall macht die Sache keineswegs besser. Da ist von einer "Mutterschaftsbestrafung" die Rede, da wird behauptet, es sei hierzulande völlig in Ordnung, "engagierte Mütter hemmungslos fertigzumachen und öffentlich vorzuführen", da klagen die Autorinnen, man könne schon froh sein, "auf dem Spielplatz nicht mit faulen Eiern und Tomaten beworfen zu werden", wenn man sich selbst um seine Kinder kümmert. Diese Emphase, die jegliche Sachebene verlässt, korrespondiert mit dem "Wir", das die Autorinnen sich durchgehend zu eigen machen. Dabei bleibt unklar, in wessen Namen sie hier sprechen wollen. Mal scheinen sie bloß sich selbst zu meinen, mal die ganze Gesellschaft, mal nur die Frauen.
Das ist nicht nur methodisch unsauber, sondern suggeriert auch ein kollektives Einverständnis, das es in diesen Fragen nicht gibt. Das zentrale Problem, das Garsoffky und Sembach antreibt, ist aber pekuniärer Natur. Es geht schlicht und einfach ums Geld. Sie fühlen sich als Mütter benachteiligt und machen daraus ein Politikum. Weil Kinderlose nicht für die enormen Kosten aufkommen müssten, die Kinder verursachten, und somit das Sozialsystem in unserer alternden Gesellschaft, dem "Demografie-Dilemma", belasteten, ohne in Form von eigenen Kindern in die Zukunft zu investieren, plädieren die Autorinnen für einen Aufschlag auf die Einkommensteuer für Kinderlose. Auch das bedingungslose Grundeinkommen halten sie für eine gute Idee - könnte es doch dazu beitragen, dass die angeblich so männliche Norm in unserer Arbeitswelt überwunden und Frauen sich den Dingen widmen können, die für sie wichtig sind.
Dennoch ist das Buch als Wohlstandsindikator unserer Gesellschaft aufschlussreich. Richtig ist: Elternsein hat sich verändert, auf habitueller Ebene nicht unbedingt zu seinem Vorteil (wovon dieses Buch unfreiwillig beredtes Zeugnis ablegt). Und es gibt Konflikte zwischen Eltern und Kinderlosen, von denen Frauen viel mehr betroffen sind als Männer. Das alles zeigt sich in einem Gewand, das aus soziologischer Perspektive gar nicht so uninteressant ist. Auch aus feministischer Sicht kann das wichtig sein, denn noch immer stehen kinderlose Frauen unter einem enormen gesellschaftlichen Rechtfertigungsdruck. Und der demographische Wandel ist eine Herausforderung, die ernsthaft kaum jemand kleinreden würde.
Müttern und Eltern geht es heute so gut wie noch nie. Wir haben ein engmaschiges Sozialsystem, von dem andere Länder nur träumen können. Wer auf so hohem Niveau voller Inbrunst klagt, macht den Anlass der Klage nicht transparent, sondern demonstriert vor allem, wie verwöhnt diese Gesellschaft ist.
HANNAH BETHKE
Susanne Garsoffky und Britta Sembach: "Der tiefe Riss". Wie Politik und Wirtschaft Eltern und Kinderlose gegeneinander ausspielen.
Pantheon Verlag, München 2017. 256 S., br., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.09.2017Kümmern ist Liebe, Geld ist die Norm
Ein neues Debattenbuch beschreibt den wachsenden „tiefen Riss“ zwischen Eltern und Kinderlosen in Deutschland
Eltern sein, das heißt zum Beispiel: seit der Einschulung des ersten Kindes neulich zu wissen, dass der Wecker in den nächsten fünfzehn Jahren jeden Morgen um sechs Uhr klingeln wird. Und trotzdem natürlich immer möglichst fröhlich und gelassen zu sein, unterstützend und zugewandt, keinen Helikopter kreisen zu lassen, aber auch keine Vernachlässigung zu riskieren, niemanden anzuschreien: „Los jetzt! Wir kommen sonst zu spät!“, stets liebevoll zu sein, entspannt und zugleich auch ungeheuer konsequent. Und im Beruf bitte keinen Ärger zu machen mit dem Elternsein.
Keine Kinder zu haben, das heißt: gefragt zu werden, ob man welche hat. Ob man welche will oder mal wollte. Im Verdacht zu stehen, zu eigensinnig zu sein und seine Firma mit einer Familie zu verwechseln. Verantwortlich gemacht zu werden für die Krise der Rentenversicherung. Hinzunehmen, dass Freunde, die Kinder kriegen, erst mal vom Erdboden verschluckt werden. Auszubaden, dass sich der Arbeitgeber neuerdings familienfreundlich gibt, aber Arbeit und Personal nicht so verteilt, dass Eltern- und Teilzeiten vertreten und kompensiert werden. Von einer Kinderlosen wird berichtet, die in einer Diskussion über Beruf und Familie allen Mut zusammennimmt, aufsteht und sagt: „Wissen Sie, ich habe oft den Eindruck, ich bin die Einzige in meiner Abteilung, die wirklich noch arbeitet. Und zwar jeden Tag der Woche bis zum Feierabend. Ich bin diejenige, die immer alles wegschafft.“
Die Journalistinnen Susanne Garsoffky und Britta Sembach haben gerade ein Debattenbuch mit dem Titel „Der tiefe Riss“ über den Konflikt zwischen Eltern und Kinderlosen veröffentlicht (Pantheon-Verlag, 256 Seiten, 15 Euro). Wenn man es liest, gewinnt man den Eindruck, dass dieser Konflikt in vielen Themen des gegenwärtigen Bundestagswahlkampfs spukt und schwelt, dass aber alle Parteien sich tunlichst hüten, ihn zur Sprache zu bringen.
Garsoffky und Sembach beobachten, dass jener „tiefe Riss“ mit der zunehmenden Vergreisung der deutschen Gesellschaft größer wird. Weil aber die sozialen Umbrüche abstrakt und schleichend sind, weil sie jeder an seinem Ort dadurch verdrängen kann, dass man – mit Recht – auf individuelle Schicksale und lokale Unterschiede schaut, wird der Konflikt zunächst moralisch-persönlich ausgetragen. Das macht ihn nicht schöner.
Jeder und jede verteidigt nämlich sehr emotional den eigenen Lebensentwurf, ob laut oder im Stillen. Und weil jede Lebensentscheidung immer mehr aufs Individuum abgeschoben wird, erscheint sie auch als eine ganz private, bewusste Wahl aus diversen Möglichkeiten – wie wenn man sich nach Abwägung aller Tripadvisor-Empfehlungen endlich für eines von unzähligen Hotels entschieden hat. Als die beiden Autorinnen des Buches selber Kinder kriegten, stellten sie bald fest, „dass wir kaum noch Berührungspunkte mit Kinderlosen haben“. Schnell würden sich „unbestätigte Annahmen übereinander“ festsetzen: „Wir vermuten, den einen seien nur noch ihre Kinder wichtig, den anderen ausschließlich der Job – und vielleicht ihre Freizeitvergnügungen.“
Und so entsteht immer mehr Distanz, Verzerrung, Anfeindung. Eltern sind alle überbehütende, rücksichtslose Kinderwagenbulldozer, die ihre Kleinen zu Narzissten auf Psychopharmaka erziehen. Kinderlose sind ausschließlich hedonistische Egoisten, für die sich andere aufopfern. Das ist alles grob unfair; die einen können sich in den Stress der Familien nicht hineinversetzen, und die anderen vergessen, dass es (wie auch Studien belegen) sehr selten gezielt geplant und gewollt ist, keine Kinder zu haben, es vielmehr meist an verzögerten Entscheidungen und verstrichenen Gelegenheiten liegt, daran, dass es hier und da nicht gepasst hat, sowie an vielen äußeren Hindernissen. Hilfe, aber auch weiteren Druck bringt der Fortschritt der Reproduktionsmedizin, das „Diktat der Fruchtbarkeit“, das Andreas Bernard in seinem Buch „Kinder machen“ untersucht hat.
Es sind also wirklich keine Vorwürfe und kein Triumphalismus in die eine oder andere Richtung angebracht. Genau dieser Geist aber, sagen Susanne Garsoffky und Britta Sembach, muss überwunden werden, bevor böse Verteilungskämpfe daraus werden. Denn es gibt ja ein strukturelles Problem, das kann man nicht wegreden, wenn man die zweitälteste Bevölkerung der Welt hat. Wir sind im Durchschnitt schon 44,1 Jahre alt. Älter als hier sind die Menschen nur noch in Japan, wo lernende Roboter den Pflegenotstand und die Einsamkeit mildern sollen. Vierzigjährige fühlen sich superjung in Deutschland. Wer aus anderen Ländern kommt, merkt, wenn er nicht gerade in München oder Prenzlauer Berg gelandet ist, dass wenig Lachen und Lärm von Kindern zu vernehmen ist.
Warum aber haben diverse Methusalem-Bestseller und Demografie-Schocker daran wenig verbessert? Weil das Land noch nicht bereit ist, so die beiden Autorinnen, Privatleben und Sozialpolitik zusammenzudenken, ohne dass sich alle irgendwie angegriffen fühlen. Im Wahlkampf gerade traut sich tatsächlich kaum ein Politiker, die wahren Dimensionen des Pflege- und Rentenproblems der nächsten Jahrzehnte zu benennen. „Die realisierten Kinderzahlen bleiben immer noch stärker als in anderen Ländern hinter den Kinderwünschen zurück“, heißt es nüchtern im neuen Familienreport der Bundesregierung. Aber Bevölkerungspolitik war eben, historisch missbraucht, lange tabu; und zur sachlichen Diskussion trägt es auch nicht direkt bei, wenn die AfD Plakate mit Schwangerenbauch aufhängt und darüberschreibt: „Neue Deutsche? Machen wir selber.“
Lange war der Gedanke dominant, den Michel Foucault ausgearbeitet hat, dass Körperpolitik eine immer weitere Disziplinierung von Geschlecht und Gesellschaft erzeuge; heute gilt die Sorge eher dem Mangel an Bindung, dem Aufsichgestelltsein. Hier machen Garsoffky und Sembach in „Der tiefe Riss“ einige konkrete Vorschläge zur Reform der Sozialversicherung, der Arbeitsorganisation und zur Aufwertung von bisher nicht entlohnten Tätigkeiten, denn sie stellen bitter fest: „Kümmern ist Liebe, Geld ist die Norm.“ Und sie erwärmen sich für die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Sehr vieles muss sich wandeln, der Sozialstaat, aber auch Formen des Zusammenlebens.
Man muss nicht alldem folgen, aber es klärt den Blick inmitten von Verschleierung und Moralstress. Und eines lässt es in jedem Fall erledigt erscheinen: die etwa von Elisabeth Badinter und Barbara Vinken vertretene These, es sei das überhöhte deutsche Mutterideal, das die Frauen vom Kinderkriegen abhalte. Dies ist selbst eine Idee von gestern und eigentlich eine Beleidigung der Frauen: zu sagen, sie litten bloß unter falschem Bewusstsein und nicht unter politischen Bedingungen, die man ändern könnte.
JOHAN SCHLOEMANN
Die Dimensionen des Renten-
und Pflegeproblems will im
Wahlkampf keiner benennen
Nicht direkt hilfreich ist das
AfD-Plakat: „Neue Deutsche?
Machen wir selber.“
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Ein neues Debattenbuch beschreibt den wachsenden „tiefen Riss“ zwischen Eltern und Kinderlosen in Deutschland
Eltern sein, das heißt zum Beispiel: seit der Einschulung des ersten Kindes neulich zu wissen, dass der Wecker in den nächsten fünfzehn Jahren jeden Morgen um sechs Uhr klingeln wird. Und trotzdem natürlich immer möglichst fröhlich und gelassen zu sein, unterstützend und zugewandt, keinen Helikopter kreisen zu lassen, aber auch keine Vernachlässigung zu riskieren, niemanden anzuschreien: „Los jetzt! Wir kommen sonst zu spät!“, stets liebevoll zu sein, entspannt und zugleich auch ungeheuer konsequent. Und im Beruf bitte keinen Ärger zu machen mit dem Elternsein.
Keine Kinder zu haben, das heißt: gefragt zu werden, ob man welche hat. Ob man welche will oder mal wollte. Im Verdacht zu stehen, zu eigensinnig zu sein und seine Firma mit einer Familie zu verwechseln. Verantwortlich gemacht zu werden für die Krise der Rentenversicherung. Hinzunehmen, dass Freunde, die Kinder kriegen, erst mal vom Erdboden verschluckt werden. Auszubaden, dass sich der Arbeitgeber neuerdings familienfreundlich gibt, aber Arbeit und Personal nicht so verteilt, dass Eltern- und Teilzeiten vertreten und kompensiert werden. Von einer Kinderlosen wird berichtet, die in einer Diskussion über Beruf und Familie allen Mut zusammennimmt, aufsteht und sagt: „Wissen Sie, ich habe oft den Eindruck, ich bin die Einzige in meiner Abteilung, die wirklich noch arbeitet. Und zwar jeden Tag der Woche bis zum Feierabend. Ich bin diejenige, die immer alles wegschafft.“
Die Journalistinnen Susanne Garsoffky und Britta Sembach haben gerade ein Debattenbuch mit dem Titel „Der tiefe Riss“ über den Konflikt zwischen Eltern und Kinderlosen veröffentlicht (Pantheon-Verlag, 256 Seiten, 15 Euro). Wenn man es liest, gewinnt man den Eindruck, dass dieser Konflikt in vielen Themen des gegenwärtigen Bundestagswahlkampfs spukt und schwelt, dass aber alle Parteien sich tunlichst hüten, ihn zur Sprache zu bringen.
Garsoffky und Sembach beobachten, dass jener „tiefe Riss“ mit der zunehmenden Vergreisung der deutschen Gesellschaft größer wird. Weil aber die sozialen Umbrüche abstrakt und schleichend sind, weil sie jeder an seinem Ort dadurch verdrängen kann, dass man – mit Recht – auf individuelle Schicksale und lokale Unterschiede schaut, wird der Konflikt zunächst moralisch-persönlich ausgetragen. Das macht ihn nicht schöner.
Jeder und jede verteidigt nämlich sehr emotional den eigenen Lebensentwurf, ob laut oder im Stillen. Und weil jede Lebensentscheidung immer mehr aufs Individuum abgeschoben wird, erscheint sie auch als eine ganz private, bewusste Wahl aus diversen Möglichkeiten – wie wenn man sich nach Abwägung aller Tripadvisor-Empfehlungen endlich für eines von unzähligen Hotels entschieden hat. Als die beiden Autorinnen des Buches selber Kinder kriegten, stellten sie bald fest, „dass wir kaum noch Berührungspunkte mit Kinderlosen haben“. Schnell würden sich „unbestätigte Annahmen übereinander“ festsetzen: „Wir vermuten, den einen seien nur noch ihre Kinder wichtig, den anderen ausschließlich der Job – und vielleicht ihre Freizeitvergnügungen.“
Und so entsteht immer mehr Distanz, Verzerrung, Anfeindung. Eltern sind alle überbehütende, rücksichtslose Kinderwagenbulldozer, die ihre Kleinen zu Narzissten auf Psychopharmaka erziehen. Kinderlose sind ausschließlich hedonistische Egoisten, für die sich andere aufopfern. Das ist alles grob unfair; die einen können sich in den Stress der Familien nicht hineinversetzen, und die anderen vergessen, dass es (wie auch Studien belegen) sehr selten gezielt geplant und gewollt ist, keine Kinder zu haben, es vielmehr meist an verzögerten Entscheidungen und verstrichenen Gelegenheiten liegt, daran, dass es hier und da nicht gepasst hat, sowie an vielen äußeren Hindernissen. Hilfe, aber auch weiteren Druck bringt der Fortschritt der Reproduktionsmedizin, das „Diktat der Fruchtbarkeit“, das Andreas Bernard in seinem Buch „Kinder machen“ untersucht hat.
Es sind also wirklich keine Vorwürfe und kein Triumphalismus in die eine oder andere Richtung angebracht. Genau dieser Geist aber, sagen Susanne Garsoffky und Britta Sembach, muss überwunden werden, bevor böse Verteilungskämpfe daraus werden. Denn es gibt ja ein strukturelles Problem, das kann man nicht wegreden, wenn man die zweitälteste Bevölkerung der Welt hat. Wir sind im Durchschnitt schon 44,1 Jahre alt. Älter als hier sind die Menschen nur noch in Japan, wo lernende Roboter den Pflegenotstand und die Einsamkeit mildern sollen. Vierzigjährige fühlen sich superjung in Deutschland. Wer aus anderen Ländern kommt, merkt, wenn er nicht gerade in München oder Prenzlauer Berg gelandet ist, dass wenig Lachen und Lärm von Kindern zu vernehmen ist.
Warum aber haben diverse Methusalem-Bestseller und Demografie-Schocker daran wenig verbessert? Weil das Land noch nicht bereit ist, so die beiden Autorinnen, Privatleben und Sozialpolitik zusammenzudenken, ohne dass sich alle irgendwie angegriffen fühlen. Im Wahlkampf gerade traut sich tatsächlich kaum ein Politiker, die wahren Dimensionen des Pflege- und Rentenproblems der nächsten Jahrzehnte zu benennen. „Die realisierten Kinderzahlen bleiben immer noch stärker als in anderen Ländern hinter den Kinderwünschen zurück“, heißt es nüchtern im neuen Familienreport der Bundesregierung. Aber Bevölkerungspolitik war eben, historisch missbraucht, lange tabu; und zur sachlichen Diskussion trägt es auch nicht direkt bei, wenn die AfD Plakate mit Schwangerenbauch aufhängt und darüberschreibt: „Neue Deutsche? Machen wir selber.“
Lange war der Gedanke dominant, den Michel Foucault ausgearbeitet hat, dass Körperpolitik eine immer weitere Disziplinierung von Geschlecht und Gesellschaft erzeuge; heute gilt die Sorge eher dem Mangel an Bindung, dem Aufsichgestelltsein. Hier machen Garsoffky und Sembach in „Der tiefe Riss“ einige konkrete Vorschläge zur Reform der Sozialversicherung, der Arbeitsorganisation und zur Aufwertung von bisher nicht entlohnten Tätigkeiten, denn sie stellen bitter fest: „Kümmern ist Liebe, Geld ist die Norm.“ Und sie erwärmen sich für die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Sehr vieles muss sich wandeln, der Sozialstaat, aber auch Formen des Zusammenlebens.
Man muss nicht alldem folgen, aber es klärt den Blick inmitten von Verschleierung und Moralstress. Und eines lässt es in jedem Fall erledigt erscheinen: die etwa von Elisabeth Badinter und Barbara Vinken vertretene These, es sei das überhöhte deutsche Mutterideal, das die Frauen vom Kinderkriegen abhalte. Dies ist selbst eine Idee von gestern und eigentlich eine Beleidigung der Frauen: zu sagen, sie litten bloß unter falschem Bewusstsein und nicht unter politischen Bedingungen, die man ändern könnte.
JOHAN SCHLOEMANN
Die Dimensionen des Renten-
und Pflegeproblems will im
Wahlkampf keiner benennen
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"Ein emotionales Sachbuch - beachtenswert" Ferdinand Knauß , WirtschaftsWoche