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Die Debatte um die Euthanasie seit dem 19. Jahrhundert und ihre Bedeutung für die aktuelle Diskussion um die Sterbehilfe.Ethische Fragen der Sterbehilfe und der Sterbebegleitung sind hochaktuell, aber nicht neu. Spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wird über die Euthanasie, über einen durch den Arzt herbeigeführten guten und leichten Tod, diskutiert. Gerrit Hohendorf zeichnet die historische Debatte um die Euthanasie, ihre Verknüpfung mit dem Gedanken des »lebensunwerten Lebens« nach und verweist auf die Folgen, die diese Idee in der Zeit des Nationalsozialismus hatte: 300.000…mehr

Produktbeschreibung
Die Debatte um die Euthanasie seit dem 19. Jahrhundert und ihre Bedeutung für die aktuelle Diskussion um die Sterbehilfe.Ethische Fragen der Sterbehilfe und der Sterbebegleitung sind hochaktuell, aber nicht neu. Spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wird über die Euthanasie, über einen durch den Arzt herbeigeführten guten und leichten Tod, diskutiert. Gerrit Hohendorf zeichnet die historische Debatte um die Euthanasie, ihre Verknüpfung mit dem Gedanken des »lebensunwerten Lebens« nach und verweist auf die Folgen, die diese Idee in der Zeit des Nationalsozialismus hatte: 300.000 psychisch kranke und geistig behinderte Menschen wurden unter dem Deckmantel des »Gnadentodes« ermordet. Der Autor plädiert jenseits einer rhetorischen NS-Analogie für ein behutsames Lernen aus der Geschichte: Die Debatte um die Euthanasie steht immer in der Gefahr, menschliches Leben als nicht mehr lebenswert zu beurteilen.Ausgezeichnet mit dem Publikationspreis des Deutschen Museums 2013
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Autorenporträt
Gerrit Hohendorf, geb. 1963, war Facharzt für Psychatrie und Psychotherapie. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der TU München.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Iris Ritzmann hat viel gelernt aus der Studie des Medizinhistorikers Gerrit Hohendorf, die das Schicksal psychiatrisch Hospitalisierter im Dritten Reich aus Sicht der Opfer darzustellen versucht. Dass der Autor den insbesondere in der Euthanasie-Aktion T4 Ermordeten ein Gesicht verleiht, indem er ihre Geschichte erzählt, scheint Ritzmann ohne Beispiel in der Forschung zu sein. Wenn der Autor darüber hinaus versucht, die Logik hinter den Tötungen zu ergründen und die Arbeitsunfähigkeit als Hauptkriterium ausmacht, schaudert die Rezensentin. Ebenso, wenn sie über das Thema der Mitverantwortung von Verwandten der Opfer liest. Das Engagement des Autors, sein Feingefühl und seine methodische Sicherheit in der patientenorientierten Geschichtsforschung machen die Lektüre für Ritzmann jedoch letztlich zum Gewinn. Bei der Verbindung zu heutigen Sterbehilfediskussionen, die Hohendorf herstellt, scheint die klare Stellungnahme des Autors gegen die Sterbehilfe allerdings mitunter die Konfliktbeschreibung zu sabotieren, wie die Rezensentin moniert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2014

Von Gnadentod kann keine Rede sein
Euthanasie als Erlösung? Gerrit Hohendorf meistert eines der schwierigsten Themen der Medizingeschichte

Mehr als hunderttausend Insassen von psychiatrischen Institutionen wurden in der Zeit des Nationalsozialismus als "lebensunwert" ermordet. Die Zahl ist abstrakt, unvorstellbar. Wer waren diese Menschen? Welche Eigenschaften machten sie zu Opfern der Tötungsmaschinerie? Warum blieben einige psychiatrisch Hospitalisierte am Leben, während andere ermordet wurden? Gerrit Hohendorf, Medizinhistoriker und Psychiater, schafft es, diesen Menschen ein Gesicht zu verleihen.

Das Kernstück seiner überarbeiteten Habilitationsschrift bildet das Kapitel über die Euthanasie-Aktion T4. Hohendorf bezieht sich auf die Ergebnisse eines umfangreichen Forschungsprojekts, das anhand von dreitausend Krankenakten spezifische Merkmale der getöteten mit solchen von überlebenden Anstaltsinsassen verglich. Damit ließen sich Rückschlüsse ziehen, nach welcher Logik ein Leben als "unwert" eingestuft wurde. Bemerkenswerterweise waren es weder straffällige noch angeblich erblich belastete Anstaltsinsassen, die vermehrt für die Tötung ausgewählt wurden.

Dagegen erhöhte sich das Risiko einer tödlichen Selektion für Patienten, die als unsauber und streitsüchtig galten und damit das Personal stärker als andere beanspruchten. Als signifikantestes Merkmal jedoch entpuppte sich die Arbeitsunfähigkeit. Wer weniger Leistung erbrachte, wurde schneller getötet. Vor dieser ökonomischen Entscheidungslogik verliert die Argumentation des Gnadentods, der unheilbar Kranke von ihrem Leiden erlösen sollte, ihre letzte Glaubwürdigkeit.

Hohendorf setzt sich vertieft mit der in jüngerer Zeit gestellten Forderung auseinander, die Rolle der Angehörigen ermordeter Patienten zu hinterfragen. Die Mitverantwortung, die Götz Aly den Familien für die Belassung ihrer Kranken in den Anstalten anlastet, kann der Autor teilweise bestätigen. Es gab sie, die Reaktionen der Erleichterungen, wenn die Todesnachricht eintraf. Aber in den Akten finden sich auch Protestschreiben. So machte sich ein Großvater die schwersten Vorwürfe, dass er nicht vehementer darauf bestanden habe, den sechzehnjährigen Enkel zu sich nach Hause zu holen. Andere Familien wiederum konnten nicht ununterbrochen für ihre Kranken sorgen und gaben sie vorübergehend in eine Anstalt ab, wo sie in den Tod geschickt wurden. Erhielten Familien die Nachricht, ihr krankes Mitglied sei verstorben, reichte die Bandbreite der Reaktionen von deutlicher Empörung über die Hinnahme bis zur Befürwortung im Sinne einer "Erlösung".

Das Buch stellt bewusst und feinfühlig die Opfer in den Mittelpunkt. Einzelne von ihnen werden als Personen durchaus sichtbar, etwa ein Kutscher, der noch im hohen Alter von achtundachtzig Jahren in die Tötungsanstalt kam und dessen Kunstwerke an die Zeichnungen des bekannten Psychiatriepatienten Adolf Wölfli erinnern; oder eine Telegraphieangestellte, deren letzte Fotografien die knapp Vierzigjährige wie ein Paket mit einer Kartonetikette an einer Schnur um den Hals und aufgestempelten Nummern auf dem nackten Oberkörper zeigen. Hohendorf vermag so eines der schwierigsten medizinhistorischen Themen auf engagierte und methodisch überzeugende Weise in die patientenorientierte Geschichtsforschung einzubinden. Die Motivation der Täter, Kranke in den Tod zu schicken, verhungern zu lassen oder gar selbst zu töten, steht dagegen nur am Rande zur Diskussion. Letztlich bleibt die komplexe Frage offen, ob diese aus heutiger Sicht menschenverachtenden Handlungen von Ärzten, die sich zumindest teilweise hohen ethischen Idealen verpflichtet fühlten, durch eine verstehende Perspektive überhaupt je erschlossen werden können.

Die gehaltvollen Kapitel zur Entstehung und Umsetzung nationalsozialistischer Tötungen stehen im Mittelpunkt eines Werks, das sich zum Ziel setzt, die Geschichte der Sterbehilfe seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts mit den heutigen Debatten über einen selbstbestimmten Tod zu verknüpfen. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf den fließenden Übergängen zwischen einem Recht auf den Tod und Einschränkungen der Lebensberechtigung in bestimmten Situationen, die im Extremfall bis zur Sterbepflicht reichen könnten.

Dieses Argument der "schiefen Ebene", das bereits im Nürnberger Ärzteprozess zur Erklärung der Krankenmorde formuliert worden ist, prägt die Kontroverse um die Sterbehilfe bis heute. Sowohl die Befürworter als auch die Gegner einer Liberalisierung messen ihre Forderungen an der nationalsozialistischen Euthanasie, beide offensichtlich im Bemühen darum, dass sich die Geschichte niemals wiederholen möge. Während die Befürworter der Sterbehilfe die Unterschiede zwischen dem Programm eines totalitären Staates und der individuellen Entscheidung über das eigene Lebensende hervorheben, beschwören die Gegner die Unantastbarkeit des Lebens als eine notwendige Schranke gegen jede Beeinträchtigung des Lebensrechts. Hohendorf bezieht in dieser Kontroverse eindeutig Stellung. Er vertritt dezidiert die Meinung, Sterbehilfe dürfe keine legitime ärztliche Handlung sein. Darunter leidet die Beschreibung des Konflikts, indem die Argumente für eine Liberalisierung verkürzt dargestellt werden.

Die Stärke des Werks liegt in der historischen Aufarbeitung. Hohendorf zeichnet verschiedene Diskursebenen des "modernen" Euthanasiegedankens nach, von der säkularen Idee eines Rechts auf den eigenen Tod über die Sterbehilfe aus Mitleid bis zur sozialdarwinistischen Forderung der Tötung "unwerten Lebens".

Die Erkenntnisse seiner Untersuchung zeigen aber auf, dass die nationalsozialistische Euthanasie in der Hauptsache nicht auf Mitleid oder Degenerationsängsten, sondern auf ökonomischen Überlegungen basierte. Vor diesem Hintergrund leuchtet Hohendorfs Warnung durchaus ein, in einer leistungsorientierten Gesellschaft könne das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben eine Bewertung des Lebens nach sich ziehen, das sich an wirtschaftlichen Maßstäben orientiert und so zum Promotor einer "Ökonomie der Erlösung" wird.

IRIS RITZMANN

Gerrit Hohendorf: "Der Tod als Erlösung vom Leiden". Geschichte und Ethik der Sterbehilfe seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 327 S., Abb., geb., 28,- [Euro].

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»Gerrit Hohendorf meistert eines der schwierigsten Themen der Medizingeschichte« (Iris Ritzmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.07.2014)