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Kaum ein Thema hat die Menschen zu allen Zeiten, in allen Kulturen und Zivilisationsstufen so intensiv beschäftigt wie das Sterben. Das Bewußtsein unserer Sterblichkeit hat die menschliche Einbildungskraft seit der Vor- und Frühgeschichte angeregt und in Mythologie, Kunst, Architektur, Religion, Philosophie und in der Folklore der verschiedenen Kulturen auf sehr unterschiedliche Weise Ausdruck gefunden. Dieses wohl einzigartige Buch behandelt das Thema erstmals auf ebenso umfassende wie tiefgreifende Weise: Die bedeutendsten Gelehrten der verschiedenen Weltkulturen und Religionen haben aus…mehr

Produktbeschreibung
Kaum ein Thema hat die Menschen zu allen Zeiten, in allen Kulturen und Zivilisationsstufen so intensiv beschäftigt wie das Sterben. Das Bewußtsein unserer Sterblichkeit hat die menschliche Einbildungskraft seit der Vor- und Frühgeschichte angeregt und in Mythologie, Kunst, Architektur, Religion, Philosophie und in der Folklore der verschiedenen Kulturen auf sehr unterschiedliche Weise Ausdruck gefunden.
Dieses wohl einzigartige Buch behandelt das Thema erstmals auf ebenso umfassende wie tiefgreifende Weise: Die bedeutendsten Gelehrten der verschiedenen Weltkulturen und Religionen haben aus ihrer jeweiligen Perspektive darüber nachgedacht, welche kulturelle, mythische und religiöse Tradition sich hinter der Auffassung und Verarbeitung des Todes verbirgt. Eingeleitet wird der Band durch einen ausführlichen kulturvergleichenden Essay des Herausgebers Constantin von Barloewen.
Autorenporträt
Constantin von Barloewen, geb. 1952 in Buenos Aires, ist Professor für Anthropologie und vergleichende Kulturwissenschaften. Er war Mitglied der Weltkommission Kultur und Entwicklung der UNESCO und Programmleiter des Dialogs der Kulturen der Stiftung Neuhardenberg. Heute unterrichtet er an der Université Européenne de la Recherche in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.1997

Der Tod ist eine Laune der Kultur
Auch im Ableben bleibt der Mensch seinen Traditionen treu

Daß der Mensch sterben muß, daran glaubt man vor allem deshalb, weil es bisher so gewesen ist. In der Frühzeit aber ließ man sich von den Verblichenen nicht verwirren: Der Mensch sei unsterblich geboren, so sagte man sich, er sterbe besten-(oder schlimmsten-)falls unter Einwirkung böser Geister oder menschlicher Pfeile. Constantin von Barloewen hat eine internationale und universale Kulturgeschichte des Todes herausgegeben. Sie zeigt den Tod als eine "anthropologische Konstante", als kleinsten gemeinsamen Nenner der Kulturen.

Der Tod, so leitet Barloewen ein, vereinigt Völker mit verschiedenen Mythologien, Religionen oder Philosophien: Er werde stets als Übergang, als Verwandlung gesehen, nicht als Auslöschung der Person. Eine Sonderform der Auferstehung ist die Reinkarnation. Anders als beim christlichen Sünder, der sich in seinem einzigen Leben als himmelstauglich erweisen muß, sind beim Buddhisten die Schuldposten aus dem vorherigen Leben ausschlaggebend für postume Lebensqualität.

Während man sich über die Bedeutung des Lebens uneins ist - der Christ liebt im Grunde sein Leben, der Hinduist leidet darunter, der Buddhist sieht eine Täuschung darin -, glaubt man überall gern an das Paradies. In den Paradiesvorstellungen des Korans sitzen in Seide gekleidete Männer auf Sofas und erfreuen sich an Früchten, Frauen und Wein. Die aztekischen Auserwählten spielen lieber Bockspringen und jagen bunte Schmetterlinge. Jede Kultur hat ihr eigenes Himmelreich, jede ersinnt sich Höllen, finstere, siedendheiße oder klirrend kalte Unterwelten.

Sehr beliebt ist auch der sogenannte "dritte Ort", das Fegefeuer oder eine vergleichbare richtende Instanz. In islamischer Tradition wird eine Brücke über der Hölle überquert (Ungläubige verlieren das Gleichgewicht), die Guarayo-Indianer machen auf Krokodilsrücken Seelenreisen entlang eines reißenden Stromes, in Tibet waltet das "Schwert der Unterscheidung". Der Tod, so erkennt der Leser, ist ein "kulturell bedingter Gedanke". Er wird traditionsgemäß kodifiziert, wie die Essays über Praktiken unterschiedlichster Länder und Völker belegen.

Hans Belting untersucht in seinem Beitrag das Verhältnis zwischen Bild, Körper und Tod. Das Bild, schreibt er, stelle von Natur aus Abwesenheit dar, der Leichnam wiederum sei ein Abbild des Todes. Belting unterscheidet Körperbilder - Masken, Bemalungen, Mumien - und vom Körper losgelöste, künstlerische Werke (Puppen und Fetische). Die Animation des Bildzaubers - magische Handlungen, Anrufungen - dient der Vermittlung zwischen dem gemalten Bild und Hinterbliebenen. Die Fotografie hingegen läßt den Menschen in der Bewegung erstarren und in der Bildwerdung sterben. Ihre Geschichte sieht Belting als eine "Jagd nach dem Leben": man vervielfältigte die Fotografie im Papierbild, um den Gedanken an einen einzigen sterblichen Körper zu verdrängen, entwickelte die "schnellen Bilder", die auch nur ein Ausschnitt aus dem Bewegungsfluß des Lebens waren.

Die Krönung aber erbringt die digitale Fotografie. Aus Fotos und Filmaufnahmen von Verstorbenen wird man in nicht ferner Zukunft virtuelle Realitäten schöpfen, mit denen man im "Cyberspace" kommunizieren kann. Hier nehme man, so Belting, "Abschied vom realen Körper", so daß Leben und Tod keine gültigen Werte mehr sind.

Schon Schiller benutzte die Formel der "Entgötterung der Natur". John Bowker prägt dafür den Begriff "Naturalisierung des Todes": durch medizinische Eingriffe wird der Tod hinausgeschoben, mechanisiert, verwaltbar gemacht. Und wo ist Gott? Die Kirche sieht im Grenzfall eine Kooperation des Menschen mit der göttlichen Macht vor - nicht deren Übernahme. Die Kehrseite der Naturalisierung ist die Trivialisierung des Todes. Sensenmänner grinsen in der Werbung, Skelette tanzen Tango: Der Tod als Spektakel und Entertainment, weil das Leben zuwenig bietet. Zu große Vertrautheit gebiert Verachtung, erzeugt "emotionalen Reduktionismus". Die Todesverachtung wurde laut Bowker aber auch von den Religionen gefördert, denn im Fall der Auferstehung oder gar der Reinkarnation ist der Tod nur "ein Ereignis unter vielen".

Bowker fragt, wie der Mensch sich zum Tod und den Toten künftig verhalten wird. Er sieht eine "Reorganisation der rituellen Ereignisse" auf uns zukommen. Die "finale" Todessicht breitet sich weiter aus, die Betonung verlagert sich vom verhinderten Seelenflug auf das Leben, den gegenwärtigen Augenblick. Die bisherigen öffentlichen, pompösen Begräbnisse werden "privatisiert". Die Toten läßt man bei Beerdigungen auf Tonbändern sprechen und auf Videos erscheinen. Allerheiligen werde sich im nächsten Jahrhundert zu einem "weit virtuelleren, lebendigeren Tag" entwickeln. Bei diesen Aussichten sollte sich der Mensch zweimal überlegen, ob er wirklich sterben muß. STEFFEN GNAM

Constantin von Barloewen (Hrsg.): "Der Tod in den Weltkulturen und Weltreligionen". Diederichs Verlag, München 1996. 518 S., Abb., geb., 58,- DM.

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