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Produktdetails
  • Verlag: Beck
  • Seitenzahl: 243
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 375g
  • ISBN-13: 9783406428234
  • ISBN-10: 3406428231
  • Artikelnr.: 07013546
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.1998

Interpreten olé
Sagenhaft, wie Karl Braun mit dem Stierkampf sein Spielchen treibt

Von der fünften Stunde des Nachmittags an sterben jeden Sonntag und an manchen Wochentagen in vielen spanischen und einigen südfranzösischen Städten jeweils sechs Stiere durch die Degenstiche der Matadore, von denen wiederum manche, allerdings noch vor dem Todesstoß, verletzt aus der Arena getragen werden. Durch den Fortschritt der Medizin sterben heute viel weniger Toreros als früher. Trotzdem gilt die fünfte Stunde des Nachmittags, so wie sie Federico García Lorca in der Totenklage auf seinen Freund, den Stierkämpfer Ingnacio Sánchez Mejías, beschrieben hat, in Spanien immer noch als die düstere Stunde des Todes.

Stierkampf ist für Uneingeweihte schwer verständlich. Um das einzusehen, braucht man nur an die Dummheiten zu denken, die in deutschen Fernsehmagazinen über Stiere und die Corrida gesagt werden, oder an die in diesen Tagen getanen stupiden Äußerungen, die grüne Abgeordnete und eine hessische Ministerin in einer deutschen Illustrierten über Stierzucht gemacht haben. Daß der Stier, eines der schönsten und stärksten Tiere überhaupt, heute kaum noch existierte, wenn es keinen Stierkampf und damit Kampfstiere gäbe - die männlichen Kälber werden so gut wie alle schnell gemästet und zu Steaks und Würsten verarbeitet -, scheinen die meisten Europäer nicht zu wissen. Die ausgedehnten Weideflächen mit Kampfstieren, den schwarzfüßigen iberischen Schweinen und Korkeichen im Westen Spaniens und in Portugal sind eine der wenigen heute noch existierenden natürlichen, den Tieren alle Freiheiten gebenden Lebensräume unserer Welt.

Es braucht sicher auch einiges Wissen, um eine mindere Schau, wie sie in touristischen Gebieten Spaniens häufig angeboten wird, von einer seriösen Corrida zu unterscheiden oder um den Sinn der einzelnen "pases", der Figuren, mit der "muleta", dem roten Tuch, zu verstehen. In Deutschland gibt es bis auf das sehr genaue, allerdings schon vor mehr als zwanzig Jahren erschienene Buch "Stierkampf in Wort und Bild" von Georg Hensel kaum zuverlässige informative Literatur.

"Der Tod des Stiers" von Karl Braun beschränkt sich nicht darauf, den Stierkampf - oder, wie der Autor mit guten Gründen sagt, Stierlauf - zu erklären. "Fest und Ritual in Spanien" heißt der Untertitel, und der Klappentext verspricht, "uns eine fremde, archaisch anmutende Kultur zu erschließen". Das ist dem Ethnologen Braun nicht so recht gelungen. Doch enthält das Buch gleich nach dem "prähistorischen Exkurs über Stier und Göttin" und dem Kapitel "Volkskultur im Aufbruch" einen nützlichen Teil mit der Überschrift "Corrida in der Arena". Da wird sachlich und präzise beschrieben, was in den einzelnen Teilen der Corida zu geschehen hat und warum. Wer Hensels Buch nicht mehr findet, kann sich bei Braun vor dem Besuch eines Stierkampfs das dafür nützliche Detailwissen beschaffen.

Die vielen übrigen Seiten des Buches handeln auch vom Stierkampf, den Mythen, Legenden und Traditionen um den so wichtigen und von den meisten Spaniern sehr geschätzten Stier, den "toro bravo". Daneben aber auch von vielen anderen Dingen wie volkstümlichen Überlieferungen von populären Versen, etwa über die "serrana", die männerfressende und männermordende Bergfrau, oder von dem umstrittenen Dogma der unbefleckten Empfängnis. Über die historische Entwicklung vom adligen Stierfest zur klassenlosen, allen Volksschichten dargebotenen modernen Corrida schreibt Braun viel Zutreffendes. Doch erweckt der Band den Eindruck einer wenig geordneten Materialsammlung, eines Sammelsuriums von Beschreibungen, Gedanken, Interpretationen von Volksbräuchen und geschichtlichen Erklärungen. 315 Fußnoten und neun Seiten Bibliographie künden vom Fleiß des Autors. Doch selbst dem gutwilligen und am Thema interessierten Leser wird eine flüssige Lektüre schwergemacht: vom Durcheinander in der Anlage des Buches ebenso wie vom manchmal recht schwerfälligen Schreibstil Brauns. Fehler bei manchen spanischen Namen ("Tajuna, San Augustín") und Fehlgriffe im Ausdruck (etwa wenn Braun von "fanatischer Muttergottesverehrung" spricht) sind selten, doch ärgerlich. WALTER HAUBRICH

Karl Braun: "Der Tod des Stiers". Fest und Ritual in Spanien. Verlag C. H. Beck, München 1997. 244 S., 42 Abb., geb., 48,- DM.

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