Der Mord an dem spanischen Übersetzer von »Manhattan Transfer« erregte im Jahr 1937 großes Aufsehen. John Dos Passos und Robles kannten sich seit 1916 und waren eng befreundet. Robles, der als glühender Republikaner im Jahr 1936 der Regierung sofort seine Mitarbeit anbot, wurde kurze Zeit später in Valencia vom sowjetischen Geheimdienst festgenommen und verschwand. Als Dos Passos davon erfuhr, setzte er alle Hebel in Bewegung, stieß aber nur auf verschlossene Türen. An dieser Tragödie zerbrach nicht nur Dos Passos' Glaube an die Republik, sondern auch seine Freundschaft zu Hemingway, der immer noch für sie eintrat. In seinem hervorragend recherchierten und mit Verve erzählten Buch beleuchtet Martínez de Pisón ein dunkles Kapitel der spanischen Geschichte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2007Der lange Arm des Stalinismus
Ignacio Martínez de Pisón sucht mit John Dos Passos einen Mörder
Als der amerikanische Schriftsteller John Dos Passos (1896 bis 1970), Sohn eines Anwalts portugiesischer Abstammung, 1916 erstmals die Iberische Halbinsel bereiste, kam er auf einer Eisenbahnfahrt dritter Klasse mit einem Spanier namens José Robles ins Gespräch. Die jungen Männer freundeten sich an und blieben auch in den folgenden Jahren miteinander in Kontakt. Robles, der Literaturwissenschaften studierte, interessierte sich für eine Lehrtätigkeit in Amerika, die er schließlich an der Johns Hopkins University in Baltimore erhielt.
Nachdem er 1927 für eine spanische Zeitschrift Dos Passos' Roman "Manhattan Transfer" rezensiert hatte, nahm er die Mühe auf sich, das Buch seines Freundes ins Spanische zu übersetzen. Dos Passos wiederum verfolgte von der Ostküste aus aufmerksam die spanischsprachige Literatur und zählte vermutlich zu den frühesten amerikanischen Lesern eines jungen argentinischen Poeten namens Jorge Luis Borges. Die Freundschaft zwischen Robles und Dos Passos währte zwanzig Jahre, mit regem brieflichem Austausch und gegenseitigen Besuchen. Dann, im Sommer 1936, brach der Spanische Bürgerkrieg aus. Aufgrund der anhaltenden Bombardierungen Madrids durch die Nationalisten wurde der Regierungssitz nach Valencia verlegt. Dort stellte sich José Robles, der auch Russisch beherrschte, dem spanischen Kriegsministerium und der sowjetischen Botschaft als Dolmetscher zur Verfügung. Das hätte er nicht unbedingt tun müssen; in Spanien befand er sich nur urlaubshalber. Doch als guter Republikaner sah er sich in der Pflicht.
Eines Tages, Anfang Dezember 1936, kam Robles nicht mehr nach Hause. Es hieß, er sei des Verrats angeklagt und interniert. Ob er im Café irgendwelche Geheimnisse ausgeplaudert hat oder einer Säuberung durch den stalinistischen Apparat zum Opfer fiel, dessen Arme bis nach Spanien reichten, lässt sich nicht mehr schlüssig belegen; wahrscheinlich das zweite. Womöglich wurde ein unbequemer Mitwisser innersowjetischer Machtkämpfe vorsorglich liquidiert. Der Mord, von den spanischen Behörden beharrlich beschwiegen und nirgendwo dokumentiert, trieb Robles' Frau Márgara an den Rand der Verzweiflung. Seine Kinder Coco und Miggie sahen sich gezwungen, schnellstens erwachsen zu werden. Für John Dos Passos, der erst im Frühjahr 1937, bei der Rückkehr nach Spanien, vom Tod seines Freundes erfuhr und unermüdlich Nachforschungen anstellte, bedeutete der Fall Robles den Anfang einer politischen Entzauberung, die seine Überzeugungen, seine Freundschaft zu Hemingway und am Ende auch seine literarische Karriere mit sich riss.
Ignacio Martínez de Pisón, Jahrgang 1960, einer der interessantesten Erzähler des heutigen Spanien, tastet sich in seinem Buch "Der Tod des Übersetzers" von mehreren Seiten an die Geschichte heran. Was man von Robles selbst und seinem Schicksal weiß - wenig -, trägt er zusammen; mehr als dreißig Seiten sind es nicht. Dazu kommen gut abgestützte Spekulationen, welche die Drahtzieher und genaueren Umstände der Liquidierung betreffen. Eine ebenso wichtige Rolle spielen Dos Passos' politische Bewusstwerdung und das weitere Schicksal von Robles' Familie im Exil.
Alles hängt mit allem zusammen. Der Originaltitel "Enterrar a los muertos" (Die Toten begraben) zeigt an, welche Aufgabe der Autor sich vorgenommen hat: etwas zu Ende zu führen, was unerledigt blieb oder bewusst unterschlagen wurde. Es sind solche Akte postumer Gerechtigkeit, für die man die Personalunion von Historiker und Erzähler braucht.
Im Vorbeigehen liefert das Buch einen unbequemen Appendix zu den klassischen Darstellungen des Bürgerkrieges, weil es mit aller Sympathie für die Republik den Verrat im Zentrum des Systems beschreibt, also die Schweigegebote, das Duckmäusertum einer zersplitterten spanischen Linken, bei der sich berufliche, persönliche und ideologische Motive hoffnungslos verquickt hatten. Um das übliche Gut-böse-Schema geht es dabei am allerwenigsten, denn politische Frontlinien spielen kaum eine Rolle. Der Schauplatz ist das Lager der Republikaner samt Groupies und Sympathisanten, von denen nur wenige bemerkten, wie entschlossen der NKWD die Politik der spanischen Linken manipulierte. Auch Ausländer wurden hineingezogen; es reicht der Hinweis auf George Orwell, der in seiner Reportage "Mein Katalonien" die Repression gegen die spanischen Trotzkisten beschrieben und wohl nie erfahren hat, wie knapp er der Ermordung entging.
Nach dem Bestseller "Soldaten von Salamis" von Javier Cercas ist Ignacio Martínez de Pisón ein weiterer Angehöriger der mittleren Generation, der eine isolierte Episode des Spanischen Bürgerkrieges ans Licht hebt, um sie durch detektivische Spurensuche auf bis dahin verborgene Bedeutungen zu befragen. In seiner Schilderung geht es vor allem um die reichen Graufacetten einer Geschichte, die ihre Akteure wie im Zeitraffer vor sich herjagte und dabei manche Wahrheit unter die Räder kommen ließ. Gerupft werden auch Intellektuelle, etwa der katholische Kommunist und Lorca-Herausgeber José Bergamín oder der berühmte Dichter Rafael Alberti. Ein Schriftsteller wie Francisco Ayala, der ungleich konsequenter war und heute im hundertundzweiten Lebensjahr steht, könnte die Wahrhaftigkeit dieses Berichts bezeugen. Und dass Hemingway in spanischen Dingen ein draufgängerischer Schwadroneur, John Dos Passos dagegen ein wacher Kopf und außerdem ein loyaler Freund war, auch das steht nach der engagierten Recherche des Autors fest.
Leider ist von der kühlen Eleganz, die Martínez de Pisóns Stil auszeichnet, in der deutschen Übersetzung wenig zu spüren, denn Sybille Martin hegt eine unglückliche Liebe zu Dass-Sätzen. Bei ihr heißt es nicht: "Dos Passos schreibt, er habe es getan", sondern in peinigender Systematik: "Dos Passos schreibt, dass er es getan hätte." Den falschen Konjunktiv gibt's gratis dazu. Ein Lektor hätte das mit dem dünnen Filzstift beheben können, ebenso wie die Hispanismen, deren Knochenbau man auch ohne einen Funken Spanisch auf drei Meter erkennt. Ein paar Sachfehler, die sich nicht im spanischen Original, sondern allein in der deutschen Ausgabe finden, sind so schlimm, dass man sie mit Schweigen übergehen muss. Schade. Dieses Buch hätte mehr Sorgfalt verdient gehabt.
PAUL INGENDAAY
Ignacio Martínez de Pisón: "Der Tod des Übersetzers". John Dos Passos und die Geschichte eines ungeklärten Mordes. Aus dem Spanischen übersetzt von Sybille Martin. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007. 271 S., geb., 19,95 [Euro].
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Ignacio Martínez de Pisón sucht mit John Dos Passos einen Mörder
Als der amerikanische Schriftsteller John Dos Passos (1896 bis 1970), Sohn eines Anwalts portugiesischer Abstammung, 1916 erstmals die Iberische Halbinsel bereiste, kam er auf einer Eisenbahnfahrt dritter Klasse mit einem Spanier namens José Robles ins Gespräch. Die jungen Männer freundeten sich an und blieben auch in den folgenden Jahren miteinander in Kontakt. Robles, der Literaturwissenschaften studierte, interessierte sich für eine Lehrtätigkeit in Amerika, die er schließlich an der Johns Hopkins University in Baltimore erhielt.
Nachdem er 1927 für eine spanische Zeitschrift Dos Passos' Roman "Manhattan Transfer" rezensiert hatte, nahm er die Mühe auf sich, das Buch seines Freundes ins Spanische zu übersetzen. Dos Passos wiederum verfolgte von der Ostküste aus aufmerksam die spanischsprachige Literatur und zählte vermutlich zu den frühesten amerikanischen Lesern eines jungen argentinischen Poeten namens Jorge Luis Borges. Die Freundschaft zwischen Robles und Dos Passos währte zwanzig Jahre, mit regem brieflichem Austausch und gegenseitigen Besuchen. Dann, im Sommer 1936, brach der Spanische Bürgerkrieg aus. Aufgrund der anhaltenden Bombardierungen Madrids durch die Nationalisten wurde der Regierungssitz nach Valencia verlegt. Dort stellte sich José Robles, der auch Russisch beherrschte, dem spanischen Kriegsministerium und der sowjetischen Botschaft als Dolmetscher zur Verfügung. Das hätte er nicht unbedingt tun müssen; in Spanien befand er sich nur urlaubshalber. Doch als guter Republikaner sah er sich in der Pflicht.
Eines Tages, Anfang Dezember 1936, kam Robles nicht mehr nach Hause. Es hieß, er sei des Verrats angeklagt und interniert. Ob er im Café irgendwelche Geheimnisse ausgeplaudert hat oder einer Säuberung durch den stalinistischen Apparat zum Opfer fiel, dessen Arme bis nach Spanien reichten, lässt sich nicht mehr schlüssig belegen; wahrscheinlich das zweite. Womöglich wurde ein unbequemer Mitwisser innersowjetischer Machtkämpfe vorsorglich liquidiert. Der Mord, von den spanischen Behörden beharrlich beschwiegen und nirgendwo dokumentiert, trieb Robles' Frau Márgara an den Rand der Verzweiflung. Seine Kinder Coco und Miggie sahen sich gezwungen, schnellstens erwachsen zu werden. Für John Dos Passos, der erst im Frühjahr 1937, bei der Rückkehr nach Spanien, vom Tod seines Freundes erfuhr und unermüdlich Nachforschungen anstellte, bedeutete der Fall Robles den Anfang einer politischen Entzauberung, die seine Überzeugungen, seine Freundschaft zu Hemingway und am Ende auch seine literarische Karriere mit sich riss.
Ignacio Martínez de Pisón, Jahrgang 1960, einer der interessantesten Erzähler des heutigen Spanien, tastet sich in seinem Buch "Der Tod des Übersetzers" von mehreren Seiten an die Geschichte heran. Was man von Robles selbst und seinem Schicksal weiß - wenig -, trägt er zusammen; mehr als dreißig Seiten sind es nicht. Dazu kommen gut abgestützte Spekulationen, welche die Drahtzieher und genaueren Umstände der Liquidierung betreffen. Eine ebenso wichtige Rolle spielen Dos Passos' politische Bewusstwerdung und das weitere Schicksal von Robles' Familie im Exil.
Alles hängt mit allem zusammen. Der Originaltitel "Enterrar a los muertos" (Die Toten begraben) zeigt an, welche Aufgabe der Autor sich vorgenommen hat: etwas zu Ende zu führen, was unerledigt blieb oder bewusst unterschlagen wurde. Es sind solche Akte postumer Gerechtigkeit, für die man die Personalunion von Historiker und Erzähler braucht.
Im Vorbeigehen liefert das Buch einen unbequemen Appendix zu den klassischen Darstellungen des Bürgerkrieges, weil es mit aller Sympathie für die Republik den Verrat im Zentrum des Systems beschreibt, also die Schweigegebote, das Duckmäusertum einer zersplitterten spanischen Linken, bei der sich berufliche, persönliche und ideologische Motive hoffnungslos verquickt hatten. Um das übliche Gut-böse-Schema geht es dabei am allerwenigsten, denn politische Frontlinien spielen kaum eine Rolle. Der Schauplatz ist das Lager der Republikaner samt Groupies und Sympathisanten, von denen nur wenige bemerkten, wie entschlossen der NKWD die Politik der spanischen Linken manipulierte. Auch Ausländer wurden hineingezogen; es reicht der Hinweis auf George Orwell, der in seiner Reportage "Mein Katalonien" die Repression gegen die spanischen Trotzkisten beschrieben und wohl nie erfahren hat, wie knapp er der Ermordung entging.
Nach dem Bestseller "Soldaten von Salamis" von Javier Cercas ist Ignacio Martínez de Pisón ein weiterer Angehöriger der mittleren Generation, der eine isolierte Episode des Spanischen Bürgerkrieges ans Licht hebt, um sie durch detektivische Spurensuche auf bis dahin verborgene Bedeutungen zu befragen. In seiner Schilderung geht es vor allem um die reichen Graufacetten einer Geschichte, die ihre Akteure wie im Zeitraffer vor sich herjagte und dabei manche Wahrheit unter die Räder kommen ließ. Gerupft werden auch Intellektuelle, etwa der katholische Kommunist und Lorca-Herausgeber José Bergamín oder der berühmte Dichter Rafael Alberti. Ein Schriftsteller wie Francisco Ayala, der ungleich konsequenter war und heute im hundertundzweiten Lebensjahr steht, könnte die Wahrhaftigkeit dieses Berichts bezeugen. Und dass Hemingway in spanischen Dingen ein draufgängerischer Schwadroneur, John Dos Passos dagegen ein wacher Kopf und außerdem ein loyaler Freund war, auch das steht nach der engagierten Recherche des Autors fest.
Leider ist von der kühlen Eleganz, die Martínez de Pisóns Stil auszeichnet, in der deutschen Übersetzung wenig zu spüren, denn Sybille Martin hegt eine unglückliche Liebe zu Dass-Sätzen. Bei ihr heißt es nicht: "Dos Passos schreibt, er habe es getan", sondern in peinigender Systematik: "Dos Passos schreibt, dass er es getan hätte." Den falschen Konjunktiv gibt's gratis dazu. Ein Lektor hätte das mit dem dünnen Filzstift beheben können, ebenso wie die Hispanismen, deren Knochenbau man auch ohne einen Funken Spanisch auf drei Meter erkennt. Ein paar Sachfehler, die sich nicht im spanischen Original, sondern allein in der deutschen Ausgabe finden, sind so schlimm, dass man sie mit Schweigen übergehen muss. Schade. Dieses Buch hätte mehr Sorgfalt verdient gehabt.
PAUL INGENDAAY
Ignacio Martínez de Pisón: "Der Tod des Übersetzers". John Dos Passos und die Geschichte eines ungeklärten Mordes. Aus dem Spanischen übersetzt von Sybille Martin. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007. 271 S., geb., 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Erhellend findet Kersten Knipp diesen "historischen" Essay von Ignacio Martinez de Pison. Erhellend, weil er die Tragödie eines an der Realität scheiternden Idealismus zeigt und das Walten der UdSSR im Spanischen Bürgerkrieg. Nicht zuletzt aber auch, weil der Autor sich seinem Thema frei von Sensationslust nähert. Was Knipp hier an Schlüssigem zum Tod des Übersetzers Jose Robles Pazos und über die politische Wandlung seines Freundes John Don Passos erfährt, erschreckt ihn, zeigt es doch, wie unversehens der Einzelne zwischen politischen und militärischen Fronten zerrieben werden kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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