»Platz 1 Deutscher Krimipreis 2018«Banat/Rumänien 2014: Ioan Cozma hat abgeschlossen mit der Welt. Der Kripo-Kommissar lebt allein, es sind nur noch ein paar Jahre bis zu seiner Pensionierung; wenn er nicht groß auffällt, wird auch niemand in seiner Vergangenheit wühlen. Es ist besser so. Doch die Welt will ihn nicht in Ruhe lassen. Ausgerechnet Cozma wird die Ermittlungsleitung in einem brutalen Mordfall übertragen: Die junge Lisa Marthen, eine Deutsche, wurde erstochen aufgefunden. Ihrem Vater gehört ein landwirtschaftlicher Großbetrieb, und der Verdacht fällt auf einen seiner jungen Feldarbeiter, der in Lisa verliebt war und seit ihrem Tod verschwunden ist. Als eine Spur nach Mecklenburg führt, macht Cozma sich auf den Weg - und muss feststellen, dass er dort nicht der Einzige ist, der für Gerechtigkeit sorgen will ...Oliver Bottini zeigt, wie sich die radikale Einsamkeit des Menschen durch Gier und Machthunger noch verstärkt. Doch eines bricht sich immer wieder Bahn - der Glaube an etwas Gutes und an Menschlichkeit. Die Spannung zwischen diesen Polen ist es, durch die 'Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens' eine existenzielle Wucht entfaltet.
buecher-magazin.deDie Geschichte beginnt auf einer Autobahn in Mecklenburg, ein Sandsturm zieht auf, Massenkarambolage. Maik verliert seine Familie. Einige Jahre später ist er in Rumänien auf dem Gut seines Freundes Jörg, der hier manisch Land kauft, als sich eine neue Tragödie ereignet: Jörgs Tochter Lisa wird ermordet. Trotz dieser weit auseinanderliegenden Schauplätze schafft Bottini eine Verbindung zwischen den Schicksalen der Menschen hier und dort. Spekulanten und Konzerne aus aller Welt kaufen Ackerland im Osten, die Kleinbauern wurden nach der Wende ausgebootet. Ceausecus Diktatur endete in Rumänien 1989, im selben Jahr, in dem auch die Umstrukturierung der LPGs begann. Das seelische Erbe der Diktatur sitzt in den Figuren. Da ist Ioan Cozma, der in Lisas Tod ermitteln soll, er ist erpressbar, weil er für die Securitate folterte. Da ist Annett, die gegen Monokulturen und Ausbeutung kämpft, da ist Ana, die immer noch nach dem Grab ihrer Eltern sucht. Schon der Prolog trifft den Leser mit einer Wucht, wie man sie selten liest. Die seelisch zersplitterten Charaktere sind gedankenvoll, doch in und um ihren Schmerz herum entwickelt sich die Handlung rasant.
© BÜCHERmagazin, Meike Dannenberg (md)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.11.2017Unter dem Radar segeln
Geerdet: Oliver Bottinis „Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens“
Wenn man diesem Roman eine Farbe zuordnen müsste, dann wäre das Braun. Umbra, Naturbraun wie die Erde, von der er erzählt. Und wäre dieser Roman eine Jahreszeit, dann der Herbst. Die Zeit der Ernte, des Abschiednehmens, der Gräber und Totenklagen. Genau die Zeit, sich in ein Buch zu versenken wie dieses, das nicht einfach nur von Mord und Totschlag erzählt, sondern von der Leere danach, von Schuldgefühlen und Einsamkeit, von der Verstrickung des Menschen in die Vergangenheit, seine jeweils persönliche, aber auch die historische, systemische.
Oliver Bottinis „Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens“ ist ein Roman, der buchstäblich tiefer gräbt als gewöhnliche Krimis aus den Regionalzonen jenseits der großen Mordmetropolen. Er spielt in zwei Käffern, die Prenzlin heißen. Das eine, originale Prenzlin – ein fiktives Dorf – liegt in der Provinz Mecklenburg-Vorpommerns. Das andere, die nach dem Original-Prenzlin benannte Ansiedlung „Neu-Prenzlin“, im westlichen Rumänien. Dorthin hat es den Landwirt Jörg Mathern aus Prenzlin nach der Wende verschlagen, als die alten LPGs aufgelöst und von cleveren SED-Kadern gewinnträchtig in GmbHs überführt wurden. Die „roten Junker“ wurden Millionäre, die Dörfer verkamen. In Rumänien aber gab es noch etwas zu holen. Jörg Mathern kaufte dort Land auf, sehr viel Land, und er zog mit Frau und Tochter hin; später folgte sein Freund aus Kindheitstagen, Michael Winter. Der hat bei einem gespenstischen Unfall, mit dem das Buch beginnt, Frau und Kinder verloren. Und auch Mathern, dessen Frau ihn längst verlassen hat, wird seine Tochter verlieren: Ein Mann ersticht Lisa am Fluss, das ist in Bottinis versiert multiperspektivisch erzähltem Roman der zentrale Mordfall. Mit dem Fall beauftragt wird der Kommissar Ioan Cozma aus Temeswar, der, kurz vor der Pensionierung, mit seinem Beruf eigentlich abgeschlossen hat: „Nicht mehr auffallen, nichts mehr riskieren ... unter dem Radar segeln.“ Nach der Revolution 1989 hat er in Bukarester Kellern Faschisten gefoltert, nun fühlt er sich „begradigt und beruhigt“ wie der Fluss Bega. Er hängt sich dann trotzdem schwer in den anfangs simpel scheinenden Fall rein und ermittelt gemeinsam mit seinem Kollegen und Freund Cippo – auch er mit Vergangenheitsdreck am Stecken – auf Pfaden, die immer komplexer sich schlingen. Sie führen ins deutsche Prenzlin, wo noch mal ein Mord passiert, sie führen aber auch an die Schmerzpunkte des globalen Kapitalismus. Das große Thema des Buches – und das hinter den Morden – ist der Landraub. Rumäniens Ausverkauf an ausländische Agrarinvestoren, an die Saudis, die Dänen, die Deutschen. Vierzig Prozent des Ackerlandes gehört ihnen schon.
Oliver Bottini, bekannt für seine Krimis mit der Freiburger Kommissarin Louise Boni, erzählt von dieser Landnahme in einer Sprache, so schnörkellos, unerschütterlich und klar wie die Landschaft, der seine Figuren nicht entkommen. Sie alle sind Beschädigte, Trauernde, Suchende. Man folgt ihnen gerne, mit einem gewissen Novembergefühl.
CHRISTINE DÖSSEL
Oliver Bottini: Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens. DuMont Buchverlag, Köln 2017. 414 Seiten, 22 Euro. E-Book 17,99 Euro.
Kommissar Ioan Cozma fühlt
sich „begradigt und beruhigt“
wie der Fluss Bega
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Geerdet: Oliver Bottinis „Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens“
Wenn man diesem Roman eine Farbe zuordnen müsste, dann wäre das Braun. Umbra, Naturbraun wie die Erde, von der er erzählt. Und wäre dieser Roman eine Jahreszeit, dann der Herbst. Die Zeit der Ernte, des Abschiednehmens, der Gräber und Totenklagen. Genau die Zeit, sich in ein Buch zu versenken wie dieses, das nicht einfach nur von Mord und Totschlag erzählt, sondern von der Leere danach, von Schuldgefühlen und Einsamkeit, von der Verstrickung des Menschen in die Vergangenheit, seine jeweils persönliche, aber auch die historische, systemische.
Oliver Bottinis „Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens“ ist ein Roman, der buchstäblich tiefer gräbt als gewöhnliche Krimis aus den Regionalzonen jenseits der großen Mordmetropolen. Er spielt in zwei Käffern, die Prenzlin heißen. Das eine, originale Prenzlin – ein fiktives Dorf – liegt in der Provinz Mecklenburg-Vorpommerns. Das andere, die nach dem Original-Prenzlin benannte Ansiedlung „Neu-Prenzlin“, im westlichen Rumänien. Dorthin hat es den Landwirt Jörg Mathern aus Prenzlin nach der Wende verschlagen, als die alten LPGs aufgelöst und von cleveren SED-Kadern gewinnträchtig in GmbHs überführt wurden. Die „roten Junker“ wurden Millionäre, die Dörfer verkamen. In Rumänien aber gab es noch etwas zu holen. Jörg Mathern kaufte dort Land auf, sehr viel Land, und er zog mit Frau und Tochter hin; später folgte sein Freund aus Kindheitstagen, Michael Winter. Der hat bei einem gespenstischen Unfall, mit dem das Buch beginnt, Frau und Kinder verloren. Und auch Mathern, dessen Frau ihn längst verlassen hat, wird seine Tochter verlieren: Ein Mann ersticht Lisa am Fluss, das ist in Bottinis versiert multiperspektivisch erzähltem Roman der zentrale Mordfall. Mit dem Fall beauftragt wird der Kommissar Ioan Cozma aus Temeswar, der, kurz vor der Pensionierung, mit seinem Beruf eigentlich abgeschlossen hat: „Nicht mehr auffallen, nichts mehr riskieren ... unter dem Radar segeln.“ Nach der Revolution 1989 hat er in Bukarester Kellern Faschisten gefoltert, nun fühlt er sich „begradigt und beruhigt“ wie der Fluss Bega. Er hängt sich dann trotzdem schwer in den anfangs simpel scheinenden Fall rein und ermittelt gemeinsam mit seinem Kollegen und Freund Cippo – auch er mit Vergangenheitsdreck am Stecken – auf Pfaden, die immer komplexer sich schlingen. Sie führen ins deutsche Prenzlin, wo noch mal ein Mord passiert, sie führen aber auch an die Schmerzpunkte des globalen Kapitalismus. Das große Thema des Buches – und das hinter den Morden – ist der Landraub. Rumäniens Ausverkauf an ausländische Agrarinvestoren, an die Saudis, die Dänen, die Deutschen. Vierzig Prozent des Ackerlandes gehört ihnen schon.
Oliver Bottini, bekannt für seine Krimis mit der Freiburger Kommissarin Louise Boni, erzählt von dieser Landnahme in einer Sprache, so schnörkellos, unerschütterlich und klar wie die Landschaft, der seine Figuren nicht entkommen. Sie alle sind Beschädigte, Trauernde, Suchende. Man folgt ihnen gerne, mit einem gewissen Novembergefühl.
CHRISTINE DÖSSEL
Oliver Bottini: Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens. DuMont Buchverlag, Köln 2017. 414 Seiten, 22 Euro. E-Book 17,99 Euro.
Kommissar Ioan Cozma fühlt
sich „begradigt und beruhigt“
wie der Fluss Bega
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2018Das Geheimnis von gestern ist die Macht von heute
So gut kann deutscher Krimi sein: Oliver Bottini ermittelt in Rumänien und in Mecklenburg-Vorpommern.
Am 8. April 2011 um die Mittagszeit auf der A 19 bei Rostock: Aus einem blauen Himmel kommen stürmische Böen mit mehr als hundert Stundenkilometern. Sie fegen den trockenen Sand von den Feldern auf die vierspurige Autobahn und verhüllen sie auf einer Länge von sechshundert Metern mit einer undurchdringlichen Sanddecke. "Die Höllenwand" wird der "Stern" später seine Rekonstruktion der Massenkarambolage überschreiben. Zweiundachtzig Fahrzeuge krachen ineinander, acht Menschen sterben, hunderteinunddreißig werden verletzt, zweiundzwanzig davon schwer.
Inmitten dieses Chaos beginnt Oliver Bottinis neuer Roman: Mit der Auslöschung einer jungen Familie, die auf dem Weg nach Dänemark in den Urlaub war. Der Vater, Michael Winter, folgt später seinem früheren Chef Jörg Marthen nach Rumänien, der sich dort seit Mitte der Nullerjahre zum Großgrundbesitzer aufgeschwungen hat. Zu Hause im fiktiven Dorf Prenzlin in Mecklenburg-Vorpommern war kein Bleiben für ihn gewesen, als sich die ehemaligen SED-Kader die Reste der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften unter den Nagel rissen. Jetzt kommt Marthens Konkurrenz in Neu-Prenzlin - so tauft er den Sitz seiner Firma JM Romania - aus Dänemark, Österreich und Saudi-Arabien. Alle sammeln sie möglichst große Flächen, die sie den Bauern zu überhöhten Preisen abkaufen und dennoch dafür sorgen, dass heute bereits vierzig Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Rumäniens nicht mehr in einheimischer Hand sind.
Die beiden agrarindustriell geprägten Landstriche, der Nordosten Deutschlands und der Westen Rumäniens, liefern das gesellschaftliche Panorama, das Bottini in "Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens" aufspannt. Der zweiundfünfzigjährige gebürtige Nürnberger, der in Berlin lebt, hat etwas Außergewöhnliches getan: Er hat seiner bewährten Freiburger Kommissarin Louise Boni freigegeben, ist nach Rumänien gefahren und hat dort ausführliche Recherchen angestellt, von denen das Buch ungemein profitiert. Ein umfangreiches Personenregister ist eine willkommene Hilfestellung.
Die Handlung setzt in Rumänien ein, Ende September 2014. Kommissar Ioan Cozma betrachtet beim Inhalieren seiner Morgenzigarette das Flüsschen Bega - begradigt, zum Kanal degradiert, seine Sümpfe trockengelegt. Um Ackerland zu gewinnen. Damit ist der Blick auf Themen gelenkt, die den Roman grundieren: Monokultur, Landraub, Lebensmittelindustrie. Der Mittfünfziger Cozma selbst bliebe am liebsten bis zu seiner Pensionierung in einem der zahlreichen "stillen Winkel des Lebens", in denen sich auch andere Figuren der Erzählung verkrochen haben. In der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn hätte man gesagt, Cozma habe "es sich gerichet" - er möchte künftig unter dem Radar der Aufmerksamkeit operieren, keine spektakulären Fälle mehr übernehmen, sehen, ob er trotz dunkler Flecken auf seiner Weste den Ruhestand unbeschadet erreichen kann. Ähnliches gilt für seinen Mitarbeiter und engen Freund Cippo.
Leichter geplant als getan. Rumänien ist immer noch damit beschäftigt, die Untaten des Ceausescu-Regimes aufzudecken. Cozma fürchtet dabei besonders das IICCMER, das Institut für die Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen und des Gedenkens an das rumänische Exil. Und er bekommt es mit einer zweiten Organisation der neuen Zeit zu tun, der DNA, der nationalen Antikorruptionsbehörde. Cozmas Vorgesetzter bei der Kriminalpolizei, Paul Bejenaru, ist einer der neuen Besen, der seine Hand nicht länger schützend über die älteren Mitarbeiter halten kann. Denn er weiß, was Cozma verbirgt: Dass dieser in der alten Zeit einen faschistischen Gewaltverbrecher gefoltert hat, der den Spätfolgen dieser Behandlung erlag - was wiederum Cozma die längste Zeit nicht wusste. Als ihm dieses Licht aufgeht, hat es mit seinem Wegduckbemühen ein Ende. Dass sein jüdischer Vater ein Konzentrationslager nur als völlig gebrochener Mann überlebte, entschuldigt nichts, erklärt aber einiges.
Und dann kommt der Fall, der Cozma ins grelle Rampenlicht eines politisch verminten Geländes schickt. Eine junge Deutsche wird ermordet, Lisa Marthen, Tochter des deutschen Großgrundbesitzers. Da ein junger rumänischer Landarbeiter, der für Lisa schwärmte, abgängig ist, fällt der Verdacht der Ermittler naturgemäß auf ihn. Dieser Adrian Lascu flieht nach Deutschland und sucht ausgerechnet dort Deckung, wo die Familie Marthen herkommt - in Prenzlin. Also müssen die rumänischen Kriminaler ihm folgen. Aber sie sind nicht allein, denn ein Auftragskiller hat es ebenfalls auf Lascu abgesehen, weil er Zeuge des Mordes an Lisa und nicht Täter war.
Dieser Petre Fuia entpuppt sich am Ende als eine der interessantesten Figuren in einem an komplizierten Vorgeschichten nicht eben armen Personaltableau. Bottinis Porträt der letzten Aufrechten in Mecklenburg-Vorpommern, die sich gegen die Bonzen der Nachwendezeit stemmen, ist ebenso milieusicher wie einfühlend gearbeitet, wie er sich um detailgenaue Porträts rumänischer Kleinhäusler, ehemaliger Geheimdienstler und neureicher Globalisierungsgewinnler verdient macht.
Weder hier noch dort ist die Vergangenheit vorbei. Geheimdienstwissen von gestern ist heute noch Macht, mit der sich erpressen und Geld verdienen lässt. Misstrauen regiert, Reinwaschung stagniert. Und der Rest ist die gleiche Geschichte, die überall im Westen geschrieben wird, der sich dem Konsum ergeben hat. "Da hatten sie für die Demokratie gekämpft und den glitzernden Kapitalismus bekommen - und gaben sich damit zufrieden", geht es Cozma durch den Kopf, als er in Temeswar durch eine Einkaufspassage geht.
Der Titel intoniert die melancholische Grundstimmung. Trotz der vielen Verletzten und Einsamen schafft es Bottini, nicht in vollkommene Ausweglosigkeit abzugleiten. Zwischen einem vergifteten Gestern und einem unsicheren Morgen baut er eine wacklige Gegenwart, die Cozma annehmen muss. Ein Schwebezustand prägt den Roman, dessen politische Implikationen spannender sind als die Lösung des Falls, den er auf verschlungenen Pfaden auch verhandelt. Es ist schon häufiger gesagt worden, Oliver Bottini zähle zu den besten Krimiautoren, die derzeit in deutscher Sprache schreiben. Diesem Urteil ist zuzustimmen.
HANNES HINTERMEIER
Oliver Bottini: "Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens". Kriminalroman.
Dumont Buchverlag,
Köln 2017. 414 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
So gut kann deutscher Krimi sein: Oliver Bottini ermittelt in Rumänien und in Mecklenburg-Vorpommern.
Am 8. April 2011 um die Mittagszeit auf der A 19 bei Rostock: Aus einem blauen Himmel kommen stürmische Böen mit mehr als hundert Stundenkilometern. Sie fegen den trockenen Sand von den Feldern auf die vierspurige Autobahn und verhüllen sie auf einer Länge von sechshundert Metern mit einer undurchdringlichen Sanddecke. "Die Höllenwand" wird der "Stern" später seine Rekonstruktion der Massenkarambolage überschreiben. Zweiundachtzig Fahrzeuge krachen ineinander, acht Menschen sterben, hunderteinunddreißig werden verletzt, zweiundzwanzig davon schwer.
Inmitten dieses Chaos beginnt Oliver Bottinis neuer Roman: Mit der Auslöschung einer jungen Familie, die auf dem Weg nach Dänemark in den Urlaub war. Der Vater, Michael Winter, folgt später seinem früheren Chef Jörg Marthen nach Rumänien, der sich dort seit Mitte der Nullerjahre zum Großgrundbesitzer aufgeschwungen hat. Zu Hause im fiktiven Dorf Prenzlin in Mecklenburg-Vorpommern war kein Bleiben für ihn gewesen, als sich die ehemaligen SED-Kader die Reste der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften unter den Nagel rissen. Jetzt kommt Marthens Konkurrenz in Neu-Prenzlin - so tauft er den Sitz seiner Firma JM Romania - aus Dänemark, Österreich und Saudi-Arabien. Alle sammeln sie möglichst große Flächen, die sie den Bauern zu überhöhten Preisen abkaufen und dennoch dafür sorgen, dass heute bereits vierzig Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Rumäniens nicht mehr in einheimischer Hand sind.
Die beiden agrarindustriell geprägten Landstriche, der Nordosten Deutschlands und der Westen Rumäniens, liefern das gesellschaftliche Panorama, das Bottini in "Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens" aufspannt. Der zweiundfünfzigjährige gebürtige Nürnberger, der in Berlin lebt, hat etwas Außergewöhnliches getan: Er hat seiner bewährten Freiburger Kommissarin Louise Boni freigegeben, ist nach Rumänien gefahren und hat dort ausführliche Recherchen angestellt, von denen das Buch ungemein profitiert. Ein umfangreiches Personenregister ist eine willkommene Hilfestellung.
Die Handlung setzt in Rumänien ein, Ende September 2014. Kommissar Ioan Cozma betrachtet beim Inhalieren seiner Morgenzigarette das Flüsschen Bega - begradigt, zum Kanal degradiert, seine Sümpfe trockengelegt. Um Ackerland zu gewinnen. Damit ist der Blick auf Themen gelenkt, die den Roman grundieren: Monokultur, Landraub, Lebensmittelindustrie. Der Mittfünfziger Cozma selbst bliebe am liebsten bis zu seiner Pensionierung in einem der zahlreichen "stillen Winkel des Lebens", in denen sich auch andere Figuren der Erzählung verkrochen haben. In der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn hätte man gesagt, Cozma habe "es sich gerichet" - er möchte künftig unter dem Radar der Aufmerksamkeit operieren, keine spektakulären Fälle mehr übernehmen, sehen, ob er trotz dunkler Flecken auf seiner Weste den Ruhestand unbeschadet erreichen kann. Ähnliches gilt für seinen Mitarbeiter und engen Freund Cippo.
Leichter geplant als getan. Rumänien ist immer noch damit beschäftigt, die Untaten des Ceausescu-Regimes aufzudecken. Cozma fürchtet dabei besonders das IICCMER, das Institut für die Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen und des Gedenkens an das rumänische Exil. Und er bekommt es mit einer zweiten Organisation der neuen Zeit zu tun, der DNA, der nationalen Antikorruptionsbehörde. Cozmas Vorgesetzter bei der Kriminalpolizei, Paul Bejenaru, ist einer der neuen Besen, der seine Hand nicht länger schützend über die älteren Mitarbeiter halten kann. Denn er weiß, was Cozma verbirgt: Dass dieser in der alten Zeit einen faschistischen Gewaltverbrecher gefoltert hat, der den Spätfolgen dieser Behandlung erlag - was wiederum Cozma die längste Zeit nicht wusste. Als ihm dieses Licht aufgeht, hat es mit seinem Wegduckbemühen ein Ende. Dass sein jüdischer Vater ein Konzentrationslager nur als völlig gebrochener Mann überlebte, entschuldigt nichts, erklärt aber einiges.
Und dann kommt der Fall, der Cozma ins grelle Rampenlicht eines politisch verminten Geländes schickt. Eine junge Deutsche wird ermordet, Lisa Marthen, Tochter des deutschen Großgrundbesitzers. Da ein junger rumänischer Landarbeiter, der für Lisa schwärmte, abgängig ist, fällt der Verdacht der Ermittler naturgemäß auf ihn. Dieser Adrian Lascu flieht nach Deutschland und sucht ausgerechnet dort Deckung, wo die Familie Marthen herkommt - in Prenzlin. Also müssen die rumänischen Kriminaler ihm folgen. Aber sie sind nicht allein, denn ein Auftragskiller hat es ebenfalls auf Lascu abgesehen, weil er Zeuge des Mordes an Lisa und nicht Täter war.
Dieser Petre Fuia entpuppt sich am Ende als eine der interessantesten Figuren in einem an komplizierten Vorgeschichten nicht eben armen Personaltableau. Bottinis Porträt der letzten Aufrechten in Mecklenburg-Vorpommern, die sich gegen die Bonzen der Nachwendezeit stemmen, ist ebenso milieusicher wie einfühlend gearbeitet, wie er sich um detailgenaue Porträts rumänischer Kleinhäusler, ehemaliger Geheimdienstler und neureicher Globalisierungsgewinnler verdient macht.
Weder hier noch dort ist die Vergangenheit vorbei. Geheimdienstwissen von gestern ist heute noch Macht, mit der sich erpressen und Geld verdienen lässt. Misstrauen regiert, Reinwaschung stagniert. Und der Rest ist die gleiche Geschichte, die überall im Westen geschrieben wird, der sich dem Konsum ergeben hat. "Da hatten sie für die Demokratie gekämpft und den glitzernden Kapitalismus bekommen - und gaben sich damit zufrieden", geht es Cozma durch den Kopf, als er in Temeswar durch eine Einkaufspassage geht.
Der Titel intoniert die melancholische Grundstimmung. Trotz der vielen Verletzten und Einsamen schafft es Bottini, nicht in vollkommene Ausweglosigkeit abzugleiten. Zwischen einem vergifteten Gestern und einem unsicheren Morgen baut er eine wacklige Gegenwart, die Cozma annehmen muss. Ein Schwebezustand prägt den Roman, dessen politische Implikationen spannender sind als die Lösung des Falls, den er auf verschlungenen Pfaden auch verhandelt. Es ist schon häufiger gesagt worden, Oliver Bottini zähle zu den besten Krimiautoren, die derzeit in deutscher Sprache schreiben. Diesem Urteil ist zuzustimmen.
HANNES HINTERMEIER
Oliver Bottini: "Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens". Kriminalroman.
Dumont Buchverlag,
Köln 2017. 414 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»So gut kann deutscher Krimi sein.« Hannes Hintermeier, FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG »Ein Roman der moralischen Ambivalenzen, der feinen Grautöne, der nicht verurteilen sondern erkunden will.« Peter Körte, FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG »[Die Bücher von Oliver Bottini sind] keine gewöhnlichen Kriminalgeschichten, sondern hochaktuelle Analysen der Gegenwart.« Tomasz Kurianowicz, DIE ZEIT »Zwei wunderbar zerrupfte Sheriffs, die leider nicht auf Pferden, sondern in Dienstautos und Flugzeugen unterwegs sind.« Wolfgang Höbel, DER SPIEGEL »[Oliver Bottini erzählt] in einer Sprache, so schnörkellos, unerschütterlich und klar wie die Landschaft, der seine Figuren nicht entkommen.« Christine Dössel, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG »Oliver Bottini entwirft ein verschlungenes Komplott mit Figuren so zerrissen wie die Landschaft, in der sie leben. Ein atmosphärisch dichter Krimi. Hochspannend.« Peter Twiehaus, ZDF MOMA »'Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens' ist nur vordergründig ein Kriminalroman. Aufgrund seines komplexen und ausgesprochen vielschichtigen Handlungsverlaufs könnte er durchaus auch als Politthriller, Wirtschaftskrimi und Familiendrama durchgehen. Es geht um Politik, Gesellschaftskritik, Globalisierung und Gier - und auch ein bisschen um Mord.« Martina Müller, 3SAT.DE »Autor Oliver Bottini verwebt in seiner tiefgründigen, trostlosen Geschichte [...] die Abgründe der globalen Agrarwirtschaft (ja, das ist spannend!) mit dem trüben Erbe untergegangener Diktaturen.« Judith Liere, STERN »Dass man selbst in den stillen Winkeln des Lebens vor der Krake Kapitalismus nicht gefeit ist, zeigt der Krimipreisträger 2018 Oliver Bottini.« Ute Cohen, DER FREITAG »Bottini trifft einen Nerv.« Silke Merten, KULTURRADIO »Die berühmte, perfekt gelungene Mischung.« Silke Arning, SWR 1 »Der Roman überzeugt vor allem, weil er stets aufmerksam auf die Menschen, ihr Verfangensein in der Geschichte und ihre Versuche schaut, sich von Fall zu Fall dem Leben zu stellen.« Sylvia Staude, FRANKFURTER RUNDSCHAU »Bottini macht ein düsteres Stück Zeitgeschichte greifbar und zeigt, was ein richtig guter Krimi leisten kann.« Ingeborg Sperl, DER STANDARD »[Eine] ungeheure Spannung baut sich bei Lesen auf, die ganz überraschend den Mord fast zur Nebensache werden lässt.« Ria Raphael, HR2 KULTURFRÜHSTÜCK »Eine extrem packende Krimi-/Spannungsgeschichte mit tollen Charakteren.« Ulrich Noller, WDR 5 »Eine Geschichte, die so spannend wie deprimierend ist, ambitioniert und mit unerschütterlichem moralischen Anspruch erzählt. Großartig.« Matthias Busch, MÜNCHNER MERKUR »Beklemmende Authentizität kennzeichnet dieses herausragende Werk, das weitaus mehr als nur ein Krimi ist.« Werner Krause, KLEINE ZEITUNG »Mit seiner differenzierten Erzählweise seziert Bottini ostdeutsche und rumänische Wirklichkeiten so messerscharf, dass er den Deutschen Krimipreis 2018 erhielt.« Sabine Reithmaier, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG »[Ein] flüssig erzählter, spannender Kriminalroman, der aber eben doch sehr viel mehr ist.« Bert Rebhandl, DER STANDARD »Das Buch zeigt die ganze Meisterschaft des Autors, politische, auch spröde Themen in der Form des Kriminalromans spannend, aber niemals reißerisch zu vermitteln.« Knut Elstermann, MDR KULTUR »So geht moderner Kriminalroman.« Antje Deistler, WDR 5 »[Einer] der besten Krimiautoren in Deutschland.« Stefan Sprang, HESSISCHER RUNDFUNK »Vielschichtiger Inhalt, elegante Prosa.« Günter Keil, PLAYBOY »Pure, düstere Poesie« Antje Deistler, DEUTSCHLANDFUNK »Mit diesem Roman ist im Grunde genommen bewiesen, dass Oliver Bottini einer der ganz großen Kriminalschriftsteller deutscher Sprache ist.« Tobias Gohlis, DEUTSCHLANDFUNK KULTUR »Er ist der Meister der menschlichen Abgründe und ein literarischer Kämpfer gegen das Böse.« Norbert Kron, RBB STILBRUCH »Oliver Bottini gilt als einer der besten deutschen Kriminalschriftsteller.« NDR KULTURZEIT »Das ist nicht weniger als: Exzellent.« Ulrich Noller, WDR.DE »Rätselhaft [...] und schwebend und schön und sehr lebendig.« Elmar Krekeler, DIE WELT »Ein wirklich starker Krimi, der tief schürft und seine Figuren in all ihrer Zerrissenheit mitten in die Wirklichkeit der globalisierten Welt wirft.« Katja Sembritzki, N-TV.de »Oliver Bottini verbindet klassisches Krimihandwerk mit Elementen eines starken Politthrillers. Überzeugend.« Susanne Zobl, NEWS »Oliver Bottini [...] konfrontiert den Leser ebenso mit radikaler Einsamkeit und Machthunger wie mit Hoffnung und Menschlichkeit.« BUCHREPORT »Ein gesamteuropäischer (wenn nicht weltweit gültiger) Roman. Großes Kaliber.« Thomas Wörtche, CULTURMAG »Eine Liebeserklärung an ein Land, das er in seinem Roman trotz vieler unfassbarer Grausamkeiten der Geschichte in wehmütig leisen und literarisch poetischen Tönen zeichnet.« Mechthild Blum, BADISCHE ZEITUNG »Wenn Sie einen literarisch wirklich anspruchsvollen Krimi lesen wollen, [...] lesen Sie Oliver Bottini.« Silke Kienzle, BR 2 DIWAN »Wie Landraub, Autounfälle, Diktatur und Mord zusammengehören, liest sich tiefberührend und geschichtsträchtig.« BÜCHERMAGAZIN »Bottini hat einen hochwertigen, extrem spannenden Roman geschrieben, den er wie seine vorherigen Werke umfassend recherchiert und mit einer eleganter Prosa verfeinert hat.« Günter Keil, STRAUBINGER TAGBLATT »Wie Bottini die Welten miteinander verbindet, das Intime und Politische, die Ökonomie, die Landschaft und das Seelendrama, das ist große Kunst.« Thekla Dannenberg, PERLENTAUCHER.DE »Ein Meister der Zwischentöne.« Lore Kleinert, NEUE-BUCHTIPPS.DE