Der alternde Schriftsteller Aladar Csanda, ein ungarischer Emigrant in New York, steht vor dem Abschluss eines neuen Buches, das von Menschen handelt, die er kannte und die Auschwitz nicht überlebt haben. Er nennt es sein "Totenbuch". Doch seine Vollendung wird von einem mysteriösen Besucher mit einer Prophezeiung verhindert. Nach der Aufklärung dieses planvollen Zwischenfalls lädt Csandas Verleger, von dem das lapidare Verdikt "Der Tod ist ein Flop" stammt, seinen Autor mit einigen Freunden zu einer Reise nach Edenia ein, einer "Insel der Glückseligen", wo schon seit Generationen die Bewohner sich dem Diktat der Zeit wie dem menschlichen Macht-, Besitz- und Todeswahn entziehen. Hier geht es, so erfahren die Gäste, "um die Befreiung der Menschheit von dem Kult des Todes, von dem grotesken Pomp der Begräbnisse, von dem ganzen Hokuspokus und auch von der funeralen Industrie des Todes." An diesem 'außerweltlichen' Ort kommt es schließlich zur Bilanzierung der geschichtlichen Todesbes
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.2000Weder Gerechtigkeit noch Sünde
Soma Morgenstern erzählt von der Emigration
Die Gefahr wurde heraufbeschworen. Während er an einem Buch über den Tod arbeitet, erscheint dem Schriftsteller der Tod. Eine Woche nur bleibt Aladar Csanda, um herauszufinden, welches die erste Sünde seines Lebens war. Sollte er sie entdecken, dann wäre das eine letzte Chance. Was sie einbrächte, lässt sich kaum sagen, es spielt keine Rolle, da das Ganze, wie sich schnell herausstellt, ohnehin so ernst nicht zu nehmen war. Nur ein Spiel ist es, eine abschreckende "Fopperei", die sich der "schöpferische Verleger" ausdachte, um seinen Autor auf andere Gedanken zu bringen, weg von dem "Totenbuch". Denn der Tod hat nichts Erhabenes, er "ist ein Fleck an der Schöpfung", der den "Spott" des Lebens verdient. Diesem allein, nicht seiner Verneinung, gebührt aller Glaube.
Die einzige Sünde, auf die Aladar Csanda stößt, die einzige, die den Namen verdient, besteht im verpassten Leben. Nichts kann die versäumte Liebe entschuldigen, nicht einmal das Konzentrationslager, in das der Held als vertriebener Jude vorzeiten geworfen worden war. Kein Fatum kommt für das Grauen auf. Seine Perfektion war gründlich vorbereitet, vorbereitet durch einen "Todeskult", mit dem das christlich geprägte Abendland sein Verderben unentwegt suchte, ästhetisch bemäntelt von der Bibel bis zur Moderne hin.
Auf dem Traumweg, der den verfolgten Schriftsteller ein Kapitel lang "durch die Folterbaracken eines Nazilagers" führt, begegnen bekannte Figuren, vertraute Szenen. Dieselben Männer, die bereits Josef K. abholten, haben auch Aladar Csanda zwischen sich genommen. Vor einem "Gesetz", das den Schrecken zur Regel erhebt, wacht der "Torhüter", auf den sie stoßen. Wie in der "Strafkolonie" wird den Menschen ihre vermeintliche Verfehlung in die Haut geschnitten, nur dass es nicht mehr die von Kafka erfundene Maschine ist, die die Körper "zeichnet". Männer und Frauen, "Metzger", haben die Arbeit übernommen. Noch in die Betroffenheit will sich Faszination einschleichen. Wer sie fürchtet, muss den Tod ablehnen. Nur wo ihm die Achtung versagt werde, glaubt der Roman, sei mit Erlösung zu rechnen. "Edenia" heißt die Insel, auf die er seine Figuren schließlich entführt, fernab in die Südsee, die alternative Kolonie des Lebens. Als Monte Verità und pädagogische Provinz zugleich erweist sich der Freiraum, in dem der Leser dann die Spuren des Helden verliert, ohne dass er noch einmal an das "Totenbuch" erinnert würde.
Dass der Ausgang, die provozierende Harmonie, den Intentionen des Erzählers entspricht, steht zu vermuten, behaupten aber darf man es nicht, da der Autor Soma Morgenstern sein letztes Buch unvollendet hinterließ, die vorliegende Fassung eine Rekonstruktion der Fragmente darstellt. Die literarische Qualität allein kann nicht immer überzeugen, plakativ wirkt die Verschränkung der Motive bisweilen, spürbar wird die fehlende Überarbeitung. Was dem Text an epischer Distanz abgeht, das ersetzt er durch autobiografische Nähe. Das Erlebnis des Autors trägt die Figur. Auch er war ein gebürtiger Ostjude, der als Emigrant in New York lebte; auch er hat bis zu seinem Tod 1976 an der deutschen Sprache festgehalten, obwohl ihn die "Frankfurter Zeitung", die er in Wien vertrat, bereits 1934 entließ. Wie seine Figur musste der Intellektuelle über Frankreich nach Amerika entkommen, in ein Exil, das umso aussichtsloser schien, als die historische Analyse den Trost organisierter Opposition versagte.
Der Antifaschismus, in dem andere ihre intellektuelle Zuflucht fanden, war für Soma Morgenstern kein wirklicher Ausweg. Die Ideologie hatte ihm wenig zu bieten. Ihren aggressiven Anspruch wollte er, wie den des Nationalsozialismus, zurückführen auf den christlichen Todeskult. Gleich mehreren Figuren seines Romans ist der Verdacht gegen die Linke in den Mund gelegt. Nichts soll hinwegtäuschen über die "leninistische, unmenschliche Gerechtigkeit". Die Millionen, die ihr zum Opfer fielen, werden in einem Atemzug mit den Juden genannt, die in Auschwitz umkamen. Humanistische Rechtfertigung darf solcher Widerstand nicht einfordern, nicht bei dem Flüchtling, den das machtorientierte Gegenspiel politischer Kräfte in die französische Internierung führte. Das Schicksal, das auch sein Held teilen muss, entlarvt auch "viele andere Nationen . . . als eifrige Helfershelfer" der "deutschen Mordbrenner", wobei sie sich allesamt auf eine Kulturgeschichte berufen, die ihre Untaten mit der Verehrung der Opfer entschuldigt.
Gleichsam vorweggenommen scheint der Historikerstreit, wenn der Erzähler eine seiner Figuren sagen lässt: "Auschwitz ist die Antwort der Christenheit Europas auf die russische Revolution, für die sie die Juden verantwortlich hält." Eine Feststellung, die keiner Seite mehr hilft, das Resümee einer Emigration, die übersehen wurde, solange man das Exil vornehmlich als einen politischen Kampf verstehen wollte, eingebunden in einen ideologischen Streit, für den Autoren wie Soma Morgenstern nicht taugten, weil sie herausgefunden hatten, dass es nicht um Sünde und Gerechtigkeit gehen kann, solange die Mythen gelten - Mythen, die von der Faszination der Größe zehren, nicht zuletzt von der Größe des Schreckens, von der heroischen Verklärung, von einem Tod, der doch nur "ein Flop" sein darf, soll die Schöpfung ihren Sinn behalten.
THOMAS RIETZSCHEL.
Soma Morgenstern: "Der Tod ist ein Flop". Roman. Werke in Einzelbänden. Hrsg. von Ingolf Schulte. Zu Klampen Verlag, Lüneburg 1999. 184 S., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Soma Morgenstern erzählt von der Emigration
Die Gefahr wurde heraufbeschworen. Während er an einem Buch über den Tod arbeitet, erscheint dem Schriftsteller der Tod. Eine Woche nur bleibt Aladar Csanda, um herauszufinden, welches die erste Sünde seines Lebens war. Sollte er sie entdecken, dann wäre das eine letzte Chance. Was sie einbrächte, lässt sich kaum sagen, es spielt keine Rolle, da das Ganze, wie sich schnell herausstellt, ohnehin so ernst nicht zu nehmen war. Nur ein Spiel ist es, eine abschreckende "Fopperei", die sich der "schöpferische Verleger" ausdachte, um seinen Autor auf andere Gedanken zu bringen, weg von dem "Totenbuch". Denn der Tod hat nichts Erhabenes, er "ist ein Fleck an der Schöpfung", der den "Spott" des Lebens verdient. Diesem allein, nicht seiner Verneinung, gebührt aller Glaube.
Die einzige Sünde, auf die Aladar Csanda stößt, die einzige, die den Namen verdient, besteht im verpassten Leben. Nichts kann die versäumte Liebe entschuldigen, nicht einmal das Konzentrationslager, in das der Held als vertriebener Jude vorzeiten geworfen worden war. Kein Fatum kommt für das Grauen auf. Seine Perfektion war gründlich vorbereitet, vorbereitet durch einen "Todeskult", mit dem das christlich geprägte Abendland sein Verderben unentwegt suchte, ästhetisch bemäntelt von der Bibel bis zur Moderne hin.
Auf dem Traumweg, der den verfolgten Schriftsteller ein Kapitel lang "durch die Folterbaracken eines Nazilagers" führt, begegnen bekannte Figuren, vertraute Szenen. Dieselben Männer, die bereits Josef K. abholten, haben auch Aladar Csanda zwischen sich genommen. Vor einem "Gesetz", das den Schrecken zur Regel erhebt, wacht der "Torhüter", auf den sie stoßen. Wie in der "Strafkolonie" wird den Menschen ihre vermeintliche Verfehlung in die Haut geschnitten, nur dass es nicht mehr die von Kafka erfundene Maschine ist, die die Körper "zeichnet". Männer und Frauen, "Metzger", haben die Arbeit übernommen. Noch in die Betroffenheit will sich Faszination einschleichen. Wer sie fürchtet, muss den Tod ablehnen. Nur wo ihm die Achtung versagt werde, glaubt der Roman, sei mit Erlösung zu rechnen. "Edenia" heißt die Insel, auf die er seine Figuren schließlich entführt, fernab in die Südsee, die alternative Kolonie des Lebens. Als Monte Verità und pädagogische Provinz zugleich erweist sich der Freiraum, in dem der Leser dann die Spuren des Helden verliert, ohne dass er noch einmal an das "Totenbuch" erinnert würde.
Dass der Ausgang, die provozierende Harmonie, den Intentionen des Erzählers entspricht, steht zu vermuten, behaupten aber darf man es nicht, da der Autor Soma Morgenstern sein letztes Buch unvollendet hinterließ, die vorliegende Fassung eine Rekonstruktion der Fragmente darstellt. Die literarische Qualität allein kann nicht immer überzeugen, plakativ wirkt die Verschränkung der Motive bisweilen, spürbar wird die fehlende Überarbeitung. Was dem Text an epischer Distanz abgeht, das ersetzt er durch autobiografische Nähe. Das Erlebnis des Autors trägt die Figur. Auch er war ein gebürtiger Ostjude, der als Emigrant in New York lebte; auch er hat bis zu seinem Tod 1976 an der deutschen Sprache festgehalten, obwohl ihn die "Frankfurter Zeitung", die er in Wien vertrat, bereits 1934 entließ. Wie seine Figur musste der Intellektuelle über Frankreich nach Amerika entkommen, in ein Exil, das umso aussichtsloser schien, als die historische Analyse den Trost organisierter Opposition versagte.
Der Antifaschismus, in dem andere ihre intellektuelle Zuflucht fanden, war für Soma Morgenstern kein wirklicher Ausweg. Die Ideologie hatte ihm wenig zu bieten. Ihren aggressiven Anspruch wollte er, wie den des Nationalsozialismus, zurückführen auf den christlichen Todeskult. Gleich mehreren Figuren seines Romans ist der Verdacht gegen die Linke in den Mund gelegt. Nichts soll hinwegtäuschen über die "leninistische, unmenschliche Gerechtigkeit". Die Millionen, die ihr zum Opfer fielen, werden in einem Atemzug mit den Juden genannt, die in Auschwitz umkamen. Humanistische Rechtfertigung darf solcher Widerstand nicht einfordern, nicht bei dem Flüchtling, den das machtorientierte Gegenspiel politischer Kräfte in die französische Internierung führte. Das Schicksal, das auch sein Held teilen muss, entlarvt auch "viele andere Nationen . . . als eifrige Helfershelfer" der "deutschen Mordbrenner", wobei sie sich allesamt auf eine Kulturgeschichte berufen, die ihre Untaten mit der Verehrung der Opfer entschuldigt.
Gleichsam vorweggenommen scheint der Historikerstreit, wenn der Erzähler eine seiner Figuren sagen lässt: "Auschwitz ist die Antwort der Christenheit Europas auf die russische Revolution, für die sie die Juden verantwortlich hält." Eine Feststellung, die keiner Seite mehr hilft, das Resümee einer Emigration, die übersehen wurde, solange man das Exil vornehmlich als einen politischen Kampf verstehen wollte, eingebunden in einen ideologischen Streit, für den Autoren wie Soma Morgenstern nicht taugten, weil sie herausgefunden hatten, dass es nicht um Sünde und Gerechtigkeit gehen kann, solange die Mythen gelten - Mythen, die von der Faszination der Größe zehren, nicht zuletzt von der Größe des Schreckens, von der heroischen Verklärung, von einem Tod, der doch nur "ein Flop" sein darf, soll die Schöpfung ihren Sinn behalten.
THOMAS RIETZSCHEL.
Soma Morgenstern: "Der Tod ist ein Flop". Roman. Werke in Einzelbänden. Hrsg. von Ingolf Schulte. Zu Klampen Verlag, Lüneburg 1999. 184 S., geb., 48,- DM.
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