Yasushi Inoues historischer Roman führt uns ins Japan des ausgehenden 16., beginnenden 17. Jahrhunderts. Es ist die Zeit der Shogune und der Samurai.
Der geheimnisumwitterte Tod des berühmten Teemeisters Sen no Riky-u (1522-1591), des Begründers der japanischen Teezeremonie, gibt bis heute Anlaß zu Spekulationen. Als Meister Riky-u im Alter von 69 Jahren als offizieller Teemeister auf dem Höhepunkt seines Ruhms steht, begeht er Selbstmord. Den Befehl dazu erhielt er von dem Kriegsherrn Hideyoshi, in dessen Diensten er stand.
Weigerte sich Sen no Riky-u, seine der Einfachheit verpflichtete Kunst als politisches Machtinstrument mißbrauchen zu lassen? Oder sollte mit dem Tod des Teemeisters die höchste Stufe der Vollendung der Teezeremonie erreicht werden?
Riky-us Schüler, der Mönch Honkaku, zieht sich nach dem Tod seines Meisters in die Einsamkeit zurück und beginnt, nach den Hintergründen der mysteriösen Selbsttötung zu forschen. In einem Tagebuch zeichnet er die Chronologie der Ereignisse nach, spürt Intrigen und geheime Machenschaften auf ...
Der Tod des Teemeisters, erschienen 1981, ist eines der wichtigsten Werke Inoues. Es gilt als eine Art künstlerisches Vermächtnis. Wie schon in seiner frühen Erzählung Das Jagdgewehr zeigt er sich auch hier als großartiger Geschichtenerzähler, der es meisterhaft versteht, ahistorische Themen wie den Widerspruch zwischen Individuum und Gesellschaft, den Konflikt zwischen Pflichterfüllung und eigener Überzeugung sowie zwischen Kunst und Leben zu veranschaulichen.
Der geheimnisumwitterte Tod des berühmten Teemeisters Sen no Riky-u (1522-1591), des Begründers der japanischen Teezeremonie, gibt bis heute Anlaß zu Spekulationen. Als Meister Riky-u im Alter von 69 Jahren als offizieller Teemeister auf dem Höhepunkt seines Ruhms steht, begeht er Selbstmord. Den Befehl dazu erhielt er von dem Kriegsherrn Hideyoshi, in dessen Diensten er stand.
Weigerte sich Sen no Riky-u, seine der Einfachheit verpflichtete Kunst als politisches Machtinstrument mißbrauchen zu lassen? Oder sollte mit dem Tod des Teemeisters die höchste Stufe der Vollendung der Teezeremonie erreicht werden?
Riky-us Schüler, der Mönch Honkaku, zieht sich nach dem Tod seines Meisters in die Einsamkeit zurück und beginnt, nach den Hintergründen der mysteriösen Selbsttötung zu forschen. In einem Tagebuch zeichnet er die Chronologie der Ereignisse nach, spürt Intrigen und geheime Machenschaften auf ...
Der Tod des Teemeisters, erschienen 1981, ist eines der wichtigsten Werke Inoues. Es gilt als eine Art künstlerisches Vermächtnis. Wie schon in seiner frühen Erzählung Das Jagdgewehr zeigt er sich auch hier als großartiger Geschichtenerzähler, der es meisterhaft versteht, ahistorische Themen wie den Widerspruch zwischen Individuum und Gesellschaft, den Konflikt zwischen Pflichterfüllung und eigener Überzeugung sowie zwischen Kunst und Leben zu veranschaulichen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.06.2007Die Vollkommenheit des Unvollkommenen
Japan um 1600: Yasushi Inoues historischer Roman „Der Tod des Teemeisters”
Warum nur hat der Teemeister Rikyû, 69 Jahre alt und angesehenster Vertreter seines Metiers, Harakiri begangen? Sicher, es war ihm vom Großfürsten Hideyoshi, seinem Patron, so befohlen worden – aber das hätte er leicht durch ein Gnadengesuch abwenden können. Und warum hat nun wiederum dieser den Befehl dazu gegeben? War es der Umstand, dass Rikyû Tee-Accessoires zu teuer verkauft oder gar sein eigenes Standbild an einer Tempelpforte errichtet haben soll (was er übrigens nie getan hätte)? Oder hängt es mit einer kritischen, über mehrere Ecken kolportierten Bemerkung des Teemeisters über Hideyoshis geplanten Feldzug gegen Korea zusammen? Jahrzehntelang und vergebens forscht Rikyûs Schüler Honkakubô, der Chronist dieses schmalen Bandes, dem Rätsel nach – bis ihm im Traum eine Vision seines Meisters erscheint, wie er sich bei seinem Fürsten für das Urteil wie für ein Geschenk bedankt.
Es ist eine uns sehr fremde Welt, die der 1991 verstorbene Yasushi Inoue im „Tod des Teemeisters” erstehen lässt. Der Roman (wenn man das Buch denn, wie der Verlag es tut, als solchen bezeichnen will) spielt in Japan um 1600, einer unruhigen und gewalttätigen, aber für dieses Land auch sehr folgenreichen Zeit, die den Übergang aus feudalen Verhältnissen zu einem neuzeitlichen Zentralstaat einleitet; Fürst Hideyoshi hat dabei zeitweilig die entscheidende Rolle inne. Ins Zentrum des Buchs dringt das alles nicht vor. Dort regiert die Teezeremonie. Einem japanischen Leser muss man ihre Bedeutung vermutlich nicht erläutern; dem Europäer jedoch bleibt, trotz angefügten Glossars, vieles, ja das Meiste unklar. Man muss sie sich von äußerster Schlichtheit und dennoch äußerster Eleganz denken, dabei durchaus stilistischen Wandlungen unterworfen; Meister Rikyû hat seine eigene Ästhetik, „Wabi” genannt, geschaffen, in der das Raue, Asymmetrische und Unvollkommene den früheren Glanz ablöste. Das Unvollkommene ist vollkommener als das Vollkommene. Zum Zeremoniell gehört, dass eine Schriftrolle mit einem einzelnen Zeichen oder einem Gedicht an die Wand gehängt wird, zum Beispiel dem folgenden: „Blätter fallen von den Zweigen, / Die Luft im Spätherbst ist kühl und rein. / Der edle Gelehrte schickt sich an, den Zentempel zu verlassen. / Ihr, die ihr in menschenleere Gegenden aufbrecht, kehrt eilends zurück, / und erzählt uns, was Euer Herz im Innersten bewegt.”
Jedem Ding sein eigener Name
Ist das ein gutes Gedicht? Um das zu bewerten, fehlt uns jeder Maßstab. So viel zumindest ahnen wir, dass es sich in einem völlig anderen Raum bewegt als unsere Lyrik. Die Grenzen des Begreifens rühren nicht von dieser oder jener sprachlichen Schwierigkeit her, sondern davon, dass in diesem Land der bloße Akt, den Mund aufzutun und zu sprechen, wohl anderes und mehr bedeutet als bei uns. Jeder Gegenstand, der hier Verwendung findet, heißt; und zwar nicht im allgemeinen, sondern als unschätzbares Einzelstück, zum Beispiel der Spülwasserbehälter Takutsubo. Nur mit Mühe wehrt der Westler die erheiternde Assoziation zu den namentragenden Klobürstenhalterungen bei Ikea ab: die Heiterkeit, die aus dem Gebrauch der Tee-Utensilien erwächst, ist anderer Art. Diese Gerätschaften gleichen edlen Menschen, und, wie eine Person im Buch sagt, sie weinen, wenn ihr Besitzer ein ungehobelter Klotz ist.
Es gibt Bücher aus fremden Sprachen, bei denen kann auch die beste Übersetzung kein Verständnis und keine Nähe vermitteln; darum soll sie es gar nicht erst versuchen, sondern sich eine andere Aufgabe stellen. Ursula Gräfes schnörkelloser deutscher Text sagt dem Leser eben genug, dass er versteht: Hier liegt alles offen vor seinen Augen, nichts versteckt sich, und trotzdem wird er es nicht sehen. Im Zeitalter der Globalisierung ist es nicht überflüssig, daran zu erinnern, dass es so etwas gibt.
Die schweigende Duldung dieses Zustands ist sozusagen die europamögliche Annäherung ans Zen. Am besten wird der westliche Leser fahren, wenn er die Fremdheit des Teezeremoniells als ein Gleichnis auf die Kultur überhaupt nimmt. Diese spezielle Kultur, bei aller sonstigen Verschiedenheit, ähnelt seiner eigenen jedenfalls in dem einen Punkt, dass sie alle Religion in sich verschlungen hat und darüber zu etwas noch Kostbarerem und Unersetzlicherem geworden ist. (Wenigstens erfährt man nicht, was in diesen Tempeln außer dem Teetrinken noch getrieben würde.)
Kultur tut im Grunde nichts weiter, als irgendein gleichgültiges Nichts von Materie – das können die Stimmbänder einer Opern-Diva sein oder eben ein Spülwasserbehälter aus Ton – so weit aufzurauen, dass die Phantasie daran haften kann; dies aber gründlich. Und unter der Pracht des strömenden und wachsenden Behangs erkennt ein Außenstehender schon bald nur noch das Missverhältnis zum veranlassenden Gegenstand. Das Resultat mag ihm wahllos scheinen; doch wird er nachdenklich durch dessen Nähe zum Tod. Ungezählte Krieger lassen sich von Meister Rikyû den Tee bereiten, bevor sie in eine Schlacht ziehen, aus der sie, wie sie wissen, nicht wiederkehren werden; zwei weitere Teemeister erhalten den Befehl zum Harakiri. Übrigens wird in dem Buch kein einziges Mal eine Frau erwähnt. BURKHARD MÜLLER
YASUSHI INOUE: Der Tod des Teemeisters. Roman. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 169 Seiten, 19,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Japan um 1600: Yasushi Inoues historischer Roman „Der Tod des Teemeisters”
Warum nur hat der Teemeister Rikyû, 69 Jahre alt und angesehenster Vertreter seines Metiers, Harakiri begangen? Sicher, es war ihm vom Großfürsten Hideyoshi, seinem Patron, so befohlen worden – aber das hätte er leicht durch ein Gnadengesuch abwenden können. Und warum hat nun wiederum dieser den Befehl dazu gegeben? War es der Umstand, dass Rikyû Tee-Accessoires zu teuer verkauft oder gar sein eigenes Standbild an einer Tempelpforte errichtet haben soll (was er übrigens nie getan hätte)? Oder hängt es mit einer kritischen, über mehrere Ecken kolportierten Bemerkung des Teemeisters über Hideyoshis geplanten Feldzug gegen Korea zusammen? Jahrzehntelang und vergebens forscht Rikyûs Schüler Honkakubô, der Chronist dieses schmalen Bandes, dem Rätsel nach – bis ihm im Traum eine Vision seines Meisters erscheint, wie er sich bei seinem Fürsten für das Urteil wie für ein Geschenk bedankt.
Es ist eine uns sehr fremde Welt, die der 1991 verstorbene Yasushi Inoue im „Tod des Teemeisters” erstehen lässt. Der Roman (wenn man das Buch denn, wie der Verlag es tut, als solchen bezeichnen will) spielt in Japan um 1600, einer unruhigen und gewalttätigen, aber für dieses Land auch sehr folgenreichen Zeit, die den Übergang aus feudalen Verhältnissen zu einem neuzeitlichen Zentralstaat einleitet; Fürst Hideyoshi hat dabei zeitweilig die entscheidende Rolle inne. Ins Zentrum des Buchs dringt das alles nicht vor. Dort regiert die Teezeremonie. Einem japanischen Leser muss man ihre Bedeutung vermutlich nicht erläutern; dem Europäer jedoch bleibt, trotz angefügten Glossars, vieles, ja das Meiste unklar. Man muss sie sich von äußerster Schlichtheit und dennoch äußerster Eleganz denken, dabei durchaus stilistischen Wandlungen unterworfen; Meister Rikyû hat seine eigene Ästhetik, „Wabi” genannt, geschaffen, in der das Raue, Asymmetrische und Unvollkommene den früheren Glanz ablöste. Das Unvollkommene ist vollkommener als das Vollkommene. Zum Zeremoniell gehört, dass eine Schriftrolle mit einem einzelnen Zeichen oder einem Gedicht an die Wand gehängt wird, zum Beispiel dem folgenden: „Blätter fallen von den Zweigen, / Die Luft im Spätherbst ist kühl und rein. / Der edle Gelehrte schickt sich an, den Zentempel zu verlassen. / Ihr, die ihr in menschenleere Gegenden aufbrecht, kehrt eilends zurück, / und erzählt uns, was Euer Herz im Innersten bewegt.”
Jedem Ding sein eigener Name
Ist das ein gutes Gedicht? Um das zu bewerten, fehlt uns jeder Maßstab. So viel zumindest ahnen wir, dass es sich in einem völlig anderen Raum bewegt als unsere Lyrik. Die Grenzen des Begreifens rühren nicht von dieser oder jener sprachlichen Schwierigkeit her, sondern davon, dass in diesem Land der bloße Akt, den Mund aufzutun und zu sprechen, wohl anderes und mehr bedeutet als bei uns. Jeder Gegenstand, der hier Verwendung findet, heißt; und zwar nicht im allgemeinen, sondern als unschätzbares Einzelstück, zum Beispiel der Spülwasserbehälter Takutsubo. Nur mit Mühe wehrt der Westler die erheiternde Assoziation zu den namentragenden Klobürstenhalterungen bei Ikea ab: die Heiterkeit, die aus dem Gebrauch der Tee-Utensilien erwächst, ist anderer Art. Diese Gerätschaften gleichen edlen Menschen, und, wie eine Person im Buch sagt, sie weinen, wenn ihr Besitzer ein ungehobelter Klotz ist.
Es gibt Bücher aus fremden Sprachen, bei denen kann auch die beste Übersetzung kein Verständnis und keine Nähe vermitteln; darum soll sie es gar nicht erst versuchen, sondern sich eine andere Aufgabe stellen. Ursula Gräfes schnörkelloser deutscher Text sagt dem Leser eben genug, dass er versteht: Hier liegt alles offen vor seinen Augen, nichts versteckt sich, und trotzdem wird er es nicht sehen. Im Zeitalter der Globalisierung ist es nicht überflüssig, daran zu erinnern, dass es so etwas gibt.
Die schweigende Duldung dieses Zustands ist sozusagen die europamögliche Annäherung ans Zen. Am besten wird der westliche Leser fahren, wenn er die Fremdheit des Teezeremoniells als ein Gleichnis auf die Kultur überhaupt nimmt. Diese spezielle Kultur, bei aller sonstigen Verschiedenheit, ähnelt seiner eigenen jedenfalls in dem einen Punkt, dass sie alle Religion in sich verschlungen hat und darüber zu etwas noch Kostbarerem und Unersetzlicherem geworden ist. (Wenigstens erfährt man nicht, was in diesen Tempeln außer dem Teetrinken noch getrieben würde.)
Kultur tut im Grunde nichts weiter, als irgendein gleichgültiges Nichts von Materie – das können die Stimmbänder einer Opern-Diva sein oder eben ein Spülwasserbehälter aus Ton – so weit aufzurauen, dass die Phantasie daran haften kann; dies aber gründlich. Und unter der Pracht des strömenden und wachsenden Behangs erkennt ein Außenstehender schon bald nur noch das Missverhältnis zum veranlassenden Gegenstand. Das Resultat mag ihm wahllos scheinen; doch wird er nachdenklich durch dessen Nähe zum Tod. Ungezählte Krieger lassen sich von Meister Rikyû den Tee bereiten, bevor sie in eine Schlacht ziehen, aus der sie, wie sie wissen, nicht wiederkehren werden; zwei weitere Teemeister erhalten den Befehl zum Harakiri. Übrigens wird in dem Buch kein einziges Mal eine Frau erwähnt. BURKHARD MÜLLER
YASUSHI INOUE: Der Tod des Teemeisters. Roman. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 169 Seiten, 19,80 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.2007Lesen und Tee trinken
Yasushi Inoues große japanische Historienromane sind zu entdecken
Yasushi Inoue ist ein Literat der Kargheit und ästhetischen Kälte, ein Reduktionskünstler und Meister der nihilistisch-fatalistisch grundierten Erzählprosa. Werke wie "Die Eiswand" oder "Schwarze Flut" spiegeln sein von einer langjährigen Tätigkeit als Journalist geprägtes, sich nüchtern vorantastendes, an gesellschaftlichen Abgründen entlanghangelndes Schreiben wider. Sein scheinbar unambitioniert unterkühlter, dabei analytisch sezierender Stil macht den in Asahikawa im schneereichen nordjapanischen Hokkaidô geborenen Romancier und Lyriker zu einem der in Deutschland vielgelesenen japanischen Nachkriegsautoren und zu einem der großen Vergessenen in der Geschichte des Nobelpreises.
Zum hundertsten Geburtstag, den Yasushi Inoue am kommenden Sonntag gefeiert hätte, wurde nun im Suhrkamp Verlag das Werk "Der Tod des Teemeisters" erstmals ins Deutsche übertragen. Inoues in Japan 1981 unter dem Titel "Nachgelassene Schriften des Priesters Honkaku" erschienener historischer Roman führt den Leser in das Japan um 1600, in die Zeit der Kriegswirren und Kämpfe zwischen rivalisierenden Feudalherren während der Landeseinigung. Der Begründer der japanischen Teezeremonie, Sen no Rikyû (1522-1591), arbeitete als Hauptteemeister in Diensten des exzentrischen Feldherrn und Reichseinigers Toyotomi Hideyoshi. Da Rikyû (sein buddhistischer Name war Sôeki) bei den meisten offiziellen Audienzen zugegen war, übernahm er zugleich die Rolle eines Unterhändlers und Vertrauten in politischen und militärischen Fragen. Aus bis heute ungeklärten Gründen - vermutet werden Rikyûs Kritik am Korea-Feldzug Hideyoshis oder die Weigerung, diesem seine Tochter zu geben - fiel Rikyû in Ungnade; Hideyoshi befahl ihm den als ehrenvoll erachteten Freitod.
In Form eines imaginären Tagebuchs eines realen Schülers Rikyûs namens Honkaku, der nach dem Tod seines Meisters Mönch wurde, rekonstruiert der Roman Rikyûs letzten Lebensabschnitt bis hin zur Frage, warum Rikyû ein spätes Gnadenangebot Hideyoshis ablehnte. Auf nicht ganz unproblematische Weise verwischen sich Wirklichkeit und Fiktion: Das Tagebuch enthält über einen Zeitraum von dreißig Jahren nach Rikyûs Tod Schilderungen von Begegnungen Honkakus mit Persönlichkeiten und Bekanntschaften Rikyûs aus der Politik und Teewelt, Dialoge zwischen Schüler und Meister, Träume und Fieberphantasien. Die Suche des Helden bis hin zur Selbstaufgabe im Sinne eines "Lebenswerks" durchzieht - wie in "Die Berg-Azaleen auf dem Hira-Gipfel" oder "Die Höhlen von Dun-huang" - als fixe Idee Inoues Schreiben. Seine unter der brüchigen konventionellen Oberfläche destruktiven Geschichten erzählen von Ästhetik und Radikalität, vom Selbstverlorensein und Weiterleben im Ewigkeitsgedanken der Kunst. In der Tat scheint der Einfluss des im sechzehnten Jahrhundert ausgebildeten Teekults auf Architektur, Gartenkunst, Keramik oder Literatur bis in die heutige Zeit nachzuwirken. So verinnerlichen auch Inoues wohlkalkulierte Sprachbewegungen die Schönheit der Schlichtheit und den hinter der Kargheit des Ausdrucks verborgenen Mehrwert.
Mit einer an das Haiku erinnernden Intensität lässt Inoue die klingende Stille des Teeraums und das Sinnkonzentrat der Gesten, Gefäße und Gerätschaften fühlbar werden, wenn er etwa über "das unablässig knisternde und zischende Kohlebecken, das an das Säuseln von Kiefern im Wind erinnert", sinniert. Inoues expressives Spätwerk enthält einige solcher Bilder von großer Unmittelbarkeit und zenbuddhistischer Eindringtiefe wie das Motiv des aufrecht im Boot sitzenden Meisters am Tag seiner Verbannung beim Ablegen vom Yodo-Fluss. Wie in vielen anderen Romanen vollziehen sich Vergegenwärtigung der Vergangenheit und Annäherung an historische Personen über einen randständigen Chronisten. Dabei strukturieren die Teezeremonien, bei denen Honkaku assistiert, die Romanhandlung als Ruhepole und Auszeiten kontrapunktisch zum äußeren Kriegsgeschehen, zumal Samurai beim Betreten eines Teeraums ihre Schwerter ablegen mussten.
Inoues Roman ist ein auf den westlichen Leser zuweilen etwas pathetisch wirkender, aber die zeitgenössische Ethik und Ästhetik suggestivkräftig evozierender Abgesang auf die traditionelle japanische Kultur und die ausgehende Epoche kriegerisch aktiver Samurai vor der rund 250 Jahre währenden Pax Tokugawa, als mit der Machtübernahme der Tokugawa-Dynastie (1603 bis 1868) das Land endgültig geeinigt und befriedet wurde. Konträr zum vordergründig pazifistischen Charakter des Teetrinkens gewährt das Buch Einblicke in die Geschichte des japanischen Teewegs (chadô) im Spannungsfeld von Pflichterfüllung und Spiritualität, politischen Machenschaften und Weltentsagung.
Das Kammerspiel um Tee und Tod, Kunst und Gunst findet in der legendären letzten Teezeremonie Rikyûs, bei der der Tod "Gast und Gastgeber zugleich" war, seinen melodramatischen Höhepunkt. Im fiktiven Schlussdialog zwischen dem Kriegsherrn Hideyoshi und seinem Teemeister vereinigen sich schließlich raffiniert die Erzählstränge und Bewusstseinswege des Teekultes und Samuraigeistes, die Rikyûs "einsames kaltes Schicksal" vorzeichnen: "Ich sehe die vielen berühmten Krieger unserer Zeit, die gesammelten Geistes vor mir saßen", erinnert sich der Teemeister im Angesicht des Todes. "Ich, Sôeki, dagegen verließ mich auf die Macht Eurer Exzellenz und entfernte mich damit am weitesten vom Teeweg." Ein letztes Mal wird er "ruhig an Ort und Stelle den Tee bereiten und nicht daran denken, seinem Schicksal zu entfliehen".
Während der Roman also in immer neuen Einkreisungsbewegungen die Essenz des Teewegs und der japanischen Kultur zu ergründen sucht, vermisst der Leser ein Nachwort zur Erläuterung und historischen Einordnung der Personen, Schlachten und zenbuddhistischen Begriffe. Was beim "Teemeister" noch fehlt, wurde nun bei der Geburtstagsneuauflage des Klassikers "Das Jagdgewehr" (1949) nachgeholt: Cees Nooteboom erinnert die "Tonalität der Emotionen" in Inoues Schilderung eines gesellschaftlich erfolgreichen, aber bindungsunfähigen Mannes im Wechsel der Perspektiven und brieflichen Stimmen an wohlkomponierte Kammermusik.
Dass nicht nur Tee-Setzlinge aus China nach Japan eingebracht wurden, sondern auch buddhistische Lehren und chinesisches Verwaltungsrecht, zeigt schließlich der ebenfalls neu aufgelegte historische Roman "Das Tempeldach" (1957), der die Bildungsreisen japanischer Gelehrter nach China im achten Jahrhundert thematisiert.
STEFFEN GNAM.
Yasushi Inoue: "Der Tod des Teemeisters". Roman. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Suhrkamp Verlag, Frank-furt am Main 2007. 176 S., geb., 19,80 [Euro].
Yasushi Inoue: "Das Jagdgewehr". Roman. Aus dem Japanischen von Oscar Benl. Mit einem Nachwort von Cees Nooteboom. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 100 S., geb., 8,- [Euro].
Yasushi Inoue: "Das Tempeldach". Ein historischer Roman. Übertragung aus dem Japanischen und Nachwort von Oscar Benl. Bibliothek Suhrkamp 709. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007 (4. Auflage). 215 S., br., 14,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Yasushi Inoues große japanische Historienromane sind zu entdecken
Yasushi Inoue ist ein Literat der Kargheit und ästhetischen Kälte, ein Reduktionskünstler und Meister der nihilistisch-fatalistisch grundierten Erzählprosa. Werke wie "Die Eiswand" oder "Schwarze Flut" spiegeln sein von einer langjährigen Tätigkeit als Journalist geprägtes, sich nüchtern vorantastendes, an gesellschaftlichen Abgründen entlanghangelndes Schreiben wider. Sein scheinbar unambitioniert unterkühlter, dabei analytisch sezierender Stil macht den in Asahikawa im schneereichen nordjapanischen Hokkaidô geborenen Romancier und Lyriker zu einem der in Deutschland vielgelesenen japanischen Nachkriegsautoren und zu einem der großen Vergessenen in der Geschichte des Nobelpreises.
Zum hundertsten Geburtstag, den Yasushi Inoue am kommenden Sonntag gefeiert hätte, wurde nun im Suhrkamp Verlag das Werk "Der Tod des Teemeisters" erstmals ins Deutsche übertragen. Inoues in Japan 1981 unter dem Titel "Nachgelassene Schriften des Priesters Honkaku" erschienener historischer Roman führt den Leser in das Japan um 1600, in die Zeit der Kriegswirren und Kämpfe zwischen rivalisierenden Feudalherren während der Landeseinigung. Der Begründer der japanischen Teezeremonie, Sen no Rikyû (1522-1591), arbeitete als Hauptteemeister in Diensten des exzentrischen Feldherrn und Reichseinigers Toyotomi Hideyoshi. Da Rikyû (sein buddhistischer Name war Sôeki) bei den meisten offiziellen Audienzen zugegen war, übernahm er zugleich die Rolle eines Unterhändlers und Vertrauten in politischen und militärischen Fragen. Aus bis heute ungeklärten Gründen - vermutet werden Rikyûs Kritik am Korea-Feldzug Hideyoshis oder die Weigerung, diesem seine Tochter zu geben - fiel Rikyû in Ungnade; Hideyoshi befahl ihm den als ehrenvoll erachteten Freitod.
In Form eines imaginären Tagebuchs eines realen Schülers Rikyûs namens Honkaku, der nach dem Tod seines Meisters Mönch wurde, rekonstruiert der Roman Rikyûs letzten Lebensabschnitt bis hin zur Frage, warum Rikyû ein spätes Gnadenangebot Hideyoshis ablehnte. Auf nicht ganz unproblematische Weise verwischen sich Wirklichkeit und Fiktion: Das Tagebuch enthält über einen Zeitraum von dreißig Jahren nach Rikyûs Tod Schilderungen von Begegnungen Honkakus mit Persönlichkeiten und Bekanntschaften Rikyûs aus der Politik und Teewelt, Dialoge zwischen Schüler und Meister, Träume und Fieberphantasien. Die Suche des Helden bis hin zur Selbstaufgabe im Sinne eines "Lebenswerks" durchzieht - wie in "Die Berg-Azaleen auf dem Hira-Gipfel" oder "Die Höhlen von Dun-huang" - als fixe Idee Inoues Schreiben. Seine unter der brüchigen konventionellen Oberfläche destruktiven Geschichten erzählen von Ästhetik und Radikalität, vom Selbstverlorensein und Weiterleben im Ewigkeitsgedanken der Kunst. In der Tat scheint der Einfluss des im sechzehnten Jahrhundert ausgebildeten Teekults auf Architektur, Gartenkunst, Keramik oder Literatur bis in die heutige Zeit nachzuwirken. So verinnerlichen auch Inoues wohlkalkulierte Sprachbewegungen die Schönheit der Schlichtheit und den hinter der Kargheit des Ausdrucks verborgenen Mehrwert.
Mit einer an das Haiku erinnernden Intensität lässt Inoue die klingende Stille des Teeraums und das Sinnkonzentrat der Gesten, Gefäße und Gerätschaften fühlbar werden, wenn er etwa über "das unablässig knisternde und zischende Kohlebecken, das an das Säuseln von Kiefern im Wind erinnert", sinniert. Inoues expressives Spätwerk enthält einige solcher Bilder von großer Unmittelbarkeit und zenbuddhistischer Eindringtiefe wie das Motiv des aufrecht im Boot sitzenden Meisters am Tag seiner Verbannung beim Ablegen vom Yodo-Fluss. Wie in vielen anderen Romanen vollziehen sich Vergegenwärtigung der Vergangenheit und Annäherung an historische Personen über einen randständigen Chronisten. Dabei strukturieren die Teezeremonien, bei denen Honkaku assistiert, die Romanhandlung als Ruhepole und Auszeiten kontrapunktisch zum äußeren Kriegsgeschehen, zumal Samurai beim Betreten eines Teeraums ihre Schwerter ablegen mussten.
Inoues Roman ist ein auf den westlichen Leser zuweilen etwas pathetisch wirkender, aber die zeitgenössische Ethik und Ästhetik suggestivkräftig evozierender Abgesang auf die traditionelle japanische Kultur und die ausgehende Epoche kriegerisch aktiver Samurai vor der rund 250 Jahre währenden Pax Tokugawa, als mit der Machtübernahme der Tokugawa-Dynastie (1603 bis 1868) das Land endgültig geeinigt und befriedet wurde. Konträr zum vordergründig pazifistischen Charakter des Teetrinkens gewährt das Buch Einblicke in die Geschichte des japanischen Teewegs (chadô) im Spannungsfeld von Pflichterfüllung und Spiritualität, politischen Machenschaften und Weltentsagung.
Das Kammerspiel um Tee und Tod, Kunst und Gunst findet in der legendären letzten Teezeremonie Rikyûs, bei der der Tod "Gast und Gastgeber zugleich" war, seinen melodramatischen Höhepunkt. Im fiktiven Schlussdialog zwischen dem Kriegsherrn Hideyoshi und seinem Teemeister vereinigen sich schließlich raffiniert die Erzählstränge und Bewusstseinswege des Teekultes und Samuraigeistes, die Rikyûs "einsames kaltes Schicksal" vorzeichnen: "Ich sehe die vielen berühmten Krieger unserer Zeit, die gesammelten Geistes vor mir saßen", erinnert sich der Teemeister im Angesicht des Todes. "Ich, Sôeki, dagegen verließ mich auf die Macht Eurer Exzellenz und entfernte mich damit am weitesten vom Teeweg." Ein letztes Mal wird er "ruhig an Ort und Stelle den Tee bereiten und nicht daran denken, seinem Schicksal zu entfliehen".
Während der Roman also in immer neuen Einkreisungsbewegungen die Essenz des Teewegs und der japanischen Kultur zu ergründen sucht, vermisst der Leser ein Nachwort zur Erläuterung und historischen Einordnung der Personen, Schlachten und zenbuddhistischen Begriffe. Was beim "Teemeister" noch fehlt, wurde nun bei der Geburtstagsneuauflage des Klassikers "Das Jagdgewehr" (1949) nachgeholt: Cees Nooteboom erinnert die "Tonalität der Emotionen" in Inoues Schilderung eines gesellschaftlich erfolgreichen, aber bindungsunfähigen Mannes im Wechsel der Perspektiven und brieflichen Stimmen an wohlkomponierte Kammermusik.
Dass nicht nur Tee-Setzlinge aus China nach Japan eingebracht wurden, sondern auch buddhistische Lehren und chinesisches Verwaltungsrecht, zeigt schließlich der ebenfalls neu aufgelegte historische Roman "Das Tempeldach" (1957), der die Bildungsreisen japanischer Gelehrter nach China im achten Jahrhundert thematisiert.
STEFFEN GNAM.
Yasushi Inoue: "Der Tod des Teemeisters". Roman. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Suhrkamp Verlag, Frank-furt am Main 2007. 176 S., geb., 19,80 [Euro].
Yasushi Inoue: "Das Jagdgewehr". Roman. Aus dem Japanischen von Oscar Benl. Mit einem Nachwort von Cees Nooteboom. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 100 S., geb., 8,- [Euro].
Yasushi Inoue: "Das Tempeldach". Ein historischer Roman. Übertragung aus dem Japanischen und Nachwort von Oscar Benl. Bibliothek Suhrkamp 709. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007 (4. Auflage). 215 S., br., 14,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Steffen Gnam bezeichnet diesen erstmals auf Deutsch erscheinenden Roman des "Reduktionskünstlers" Yasushi Inoue griffig als "Kammerspiel um Tee und Tod". Die um 1600 in Japan angesiedelte Geschichte des Teemeisters Sen no Rikyu, in der Gnam auch einen Abgesang auf politische und kulturelle Traditionen Japans erkennt, findet er in ihrer Realität und Fiktion vermengenden Art zwar "nicht ganz unproblematisch". Für bemerkenswert hält er aber, was der Text unter der Oberfläche zu bieten hat: "Ästhetik und Radikalität". Topoi, die der Autor laut Gnam sprachintensiv und suggestiv, vergleichbar einem Haiku, in Szene setzt, so dass sich der Rezensent bei einer Teezeremonie wähnt, herausgerissen nur durch den kontrapunktischen Wechsel zwischen Zenbuddhismus und historischem Kampfgeschehen während der japanischen Landeseinigung. Das bisschen Melodramatik des Romans steckt Gnam locker weg, zumal schließlich "Erzählstränge und Bewusstseinswege", Samurai und Teetrinker vereint sind. Ein Nachwort mit historischen Hinweisen hat Gnam allerdings vermisst.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Man ... freut sich, dass ... auch noch Literatur aus diesem Land gelesen wird, die nirgendwo anders als in Japan spielen könnte und den westlichen Leser mit großem kulturellem Befremden allein lässt. Wie kann man ein Leben lang lernen, Tee zu kochen?« taz. die tageszeitung